Urteil des LG Karlsruhe vom 22.06.2005

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LG Karlsruhe Urteil vom 22.6.2005, 14 O 70/05 KfH III
Wettbewerbswidrige Heilmittelwerbung: Produktbezogene Absatzwerbung für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel außerhalb der
Fachkreise
Tenor
1. Der Beklagten wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis EUR
250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern, untersagt, im
geschäftlichen Verkehr für das verschreibungspflichtige Arzneimittel „...“ außerhalb der Fachkreise zu werben, wenn dies geschieht durch die
Veröffentlichung der Anzeigen „Können Kassenpatienten wirklich auf ... verzichten?“ (Anlage K 2)
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist hinsichtlich Ziff. 1 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 50.000,00 vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich Ziff. 2 in Höhe von 120
% des jeweils beizutreibenden Betrages.
Tatbestand
1
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen satzungsmäßige Aufgabe die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder sowie die
Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs ist. Er nimmt die Beklagte, ein Unternehmen der Pharmabranche mit Geschäftssitz in ..., auf
Unterlassung im Klageantrag näher bezeichneter Aussagen in Anspruch.
2
Die Beklagte produziert und vertreibt ein gegen Herz- und Blutgefäßerkrankungen gerichtetes Arzneimittel unter der Bezeichnung „...“. Dieses
Arzneimittel wurde Gegenstand einer Festbetragsfestsetzung zum 01.01.2005 durch Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen.
Die Beklagte hielt an ihren bisherigen Abgabepreisen für das angeführte Arzneimittel weiterhin fest. Sie hat in der überregionalen Ausgabe der
Süddeutschen Zeitung vom 27./28.11.2004 eine ganzseitige Anzeige (Anlage K 2) veröffentlicht, in der unter anderem folgende Aussagen
aufgeführt sind:
3
„Können Kassenpatienten wirklich auf ... verzichten?
4
... senkt unter Statinen Cholesterin am stärksten...
5
... verringert das Risiko besonders schnell ...
6
... ist nicht beliebig austauschbar ...
7
Tatsache ist: Für viele Patienten gibt es unter den Statinen zu ... keine Alternative. Dies gilt z. B. für Patienten, die nur mit ... die therapeutisch
erforderlichen Cholesterinwerte erreichen können ...“
8
Gleichlautende Anzeigen hat die Beklagte auch in anderen überregionalen Tageszeitungen in Deutschland geschaltet.
9
Der Kläger macht geltend, bei der streitgegenständlichen Anzeige handele es sich um eine Werbemaßnahme außerhalb der Fachkreise, zumal
für die Beklagte die Erhaltung eines beträchtlichen Umsatzes im Vordergrund stünde. Ferner sei die Aussage, ... wäre mit den enthaltenen
Atorvastatin gegenüber anderen Statinen zur Vorbeugung von Herz- und Blutgefäßerkrankungen der bessere Wirkstoff, nicht belegt. Soweit sich
dabei die Beklagte auf Stellungnahmen Dritter beziehe, sei deren Neutralität auf Grund ihrer Interessenvertretung in Bezug auf die
Gesundheitsreform nicht gewahrt. Auch werde durch eine solche Werbung der Konsumanreiz des Arzneimittels gesteigert, was
Gesundheitsgefährdungen auf Grund medikamentöser Selbstbehandlung durch Patienten zur Folge haben könnte. Zudem sei die Anzeige
geeignet, in der Öffentlichkeit Angstgefühle auszulösen, da der Eindruck erweckt werde, ... sei die einzige Alternative für Patienten mit
Erkrankung der Herzkranzgefäße und sei daher unverzichtbar.
10 Der Kläger beantragt:
11 Der Beklagten wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis EUR
250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern,
12 untersagt,
13 im geschäftlichen Verkehr für das verschreibungspflichtige Arzneimittel ... außerhalb der Fachkreise zu werben, wenn dies geschieht durch die
Veröffentlichung der Inserate
14 „Können Kassenpatienten wirklich auf ... verzichten?“
15 (Anlage K 2)
16 Die Beklagte tritt der Klage entgegen. Auf Grund der vorgelegten Studien (Anlagen B 3 - B 5) und Fachgutachten (Anlage B 6) sei das Vorliegen
einer therapeutischen Verbesserung durch den in ... enthaltenen Wirkstoff Atorvastatin als belegt anzusehen. Bei der streitgegenständlichen
Anzeige handele es sich um keine produktspezifische Absatzwerbung, da der Schwerpunkt der Angaben im Beitrag zur politisch-
gesellschaftlichen Meinungsbildung liege. Diese ziele auf die politischen Entscheidungsträger und nicht auf das Laienpublikum ab. Dies ergebe
sich zum einen aus der verwendeten Fachsprache im Text, zum anderen aus dem Inhalt selbst, der nicht dazu auffordere, auf einer Verordnung
von ... zu bestehen. Die Anzeige verfolge daher keine werbenden Ziele. Zudem bestünde keine Gefahr der medikamentösen Selbstbehandlung,
da die Anzeige darauf hinweise, dass die Entscheidung und Verantwortung für eine entsprechende Verordnung ausschließlich in der Person des
behandelnden Arztes liege. Ferner bestünde keine Gefahr einer Konsumsteigerung, die einen Medikamentenmissbrauch zur Folge hätte, da das
Anwendungsgebiet von ... nur für eine klar umrissene Patientengruppe gelte.
17 Auch habe die Beklagte mit der Aufgabe der Anzeige in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt. Auf Grund der Abwehrlage der
Beklagten stelle die verfahrensgegenständliche Anzeige ein gebotenes und notwendiges Mittel dar, um sich gegen die Eingruppierung und
deren Auswirkungen hinreichend zu wehren.
18 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
19 Mit Beschluss der erkennenden Kammer vom 30.11.2004 - erlassen durch den Vorsitzenden - wurde der Beklagten im Wege der einstweiligen
Verfügung - Landgericht Karlsruhe 14 O 192/04 KfH III - auf Antrag des Klägers untersagt, im streitgegenständlichen Umfang zu werben.
20 Die Verfügungsakte lag vor und war gleichfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
21 Die zulässige Klage ist begründet.
22 Der Kläger ist als eingetragener Verein anspruchsberechtigt im Sinne von § 8 III Nr. 2 UWG, was gerichtsbekannt ist. Dem entsprechenden
Prozessvortrag des Klägers ist die Beklagte auch nicht weiter entgegengetreten.
23 Die Beklagte ist gemäß § 10 I Heilmittelwerbegesetz (HWG) in Verbindung mit § 3, § 4 I Nr. 11 UWG verpflichtet, es zu unterlassen, im
geschäftlichen Verkehr für das verschreibungspflichtige Arzneimittel ... außerhalb der Fachkreise mit den streitgegenständlichen Aussagen zu
werben.
24 Die streitgegenständliche Anzeige verstößt gegen § 10 I HWG, da sie Aussagen enthält, die als eine produktbezogene Werbung außerhalb der
Fachkreise im Sinne des § 10 I HWG zu beurteilen sind.
25 Unter einer heilmittelwerberechtlich relevanten Werbung im Sinne der Bestimmungen des HWG sind alle informationsvermittelnden und
meinungsbildenden Aussagen zu verstehen, die darauf abzielen, die Aufmerksamkeit der Adressaten zu erwecken und deren Entschlüsse mit
dem Ziel der Förderung des Absatzes von Waren oder Leistungen zu beeinflussen (vgl. Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Aufl., § 1 Rdn. 9).
Eine produktbezogene Absatzwerbung im Sinne von § 10 HWG setzt ferner eine eindeutige und erkennbare Bezugnahme auf ein
verschreibungspflichtiges Arzneimittel voraus, wobei die ausdrückliche Nennung eines konkreten Arzneimittels in diesem Zusammenhang
regelmäßig als eine für die Absatzförderung dieses Mittels geeignete und - zumindest auch - dieser Förderung dienende Maßnahme zu
verstehen ist (vgl. BGH GRUR 1983, 393 - Novodigal/Temagin; Doepner a. a. O. § 10 Rdn. 14). Die Annahme einer Absatzwerbung ist selbst
dann zu bejahen, wenn die Maßnahme einen Kaufanreiz zwar nicht geschaffen hat, aber mögliche Absatzeinbußen verhindert werden sollen
(BGHZ 140, 134, 140 - Hormonpräparate).
26 Diese Voraussetzungen treffen auf die hier in Rede stehende Anzeige zu. Dies ergibt sich bereits aus der sprachlichen Gestaltung der Anzeige.
Die schlagwortartige Verwendung positiver Beschreibungen wie: „am stärksten, besonders schnell, nicht beliebig austauschbar, keine
Alternative“ unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Arzneimittel ... stellen nach ihrem Inhalt und Stil den typischen Falle einer werbenden
Anpreisung dar. Die wiederholte Hervorhebung der Bezeichnung „...“ zeigt deutlich, dass mittels der Anzeige zumindest auch der Erhalt des
bisherigen Kundenstammes bezweckt war und damit mögliche Absatzeinbußen verhindert werden sollten. Auch die in der Druckgestaltung
hervorgehobene Fragestellung „Können Kassenpatienten wirklich auf ... verzichten?“ hat einen anpreisenden Bedeutungsgehalt.
27 Dass es sich bei den vorstehend angeführten Aussagen auch nach Auffassung der Beklagten um absatzbezogene Werbeangaben handelt, zeigt
nicht zuletzt der Umstand, dass die Beklagte selbst auf die Anzeige den nach § 4 III HWG gebotenen Hinweis „zu Risiken und Nebenwirkungen
lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Ihren Arzt oder Apotheker“ aufgebracht hat.
28 Der hier gegebene Verstoß gegen § 10 I HWG beinhaltet zugleich auch unlauteres Fehlverhalten im Sinne von § 3 UWG.
29 Es entspricht anerkannter Rechtsansicht, dass Verstöße gegen die Werberegelungen des HWG zugleich unlauteres Marktverhalten sind, was
insbesondere für die hier maßgebliche Bestimmung des § 10 I HWG als dem Gesundheitsschutz dienende Regelung gilt (BGHZ 140, 134, 138 -
Hormonpräparate; BGH GRUR 2001, 178, 181 - Impfstoffversand an Ärzte; BGH GRUR 1991, 871, 872 - Femovan).
30 Besondere Umstände, die eine Ausnahme rechtfertigen und demnach die Annahme eines unlauteren Fehlverhaltens entfallen lassen, sind
vorliegend nicht gegeben. Derartige Ausnahmen können erst dann angenommen werden, wenn die geschützten Interessen der in Rede
stehenden Regelungen des HWG nur marginal berührt werden und ein Handeln in Wahrnehmung berechtigter Interessen, deren Anerkennung
auch verfassungsrechtlich geboten ist, vorliegt (vgl. BGHZ 140, 134, 139 - Hormonpräparate).
31 Das von § 10 I HWG geschützte Interesse ist vorliegend nicht nur marginal betroffen. Normzweck von § 10 I HWG ist den Gefahren
medikamentöser Selbstbehandlung zu begegnen, wobei außer den Gefahren des Fehlgebrauchs auch einem Zuvielgebrauch von Arzneimitteln
entgegengewirkt werden soll (vgl. Doepner a. a. O., § 10 Rdn. 9). Entscheidend ist dabei, ob die hier in Rede stehende Anzeige objektiv geeignet
ist, unmittelbar gegen den Normzweck des § 10 I HWG zu verstoßen und ihn nicht nur am Rande zu berühren.
32 Durch die in der Anzeige enthaltene Aussage: „... verringert das Risiko besonders schnell“ werden die - von der Beklagten geltend gemachten -
Vorteile des Arzneimittels besonders hervorgehoben. Diese Aussage richtet sich unmittelbar an die Leserschaft der Süddeutschen Zeitung und
der übrigen überregionalen Zeitungen, in denen gleichlautende Anzeigen geschaltet wurden. Damit sind auch Verkehrskreise erfasst, die zu
einem großen Teil einer fachkundigen Beurteilung der Gefahr bei der Einnahme des Präparats nicht ohne weiteres fähig sind.
33 Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass zu den von der Anzeige angesprochenen Verkehrskreisen aus der Leserschaft der hier in
Rede stehenden überregionalen Zeitungen auch Personen gehören, die an Herz- und Blutgefäßerkrankungen leiden und damit zu den
potenziellen Patienten zu rechnen sind, die das Arzneimittel einnehmen könnten. Diese Personen könnten situationsbedingt durch den Verweis
der besonders schnellen Wirksamkeit zu einem unsachgemäßen Fehl- oder Übergebrauch dieses Arzneimittels hingerissen werden.
Allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen entspricht es gleichfalls, dass der medizinisch nicht gebildete Patient eine längere Zeit gebotene
Behandlung unter anderem deshalb abzubrechen geneigt ist, weil er die Bedeutung einer „schnellen Wirksamkeit“ eines Arzneimittels aus seiner
Laiensphäre falsch beurteilt. Hinzu kommt, dass das in Rede stehende Arzneimittel ... zur Behandlung von ganz erheblichen Erkrankungen
bestimmt ist und zudem wegen der Gefahr auftretender Nebenwirkungen eine besonders enge Kontrolle des behandelnden Arztes geboten
erscheint. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten richtet sich die streitgegenständliche Anzeige unmittelbar gegen den Normzweck von § 10 I
HWG, so dass von einer marginalen Berührung des angeführten Normzweckes nicht gesprochen werden kann.
34 Die Annahme einer wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeit im Sinne von § 3 UWG lässt sich auch nicht unter dem von der Beklagten geltend
gemachten Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen verneinen. Dies könnte nur dann angenommen werden, wenn der
Wettbewerber sich zu Recht auf das Vorliegen einer Abwehrsituation berufen könnte und die Abwehrlage und der Abwehrzweck das
beanstandete und an sich wettbewerbswidrige Verhalten als gebotene Abwehrmaßnahme erscheinen lassen (vgl. BGHZ 140, 142).
35 Dies kommt vorliegend nicht in Betracht, da die Beklagte auf die von ihr angeführten Angriffe und Behauptungen auch mit anderweitigen
Stellungnahmen, die nicht unmittelbar und wiederholend mit Anpreisungen der hier in Rede stehenden Art ausgestaltet sind - und zudem auch
gegenüber dem möglichen Patientenkreis unter Einschaltung der beratenden Ärzte (vgl. BGHZ 140, 143) - hätte reagieren können. Diese
Wertung gilt auch im Rahmen der nach Art. 5 GG gebotenen Rechtsgüter- und Interessen-Abwägung (vgl. hierzu Baumbach/Hefermehl/Köhler,
Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 3 Rdn. 29), so dass die hier in Rede stehenden Aussagen auch nicht nach Art. 5 I GG gerechtfertigt sind.
36 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
37 Die Anordnung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.