Urteil des LG Potsdam vom 14.01.2005

LG Potsdam: zugang, beweislast, versicherer, zeitliche wirkung, absendung, avb, versicherungsvertrag, krankenversicherung, verspätung, fristbeginn

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Gericht:
LG Potsdam 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 S 16/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 178h Abs 4 VVG
Private Krankenversicherung: Beweislast des Versicherers für
den Zugangszeitpunkt einer Kündigung nach einer
Änderungsmitteilung
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom
14.01.2005 - Az. 5 C 193/04 - abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.135,60 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung des Versicherungsbeitrags für das
Kalenderjahr 2003 aus einem 2001 geschlossenen Vertrag zur privaten
Krankenversicherung in Anspruch. Nach Erhalt eines Nachtrags zum
Versicherungsschein aus Anlaß einer Beitragserhöhung machte die Beklagte mit
Schreiben vom 22.12.2002 von dem Kündigungsrecht gemäß Ziffer 13.5 AVB Gebrauch.
Die Klägerin trägt vor, den mit "Hamburg, im November 2002" datierten Nachtrag zum
Versicherungsschein am 25.11.2002 versandt, das Kündigungsschreiben der Beklagten
aber erst am 03.01.2003 erhalten zu haben.
Wegen der Einzelheiten des dem Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalts wird auf die
tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils und den Inhalt der zwischen den
Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend
Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt und ausgeführt, im Hinblick
auf die anspruchsvernichtende Einrede der Kündigung des Vertrages treffe die Beklagte
auch für den Beginn und das Ende der Kündigungsfrist die Beweislast. Nachdem sie für
den von ihr behaupteten Erhalt der Beitragsänderung (erst) am 10.12.2002 keinen
Beweis erbracht habe, lasse sich die rechtzeitige Kündigung des im Ausgangspunkt
unstreitig bestehenden Versicherungsvertrages nicht feststellen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Klägerin kann die Zahlung von
Versicherungsbeiträgen für das Kalenderjahr 2003 nicht verlangen, weil die Beklagte den
von den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag wirksam zum 01.01.2003
gekündigt hat.
Zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages war die Beklagte gemäß Ziffer 13.5 der
für das Krankenversicherungsverhältnis geltenden AVB (entsprechend § 178 h Abs. 4
VVG) berechtigt. Wie es das in diesen Bestimmungen geregelte Sonderkündigungsrecht
des Versicherungsnehmers voraussetzt, führte die Klägerin mit dem im November 2002
übermittelten Nachtrag zum Versicherungsschein für mehrere darin ausgewiesene Tarife
eine Beitragsanpassung auf der Grundlage einer vertraglichen Anpassungsklausel durch.
Zwar streiten die Parteien über den genauen Zeitpunkt des Zugangs der
Beitragserhöhung, daß das Schreiben aber überhaupt der Beklagten zugegangen und
daß also in jedem Fall das in den AVB und dem VVG vorgesehene außerordentliche
Kündigungsrecht entstanden ist, ist zwischen den Parteien unstreitig.
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Die Beklagte hat von dem ihr zustehenden Kündigungsrecht durch das Schreiben vom
22.12.2002 Gebrauch gemacht, dessen Zugang nach dem Vortrag der Klägerin am
03.01.2003 erfolgte und damit im Ergebnis ebenfalls unstreitig ist. Für die zeitliche
Wirkung der Kündigung kommt es auf das genaue Zugangsdatum nicht an, denn eine im
übrigen nicht zu beanstandende Kündigung wirkt nach dem Wortlaut der Ziffer 13.5 AVB
und des § 178 h Abs. 4 VVG stets zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beitragserhöhung
wirksam werden soll. Da die Klägerin die Beitragsanpassung mit Wirkung zum
01.01.2003 erklärt hatte, beendete die Kündigung der Beklagten das
Versicherungsverhältnis selbst dann zu diesem Datum, wenn sie der Klägerin erst am
03.01.2003 zuging.
Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung wahrt schließlich auch die nach den
Bestimmungen der AVB und des VVG für das Sonderkündigungsrecht geltende Frist von
1 Monat seit dem Zugang der Änderungsmitteilung. Die Klägerin hat den Beweis, daß
diese Frist bei Zugang des Kündigungsschreibens bereits verstrichen und die Kündigung
der Beklagten damit verspätet war, nicht geführt.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist die Klägerin beweispflichtig für eine
etwaige Verspätung der Kündigung; die Beweislast der Beklagten für die von ihr
eingewandte Kündigung erstreckt sich nicht auf den (negativen) Umstand, daß beim
Zugang der Kündigung die Monatsfrist noch nicht verstrichen war.
Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, daß für eine Kündigung als anspruchsvernichtende
Einwendung alle Wirksamkeitserfordernisse von derjenigen Prozeßpartei zu beweisen
sind, die sich auf die Beendigungswirkung beruft; auf den Nachweis der Einhaltung einer
für den Ausspruch der Kündigung geltenden Frist kann dies aber nur übertragen werden,
wenn die einzuhaltende Frist nach Beginn und Dauer feststeht oder unstreitig ist. Stünde
es also fest, daß der Fristbeginn für den Ausspruch der Kündigung bereits Ende
November 2002 gelegen hat, wie es die Klägerin aus der von ihr behaupteten
Absendung der Mitteilung am 25.11.2002 schlußfolgert, so hätte die Beklagte den
Zugang ihres Schreibens vor dem dann jedenfalls im Kalenderjahr 2002 liegenden
Fristablauf nachzuweisen. So liegt es im vorliegenden Fall eines zwischen den Parteien
umstrittenen Fristbeginns aber nicht.
Nach dem von der Klägerin eingeräumten Hergang - insbesondere also unter
Zugrundelegung eines Zugangs erst am 03.01.2003 - hätte die Kündigung der
Beklagten die vertragsbeendende Wirkung nicht in jedem Fall verfehlt. Eine Verspätung
der Kündigung läge stattdessen nur unter der weiteren Voraussetzung vor, daß zuvor die
von der Klägerin versandte Änderungsmitteilung bei der Beklagten spätestens bis zum
02.12.2002 eingegangen war. Nur unter dieser - zwischen den Parteien streitigen -
Voraussetzung war die Monatsfrist am 03.01.2003 verstrichen und das im
Ausgangspunkt unstreitig entstandene Kündigungsrecht der Beklagten bereits wieder
erloschen. Das zwischen den Parteien streitige Erlöschen des Kündigungsrechtes stellt
zugleich einen Rechtsnachteil des Versicherten und einen Vorteil für den Versicherer dar.
Es erscheint durchaus gerechtfertigt, dem Versicherer die Beweislast für den Eintritt
dieses Vorteils in demselben Maße aufzuerlegen, wie dies auch in vergleichbaren -
teilweise explizit im Gesetz geregelten - Zusammenhängen anerkannt ist.
Das Versicherungsrecht kennt eine Vielzahl von Konstellationen, in denen eine
schriftliche Mitteilung des Versicherers eine Sondersituation für den Versicherten für eine
bestimmte Frist auslöst, nach deren Verstreichen der Versicherte einen Rechtsnachteil
erleidet. Im Bereich des § 5 Abs. 1 VVG gelten vom Versicherer abweichend
ausgefertigte Versicherungsbedingungen als bestätigt, wenn der Versicherte die ihm
zugebilligte Widerspruchsfrist von 1 Monat ungenutzt verstreichen läßt; den Beweis
dafür, daß die Widerspruchsfrist durch Empfang des Versicherungsscheins in Lauf
gesetzt wurde, muß der Versicherer führen (Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, Bd.
5; Rz. 1 zu § 5 VVG). Entsprechendes gilt im Bereich der Nichtzahlung einer Folgeprämie,
die den Versicherer zur Setzung einer nach § 39 Abs. 1 VVG qualifizierten Zahlungsfrist
berechtigt, deren Verstreichen wiederum Leistungsfreiheit und Kündigungsrechte des
Versicherers nach sich ziehen kann; auch für den genauen Lauf der gesetzten
Zahlungsfrist - insbesondere den Zeitpunkt des Zugangs der Fristsetzung - trägt der
Versicherer die Beweislast (Baumgärtel, a.a.O.; Rz. 3 zu § 39 VVG). Auch bei der
genauen Inhaltsbestimmung eines Versicherungsvertrages gesteht § 5 a VVG dem
Versicherten ein befristetes Widerspruchsrecht zu, bei dem der Fristbeginn vom Zugang
im einzelnen aufgeführter Unterlagen abhängt, und bei dem der Gesetzgeber die
Beweislast des Versicherers für den fristauslösenden Zugang in § 5 a Abs. 2 Satz 2 VVG
ausdrücklich normiert hat.
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Aus dieser Vorschrift läßt sich auch nicht - wie der Klägerin meint - schlußfolgern, daß in
allen Fällen, in denen eine gesetzliche Klarstellung zur Beweislast des Versicherers fehlt,
dieser nicht als beweisbelastet angesehen werden kann. Wie bereits ausgeführt, stellt
der fristabhängige Untergang eines Sonderrechts des Versicherten einen für den
Versicherer günstigen Umstand dar, so daß sich die den Versicherer treffende
Beweislast bereits unter Heranziehung allgemeiner Beweislastgrundsätze ergibt. Zu kurz
greift in diesem Zusammenhang die Erwägung des Amtsgerichts, die Klägerin berufe
sich für den Klageanspruch, der sich schlicht aus dem Fortbestand des
Versicherungsvertrag ableiten lasse, nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt des Zugangs
der Änderungsmitteilung, und müsse deshalb den Zeitpunkt auch nicht beweisen. Dieser
Hinweis auf den unstreitig im Jahr 2001 geschlossenen Versicherungsvertrag begegnet
vorliegend dem ebenfalls unstreitigen Einwand, daß die Beklagte zur Kündigung des
Vertrages berechtigt war, und daß eine entsprechende Kündigungserklärung der Klägerin
spätestens am 03.01.2003 auch zugegangen ist. Vor diesem Hintergrund behauptet
nunmehr die Klägerin ihr günstige Tatsachen, bei deren Erweislichkeit das
Kündigungsrecht der Beklagten am 03.01.2003 schon erloschen gewesen wäre. Es ist
nach Ansicht der Kammer bereits deshalb überzeugend, das prozessuale Risiko für das
Gelingen dieses Beweises der Klägerin aufzuerlegen, weil es allein ihr zuverlässig möglich
wäre, einer entsprechenden Beweisnot wirksam zu begegnen. Die Versicherer haben es
in der Hand, einem im Zusammenhang mit dem Zugang fristauslösender Schriftstücke
drohenden Beweisnachteil dadurch zu entgehen, daß sie derartige Schriftstücke förmlich
zustellen oder mit geeigneten anderen Nachweisen (z.B. gegen Rückschein) versenden;
wenn sie auf solche Möglichkeiten aus Kostengründen verzichten, rechtfertigt dies nicht,
die daraus resultierenden Nachteile dem Versicherungsnehmers anzulasten (so auch
OLG Hamm, VersR 1996, 1408 f.).
Die Klägerin hat für den von ihr zu beweisenden Zugang der Änderungsmitteilung noch
im November 2002 keinen Beweis angetreten. Sie bezieht sich zwar für den Umstand,
daß die Änderungsmitteilung am 25.11.2002 an die Beklagte versandt worden ist, auf
das Zeugnis ihrer Mitarbeiter Tino Guenther, der Beweis für den Zugang kann aber mit
diesem Beweismittel nicht geführt werden. Die Absendung eines Schriftstücks beweist
nicht den Zugang des Schreibens zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines
bestimmten Zeitraums. Wenn das Schreiben den Geschäftssitz der Klägerin - wie in das
Wissen des Zeugen gestellt - am 25.11.2002 verlassen hat, so wäre damit das
Verstreichen der Monatsfrist vor dem Zugang der Kündigung am 03.01.2003 nur dann
bewiesen, wenn für den Postweg zwischen Hamburg (Sitz der Klägerin) und Berlin
(damaliger Wohnsitz der Beklagten) eine Postlaufzeit von maximal 1 Woche (nämlich bis
zum 02.12.2002) unter allen erdenklichen Umständen als sicher angesehen werden
müßte. Dies ist aber nach Auffassung der Kammer nicht der Fall; es existiert kein
allgemeiner Erfahrungssatz, wonach eine derartige Postsendung unter keinen
Umständen eine längere Laufzeit als 1 Woche hat. Auch bei einer erwiesenen
Absendung am 25.11.2002 würde sich die Darstellung der Beklagten, die
Änderungsmitteilung erst nach dem 02.12.2002 erhalten zu haben, nicht als
ausgeschlossen oder als so vollkommen untypisch darstellen, daß von der Absendung
prima facie auf einen alsbaldigen Zugang (vor dem 02.12.2002) geschlossen werden
könnte. Die Klage ist deshalb unbegründet, ohne daß es auf die Erhebung des von der
Klägerin angebotenen Beweises für die Absendung des Schreibens am 25.11.2002
ankommt.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die
Revision war entsprechend § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, weil dies nicht zur
Fortbildung des Rechts erforderlich ist, und der Rechtssache auch keine grundsätzliche
Bedeutung zukommt.
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