Urteil des LG Mönchengladbach vom 31.10.2007

LG Mönchengladbach: einsichtnahme, einsichtsrecht, urkunde, zustand, abtretung, tod, versicherungsträger, ermächtigung, körperverletzung, patient

Landgericht Mönchengladbach, 2 S 34/07
Datum:
31.10.2007
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
2 Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 S 34/07
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 6. Februar 2007 ver-
kündete Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt (11 C
413/06) abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
1
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
2
Das Amtsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, dass die Klägerin
aufgrund des ihr abgetretenen Rechts des ... Anspruch auf Einsicht in die
Pflegeunterlagen habe.
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Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten.
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Sie beantragt,
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unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, der Anspruch auf Einsichtnahme in die Pflegedokumentation ergebe
sich aus §§ 412, 401 BGB in Verbindung mit einer Abtretungserklärung des Gepflegten
vom 17. September 2003. Darüber hinaus folge ihr Anspruch auch aus § 116 Abs. 1 S. 1
SGB X, 412, 1 BGB und aus § 294a SGB V.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen
Bezug genommen.
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II.
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Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
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Die Klage ist unbegründet.
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1.
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Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus einem abgetretenen Recht des
zwischenzeitlich verstorbenen Herrn XXX.
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Unabhängig davon, ob man in der "Einverständniserklärung" des damaligen Betreuers
des Gepflegten vom 17. September 2003 überhaupt eine Abtretung eines
Einsichtsnahmeanspruchs sehen kann, würde die Abtretung hier an § 399 BGB
scheitern.
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Nach § 399 BGB kann eine Forderung u.a. dann nicht abgetreten werden, wenn die
Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung
ihres Inhalts erfolgen kann. Das gleiche gilt bei höchstpersönlichen Ansprüchen.
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Hier handelt es sich zum einen bei dem Anspruch auf Einsichtnahme in die
Pflegeunterlagen um einen höchstpersönlichen Anspruch. Der Anspruch des
Gepflegten folgt aus dem zwischen ihm und dem Beklagten geschlossenen
Pflegevertrag. Ein solcher vertraglicher Anspruch aus dem Pflegevertrag ergibt sich
schon aus dem durch grundrechtliche Wertung geprägten Selbstbestimmungsrechts des
Gepflegten, die es verbieten, ihn im Rahmen der Pflegebehandlung die Rolle eines
bloßen Objekts zuzuweisen (vgl. dazu BGH NJW 1983, 328, 329 zum Recht des
Patienten).
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Als solcher höchstpersönlicher Anspruch, der aus der personalen Würde des
Gepflegten entspringt, kann das Einsichtsrecht nicht abgetreten werden.
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Zugleich läge aber auch eine Inhaltsänderung vor.
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Denn die Klägerin verlangt Einsicht ja ausdrücklich, um die Durchsetzung eines
Schadensersatzanspruchs vorzubereiten. Dies ist offensichtlich etwas anderes als das
der personalen Würde entspringende vertragliche Recht des Gepflegten gegenüber
seinem Vertragspartner. Dieses kann die Klägerin nicht geltend machen.
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2.
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Ein Einsichtsrecht der Klägerin lässt sich auch nicht aus § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X,
§§ 412, 401 BGB herleiten.
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Soweit der Gepflegte einen vertraglichen Anspruch auf Einsichtnahme hatte, kann ein
Übergang auf die Klägerin bereits deshalb nicht stattgefunden haben, da § 116 Abs. 1
SGB X lediglich Schadensersatzansprüche betrifft.
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Ein Einsichtsrecht des Gepflegten kann die Klägerin auch nicht als Neugläubigerin im
Sinne der §§ 412, 401 BGB erlangt haben, weil gemäß § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X ein
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Schadensersatzanspruch des Gepflegten auf sie, die Klägerin, übergegangen wäre.
Unabhängig davon, ob Herrn xx überhaupt ein Schadensersatzanspruch gegen den
Beklagten zustand, lässt sich ein Einsichtsnahmerecht zur Vorbereitung eines
Schadensersatzanspruchs nur unter den Voraussetzungen des § 810 BGB rechtfertigen.
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Einem Patienten/Gepflegten steht ein Einsichtsrecht in die Kranken-/Pflegeunterlagen
nicht uneingeschränkt zu (vgl. BGH a.a.O., Seite 329). Soweit er Einsichtnahme in die
Unterlagen zur Vorbereitung der Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs
begehrt, steht ihm dies nur unter der Voraussetzung des § 810 BGB zu, er muss also ein
rechtliches Interesse an der Einsichtnahme in die in fremdem Besitz befindlichen
Unterlagen haben. Ein solches rechtliches Interesse besteht dann, wenn die
Einsichtnahme zur Förderung, Erhaltung oder Verteidigung rechtlich geschützter
Interessen erforderlich ist. Es müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, aus denen auf
einen Zusammenhang zwischen Urkundeninhalt und dem Rechtsverhältnis
geschlossen werden kann. Die Vorlage der Urkunde soll nur die letzte Klarheit über
einen wahrscheinlichen Anspruch schaffen. Daher fehlt dann ein rechtliches Interesse,
wenn die Vorlegung ohne genügend konkrete Angaben lediglich dazu dienen soll, erst
Unterlagen für die Rechtsverfolgung gegen den Besitzer der Urkunde oder Sache zu
schaffen (vgl. dazu Palandt/Sprau, 66. Aufl., § 810, Rdnr. 2 m.w.N.).
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Gerade letzteres ist hier der Fall. Die Klägerin behauptet, ohne nähere Angaben dazu
zu machen, dass ... durch unzureichende Pflege in der Einrichtung des Beklagten einen
Dekubitus erlitten habe. Dieser Vortrag reicht insbesondere in Hinblick auf die von dem
Beklagten vorgelegte fachärztliche Bescheinigung des .... vom 16. Juni 2003 (Bl. 52
d.A.) nicht aus. Es hätten schon nähere Darlegungen erfolgen müssen, die auf ein
Versäumnis des Beklagten für den Dekubitus hätten schließen lassen können. Die
durch bloße, mit keinem weiteren näheren Vortrag unterlegte, Behauptung eines
Pflegefehlers im Verantwortungsbereich der Beklagten begehrte Einsichtsnahme wäre
eine unzulässige Ausforschung. Mit § 810 BGB sollen aber nicht die gesetzlichen
Darlegungs- und Beweislastregelungen umgangen oder die Führung eines
Schadenseratzanspruchs risikolos möglich gemacht werden. Vielmehr haben auch der
Patient/Gepflegte und der Versicherungsträger das jeden treffende Risiko eines
Schadensersatzprozesses zu übernehmen.
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Damit wird den eben Genannten auch nichts Unmögliches abverlangt. Denn in einem
Schadensersatzprozess wegen Behandlungs- und Pflegefehlern trifft den Geschädigten
nur eine eingeschränkte Darlegungslast, der eine sekundäre Darlegungslast des
Arztes/der Pflegeeinrichtung gegenübersteht, die gegebenenfalls auch die Vorlage der
Pflegeunterlagen beinhaltet.
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Da hier ein rechtliches Interesse des Herrn xx nicht ausreichend dargelegt ist, liegen die
Voraussetzungen des § 810 BGB nicht vor. Mit einem Schadensersatzanspruch ist
daher ein Einsichtsrecht nicht übergegangen.
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3.
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Schließlich wurde die Klägerin durch die Erklärung des Herrn .... vom 17. September
2003 auch nicht wirksam ermächtigt, die Pflegeunterlagen einzusehen.
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Die Ermächtigung kann inhaltlich nur soweit gehen, wie dem Ermächtigenden selbst
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das Recht zustand, zu dem ermächtigt wurde.
Soweit es das höchstpersönliche, aus dem Pflegevertrag folgende Recht des Herrn ....
betrifft, ist dies nach dessen Tod erloschen. Zudem will die Klägerin gerade dieses
Recht auch nicht ausüben. Vielmehr will sie dies ausdrücklich tun, um einen
vermeintlichen Schadensersatzanspruch durchsetzen zu können. Dazu hatte Herr ....
aber – wie bereits ausgeführt – kein Recht auf Einsichtnahme. Mit seiner
Einverständniserklärung zu einem solchen Zweck konnte Herr ... die Klägerin damit
auch nicht ermächtigen.
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4.
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Letztlich steht der Klägerin auch kein Anspruch gemäß § 294a SGB V zu.
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Unabhängig davon, ob die Vorschrift hier überhaupt zwischen den Parteien des
Rechtsstreits (gegebenenfalls auch analog) anzuwenden ist, fehlt es bereits daran, dass
hier keine "Anhaltspunkte" im Sinne des § 294a SGB V vorliegen, dass der Dekubitus,
den Herr .... erlitt, auf einer Körperverletzung im Verantwortungsbereich des Beklagten
zurückzuführen ist. Insoweit wird auf das unter 2. Ausgeführte Bezug genommen.
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5.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht kein Anlass. Die
Entscheidung betrifft einen Einzelfall und behandelt nicht die im Schriftsatz der Klägerin
vom 15.10.2007 erwähnten grundsätzlichen Rechtsfragen.
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Streitwert: 1.720,00 €
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Wolters Vormbrock Koch
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