Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13.12.2010
LSG Bwb: sterilisation, hauptsache, verhütung, auflage, schwangerschaft, sexualität, anwendungsbereich, darlehen, sicherheit, leistungsbezug
Landessozialgericht Baden-Württemberg
Beschluss vom 13.12.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Karlsruhe S 16 AS 1764/10
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 13 AS 4732/10 B
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. September 2010 wird
zurückgewiesen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
In der Hauptsache ist zwischen den Beteiligten die Übernahme der Kosten für eine von der Klägerin beabsichtigte
Sterilisation streitig.
Die 1968 geborene Klägerin steht bei der Beklagten im laufenden SGB-II-Leistungsbezug. Sie hat vier Kinder.
Da sie keine weiteren Kinder mehr wolle und Probleme mit der Antibabypille und der Spirale habe, beantragte die
Klägerin am 18. Februar 2010 bei der Beklagten, die Übernahme der Kosten für eine beabsichtigte Sterilisation, was
die Beklagte mit Bescheid vom 23. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2010
ablehnte. Im Widerspruchsbescheid führte die Beklagte aus, eine akute Notsituation sei nicht erkennbar. Es könne
der Klägerin zugemutet werden, die für eine Sterilisation notwendigen Mittel aus der Regelleistung anzusparen.
Hiergegen richtet sich die am 26. April 2010 erhobene Klage, mit welcher die Klägerin vorträgt, trotz Verhütung mittels
der Antibabypille erneut schwanger geworden zu sein. Nur eine Sterilisation schließe eine weitere Schwangerschaft
mit hundertprozentiger Sicherheit aus. Da die Krankenkasse die hierfür benötigten Mittel nicht zur Verfügung stelle,
sei die Beklagte zumindest zur Gewährung eines entsprechenden Darlehens verpflichtet.
Am 2. Juli 2010 hat die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt, das Sozialgericht Karlsruhe (SG)
hat dies mit Beschluss vom 3. September 2010 abgelehnt. Gegen den ihr am 10. September 2010 zugestellten
Beschluss hat die Klägerin am 20. September 2010 beim SG (Eingang beim Landessozialgericht Baden-Württemberg
(LSG) am 7. Oktober 2010) Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, trotz Verhütung mittels Anti-Baby-
Pille sei sie erneut schwanger geworden. Nur eine Sterilisation biete deshalb 100 %ige Gewähr dafür, dass eine
weitere Schwangerschaft ausbleibe. Von der Regelleistung könnten die Aufwendungen für die Sterilisation nicht
angespart werden. Jedenfalls sei ihr ein entsprechendes Darlehen zu gewähren. Es handele sich insoweit um einen
unabweisbaren Bedarf. Sie müsse sich auch nicht auf andere - weniger sichere - Verhütungsmittel verweisen lassen,
nachdem die Verhütung schon mit der Anti-Baby-Pille nicht funktioniert habe. Ihr sei das Risiko zu groß mit neuen
Verhütungsmethoden zu "experimentieren", um dann letztlich womöglich doch wieder ungewollt schwanger zu werden.
Die Klage habe deshalb ausreichende Erfolgsaussicht.
Wegen weiteren Ausführungen der Beteiligten und der Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 SGG), frist- und formgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und damit zulässig. Der
Ausschlusstatbestand des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG greift hier nicht ein, da das SG seine Entscheidung nicht auf das
Fehlen der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen gestützt, sondern die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe (PKH) wegen fehlender Erfolgsaussicht in der Hauptsache abgelehnt hat.
Die Beschwerde ist dagegen nicht begründet. PKH erhält gem. § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO, wer
nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder
nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für eine hinreichende Erfolgsaussicht in der Hauptsache ist
keine Erfolgsgewissheit erforderlich, es genügt eine Erfolgswahrscheinlichkeit. Dabei dürfen die Anforderungen an die
Erfolgsaussicht nicht überspannt werden (Zöller, ZPO, 27. Auflage, § 114 Rdnr. 19).
Das SG hat zutreffend die Bewilligung von PKH versagt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende
Erfolgsaussicht im Sinne einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit bietet.
Der Wunsch der Klägerin, keine weiteren Kinder mehr zu bekommen, begründet weder einen Mehr- bzw. Zusatzbedarf
im Sinne des § 23 Abs. 3 SGB II bzw. des § 21 Abs. 2 bis 6 SGB II noch begründet § 23 Abs. 1 SGB II eine
Anspruchsgrundlage. Zwar sind die Kosten der Ausübung von Sexualität sowie die damit verbundenen
Verhütungskosten von der Regelleistung des § 20 Abs. 1 SGB II erfasst, weshalb grds. der Anwendungsbereich des §
23 Abs. 1 SGB II eröffnet ist. Doch begründet § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II lediglich dann die Möglichkeit zur
darlehensweisen Befriedigung von Bedarfslagen, wenn es sich nach den Umständen um einen unabweisbaren Bedarf
zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt. Unabweisbar ist ein Bedarf dann, wenn die Bedarfsdeckung
unaufschiebbar ist. Nicht unabweisbar ist dagegen ein Bedarf, wenn er mit geringen Mitteln oder durch ein
Ausweichen auf eine andere Bedarfsdeckung befriedigt werden kann (Münder in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 23 Rn. 9).
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist es der Klägerin durchaus zuzumuten, den Bedarf an Verhütungsmitteln auf
andere Art als durch eine Sterilisation zu befriedigen. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei den vom SG
dargestellten Methoden um übliche, geeignete Methoden mit nicht bloß fraglichem Erfolg handelt; ein Anspruch auf
Übernahme der Kosten derjenigen Verhütungsmethode, die die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit bietet, besteht
nicht.
In diesem Sinne konnte der Senat eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit nicht
feststellen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 127 Abs. 4 ZPO.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).