Urteil des LSG Bayern vom 11.02.2009

LSG Bayern: commotio cerebri, zustand, arbeitsunfall, unfallfolgen, distorsion, befund, kausalität, verdacht, chirurg, wahrscheinlichkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.02.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 4 U 316/04
Bayerisches Landessozialgericht L 3 U 368/06
Bundessozialgericht B 2 U 143/09 B
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12.10.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalles am 06.02.2003.
Die 1955 geborene Klägerin ist Krankenschwester. Am 06.02.2003 rutschte sie nach ihrer Schicht auf dem Weg nach
Hause vor dem Frauenparkplatz auf vereistem Boden aus und schlug auf den Hinterkopf. Anschließend konnte sie mit
Hilfe zweier Kollegen die Bushaltestelle aufsuchen und mit dem Bus nach Hause fahren.
Ausweislich des Durchgangsarzt-Berichtes vom 06.02.2003 (Prof. B.) war die Patientin voll orientiert. Sie klagte über
anfängliche Übelkeit, ein Erbrechen verneinte sie. Zentral am Hinterkopf stellte Prof. Dr. B. eine kleine Prellmarke mit
Beule fest. Die Schädelkalotte war an dieser Stelle druckschmerzhaft. Die Röntgenaufnahme des Schädels ergab
keine frische knöcherne Verletzung. Prof. Dr. B. diagnostizierte einen Verdacht auf Commotio cerebri und wies die
Klägerin zur Beobachtung in das Caritas-Krankenhaus St. J. ein, wo die Klägerin vom 06.02. bis 08.02.2003 stationär
war. Nach dem Entlassungsbericht des Krankenhauses war das durchgeführte Schädel-CT regelrecht. Im
Krankenhaus war am Hinterkopf eine Beule tastbar. Außerdem klagte die Klägerin über massive Kopfschmerzen und
Nackenschmerzen mit Ausstrahlung in beide Schultern, links stärker als rechts. Ausweislich des Befundberichts der
Dr. E., Neurologin und Psychiaterin vom 03.03.2003 klagte die Klägerin seit der Krankenhausentlassung über
zeitweiligen Schulter-Arm-Schmerz links, kurzzeitige Pelzigkeit des Armes, Übelkeit, massive
Konzentrationsstörungen und massive Beschwerden im HWS-Bereich. Nach der ärztlichen Unfallmeldung des
Hausarztes der Klägerin R. vom 13.02.2003 klagte die Klägerin über Gleichgewichtsstörungen sowie starken
Druckschmerz mit muskulären Verspannungen im cervikalen Bereich und mäßiggradige Funktionsstörungen. Herr R.
diagnostizierte einen Zustand nach Commotio cerebri sowie eine HWS-Distorsion. Der HNO-Arzt Dr. G. konnte auf
seinem Fachgebiet keine auffälligen Befunde feststellen. Der Kernspintomographie-Befund des Schädels vom
12.03.2003 (Radiologe P. F.) ergab einen unauffälligen Befund des Schädels.
Der Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 17.03.2003 sowie der Internistin Dr. L. vom 24.03.2003
waren negativ.
Ein am 31.03.2003 erhobener Kernspin-Befund der Kiefergelenke (Dr. E.) ergab einen Verdacht auf Diskusläsion links
sowie eine Diskusdegeneration rechts. Der MKG-Chirurg Dr. L. teilte im Bericht vom 03.04.2003 mit, es liege ein
Zustand nach Kiefergelenkskontusion links vor. Aus dem Befundbericht des Chirurgen Dr. B. vom 30.04.2003 ergibt
sich, dass die Beweglichkeit der Schulter links endgradig schmerzhaft, aber durchführbar war. Eine Sonographie der
linken Schulter zeigte einzelne Verkalkungen der Rotatorenmanschette ohne Hinweise für eine Verschwielung der
Bursa subacromialis oder eine Ruptur der Rotatorenmanschette. Die Röntgenaufnahmen der linken Schulter zeigten
eine beginnende ACG-Arthrose ohne Hinweise für stattgehabte Frakturen oder Fehlstellungen. Dr. B. diagnostizierte
einen Zustand nach Schulterprellung links. Dr. L., MKG-Chirurg, teilte mit, dass bei der Klägerin ein Einriss und eine
Verlagerung des Diskus articularis links vorlägen (Befundbericht vom 05.05.2003).
Das chirurgische Gutachten des Dr. B. vom 19.09.2003 ergab, dass die Knochenmarkschwellung am linken
Schulterkopf nicht durch den Unfall wesentlich verursacht sei. Die Befunde aus der Zeit unmittelbar nach dem Unfall
hätten weder Prellmarken, Blutergüsse oder Abschürfungen über der Schulter, dem linken Ellenbogengelenk oder dem
linken Handgelenk ergeben noch habe die Verletzte selbst darüber berichtet. Eine Stauchung der Schulter sei nicht
wahrscheinlich. Durch einen Aufprall auf den flachen Rücken bzw. Hinterkopf, der objektiv dokumentiert sei, könne ein
durch Schulterblatt und Muskulatur geschützter Oberarmkopf nicht verletzt werden.
Dr. L. stellte in seinem MKG-chirurgischen Gutachten fest, dass eine Traumatisierung der Kiefergelenke bei HWS-
Schleudertraumata nicht selten sei. Hinsichtlich der Beschwerden im linken Kiefergelenk sei aufgrund der
Kernspinaufnahme sowohl eine traumatische als auch eine vorbestehende Erkrankung möglich. Der zeitliche
Zusammenhang spreche für eine traumatische Verursachung (Bericht vom 10.11.2003). Das nervenärztliche
Gutachten der Dr. K. vom 30.12.2003 ergab keine unfallbedingte Erkrankung und somit auch keine MdE. Das von der
Beklagten eingeholte MKG-Gutachten des Dr. S. vom 26.02.2004 bejahte die Kausalität des Unfalls mit der
Kiefergelenksschädigung. Dr. S. nahm eine MdE von 8 v.H. an.
Mit Bescheid vom 08.04.2004 erkannte die Beklagte einen Arbeitsunfall an. Als Unfallfolgen stellte sie fest: Zustand
nach Entfernung des Diskus articularis, schmerzhaft eingeschränkte Mundöffnung; reizlose Narbe linkes Kiefergelenk.
Eine Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit habe bis 30.06.2003 bestanden. Ein Rentenanspruch bestehe
nicht.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2004 zurück.
Hiergegen erhob die Klägerin am 02.11.2004 Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG). Sie beantragte, den
Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 08.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
01.10.2004 zu verurteilen, der Klägerin wegen der Kiefergelenksbeschwerden sowie der Beschwerden an der linken
Schulter als Unfallfolgen Rente nach einer MdE von 20 v.H. ab der 27. Woche zu gewähren.
Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens des MKG-Chirurgen Dr. L. vom 13.03.2005 nach §
109 SGG. Dr. L. kam zu dem Ergebnis, dass die Schädigung der Gelenkzwischenscheibe des linken Kiefergelenks
auf das erlittene Trauma zurückzuführen sei. Vor dem Unfall hätten nach Angaben der Klägerin keine
Kiefergelenksbeschwerden bestanden, sie habe unbeeinträchtigt kauen können. Eine degenerative Schädigung der
Gegenseite ließe keinen Schluss auf eine Vorschädigung des betroffenen Gelenks zu, zumal das rechte Gelenk
weiterhin beschwerdefrei sei. Die MdE betrage 20 v.H.
Das SG wies die Klage mit Urteil vom 12.10.2006 ab. Es nahm hinsichtlich der MdE auf die Ausführungen der Dr. K.
und des Dr. S. Bezug.
Die Klägerin legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Der Senat holte ein Sachverständigengutachten der MKG-
Chirurgin Dr. D. vom 14.08.2008 ein. Diese kam zu dem Ergebnis, dass die Kiefergelenksbeschwerden der Klägerin
nicht durch den Unfall verursacht worden seien. Eine Kiefergelenkskontusion habe nicht vorgelegen. Die Klägerin sei
auf den Hinterkopf gefallen, nicht jedoch auf den Unterkiefer. Eine Stauchung des Kiefergelenks könne jedoch nur
durch eine Krafteinwirkung auf den Unterkiefer direkt zustande kommen. Dazu müsste der Unterkiefer seitlich oder
von vorne bzw. von unten getroffen werden. Eine indirekte Beteiligung der Kiefergelenke durch eine Schädigung der
HWS scheide ebenfalls aus. Außerdem wurde eine Schädigung der HWS durch den Sturz der Klägerin nicht bestätigt.
Die Degeneration der HWS sei vielmehr bereits seit 1999 aktenkundig. Eine Kontusion des Kiefergelenks falle sofort
durch eine schmerzhafte Kieferklemme auf und sei in der Regel nach einem Monat abgeheilt. Die Klägerin habe
jedoch vor der HNO-ärztlichen Untersuchung nie über Schmerzen im Kiefergelenk geklagt (vgl. Befundbericht Dr. G.
vom 10.03.2003).
Der Klägerbevollmächtigte äußerte sich zu diesem Gutachten mit Schreiben vom 29.10.2008. Er trug insbesondere
vor, die Klägerin habe vor dem Unfall am 06.02.2003 keinerlei Probleme mit dem Kiefergelenk gehabt. Prof. Dr. B.
habe nach der Untersuchung der Klägerin als D-Arzt festgestellt, dass die Schulter nicht gebrochen sei und dass die
Ursache für die starken Schmerzen vor allem an der linken Schulter die Kopfverletzung und die HWS-Stauchung
seien. Dies sei jedoch im Durchgangsarztbericht nicht angegeben worden.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 12.10.2006 und
des Bescheides der Beklagten vom 08.04.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2004 zu
verurteilen, der Klägerin wegen der Kiefergelenksbeschwerden sowie der Beschwerden an der linken Schulter eine
Rente nach einer MdE von 20 v.H. ab der 27. Kalenderwoche zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Klageakte und die beigezogene Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet.
Die Klägerin hat, wie das SG Regensburg zutreffend festgestellt hat, keinen Anspruch auf die Gewährung einer
Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalles vom 06.02.2003, da die festgestellten Unfallfolgen keine Minderung der
Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 v.H. bedingen.
Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles und ggf. die Entschädigung durch Zahlung
von Verletztenrente (§ 56 SGB VII) setzt voraus, dass die Gesundheitsstörung Folge eines Versicherungsfalles, hier
also des Arbeitsunfalles vom 6.2.2003, ist (§§ 7, 8 SGB VII). Der Arbeitsunfall muss also wesentlich an der
Entstehung der Gesundheitsstörung mitgewirkt haben. Davon ist auszugehen, wenn er neben anderen Bedingungen
bei wertender Betrachtung diejenige ist, die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen
Eintritt wesentlich beigetragen hat (Theorie der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSGE
63, 277). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. neben dem Arbeitsunfall auch die
Gesundheitsstörung, mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (Vollbeweis). Ein vernünftiger,
die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch darf keinen Zweifel mehr haben (BSGE 7, 103, 106). Für den
ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitsschaden
(haftungsbegründende Kausalität) sowie Folgeschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist demgegenüber
hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Es genügt, wenn bei Abwägung aller Umstände die für den
Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet
werden kann (BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).
Zur Überzeugung des Senats steht insbesondere fest, dass die Klägerin beim Arbeitsunfall am 06.02.2003 keine
Kiefergelenkskontusion erlitten hat. Sowohl nach den Angaben im Durchgangsarztbericht vom 06.02.2003 als auch
nach den Angaben im Krankenhaus der Caritas St. J., in dem die Klägerin nach dem Unfall vom 06.02. bis 08.02.2003
beobachtet wurde, ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin auf das Unterkiefer stürzte, so dass dieses
seitlich oder von unten verschoben wurde. Nach der Anamnese sowohl des Durchgangsarztes als auch im
Krankenhaus fiel die Klägerin auf den Hinterkopf. Diese Angaben der Klägerin werden durch die objektiv erhobenen
Befunde untermauert. Sowohl der Durchgangsarzt Prof. Dr. B. als auch der behandelnde Arzt im Krankenhaus St. J.
stellten eine Prellmarke und eine Beule am zentralen Hinterkopf fest. Damit scheidet eine Beeinträchtigung des
Unterkiefers durch den Sturz aus.
Auch die Angaben der Klägerin entsprechen einem Unfallablauf, bei dem sie ausschließlich auf den Rücken und den
Hinterkopf stürzte. Insoweit sei auf ihre eigenen Angaben im Schreiben vom 04.04.2003 an das Bezirksklinikum, ihren
Arbeitgeber, hingewiesen. Sie führt aus, sie sei plötzlich auf dem vereisten Boden vor dem Frauenparkplatz
ausgerutscht und auf den Hinterkopf gefallen. In diesem Moment habe sie einen sehr starken Aufschlag am Kopf
gespürt und sei daraufhin bewusstlos geworden. Von einer Verletzung des Kiefergelenks, insbesondere einer
Kontusion, war nicht die Rede. Im Übrigen trägt die Klägerin erstmals im Zusammenhang mit der HNO-ärztlichen
Untersuchung durch Dr. G. vor, das linke Kiefergelenk sei stark druckschmerzhaft.
Deshalb folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen der Gutachterin Dr. Dr. D., die darlegte, dass bei einem
Sturz auf den Hinterkopf eine Kontusion des Kiefergelenks ausgeschlossen sei. Der Senat hält auch für überzeugend,
dass eine Distorsion der HWS nicht zu einer Kiefergelenkskontusion führen kann. Im Übrigen wäre auch eine HWS-
Distorsion unwahrscheinlich, wie bereits der Sachverständige Dr. B. im Gutachten vom 19.09.2003 darlegte. Bei
einem einfachen Aufprall am Boden - auch wenn er stark ist - ist eine peitschenartige Bewegung ausgeschlossen.
Die Beschwerden der linken Schulter sind degenerativer Natur und ebenfalls nicht durch den Unfall verursacht. Auch
insoweit stützt der Senat seine Überzeugung darauf, dass die Klägerin weder gegenüber dem Durchgangsarzt noch
gegenüber den behandelnden Ärzten im Krankenhaus St. J. einen Sturz auf die Schulter bzw. ein Verreißen des
Armes nach hinten angab. Ein derartiger Sturz wäre auch mit der belegten Prellmarke am zentralen Hinterkopf nicht
vereinbar. Bei einem Sturz auf die Seite mit Beeinträchtigung der linken Schulter bzw. des linken Armes wäre eine
zentrale Prellmarke am Hinterkopf unmöglich. Im Übrigen hat der Sachverständige Dr. B. im Verwaltungsverfahren
dargelegt, dass bei der Klägerin erhebliche degenerative Veränderungen im Bereich des Schultergelenks radiologisch
nachgewiesen waren.
Eine Bewertung der MdE mit 20 v.H. aufgrund der bestehenden Beeinträchtigungen der Klägerin im Bereich des linken
Kiefergelenks ist aus der Sicht des Senats nicht nachvollziehbar. Den Ausführungen des Dr. L. vermag der Senat
nicht zu folgen, da sie nicht hinreichend begründet sind.
Im Ergebnis war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da kein Zulassungsgrund vorliegt.