Urteil des LG Potsdam vom 31.08.2005
LG Potsdam: unverletzlichkeit der wohnung, durchsuchung, hinreichender tatverdacht, beschlagnahme, beweismittel, beihilfe, pressefreiheit, ermittlungsverfahren, eingriff, veröffentlichung
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Gericht:
LG Potsdam 4.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 Qs 166/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 27 StGB, §
353b Abs 1 StGB, § 53 Abs 1 Nr
5 StPO, § 94 StPO
Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige wegen des
Verdachts der Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen:
Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Durchsuchung von Wohn-
und Geschäftsräumen von Journalisten unter besonderer
Berücksichtigung der Pressefreiheit
Tenor
Die Beschwerde des Beschuldigten S. gegen den Durchsuchungs- und
Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 31. August 2005, Az.: 78 Gs
738/05, wird auf seine Kosten verworfen.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Potsdam führt gegen die Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren
wegen des Verdachts der Beihilfe zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses. Der
Beschuldigte S. hatte im April 2005 in der in Potsdam erscheinenden Zeitschrift „C.“,
deren verantwortlicher Redakteur der Beschuldigte Dr. W. war, einen Artikel über Al
Zarqawi veröffentlicht, in dem er sich auf einen 125-seitigen Auswertungsbericht des
Bundeskriminalamtes mit 392 Fußnoten berief, der als „VS - nur für den
Dienstgebrauch. Nicht Gerichtsverwertbar - nur für die Handakte“ gekennzeichnet sei,
und daraus zitierte.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht Potsdam durch Beschluss vom
31. August 2005 gemäß §§ 102, 105 StPO u.a. die Durchsuchung der Wohn- und
Geschäftsräume, einschließlich aller Nebenräume, der Person des Beschuldigten S.
sowie der ihm gehörenden Sachen an seiner Wohnanschrift angeordnet. Das
Amtsgericht hat zugleich die Beschlagnahme hinsichtlich der eventuell vorgefundene
Beweismittel angeordnet, da diese für das Verfahren von besonderer Bedeutung sein
können. Dabei hat das Amtsgericht die aufzufindenden Gegenstände im Einzelnen
umschrieben. Insoweit wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung
Bezug genommen. Aufgrund dieses Beschlusses hat die Staatsanwaltschaft am 12.
September 2005 die Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten S. durchsucht. Die
Durchsuchung führte zum Auffinden der aus dem Sicherstellungsprotokoll vom selben
Tage ersichtlichen Gegenstände. Dabei handelt es sich bei den auf Blatt 4 bis Blatt 9 des
Sicherstellungsprotokolls aufgeführten Unterlagen um Zufallsfunde, die als Beweismittel
für das vorliegende Verfahren nicht in Betracht kommen. Diese Unterlagen wurden
sichergestellt, weil sie als Beweismittel von Bedeutung sein könnten und wegen
fehlender Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Potsdam der Staatsanwaltschaft Berlin
übersandt, zur Prüfung, ob in dortiger Zuständigkeit ein weiteres Ermittlungsverfahren
gegen den Beschuldigten S. eingeleitet werden soll. Die Staatsanwaltschaft hat insoweit
zum Aktenzeichen 76 Js 958.05 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auf Antrag der
Staatsanwaltschaft Berlin hat das Amtsgericht Tiergarten durch Beschluss vom 30.
November 2005, Az.: 352 Gs 3660/05, die vorläufige Sicherstellung dieser Unterlagen
angeordnet.
Der Beschuldigte S. hat gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Potsdam
vom 31. August 2005 mit von seinem Verteidiger St. verfassten Schriftsatz Beschwerde
eingelegt. Er hat beantragt, den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des
Amtsgerichts Potsdam aufzuheben und verschiedene im Einzelnen unter Angabe von
Ziffern im Durchsuchungsprotokoll vom 12. September 2005 benannten sichergestellten
Gegenstände herauszugeben. Zur Begründung führt er aus, die in dem Antrag näher
bezeichneten Unterlagen stünden in keinem Zusammenhang mit eventuell
vorzufindenden Beweismitteln bezüglich derer die Beschlagnahme durch das
Amtsgericht Potsdam angeordnet wurde. Zudem sei die Durchsuchung und
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Amtsgericht Potsdam angeordnet wurde. Zudem sei die Durchsuchung und
Beschlagnahme unverhältnismäßig, da sie schwer in die journalistische Tätigkeit des
Beschwerdeführers eingreife und den Geschäftsbetrieb nachhaltig beeinträchtige.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers Dr. We. vom 25. Oktober 2005 hat der Beschuldigte S.
nochmals gegen denselben Beschluss Beschwerde eingelegt. Darin beantragt er,
sämtlichen sichergestellten Gegenstände herauszugeben, den Beschluss aufzuheben
und die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, unverzüglich eine vollständige Aufzählung
aller sichergestellten Gegenstände zu erstellen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass
es dem Beschluss an einer materiell-rechtlichen Rechtsgrundlage fehl, da ein
hinreichender Tatverdacht aus Rechtsgründen nicht bestünde. Darüber hinaus sei die
Maßnahme unverhältnismäßig. Hinsichtlich der Einzelheiten des Beschwerdevorbringens
wird auf den Beschwerdeschriftsatz vom 25. Oktober 2005 verwiesen.
Nach Durchsicht der bei der Staatsanwaltschaft Potsdam verbliebenen Unterlagen hat
die Staatsanwaltschaft Potsdam die gerichtliche Beschlagnahme der Unterlagen zur
laufenden Nr. 1, 4, 5, 7 sowie acht Datenträgern von 12, die unter laufender Nr. 16 des
Sicherstellungsprotokolls aufgeführt waren, beantragt. Die übrigen Unterlagen hat die
Staatsanwaltschaft freigegeben. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 11. November
2005, Az.: 78 Gs 908/05, die Beschlagnahme der Unterlagen antragsgemäß gemäß §§
94, 98 StPO richterlich bestätigt.
Das Amtsgericht Potsdam hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache zur
Entscheidung dem Landgericht vorgelegt.
II.
Die gemäß § 304 StPO statthafte Beschwerde ist gegenstandslos, soweit sie die
Beschlagnahmeanordnung betrifft, im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
1. Die Beschwerde ist gegenstandslos geworden, soweit sie sich gegen die gleichzeitig
mit der Durchsuchungsanordnung ergangene allgemeine Beschlagnahmeanordnung in
dem Beschluss vom 31. August 2005 richtet. Denn der Ermittlungsrichter hat mit
Beschluss vom 11. November 2005 gemäß §§ 94, 98 StPO die Beschlagnahme der als
Beweismittel in Betracht kommenden Beweismittel bestätigt. Dadurch wurde die
Beschlagnahmeanordnung in dem angefochtenen Beschluss auf die tatsächlich
beschlagnahmten Gegenstände konkretisiert. Da somit der
Beschlagnahmebestätigungsbeschluss gegenüber der ursprünglichen
Beschlagnahmeanordnung im Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss vom 31.
August 2005 spezieller ist, hat sich die Beschlagnahmeanordnung in diesem Beschluss
durch den Fortgang des Verfahrens erledigt (vgl. BGH NStZ 2000, 154 m.w.N.).
Hinsichtlich der Zufallsfunde liegt keine beschwerdefähige Entscheidung des
Amtsgerichts Potsdam vor.
2. Die Anordnung der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten
S. war rechtmäßig. Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die
zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, die sich die Kammer in vollem
Umfange zu Eigen macht, Bezug genommen.
a) Ein Anfangsverdacht der Beihilfe zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses gemäß §§
353b Abs. 1, 27 StGB liegt vor.
Beihilfe kann nach den allgemeinen Grundsätzen so lange geleistet werden, bis die Tat
des Amtsträgers beendet ist. Sie kann insbesondere auch durch Journalisten geleistet
werden, die das Geheimnis veröffentlichen. Geht es dem Geheimnisträger um die
Veröffentlichung des Geheimnisses in der Presse, so ist seine Tat nicht schon dann
beendet, wenn er es einem Journalisten mitgeteilt hat, sondern erst dann, wenn es in der
Presse auch veröffentlicht ist. So lange ist die Beihilfe durch den oder die
veröffentlichenden Journalisten und die dafür Verantwortlichen möglich (vgl. Leipziger
Kommentar, StGB, 11. Auflage, § 353b Rdnr. 40 m.w.N.). Die Kammer schließt sich
ausdrücklich dieser – soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung ausnahmslos
herrschenden Auffassung an. Dass der bisher noch nicht ermittelte Geheimnisträger die
Unterlagen mit dem Ziel an die Presse weitergeleitet hat, dass diese teilweise oder
insgesamt veröffentlicht werden, steht zwar nach dem derzeitigen Stand der
Ermittlungen noch nicht fest. Dieses Ziel des Haupttäters liegt aber nach Auffassung der
Kammer derart nahe, dass es jedenfalls die Annahme eines insoweit bestehenden
Anfangsverdachts rechtfertigt.
Dass es sich bei dem Auswertungsbericht des BKA um Unterlagen handelte, die der
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Dass es sich bei dem Auswertungsbericht des BKA um Unterlagen handelte, die der
Geheimhaltung unterlagen, war bereits durch den darauf befindlichen Aufdruck „VS - nur
für den Dienstgebrauch. Nicht gerichtsverwertbar - nur für die Handakte“ offenkundig. Es
besteht daher auch der Anfangsverdacht, dass der Beschuldigte S. bewusst war, dass er
durch die Veröffentlichung jedenfalls dem Geheimnisträger zu dessen Verletzung des
Dienstgeheimnisses Hilfe leistet.
b) Die Anordnung der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten
S. war auch nicht unzulässig. Das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 5 StPO knüpft an
das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO genannten Personen an.
Wenn diese Personen jedoch –wie hier- selbst Beschuldigte sind, ist § 97 StPO jedoch
nicht anwendbar, so dass die Beschlagnahme und damit auch die Durchsuchung bei
ihnen. zulässig ist (vgl. für Pressemitarbeiter: BVerfGE 20, 162; Fischer, StPO, 48. Aufl. §
97 Rdnr. 4a).
c) Schließlich war die Anordnung der Durchsuchung auch nicht unverhältnismäßig. Die
Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume war zunächst geeignet, um dort
möglicherweise aufzufindende Beweismaterial aufzufinden. Da andere Erfolg
versprechende Möglichkeiten zur Erlangung derartiger Beweismittel nicht ersichtlich sind,
war die Anordnung der Durchsuchung auch erforderlich. Da mit der Durchsuchung
grundsätzlich Grundrechtseingriffe vorgenommen werden, ist eine besondere Prüfung
der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erforderlich. Hier wird zum einen in das
Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, zum anderen in das Grundrecht der
Pressefreiheit eingegriffen. Die in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbürgte Pressefreiheit schützt
die Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung
der Nachrichten. Eine Durchsuchung in den Wohn- und Geschäftsräumen eines freien
Journalisten stellt wegen der damit verbundenen Störung seiner Arbeit und der
Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit
dar. Zu den Schranken der Pressefreiheit und auch der Unverletzlichkeit der Wohnung
gehören aber die Vorschriften der Strafprozessordnung als allgemeine Gesetze. Der
angestrebte Erfolg der Durchsuchung muss jedoch in angemessenem Verhältnis zu den
Einbußen stehen, welche der Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen mit sich bringt.
Hier stehen sich das Interesse des Beschuldigten S. an einer ungestörten freien
Pressearbeit auf der einen Seite und das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an
der Aufklärung einer Straftat gegenüber. Im Einzelnen ist dabei zu berücksichtigen, dass
der Beschuldigte S. durch die einmalige und zielgerichtete Durchsuchung nur in
geringerem Umfang in seiner Arbeit als freier Journalist beeinträchtigt wird. Auf der
anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass der in Teilen veröffentlichte Bericht des BKA
erhebliche für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland relevante Geheimnisse
enthielt, die Verletzung dieses Dienstgeheimnisses besonders schwerwiegend scheint.
Das Interesse der Strafverfolgungsbehörden an der vollständigen Aufdeckung der Tat,
wozu auch der Versuch der Ermittlung des Geheimnisträgers zählt, wiegt daher in
diesem Fall schwerer als der Eingriff in die Grundrechte des Beschuldigten S..
Anhaltspunkte, dass die Durchsuchung zu anderen Zwecken als zur Strafverfolgung,
insbesondere etwa zur Durchsetzung von Disziplinarmaßnahmen gegen einen
Mitarbeiter des BKA dienen sollte, bestehen nicht. Auch dass man die
Durchsuchungsmaßnahme durchgeführt hat, obgleich bereits erkennbar ist, dass das
Ermittlungsverfahren nicht fortgeführt werden wird, ist nicht ersichtlich.
Eine weitere räumliche Eingrenzung des Durchsuchungsortes war in Ermangelung der
Kenntnis der genauen Wohnverhältnisse nicht möglich.
3. Soweit beantragt wurde, eine Liste der sichergestellten Unterlagen anzufertigen, so
besteht insoweit eine Zuständigkeit des Landgerichts nicht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
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