Urteil des LG Trier vom 12.02.2004

LG Trier: vernehmung von zeugen, vorsicht, mitverschulden, haftpflichtversicherung, einzelrichter, reiter, reiten, gefahr, ungehorsam, ausnahme

Bürgerliches Recht
LG
Trier
12.02.2004
3 O 156/03
Zu den Anforderungen an den Umgang mit Pferden, insbesondere bei einem gemeinsamen Ausritt
Landgericht Trier
Aktenzeichen
3 O 156/03
Verkündet am 12.Februar 2004
Schlussurteil
In dem Rechtsstreit
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Trier
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht
Dr. Viesel
- als Einzelrichter -
für
R e c h t
1.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte über das Teilanerkenntnisurteil vom 22. Januar 2004 hinaus
verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger
aus dem Reitunfall mit dem Pferd der Beklagten am 29.06.2003 gegen 17.45 Uhr in der Gemarkung „“
zwischen und entstanden ist und noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen
Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
Der Kläger begehrt Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm aus dem Reitunfall vom 29.06.2003
in vollem Umfang Schadensersatz zu leisten.
Die Parteien befanden sich am 29.06.2003 gemeinsam mit 6 weiteren Reitern auf einem Ausritt zwischen
und . Der Kläger war der letzte Reiter der Gruppe, als das Pferd Laila der Beklagten ausschlug und ihn am
rechten Unterschenkel verletzte.
Die Haftpflichtversicherung der Beklagten hat sich vorprozessual auf eine erhebliche Mithaftung des
Klägers berufen.
Der Kläger trägt vor,
er sei auf der linken Seite eines Waldweges in einem Abstand von mindestens 3 m zu dem von der
Beklagten geritten Pferd Laila gewesen. Das Pferd Laila habe wenige Meter nach dem Antraben plötzlich
rechts vor ihm gestoppt und im gleichen Augenblick nach hinten ausgeschlagen, wobei es mit den
Hufspitzen sein rechtes Schienbein zertrümmert habe.
Auf Grund der Verletzungen, die ihm bei dem Reitunfall zugefügt worden seien, müsse er damit rechnen,
dass er seine selbständige Tätigkeit als Schreiner nicht mehr weiterführen könne. Es sei daher für ihn von
erheblicher Bedeutung, Klarheit darüber zu haben, in welchem Umfang die Beklagte für die bei dem
Ausritt am 29.06.2003 erlittenen Verletzungen einzustehen habe.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2004 durch Teilanerkenntnis festgestellt, dass
die vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus dem Reitunfall vom 29.06.2003
quotenmäßig mit 15 % anerkannt werden.
Der Kläger beantragt,
unter Berücksichtigung des Teil-Anerkenntnisurteils vom 22.01.2004 festzustellen, dass die Beklagte
verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger
aus dem Reitunfall mitdem Pferd der Beklagten am 29.06.2003 gegen 17.45 Uhr in der Gemarkung „“
zwischen entstanden ist und noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen
Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist
.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte macht geltend,
die Feststellungsklage sei unzulässig, soweit dem Grunde nach eine 100%ige Haftung der Beklagten
begehrt werde. Vorprozessual sei eine Eintrittspflicht der Beklagten grundsätzlich eingeräumt worden,
allerdings auf einen Mitverschuldensanteil des Klägers hingewiesen worden und dem gemäß von dem
verlangten Vorschuss lediglich ein 15%iger Anteil zur Anweisung gebracht worden.
Soweit der Kläger eine Haftung mit einer Quote von mehr als 15 % geltend mache, sei die Klage
unbegründet, denn der Kläger habe den Unfall durch seine Unachtsamkeit, insbesondere durch ein zu
nahes Aufreiten auf das Pferd der Beklagten ganz überwiegend selbst verschuldet. Auch wenn es keine
festgelegten Verhaltensregeln über Mindestabstände beim Gruppenreiten gebe, so verlange doch die
gebotene Vorsicht, dass man einen Sicherheitsabstand einhält, wenn man sich hinter einem Pferd
befindet oder sich einem Pferd von hinten nähert. Dem Kläger sei zudem ebenso wie den übrigen Mitgli-
edern der Reitergruppe bekannt gewesen, dass das Pferd Laila der Beklagten dazu neige, sich zu
erschrecken und nach hinten auszukeilen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze verwiesen.
Das Gericht hat durch Vernehmung von Zeugen Beweis erhoben über den Hergang des Reitunfalles vom
29.06.2003. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist zulässig.
Da die vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche durch die Haftpflichtversicherung der
Beklagten reguliert werden, ist zu erwarten, dass eine gerichtliche Entscheidung über die Haftung der
Beklagten den weiteren Verhandlungen der Beteiligten über die Schadensersatzansprüche des Klägers
zugrundegelegt wird. Der Kläger hat daher ein berechtigtes Interesse (§ 256 ZPO), dass der zwischen den
Parteien streitige Haftungsumfang durch eine Feststellungsklage geklärt wird, ohne zuvor die
Schadensersatzansprüche betragsmäßig im Einzelnen zu beziffern (vgl. Musielak-Foerste, 3. Aufl., § 256
Rdnr. 13).
Das Feststellungsbegehren des Klägers ist begründet.
Die Beklagte hat für den Reitunfall vom 29.06.2003, bei dem der Kläger verletzt worden ist, gemäß § 833
S. 1 BGB dem Grunde nach in vollem Umfang einzustehen.
Die Beweisaufnahme hat den übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien bestätigt, dass der Kläger bei
dem Ausritt am 29.06.2003 dadurch verletzt wurde, dass das vor ihm von der Beklagten gerittene Pferd
Laila nach hinten ausschlug. Wie das Pferd Laila auskeilte und dem Kläger die Verletzungen zufügte, ist
von den vom Gericht vernommenen Zeugen nicht beobachtet worden. Auch Einzelheiten über das
Reitverhalten der Beteiligten ließ sich nicht feststellen. Nach den Aussagen sämtlicher Zeugen waren
allerdings keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass das Pferd Laila im Vorwärtsreiten plötzlich stoppte
und dann nach hinten ausschlug. Die Zeugen haben vielmehr im Wesentlichen übereinstimmend
bekundet, vor dem Unfall nichts Auffälliges bemerkt zu haben; keiner der Zeugen hat angegeben, das
Pferd Laila habe gescheut oder sei unruhig gewesen, bevor es nach hinten ausschlug und den Kläger mit
den Hufen am rechten Bein traf.
Nach den Gesamtumständen und dem Beweisergebnis ist danach davon auszugehen, dass der Kläger
von dem Pferd Laila getroffen wurde, weil er direkt hinter diesem Pferd oder doch leicht versetzt dahinter
so dicht aufgeritten war, dass er bei einem Auskeilen sich in Reichtweite der Hinterhand (Hufe) des
Pferdes befand. Das Gericht kann in diesem Verhalten des Klägers allerdings kein Mitverschulden
erkennen. Wenn in der Entscheidung des OLG Celle (VersR 1997, 633) ausgeführt wird, es sei an der
allgemein bekannten Vorsichtsregel festzuhalten, dass man nie und unter keinen Umständen in Trittweite
hinter einem Pferd vorbeigehen soll, weil immer die Gefahr bestehe, dass ein Pferd durch ein äußeres
Ereignis erschrecke und dann ausschlage, so kann dahingestellt bleiben, ob es notwendig und praktisch
überhaupt durchführbar ist, dass bei der Pferdehaltung und bei der Ausübung des Reitsports generell
diese strengen Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen sind. Denn die Anforderungen an die gebotene
Vorsicht beim Umgang mit Pferden wird jedenfalls dann überspannt, wenn - wie hier - eine Gruppe von
Reitern einen Ausritt vornimmt und dabei von den Reitern verlangt wird, dass sie stets einen Abstand von
etwa einer Pferdelänge von den anderen Pferden einhalten. Auch ein geübter Reiter ist bei einem Reiten
in freiem Gelände nicht ohne weiteres in der Lage, Gangart und Tempo seines Pferdes so zu
beherrschen, dass sich sein Pferd „unter allen Umständen“ außerhalb der Trittweite der anderen Pferde
befindet. Die in der Entscheidung des OLG Celle (a.a.O.) anklingende Parallele zu dem im Straßenverkehr
einzuhaltenden Sicherheitsabstand ist mit den Besonderheiten des Reitsportes nicht vereinbar. Ein
dichtes Aufreiten hinter oder neben anderen Pferden gehört vielmehr jedenfalls bei einem gemeinsamen
Ausritt ebenso wie das Scheuen oder der Ungehorsam eines Pferdes zu der spezifischen Tiergefahr, für
die der Halter nach § 833 S. 1 BGB uneingeschränkt haftet.
Ein dem Kläger anzulastendes Mitverschulden käme danach nur in Betracht, wenn ihm bei dem Ausritt
bekannt gewesen wäre, dass das Pferd Laila dazu neigt, bei dichtem Aufreiten nach hinten auszukeilen
und deshalb besondere Vorsicht geboten ist. Die bei dem Ausritt beteiligten Zeugen haben zwar - mit
Ausnahme des Zeugen - bestätigt, dass die Beklagte schon vor dem Ausritt am 29.06.2003
gelegentlich darauf hingewiesen hat, dass bei dem Pferd Laila aufzupassen sei, da es insbesondere bei
dichtem Aufreiten dazu neige, nach hinten auszuschlagen. Die glaubhafte Erklärung des Klägers in der
mündlichen Verhandlung, es sei ihm bei dem Ausritt nicht bekannt gewesen, dass das Pferd Laila zum
Ausschlagen neige, ist in der Beweisaufnahme indes durch Vernehmung der Zeugen nicht erschüttert
worden. Denn die Zeugen haben abweichend von der Erklärung der Beklagten übereinstimmend
bekundet, weder bei Beginn noch während des Ausritts am 29.06.2003 sei von der Beklagten der Hinweis
erfolgt, man solle bei ihrem Pferd Laila aufpassen, weil es dazu neige, nach hinten auszuschlagen. Das
Gericht hat bei der Vernehmung der Zeugen die Überzeugung gewonnen, dass die Bekundungen der
Zeugen zu diesem Punkt und auch zu den übrigen Angaben vollständig und richtig sind. Zweifel an der
Glaubwürdigkeit der Zeugen haben sich bei ihrer Vernehmung nicht ergeben.
Ein Mitverschulden des Klägers bei dem Reitunfall vom 29.06.2003 ist nach alledem nicht gegeben, so
dass das Feststellungsbegehren unter Mitberücksichtigung des Teil-Anerkenntnisurteils in vollem Umfang
begründet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Anwendung des § 93 ZPO, wonach bei einem Anerkenntnis dem obsiegenden Kläger unter den dort
genannten Voraussetzungen die Kosten auferlegt werden können, scheitert jedenfalls daran, dass die
Beklagte mit der Verteidigungsanzeige im Schriftsatz vom 22.09.2003 Klageabweisung beantragt hat. Das
danach abgegebene Teil-Anerkenntnis war daher nicht mehr „sofort“ i. S. d. § 93 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
(Dr. Viesel)
- Einzelrichter -