Urteil des LG Potsdam vom 13.03.2017

LG Potsdam: gespräch, presse, empfehlung, akte, geldanlage, wertpapier, form, anleger, provision, kontingent

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Gericht:
LG Potsdam 8.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 O 427/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 280 Abs 1 BGB
Bankenhaftung bei Kapitalanlageberatung: Aufklärungspflicht
über eine mögliche Insolvenz von Lehman Brothers bei
Entscheidung des Bankkunden für ein höheres Anlagerisiko
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die
Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zur
Vollstreckung gelangenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht Schadensersatz aufgrund einer Kapitalanlagefalschberatung durch die
Beklagte geltend.
Der Kläger ist seit dem 11.06.2007 Kunde bei der Beklagten. An diesem Tag erhielt
anlässlich einer Depoteröffnung die „Basisinformationen über Vermögensanlagen in
Wertpapieren„ (Anlage B 7). Auf Seite 118 dieser Broschüre wird auf das
Emittentenrisiko bei Zertifikaten hingewiesen.
Der Kläger ließ sich am 07.03.2008 in Anwesenheit seiner Ehefrau von der Beklagten
hinsichtlich einer Anlagemöglichkeit für seine Ersparnisse beraten.
Die Beklagte erstellte ein individuelles Risikoprofil, nach dem die Beklagte eine
konservative Anlagestrategie vorschlug, der Kläger jedoch eine ausgewogene Strategie
wählte. Auf Blatt 11 bis 13 der Akte wird Bezug genommen.
Nach Schluss des Beratungsgesprächs, dessen Inhalt im Einzelnen streitig ist, erteilte
der Kläger der Beklagten den Auftrag, das „Bonus Express Defensiv Zertifikat„ der
Lehman Brothers Treasury Co. B.V., einer Tochtergesellschaft der Lehman Brothers Inc.
Investment Bank mit Hauptsitz in New York, WKN A0SHLW, in Höhe von 10.000,00 € für
ihn zu zeichnen. Daneben orderte der Kläger Anteile an einem Immobilienfonds im Wert
von ca. 20.000,00 € und legte weitere 10.000,00 € als Festgeld an. Die Beklagte
bestätigte die Zeichnung des Zertifikats mit Schreiben vom 03.04.2008.
Im Frühsommer 2008 stellte der Kläger fest, dass sich der Wert seiner Zertifikate auf
9.800,00 € verringert hatte und fragte bei der Beklagten nach. Diese unterrichtete ihn
jedenfalls davon, dass die Verringerung des Wertes auf Kursschwankungen des
Basiswertes zurückzuführen sei. Der Kläger verkaufte die Zertifikate nicht.
Am 15.09.2008 beantragte die Garantiegeberin des Zertifikats, die Lehman Brothers
Holding Inc., Gläubigerschutz. In der Folge wurde auch die Emittentin des Zertifikats
insolvent. Der Börsenhandel mit den Zertifikaten wurde ausgesetzt, die Papiere sind
derzeit wertlos.
Mit Anwaltsschreiben vom 26.11.2008 unterrichtete der Kläger die Beklagte von der
beabsichtigten Klage und gab ihr Gelegenheit, außergerichtlich die geltend gemachte
Forderung bis zum 10.12.2008 zu befriedigen. Eine Zahlung der Beklagten erfolgte nicht.
Der Kläger behauptet, er habe bei dem Beratungsgespräch von Beginn an klargestellt,
dass er eine möglichst risikofreie konservative Anlagemöglichkeit suche. Der
Kundenberater der Beklagten habe ihm das Zertifikat als risikofreie Anlagemöglichkeit
empfohlen und es als so sicher wie Festgeld bezeichnet. Er sei zu keiner Zeit darauf
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empfohlen und es als so sicher wie Festgeld bezeichnet. Er sei zu keiner Zeit darauf
hingewiesen worden, dass er das Insolvenzrisiko des Emittenten des Zertifikats zu
tragen habe. Weder ein Prospekt noch ein Finanzplan sei ihm bei der Beratung
ausgehändigt worden. Vielmehr habe er diese Unterlagen erst am 22.09.2008 erhalten.
Die Beklagte habe ihn auch weder über Innenprovisionen informiert noch darüber, dass
das Wertpapier nicht der Einlagensicherung unterliege, oder darüber, dass sie selbst
durch eigene Anlagen eng mit Lehman Brothers verknüpft sei, insbesondere dass sie
selbst ein erhebliches Kontingent des streitgegenständlichen Zertifikates vorgeordert
habe.
Weiter behauptet er, dass Lehman Brothers das Geschäftsjahr 2007 mit Schulden in
Höhe von 22 Mrd. $ beendet und von drohender Zahlungsunfähigkeit berichtet habe. Die
Bilanz 2007 weise einen Unternehmenswert von lediglich 4,8 Mrd. $ aus. Seit März 2007
seien die Preise für Credit Default Swaps (CDS) von Lehman Brothers um über 300 %
gestiegen. Der Bilanzbericht von Lehman Brothers vom 18.03.2008 über einen Gewinn
von 489 Mio. $ im ersten Quartal 2008 sei auf negative Presse gestoßen. Lehman
Brothers sei zu diesem Zeitpunkt bereits als „Pleitekandidat„ gehandelt worden. Die
Rating-Agentur Standard & Poor’s habe Lehman Brothers wegen erster Turbulenzen im
März 2008 auf eine Art Warnliste gesetzt, was auch durch die Presse gegangen sei.
Standard & Poor’s habe diesen Warnhinweis im Verlauf des Rechtsstreits bestätigt. Am
16.06.2008 habe Lehman Brothers über einen Verlust im zweiten Quartal 2008 in Höhe
von 2,8 Mrd. $ berichtet.
Bei seiner Nachfrage im Frühsommer 2008 habe ihm der Kundenberater neben der
unstreitigen Erklärung der Kursschwankungen auch geraten, auf keinen Fall zu
verkaufen.
Neben der angelegten Geldsumme macht der Kläger außerdem vorgerichtliche
Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 775,64 € geltend.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 10.775,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.12.2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, sie habe den Kläger entsprechend seiner Risikoneigung und seiner
Risikoträgfähigkeit umfassend beraten. Der Kläger sei über die mit dem Zertifikat
verbundenen Risiken, auch das Insolvenzrisiko der Emittentin, vollständig anhand einer
schriftlichen Produktinformation aufgeklärt worden (auf Anlage B 3 wird Bezug
genommen). Diese sei ihm während des Beratungsgesprächs neben dem für ihn
erstellten Risikoprofil und der Wertpapiersammelorder auch übergeben worden.
Bei dem Gespräch im Frühsommer 2008 habe der Berater lediglich die
Kursschwankungen erläutert. Empfehlungen zum Halten oder Verkaufen der Anlage
seien nicht gegeben und auch nicht gewünscht worden. Die Bonität von Lehman
Brothers sei überhaupt kein Thema des Gesprächs gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei
die Bank im Rating von Moody’s unverändert mit A1 eingestuft gewesen.
Die Beklagte behauptet, alle drei führenden Rating-Agenturen hätten die
Garantiegeberin Lehman Brothers Inc. noch bis zur Insolvenzantragstellung mit hohen
Bonitätsnoten des Grades „A„ (Investment Grade) bewertet. Anlagen mit dieser
Bonitätsbewertung seien zu den sicheren Anlagen auch für konservative Anleger zu
zählen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen M. D. und Ma. R.. Zum
Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom
08.07.2009 (Blatt 114 ff der Akte) Bezug genommen.
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, im Übrigen auf den Akteninhalt Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz.
Ein solcher ergibt sich nicht aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem
Anlageberatungsvertrag. Dies gilt sowohl für den Anlageberatungsvertrag vom
07.03.2008 als auch für einen solchen vom Sommer 2008.
Es fehlt insoweit an der erforderlichen Pflichtverletzung der Beklagten in Form einer
fehlerhaften oder mangelnden Aufklärung des Klägers über wesentliche Eigenschaften
des streitgegenständlichen Zertifikats der Lehman Brothers Treasury Co. B.V. Jedenfalls
konnte der hierfür beweisbelastete Kläger eine solche Pflichtverletzung nicht beweisen,
da ihm der Beweis, dass die Beklagte ihn fehlerhaft aufgeklärt habe, nicht gelungen ist.
Nach der Vernehmung der Zeugen M. D. und Ma. R. steht nicht zur Überzeugung des
Gerichts fest, dass der Bankberater der Beklagten, der Zeuge R., das Zertifikat ohne
Aufklärung über das Emittentenrisiko als absolut sicher dargestellt habe.
Die Zeugenaussagen widersprechen sich in diesem Punkt. Die Zeugin D. hat ausgesagt,
dass der Bankberater der Beklagten das Zertifikat als 100 % sichere Anlage bezeichnet
habe. An einen Vergleich des Bankberaters, das Zertifikat sei so sicher wie ein Festgeld,
konnte sie sich hingegen nicht mehr erinnern. Der Zeuge R. dagegen hat ausgesagt, er
habe die Eheleute D. über das Emittentenrisiko aufgeklärt und auf die Möglichkeit eines
Totalverlusts hingewiesen.
Die Kammer sieht keinen Anlass, der Zeugin D. mehr zu glauben als dem Zeugen R..
Beide Aussagen waren glaubhaft. Der Zeuge R. hat in nachvollziehbarer,
widerspruchsfreier Art und Weise den Ablauf des Beratungsgespräches geschildert,
soweit er ihn in Erinnerung hatte. Dabei schilderte er wesentliche Einzelheiten, wie z. B.
dass seine Anlageempfehlung nur fast umgesetzt wurde, so dass für die Kammer
deutlich wurde, dass er sich tatsächlich an den wesentlichen Inhalt dieses konkreten
Gesprächs erinnerte und nicht nur den Ablauf eines beliebigen Beratungsgesprächs
schilderte. Dieser Einschätzung steht auch nicht die Äußerung des Zeugen entgegen,
dass er sich an den genauen Ablauf des Gesprächs nicht mehr erinnern könne, denn
dies erklärt sich durch den Zeitraum, den das Gespräch zurückliegt. Im Allgemeinen
merkt man sich mit zunehmendem Zeitablauf nur noch wesentliche Inhalte eines
Gesprächs, nicht jedoch jede noch so kleine Einzelheit oder die Reihenfolge von
Gesprächsthemen.
Hingegen kann die Kammer bei der Aussage der Zeugin D. nicht mit der erforderlichen
Sicherheit ausschließen, dass die Zeugin bei dem Beratungsgespräch etwas
missverstanden hat oder sich in der Erinnerung irrt. Denn bei näherer Nachfrage nach
den anderen in diesem Beratungsgespräch getätigten Geldanlagen konnte sie sich an
diese zunächst überhaupt nicht erinnern. Erst nach Vorlage der Wertpapiersammelorder
vom 07.03.2008 (Anlage B 13) räumte sie ein, dass noch weitere Anlagen getätigt
wurden, an die sie sich im Einzelnen jedoch nicht erinnern konnte. Es ist insgesamt nicht
auszuschließen, dass die Zeugin Erläuterungen zu den verschiedenen Anlagen von
diesem Tag in der Erinnerung verwechselt. Außerdem hat sie auch selbst eingeräumt,
dass sie nicht mehr genau wisse, wie es zu der Aufteilung des Geldes für die
Festgeldanlage und das Zertifikat gekommen sei. Daraus schließt die Kammer, dass die
Zeugin möglicherweise nicht alle Erklärungen in dem streitgegenständlichen Gespräch
gehört oder verstanden hat, so dass auch aus diesem Grund ein Irrtum nicht
auszuschließen ist.
Angesichts dieser Umstände führte die Beweisaufnahme nicht zu einem Grad der
Überzeugung des Gerichts, „welcher den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig
auszuschließen.„ (vgl. BGH NJW-RR 1994, 567, 568). Der Beweis für die Behauptung des
Klägers ist damit nicht erbracht. Zum „für wahr erachten„ im Sinne von § 286 ZPO reicht
nämlich selbst eine bloß überwiegende Wahrscheinlichkeit der Behauptung nicht aus
(vgl. Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, § 286 Rn. 34), welche vorliegend aus
vorgenannten Gründen nicht einmal gegeben ist.
Es kann offen bleiben, ob die schriftliche Produktinformation Gegenstand des
Beratungsgesprächs war und dem Kläger übergeben wurde, denn allein die fehlende
Übergabe eines Prospektes stellt hier für sich genommen keinen Beratungsfehler dar.
Der Prospekt kann lediglich eine mündliche Erläuterung ersetzen, sofern er nach Form
und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu
vermitteln und so rechtzeitig vor der Anlageentscheidung übergeben wird, dass dem
Kunden genügend Zeit bleibt, sich über die wesentlichen Merkmale der Anlage aus dem
Prospekt zu informieren (vgl. BGH NJW-RR 2009, 687). Das war hier unstreitig nicht der
Fall, da auch die Beklagte behauptet, der Prospekt sei erst am 07.03.2008, also am Tag
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Fall, da auch die Beklagte behauptet, der Prospekt sei erst am 07.03.2008, also am Tag
der Anlageentscheidung besprochen und übergeben worden. Bei diesem zeitlichen
Ablauf ist es vielmehr allein entscheidend, was im Gespräch selbst erörtert wurde. Der
Beweis eines Beratungsfehlers im Gespräch ist dem Kläger jedoch, wie vorstehend
dargestellt, nicht gelungen.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, er sei nicht darüber unterrichtet worden, dass das
Wertpapier nicht der Einlagensicherung unterliege, sieht das Gericht auch hierin keinen
Beratungsfehler der Beklagten. Soweit für die Kammer ersichtlich stammte das
angelegte Geld aus einer aufgelösten Geldanlage in einem Mischfonds bei der
Mittelbrandenburgischen Sparkasse, die ebenfalls nicht dem Einlagensicherungssystem
der deutschen Banken unterlag, so dass sich für den Kläger wirtschaftlich keine
Verschlechterung der Absicherung seiner Anlage ergab. Dies unterscheidet den
vorliegenden von dem der Entscheidung der Kammer vom 24.06.2009, Az. 8 O 61/09,
zugrunde liegenden Fall, in dem das Geld zuvor in einer Sparform angelegt war, die dem
Einlagensicherungssystem unterlag. Darüber hinaus weicht der Fall auch von der vom
BGH kürzlich entschiedenen Konstellation ab, in der ein Beratungsfehler aufgrund
mangelnder Aufklärung über das Fehlen des Einlagensicherungssystems der deutschen
Banken in Betracht kam (BGH, Urteile vom 14.07.2009, Az. XI ZR 152/08 und XI ZR
153/08 – zitiert nach juris.de). Denn der BGH hat dies zunächst nur für die Fälle in
Betracht gezogen, in denen der Kunde ein besonderes Interesse an der
Nominalsicherheit einer Geldanlage offenbart hat (BGH a.a.O.). Hier jedoch hat der
Kläger in der vor der Beratung zu den einzelnen Anlagen erfolgten Risikoeinstufung
abweichend von der Einstufung der Beklagten die Anlagestrategie „Ausgewogen„
gewählt (Anlage B 12), was zur Folge hat, dass der maximale Risikoanteil in seinem
Depot nicht nur 35 % betragen soll, wie die Beklagte empfohlen hat, sondern 55 %.
Schon dies spricht gegen ein besonderes Interesse an der Nominalsicherheit der
Geldanlage. Auch aus dem weiteren Vortrag des Klägers lässt sich dazu nichts
Gegenteiliges entnehmen. Die Behauptung, er habe eine absolut sichere Anlage gewollt,
steht im Widerspruch zu der selbst gewählten Anlagestrategie, ohne dass der Kläger
diesen Widerspruch nachvollziehbar aufklärt.
Hinsichtlich der behaupteten mangelnden Aufklärung über die Innenprovisionen der
Beklagten steht dem bereits die vom Kläger unterschriebene Wertpapiersammelorder
vom 07.03.2008 (Anlage B 13) entgegen, in der als letzter Punkt vor der Unterschrift der
Hinweis auf Ausgabeaufschläge und Vertriebsfolgeprovisionen enthalten ist, die auf der
ersten Seite der Order auch beziffert sind. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob eine
Aufklärung über die Innenprovisionen der Beklagten erfolgt ist, da aus dem Vortrag des
Klägers nicht ersichtlich ist, inwieweit hier eine Aufklärung die Entscheidung des Klägers
zum Kauf des Zertifikats beeinflusst hätte, diese also kausal war. Die Kammer vertritt
darüber hinaus entgegen der Auffassung des BGH im Urteil vom 12.05.2009, Az. XI ZR
586/07 (zitiert nach juris.de, Rn. 22) die Ansicht, dass die Vermutung
aufklärungsrichtigen Verhaltens im Fall der mangelnden Aufklärung über die
Innenprovisionen nicht greift. Denn die Kausalitätsvermutung für aufklärungsrichtiges
Verhalten setzt voraus, dass es für den anderen Teil vernünftigerweise nur eine
bestimmte Möglichkeit der Reaktion auf die Aufklärung gibt und die Möglichkeit eines
Entscheidungskonflikts ausscheidet (BGH NJW 2001, 2021 m.w.N.). Im Fall der
Offenlegung der Provisionen gibt es jedoch, sofern sie sich wie hier im üblichen Rahmen
bewegen, nach Ansicht der Kammer für den Anleger mehrere, ernsthaft in Betracht
kommende Möglichkeiten der Reaktion (vgl. Urteil des LG München I vom 31.07.2008,
Az. 32 O 4765/08; OLG Köln WM 2006, 2130): er kann die Anlage ablehnen, trotz der
Provision erwerben oder versuchen, die Provision zu verhandeln. Aus dem Vortrag des
Klägers ergibt sich nicht, dass er bei gehöriger Aufklärung über die Innenprovision die
erste Variante gewählt hätte.
Diese Erwägungen gelten auch für die Behauptungen des Klägers, die Beklagte habe
nicht darüber informiert, dass sie selbst ein erhebliches Kontingent des
streitgegenständlichen Zertifikats vorgeordert habe. Allein aus dieser Behauptung ergibt
sich nicht, dass diese Information einen Einfluss gehabt hätte auf die Kaufentscheidung
des Klägers. Darüber hinaus hat er keinen Beweis dafür angeboten, dass die Beklagte
das Zertifikat vorgeordert habe.
Soweit der Kläger einen Beratungsfehler darin sieht, dass ihm das Zertifikat von Lehman
Brothers trotz angeblichen Warnhinweisen der Ratingagentur Standard & Poor’s und in
der Presse sowie einer schlechten wirtschaftlichen Lage der Emittentin und des
Mutterhauses empfohlen worden sei, folgt ihm die Kammer darin nicht. Aus den von ihm
vorgelegten Unterlagen ist eine entsprechende, von der Beklagten gegebenenfalls zu
beachtende negative Presse (vgl. BGH WM 1993, 1455) nicht ersichtlich. Standard &
Poor’s hat gegenüber dem Kläger, soweit die in englischer Sprache verfasste und nicht
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Poor’s hat gegenüber dem Kläger, soweit die in englischer Sprache verfasste und nicht
übersetzte Anlage K 8 (Blatt 109 der Akte) überhaupt herangezogen werden kann,
lediglich bestätigt, dass eine negative Aussicht für Papiere von Lehman Brothers erst am
21.03.2008 ausgesprochen wurde. Dies ist also für das Beratungsgespräch vom
07.03.2008 ohne Bedeutung. Auch aus den vorgelegten Presseartikeln (Anlagen K 6 und
K 7, Blatt 97 ff der Akte) ergeben sich nicht mit hinreichender Sicherheit Warnhinweise
zum Zeitpunkt 07.03.2008. Hier wird lediglich rückschauend beschrieben, dass es im
März 2008 Warnhinweise gegeben habe. Eine genauere zeitliche Eingrenzung erfolgt
nicht, so dass sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf stützen kann.
Der Vortrag des Klägers zur wirtschaftlichen Situation der Emittentin im März 2008, die
der Beklagten Anlass gegeben haben soll, entsprechende Hinweise in eine Beratung
aufzunehmen, ist unsubstantiiert. Darauf wurde der Kläger im Termin zur mündlichen
Verhandlung vom 29.04.2009 auch hingewiesen, ohne dass er hier nachgebessert hätte.
Soweit der Kläger behauptet, die Preise für Credit Default Swaps von Lehman Brothers
seien um 300 % gestiegen, fehlen hierzu die grundlegenden Angaben, aus denen sich
diese Steigerung ergibt. Er müsste vielmehr vortragen, wann Lehman Brothers welchen
Ausgangswert bei den auf einem Punktesystem basierenden Versicherungsprämien für
den Ausfall von Bankanleihen (= Credit Default Swaps) hatte, und auf welche Punktzahl
dieser zum 07.03.2008 gestiegen war. Im Übrigen fehlt jedes Beweisangebot für die
Behauptung.
Ähnliches gilt für die vorgetragenen Geschäftszahlen von Lehman Brothers. Der hierfür
angebotene Beweis durch Sachverständigengutachten würde im Falle seiner Erhebung
eine unzulässige Ausforschung darstellen. Zudem ergäbe sich aus einem für den Kläger
positiven Sachverständigengutachten noch nicht, dass auch die Beklagte die
entsprechenden Kenntnisse hatte und dementsprechend aufklären musste. Allein
entscheidend ist vielmehr, welche Geschäftszahlen Lehman Brothers wo und wann
veröffentlicht hat. Hierzu fehlt maßgeblicher Vortrag und ein zulässiges Beweisangebot.
Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Informationen durch die Insolvenz von Lehman
Brothers gehen zu Lasten des darlegungs- und beweispflichtigen Klägers.
Soweit der Kläger auch die wirtschaftliche Entwicklung von Lehman Brothers bis zum
Sommer 2008 skizziert, ist dies für den Beratungsvertrag vom 07.03.2008 unbeachtlich,
denn dieser endete mit der Entscheidung des Klägers zur Zeichnung der Zertifikate.
Über die Anlageentscheidung des Klägers hinaus ergaben sich keine fortdauernden
Überwachungs- und Beratungspflichten der Beklagten hinsichtlich der erworbenen
Wertpapiere (vgl. BGH WM 2006, 851; OLG Düsseldorf ZIP 2003, 471, 473).
Ob im Frühsommer 2008 ein neuer Beratungsvertrag geschlossen wurde, indem sich der
Kläger bei der Beklagten erkundigte, wie er sich angesichts fallender Kurse verhalten soll
(vgl. BGH WM 2006, 851), kann hier dahinstehen, da selbst im Fall eines solchen
Vertragsschlusses zu diesem Zeitpunkt der Beklagten keine Beratungspflichtverletzung
vorzuwerfen ist. Eine solche konnte jedenfalls der auch hierfür beweispflichtige Kläger
nicht beweisen. Denn auch in diesem Punkt der Beweisaufnahme sieht das Gericht
keinen Anlass, einem der beiden Zeugen mehr zu glauben als dem anderen. Die Zeugin
D. sagte aus, ihr Mann habe ihr nach dem Gespräch, bei dem sie selbst nicht zugegen
war, gesagt, Herr R. habe von einem Verkauf abgeraten. Der Zeuge R. hingegen sagte in
seiner Vernehmung, es sei nur über die Marktlage, insbesondere die Entwicklung des
„EuroStoxx 50„ gesprochen worden. Eine Empfehlung habe er nicht abgegeben. Die
Kammer sieht aus den bereits oben genannten Erwägungen keinen Anhaltspunkt, der
Zeugin D. mehr zu glauben als dem Zeugen R.. Auf dieser Grundlage ist das Gericht
nicht mit dem erforderlichen Grad davon überzeugt, dass der Zeuge R. eine Empfehlung
zum Halten der Anlage ausgesprochen und damit möglicherweise seine Beratungspflicht
verletzt hat.
Hinzu kommt, dass eine solche Empfehlung, selbst wenn sie ausgesprochen worden
wäre, nur dann eine Pflichtverletzung darstellt, wenn sie aus damaliger Sicht unter
Berücksichtigung aller Umstände unvertretbar war (vgl. BGH WM 2006, 851). Dies ist
dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen. Allein der Verweis auf schlechte
Quartalszahlen reicht hier nicht aus, da Schwankungen der Geschäftsergebnisse
wirtschaftsbedingt sind und nicht immer Aufschluss darüber geben, ob eine nachhaltig
schlechte wirtschaftliche Tendenz vorliegt, so dass eine Empfehlung zum Halten der
Anlage unvertretbar wäre. Zu den weiteren Behauptungen, der einen Gewinn
ausweisende Quartalsbericht vom 18.03.2008 sei auf negative Presse gestoßen und
Lehman Brothers sei als „Pleitekandidat„ gehandelt worden, bietet der darlegungs- und
beweispflichtige Kläger keinen Beweis an.
Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
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Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
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