Urteil des LSG Bayern vom 27.05.1999

LSG Bayern: jugendlicher arbeitnehmer, allgemeine lebenserfahrung, schüler, versicherungsschutz, einsichtsfähigkeit, versuch, entschädigung, arbeitsunfall, wahrscheinlichkeit, kausalverlauf

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 27.05.1999 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 3 U 23/96
Bayerisches Landessozialgericht L 3 U 435/98
Bundessozialgericht B 2 U 40/99 R
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.10.1998 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte den Kläger wegen der Folgen seines Unfalls vom 18.07.1995 zu
entschädigen hat.
Der am ...1978 geborene Kläger besuchte zum Unfallzeitpunkt die Klasse 11 a des ... Gymnasiums in Kempten. Die
Klasse befand sich vom 16.07. bis 20.07.1995 auf einer Klassenfahrt in Berlin. Lehrer und Schüler waren in der
Pension von Oertzen, Lietzenburgstraße 76 in Berlin untergebracht. Der Kläger teilte sich mit seinem
Klassenkameraden ... ein Zweibettzimmer (Zimmer 6), das im 3. Stock gelegen war. Am 18.07.1995 waren die
Schüler nach einem Besichtigungsprogramm bereits vor den Lehrern aus der Stadt zurückgekehrt und in ihre Zimmer
gegangen. Der Kläger und ... statteten den im Nebenzimmer (Zimmer 2) untergebrachten Mädchen ..., ... und ... einen
Besuch ab. Als die Mädchen die beiden Jungens aufforderten ihr Zimmer zu verlassen, weil sie sich umziehen
wollten, weigerte sich der Kläger. Er wurde von ... und dem herbeigeholten Mitschüler ..., der das Zimmer 3 a
bewohnte, aus dem Zimmer getragen. Nach kurzem Aufenthalt im Zimmer 3 a kehrten ... und der Kläger in ihr eigenes
Zimmer zurück. Die Mitschülerin ... besuchte die beiden Jungens kurz in deren Zimmer, um sich eine Cassette
auszuleihen. Die Mitschülerin ... begegnete ... auf dem Flur, als sie die Toilette aufsuchte. Unmittelbar danach hörten
die im Nebenzimmer Nr.7 untergebrachten Mädchen den Kläger rufen, ob bei ihnen das Fenster geöffnet sei. Als sie
dies bejahten, antwortete er, er komme dann rüber. Beim Versuch von dem Fenster des Zimmers Nr.6 in das 1,20 m
entfernte Fenster des Zimmers Nr.7 zu gelangen, stürzte der Kläger ab und schlug auf den Betonboden des
Innenhofes auf. Er zog sich bei dem Sturz multiple Verletzungen, nämlich mehrfache Beckenfrakturen, eine
Wirbelsäulenverletzung, eine Lungenblutung, Brustkorbverletzungen und mehrfache Extremitätenfrakturen zu. In
bewußtlosem Zustand wurde er in das Rudolf-Virchow-Krankenhaus eingeliefert. Der Kläger selbst hat keine
Erinnerung an den Vorfall des 18.07.1995. Die zum Unfallort gerufene Polizei ermittelte, daß das Fenster im Zimmer
Nr.6 eine Breite von 115 cm hatte und sich in einer Höhe von 77 cm über dem Zimmerboden befand. Das innere
Fensterbrett war 28 cm tief, das äußere 18 cm tief. Zum Unfallzeitpunkt hielten sich im Zimmer Nr.7 die
Mitschülerinnen ..., ..., und ... auf ... und ... wurden am 18.07.1995 polizeilich einvernommen. Auf die Protokolle vom
18.07.1995 wird Bezug genommen.
Der Vater des Klägers stellte beim Beklagten einen Entschädigungsantrag. Im Verlaufe der Ermittlungen legte er
schriftliche Erklärungen der Mitschülerinnen ... und ... vom 08.10.1995 vor. Darin berichteten beide Mädchen,
unmittelbar vor dem Absturz sei es zwischen dem Kläger und ... zu einer verbalen Kappelei gekommen, in deren
Verlauf ... geäußert haben soll, er werde den Kläger jetzt einsperren ... gab ferner an, sie habe sich kurz im Zimmer
der beiden Jungens aufgehalten und dabei den Kläger mit Nasenbluten über das Waschbecken gebeugt gesehen.
Mit Bescheid vom 24.11.1995 lehnte der Beklagte die Anerkennung und Entschädigung des Vorfalls am 18.07.1995
als Arbeitsunfall ab. Der Unfall habe in keinem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden, weil
der Kläger völlig unverständlich und vernunftswidrig gehandelt habe. Der Widerspruch blieb erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 10.01.1996).
Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben und vorgebracht, er habe keineswegs völlig
vernunftswidrig gehandelt. Allenfalls habe er leichtsinnig gehandelt und sich selbst überschätzt. Die Gefährlichkeit
habe er wohl aus der auf einer Klassenfahrt typischerweise hochgeputschten Situation heraus falsch eingeschätzt.
Der Versicherungsschutz könne daher nicht abgelehnt werden. Weiter hat er in Anlehnung an die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichtes (BSG Urteil vom 05.10. 1995 - 2 RU 44/94, Breithaupt 1996, 385) ausgeführt, die
verhängnisvolle Tat habe sich aus der auf einer Klassenfahrt häufig zu beobachtenden Gruppendynamik
herausentwickelt. Der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sei erhalten geblieben. Das Sozialgericht
hat ..., ... und ... am 25.03.1997 als Zeugen einvernommen. Auf die Niederschriften wird Bezug genommen. Während
... bestritten hat, den Kläger eingesperrt zu haben bzw. ihm mit Einsperren gedroht zu haben, hat ... ausgesagt, sie
habe bei ihrem kurzen Aufenthalt im Zimmer der beiden Jungens ... sagen hören, er wolle das Zimmer verschließen.
Sie habe daraufhin das Zimmer verlassen, um nicht eingesperrt zu werden. Sie sei daraufhin mit ... zusammen aus
dem Zimmer gegangen. Sie habe nicht gesehen, daß dieser den Zimmerschlüssel in Händen gehalten bzw.
abgesperrt habe. Was ... daraufhin gemacht habe, wisse sie nicht. Sie habe nicht mehr auf ihn geachtet und habe,
nachdem sie in ihr Zimmer zurückgekommen sei und dort niemanden angetroffen habe, dieses wieder verlassen.
Dabei habe sie gesehen, wie ... aus dem mit dem Kläger zusammen bewohnten Zimmer Nr.6 herausgekommen sei.
... hat erklärt, sie sei dabeigewesen, als der Kläger von den Mitschülern ... und ... aus dem von ihr und anderen
Mädchen bewohnten Zimmer Nr.2 getragen wurde. Sie habe sich dann umgezogen und die Toilette aufgesucht. Auf
dem Rückweg habe sie ... vor seiner Zimmertüre stehen sehen und gehört, wie dieser sagte, er wolle den Kläger jetzt
einsperren. Ob er sein Vorhaben verwirklicht habe, könne sie nicht sagen.
Mit Urteil vom 13.10.1998 hat das Sozialgericht die auf Entschädigung wegen der Folgen des Unfalls vom 18.07.1995
gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, daß ein rechtlich wesentlicher innerer
Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Klassenfahrt nicht bestehe, weil der Kläger mit seinem waghalsigen
Tun den Rahmen des noch geschützten Bereiches unbesonnenen und leichtsinnigen Verhaltens überschritten habe.
Für ihn sei erkennbar gewesen, daß sein Kletterversuch in hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend sei. Zwar
habe die Rechtsprechung für den Versicherungsschutz jugendlicher Arbeitnehmer nicht ohne weiteres die für
erwachsene Beschäftigten geltenden Maßstäbe bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung für anwendbar gehalten.
Sie habe berücksichtigt, daß junge Menschen, insbesondere Schüler auf Klassenfahrten, Gefährdungen ausgesetzt
seien, die sich aus gruppendynamischen Prozessen herausentwickelten und zu riskanten Verhaltensweisen
eskalieren könnten. Damit werde der Versicherungsschutz zwar auf jugendtypisches, nicht aber auf jegliches
Verhalten ausgedehnt. Der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz
entfalle dann, wenn das eigenverantwortliche Handeln des Geschädigten derart im Vordergrund stehe, daß die
versicherte Tätigkeit für den Kausalverlauf nicht mehr als wesentlich angesehen werden könne. Dies sei der Fall,
wenn sich der Geschädigte in so hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend verhalten habe, daß er mit großer
Wahrscheinlichkeit damit rechnen mußte, es werde zu einem Unfall kommen. Das Sozialgericht ist aufgrund der
seiner Meinung nach überzeugenden und glaubwürdigen Aussagen der Zeuginnen ... und ... zur Feststellung gelangt,
dem verhängnisvollen Sturz sei ein gegenseitiges Aufziehen mit seinem Zimmerkameraden ... vorausgegangen, der
das gemeinsame Zimmer verlassen und geäußert habe, er werde den Kläger nunmehr einsperren. Den Angaben des
Zeugen ... hat das Sozialgericht keine Glaubwürdigkeit beigemessen, weil dessen Aussage vor dem Sozialgericht am
25.03.1997 Widersprüche zu seiner polizeilichen Einvernahme am 18.07.1995 enthalte. Für nicht erwiesen hat das
Sozialgericht gehalten, daß der Kläger tatsächlich von ... im Zimmer Nr.6 eingesperrt worden sei. Ohne den Nachweis
der verriegelten Tür fehle ein wesentliches Element für die Annahme eines gruppendynamischen Prozesses
beginnend im Zimmer Nr.2, über eine nachfolgende Neckerei im Zimmer Nr.6 bis zum Unfall. Soweit ein
gruppendynamischer Prozeß stattgefunden habe, sei er beendet gewesen, als ... und ... das Zimmer Nr.6 verlassen
hatten und der Kläger allein zurückgeblieben war. Die im Zimmer Nr.7 untergebrachten Mitschülerinnen seien in die
vorausgegangenen Ereignisse nicht eingebunden gewesen, weswegen eine Anknüpfung an die bzw. eine
Fortentwicklung der brisanten Situation nicht in Betracht kommen könne. Der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt 17 Jahre
und 3 Monate alt gewesen und habe nach den Aussagen seiner Mitschüler und den Feststellungen seiner Lehrer über
eine altersgemäße Einsichtsfähigkeit verfügt. Daß er als spontan und zu verrückten Sachen neigend galt, ändere
nichts an seiner Einsichtsfähigkeit.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgebracht, es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass er, wie
von der Berliner Polizei angenommen, habe "fensterln" oder bei seiner Kletteraktion eine Wette habe einlösen wollen.
Vielmehr dränge sich bei lebensnaher Betrachtung der Schluß auf, daß er über das Fenster habe flüchten wollen, weil
er eingesperrt gewesen sei. Das Sozialgericht habe zwar den Angaben von ... keinen Glauben geschenkt, jedoch
nicht die notwendige Schlußfolgerung gezogen, daß das Motiv des Zeugen zu lügen der Versuch gewesen sei, einen
Schaden von sich abzuwenden. Offensichtlich habe ... zivilrechtliche Konsequenzen befürchtet. Der
streitgegenständliche Unfall sei der Endpunkt eines typischen gruppendynamischen Prozesses gewesen.
Ausgangspunkt sei gewesen, daß der Kläger im Spaß von ... und einem Mitschüler aus einem Mädchenzimmer
hinausgeschleppt worden sei. Aus dieser zunächst harmlosen Aktion habe sich in der Folge eine ernsthafte
Auseinandersetzung entwickelt. Darauf deute das von der Zeugin ... beobachtete Nasenbluten des Klägers, was dafür
spreche, daß dieser einen Schlag oder Stoß auf die Nase erhalten habe. Die Anwesenheit des Mädchens ... habe
wohl auch noch eine gewisse Rolle gespielt und zu einem Art "Hahnenkampf" geführt. Aus dieser Situation heraus
könne die zum Unfall führende Tat des Klägers nicht als völlig vernunftswidrig verstanden werden. Vielmehr war seine
Urteilsbildung und sein Kritikvermögen durch spontane Impulse derart überlagert, daß die Einsichtsfähigkeit nicht
mehr zum Tragen gekommen sei.
Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 13.10.1998 sowie
des Bescheides vom 24.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.1996 zu verurteilen, ihn
wegen der Folgen seines Unfalls vom 18.07.1995 zu entschädigen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.10.1998
zurückzuweisen,
da das Sozialgericht zutreffend erkannt habe, daß der Kläger nicht nur leichtsinnig sondern völlig unvernünftig und
unsinnig gehandelt habe und einer selbtgeschaffenen Gefahr erlegen sei. Dabei sei unerheblich, ob der Kläger kurz
vor seinem Sturz für einen Moment eingesperrt gewesen sei oder nicht, da das Verhalten in jedem Fall als völlig
unvernünftig einzustufen sei. Die Beweiswürdigung des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden. Ob eine erneute
Einvernahme der beteiligten Mitschüler/Mitschülerinnen zu anderen Erkenntnissen führen könne, erscheine aus seiner
Sicht zweifelhaft.
Der Senat hat die Zeuginnen ... und ... im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.05.1995 nochmals
einvernommen. Auf die Sitzungsniederschrift wird insoweit Bezug genommen.
Im übrigen wird gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der
Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.
Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass der Kläger bei seinem Unfall am 18.07.1995 nicht unter dem
Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat, weil ein rechtlich wesentlich innerer Zusammenhang des
Unfalls mit der generell als Schulveranstaltung versicherten Klassenfahrt nicht vorgelegen hat. Maßgebend für die
Beurteilung sind die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung - RVO -, da über einen vor dem 01.01.1997 und
damit vor dem Inkrafttreten des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB VII - eingetretenen Versicherungsfall zu
entscheiden ist (Art.36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII). Der Kläger hat demnach keinen nach
§ 548 Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 539 Abs.1 Nr.14 Buchstabe b RVO versicherten Arbeitsunfall erlitten. Zur Vermeidung
von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen
Urteils gemäß § 153 Abs.2 SGG Bezug genommen, soweit das Sozialgericht sich unter Berücksichtigung der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit der Frage auseinandergesetzt hat, inwieweit Jugendliche in Anbetracht
des ihnen innewohnenden natürlichen Spieltriebs dem Versicherungsschutz unterliegen und inwieweit die Tatsache
eines gruppentypischen Verhaltens auf einer Schülergemeinschaftsveranstaltung wie einer Klassenfahrt darüber
hinaus unter Umständen zu verbotswidrigem oder leichtsinnigem Verhalten führt.
Dabei hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, daß der Versicherungsschutz zwar auf jugendtypisches, nicht aber
auf jegliches Verhalten ausgedehnt wird, sondern dort seine Grenzen hat, wo das eigenverantwortliche Handeln des
Geschädigten derart im Vordergrund steht, daß die versicherte Tätigkeit für den Kausalverlauf nicht mehr als
wesentlich angesehen werden kann. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn der Geschädigte sich in so hohem
Maße vernunftwidrig und gefahrbringend verhält, daß er mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen muß, es werde
zu einem Unfall kommen (BSG, Urteil vom 20.05.1976, SozR 2200 § 550 Nr.14). Dem Sozialgericht ist zuzustimmen,
daß sich der Unfall des Klägers zu einem Zeitpunkt ereignet hat, als die Schüler sich zu Freizeitaktivitäten und damit
eigenwirtschaftlichen Betätigungen hingewandt hatten. Denn auch nach der vom Senat durchgeführten
Beweiserhebung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß nach der Rückkehr der Schüler von der
Stadtbesichtigung noch eine weitere von der Schule organisierte Betätigung geplant hat. Vielmehr war die
Abendgestaltung in das Ermessen der Schüler gestellt gewesen. Dies entnimmt der Senat den Ausführungen der
Zeuginnen ... und ... Damit kommt es allein darauf an, ob die zum Unfall führende Handlung das Ergebnis oder der
Schlußpunkt eines schülertypischen gruppendynamischen Prozesses gewesen war. Der Senat geht, wie das
Sozialgericht, davon aus, daß der verhängnisvollen Tat des Klägers tatsächlich ein gruppendynamischer Prozeß
vorausgegangen war. In dessen Verlauf war der Kläger von Mitschülern aus dem von Mädchen bewohnten Zimmer 2
hinausgetragen worden. Dies war nach der Schilderung der Zeugin ... von allen Beteiligten als Spaß aufgefaßt worden.
Der Kläger wirkte dabei weder agressiv noch hatte er sich gewehrt. Mit der Rückkehr des Klägers in sein Zimmer war
diese Episode beendet. Ob sich im Anschluß daran ein weiterer gruppendynamischer Prozeß entwickelt hatte, aus
dem heraus der Kläger den Entschluß gefaßt hatte, aus dem Fenster in das Nebenzimmer zu steigen, bleibt im
Bereich der Spekulation. Objektive Anhaltspunkte, aus denen heraus sich Rückschlüsse auf einen solchen
gruppendynamischen Prozeß gewinnen ließen, sind nicht feststellbar. Nach Auffassung des Senats ist es dabei
unerheblich, ob der Kläger tatsächlich von ... eingesperrt worden war, oder ob er dies aufgrund der Ankündigung
zumindest glauben konnte, weil nach Aussagen der Zeuginnen ... und ... zweifelsfrei solche Äußerungen von ...
gemacht worden waren. Denn in beiden Fällen läßt sich nicht feststellen, daß das Verhalten der Mitschüler oder
zumindest das Verhalten des Mitschülers ... maßgeblich dafür waren, daß der Kläger seinen verhängnisvollen
Entschluß faßte. Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 20.05.1976 (a.a.O.) bereits ausgeführt hat,
stehen Handlungen, welche nicht völlig aus dem allgemein üblichen Rahmen fallen, noch im Zusammenhang mit der
Betriebs- bzw. mit der Schultätigkeit. Dabei ist darauf abzustellen, daß es gerade bei einer Spielerei, die ihrer Natur
nach zu einem erheblichen Teil keine vernunftmäßig gesteuerte Tätigkeit zu sein pflegt, auf die Fähigkeit des
verunglückten Schülers ankommt, deren Gefährlichkeit erkennen zu können. Zur Überzeugung des Senats steht fest,
daß der Kläger, der zum Unfallzeitpunkt ein 17 1/4 Jahre alter Gymnasiast war, grundsätzlich in der Lage war, die
Gefährlichkeit seines Handelns erkennen zu können. Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß eine Kletterei im 3.
Stock von einem Fenster zum anderen bei einem Abstand der Fensterbretter von 1,20 Meter eine Absturzgefahr
nahelegt. Zu einer solchen Erkenntnis sind Jugendliche in weit geringerem Alter fähig. Daß auch der Kläger über eine
entsprechende Einsichtsfähigkeit verfügte, entnimmt der Senat der Tatsache, daß der Kläger als altersgemäß
entwickelter Schüler seitens der Schule beschrieben wurde. Daß die Kletteraktion im 3. Stock ohne Absicherung und
ohne Hilfe anderer eine waghalsige Unternehmung war, bedarf keiner weiteren Erörterung; für diese Beurteilung ist die
allgemeine Lebenserfahrung ausreichend. Es sind auch keine Gründe erkennbar, die den Kläger zu der unbesonnenen
Handlung gedrängt hätten. Es mag sein, daß sich der Kläger nicht gefallen lassen wollte, von einem Mitschüler im
Zimmer eingesperrt und damit seiner Freiheit beraubt zu werden. Diese subjektive Vorstellung reicht jedoch nicht aus,
sein waghalsiges Unternehmen zu entschuldigen. Vielmehr war die seiner Persönlichkeit immanente Spontanität und
Waghalsigkeit, wie sie die Mitschülerin Nadine Kleinert in ihrer Aussage vor der Staatsanwaltschaft Berlin geschildert
hat, die wesentliche Ursache für die zum Unfall führende Handlung. Es mag sein, daß sich, wie vom Bevollmächtigten
des Klägers vorgetragen, gerade zwischen dem Kläger und seinem Schulkameraden ... eine Art "Hahnenkampf"
entwickelt hatte und die Tatsache, daß die Mitschülerin ... anwesend war, diese Situation noch gesteigert hat.
Gleichwohl ist nicht nachvollziehbar, daß dadurch für den Kläger ein solcher psychischer Zwang entstanden war, der
ihm die Fähigkeit geraubt hätte, eine andere Lösung herbeizuführen. Dabei berücksichtigt der Senat, daß für die
Mitschülerin ... trotz der Ankündigung von ..., er werde die Zimmertüre verschließen, die Möglichkeit bestanden hatte,
das Zimmer zu verlassen. Es stellt sich damit die Frage, aus welchem Grund dies dem Kläger nicht möglich gewesen
sein soll. Zumindest wäre ein Versuch naheliegend gewesen. Selbst wenn der Kläger geglaubt haben sollte, er sei -
was der Senat nicht für erwiesen hält - eingesperrt gewesen, so hätte es andere Möglichkeiten gegeben, aus dem
Zimmer zu entkommen. Daß der Kläger dann die Flucht aus dem Fenster in das Nachbarzimmer gewählt hat, beruht
ausschließlich auf seiner persönlichkeitsimmanenten Handlungsweise, die auch eine angenommene
gruppendynamische Entwicklung derart in den Hintergrund drängt, daß ihr allein die wesentliche Ursache für den
Absturz zukommt. Auch unter Berücksichtigung des jugendlichen Alters des Klägers und des Einflusses der
vorgenannten Gruppendynamik ist das Verhalten des Klägers wesentlich allein seiner Persönlichkeitsstruktur
zuzumessen. Mit dem Sozialgericht ist auch der Senat zur Auffassung gelangt, daß der Kläger damit die Grenze
eines leichtsinnigen schülertypischen Verhaltens überschritten hat und sein Tun als ausgesprochen vernunftwidrig zu
qualifizieren ist. Hätte der Kläger versucht, die verschlossene Türe einzurennen oder hätte er versucht, mit Hilfe und
Unterstützung anderer das Fensterbrett des Nachbarzimmers zu erreichen, so hätte man darin noch ein nicht ganz
aus dem allgemein üblichen schülertypischen Rahmen fallendes Verhalten annehmen können. Gerade weil sich
solche Anhaltspunkte nicht finden lassen und der Kläger ohne von anderen Mitschülern angestachelt oder gedrängt
eigenständig den verhängnisvollen Entschluß gefaßt hatte, ist kein wesentlicher Bezug zur versicherungsrechtlich
geschützten Betätigung eines Schülers herzustellen. Der Senat schließt sich daher der Auffassung des Sozialgerichts
an, daß der Kläger einer bei einer privaten Verrichtung eingetretenen selbstgeschaffenen Gefahr erlegen ist. Er hat bei
seinem Sturz am 18.07.1995 nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Seine Berufung
gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.10.1998 war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es besteht kein Grund, die Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, weil der Senat nicht von der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abweicht und andere Gründe, die zur Zulassung der Revision führen
könnten, nicht ersichtlich sind.