Urteil des LG Limburg vom 16.05.2007
LG Limburg: grad des verschuldens, zustand, tod, schmerzensgeld, verkehrsunfall, vollstreckung, bankrecht, arbeitsrecht, aufnehmen, baurecht
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Gericht:
LG Limburg 2.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 O 368/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 253 Abs 2 BGB
Bemessung des Schmerzensgeldes bei einem alsbaldigen
Unfalltod
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung
in Höhe des 1,1 fachen des für die Beklagten aufgrund des Urteils vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe des 1,1 fachen des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagten aus übergegangenem Recht seiner bei einem
Verkehrsunfall verstorbenen Mutter auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes in
Anspruch.
Am 20.12.2004 gegen 11.05 Uhr befuhr die Beklagte zu 1. mit ihrem bei der
Beklagten zu 2. haftpflichtversichertem Pkw in Herborn die Walter-Rathenau-
Straße in Richtung Schießplatz. Kurz hinter der Einmündung der Augustastraße in
die Walter-Rathenau-Straße überquerte die Mutter des Klägers aus Sicht der
Beklagten zu 1. von links kommend zu Fuß die Walter-Rathenau-Straße. Von der
tief stehenden Sonne geblendet fuhr die Beklagte zu 1. die Mutter des Klägers, die
schon fast die gegenüberliegende Straßenseite erreicht hatte, von hinten an. Die
Mutter des Klägers geriet auf die Motorhaube des Pkw und stieß mit ihrem Kopf
gegen die Windschutzscheibe in Höhe der Beifahrerseite. Sie wurde durch den
Aufprall 15 Meter weit geschleudert und blieb bis zum Eintreffen des
Rettungswagens verletzt, aber bei Bewusstsein am Straßenrand liegen.
Die Mutter des Klägers wurde von dem Augenarzt …….. und einer ihn begleitenden
Arzthelferin erstversorgt. Sie war bei vollem Bewusstsein und klagte über
Schmerzen an der Hüfte bzw. den Beinen. Die Mutter des Klägers wurde dann am
Unfallort durch den Notarzt mit Schmerzmitteln versorgt und in die Notaufnahme
der Lahn-Dill-Klinik in Dillenburg eingeliefert.
Die Mutter des Klägers erlitt durch den Verkehrunfall einen Bruch im Bereich des
zehnten Brustwirbelkörpers und eine komplexe Schädigung des Beckenbereiches.
Das Gelenk zwischen Kreuzbein und Darmbeinschaufel war beidseitig gesprengt.
Schambein, Schambeinast und Sitzbein waren gebrochen. Darüber hinaus gab es
Brüche an den Köpfen des Schien- und Wadenbeines links, sowie am unteren Ende
des rechten Wadenbeines und am linken Innenknöchel. Das linke Kniegelenk und
das rechte obere Sprunggelenk waren gesprengt. Der innere Anteil der
Kniegelenksfläche des linken Schienbeines war eingedrückt. Die Mutter des Klägers
hatte daneben diverse Schnittverletzungen im Kopfbereich, Hautabschürfungen,
Prellungen und starke innere Blutungen.
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Die Mutter des Klägers verstarb, ohne dass ihre Angehörigen bis dahin
benachrichtigt werden konnten, drei Stunden nach dem Unfall an ihren
schweren Verletzungen. Sie war bis zu ihrem Tod bei vollem Bewusstsein.
Der Kläger ist der Sohn und Alleinerbe seiner Mutter.
Die Beklagte u 2. zahlte außergerichtlich einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe
von 4.000,00 Euro an den Kläger.
Der Kläger erachtet eine weitere Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 6.000,00
Euro für angemessen.
Der Kläger behauptet, seine Mutter habe auch nach der Gabe von Schmerzmitteln
durch den Notarzt bis zu ihrem Tod unter starken Schmerzen gelitten und den
lebensbedrohlichen Zustand, in dem sie sich befand, realisiert.
Auf den Hinweis des Gerichtes, dass die von dem Kläger behauptete akute
Todesangst der Erblasserin im Zeitraum bis zu ihren Tod nicht unter Beweis
gestellt sei, hat der Kläger vorgetragen, dass ein Nachweis dahingehend, dass die
Erblasserin mitteilte, unter Todesangst zu leiden, wohl kaum zu führen sein dürfte.
Der Kläger beantragt,
die beklagte Partei als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die klagende
Partei ein angemessenes Schmerzensgeld abzüglich bereits gezahlter 4.000,00
Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 09.09.2005 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Auffassung, das von der Beklagten zu 2. bereits gezahlte
Schmerzensgeld sei unter Berücksichtigung der in der Rechtssprechung in
vergleichbaren Fällen zuerkannten Schmerzensgeldbeträge angemessen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagten aus übergegangenem Recht seiner Mutter
aufgrund des von der Beklagten zu 1. fahrlässig verursachten Verkehrsunfalls, der
zum Tode der Erblasserin führte, kein Schmerzensgeldanspruch zu, der den von
der Beklagten zu 2. bereits gezahlten Betrag von 4.000,00 Euro übersteigt.
Bei der Bemessung der Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes sind
sämtliche Umstände des Falles, insbesondere die von dem Verletzten erlittenen
Schmerzen und Leiden einerseits und der Grad des Verschuldens des Schädigers
andererseits zu berücksichtigen. Das Gericht erachtet danach ein 4.000,00 Euro
übersteigendes Schmerzensgeld auch unter Berücksichtigung der unter Beweis
gestellten Behauptungen des Klägers zum Zustand seiner Mutter in dem
dreistündigen Zeitraum vor ihrem Tode nicht für gerechtfertigt.
Bei der Würdigung sind im Hinblick auf die Ausgleichsfunktion des
Schmerzensgeldes vor allem die äußerst schwerwiegenden Verletzungen der
Erblasserin durch einen Verkehrsunfall sowie die daraus resultierenden, nach
Behauptung des Klägers bis zum Tode der Erblasserin andauernden starken
Schmerzen berücksichtigt. Daneben fällt schmerzensgelderhöhend auch die von
dem Kläger unter Beweis gestellte Behauptung ins Gewicht, dass die Erblasserin,
die bis zu ihrem Tode unstreitig bei Bewusstsein war, den lebensbedrohlichem
Zustand, in dem sie sich befand, in dem Zeitraum bis zu ihrem Tode realisierte,
ohne noch Kontakt zu ihren Angehörigen aufnehmen zu können. Demgegenüber
wirkt es sich schmerzensgeldbegrenzend aus, dass der Zustand der Erblasserin
auf den Zeitraum von drei Stunden beschränkt war und auf Seiten der der
Beklagten zu 1 kein über einfache Fahrlässigkeit hinausgehendes besonders
schwerwiegendes Verschulden feststellbar ist. Der danach auf Seiten der
Erblasserin vor ihrem Tode bestehende Leidenszustand ist mit dem gezahlten
Schmerzensgeld von 4.000,00 Euro nach Ermessen des Gerichtes hinreichend
ausgeglichen.
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Die objektiv am schwersten wiegende Folge des fahrlässigen Verhaltens der
Beklagten zu 1, nämlich der Eintritt des Todes der Erblasserin, kann nach
geltendem Recht bei der Schmerzensgeldbemessung nicht berücksichtigt werden,
da das Gesetz in § 253 Abs. 2 BGB für eine Verletzung des Lebens keinen
Schmerzensgeldanspruch vorsieht. Die Umstände des Falles rechtfertigen auch
nicht die Schlussfolgerung, dass die Erblasserin in dem Zeitraum vor ihrem Tod
über die nach Behauptung des Klägers andauernden starken Schmerzen und das
Bewusstsein ihres lebensbedrohlichen Zustandes hinaus psychisch deshalb in
besonderer Weise gelitten hat, weil sie sich in akuter Todesangst befand. Der
Kläger hat seine Behauptung, dass die Erblasserin unter akuter Todesangst
gelitten habe, auch auf gerichtlichen Hinweis hin, nicht unter Beweis gestellt und
auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass auf Seiten der
Erblasserin eine akute Todesangst bestand. Der bei der Bemessung des
Schmerzensgeldes berücksichtigte Umstand, dass die Erblasserin ihren
lebensbedrohlichen Zustand realisierte, lässt nicht darauf schließen, dass die
Erblasserin auch unter akuter Todesangst litt. Nach Würdigung des Gerichts lassen
sich in Anbetracht der persönlichkeitsbedingten Unterschiede in der psychischen
Verarbeitung von Extremsituationen keine allgemeinen Erfahrungsgrundsätze
darüber aufstellen, wie ein einzelner Mensch auf die Erkenntnis eines
lebensbedrohlichen Zustandes reagiert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.