Urteil des LG Karlsruhe vom 28.11.2008
LG Karlsruhe (eintritt des versicherungsfalles, versicherte person, kläger, eintritt des versicherungsfalls, satzung, berechnung, höhe, anwartschaft, eintritt, mitteilung)
LG Karlsruhe Urteil vom 28.11.2008, 6 O 234/04
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst: Verbindlichkeit der VBL-Startgutschriften für beitragsfrei
Versicherte
Leitsätze
Die BGH-Rechtsprechung zur Unverbindlichkeit der Startgutschriften für rentenferne Personen findet auch dann
auf Startgutschriften für beitragsfrei versicherte Person Anwendung, wenn die Berechnung nicht nach § 18 Abs. 2
Nr. 1 und Nr. 2 BetrAVG, sondern unter Mindestgesichtspunkten nach § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG vorgenommen
wurde.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die von der Beklagten gemäß ihrer Satzung erteilte Startgutschrift den Wert der von
dem Kläger bis zum 31.12.2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende
Betriebsrente nicht verbindlich festlegt.
2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger und die Beklagte dürfen jeweils die Vollstreckung durch die
Gegenseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht
die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der im öffentlichen Dienst beschäftigte Kläger wendet sich mit seiner Klage nach Umstellung der
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst von einem Gesamtversorgungssystem auf ein Punktesystem gegen
die ihm von der beklagten Zusatzversorgungseinrichtung erteilte Startgutschrift für eine beitragsfrei versicherte
Person.
2
Die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern
der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine
zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer
Satzung vom 22. November 2002 (BAnz. Nr. 1 vom 3. Januar 2003) hat die Beklagte ihr
Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31. Dezember 2001 (Umstellungsstichtag) umgestellt. Den
Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung
vom 1. März 2002 (ATV) vereinbart. Damit wurde das frühere - auf dem Versorgungstarifvertrag vom 4.
November 1966 (Versorgungs-TV) beruhende - endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben
und durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt.
3
Die neue Satzung der Beklagten (VBLS) enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur
Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden wertmäßig festgestellt und als so
genannte Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten der Versicherten übertragen. Dabei werden
Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne Versicherte
unterschieden. Rentennah ist nur, wer am 1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und im Tarifgebiet
West beschäftigt war bzw. dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder
Pflichtversicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 1. Januar 1997 vorweisen kann. Die
Anwartschaften der ca. 200.000 rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht
ermittelt und übertragen. Die Anwartschaften der übrigen, ca. 1,7 Mio. rentenfernen Versicherten berechnen
sich demgegenüber nach den §§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG.
4
Die Anwartschaften der am 01.01.2002 beitragsfrei Versicherten, zu denen die klagende Partei des
vorliegenden Verfahrens gehört, werden nach der am 31.12.2001 geltenden Versicherungsrentenberechnung
ermittelt (§ 80 S. 1 VBLS n.F.).
5
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Systemumstellung, die Wirksamkeit der Übergangsregelung für
beitragsfrei Versicherte und die Höhe der dem Kläger erteilten Startgutschrift.
6
Der Kläger ist am ... 1944 geboren. Bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2001 war er als
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Der Kläger ist am ... 1944 geboren. Bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2001 war er als
Beschäftigter im öffentlichen Dienst im Rahmen von vier Arbeitsverhältnissen bei der Beklagten
pflichtversichert gewesen (AH 9).
7
Die Beklagte hat im Rahmen der Rentenmitteilung vom 04.02.2003 die Rentenanwartschaft des Klägers zum
31.12.2001 auf EUR 189,60 errechnet und ihm dementsprechend eine Startgutschrift von 47,40 Punkten erteilt
(AS 59; AH 13-17).
8
Die Mitteilung über die Startgutschrift beruht auf der Neufassung der Satzung der Beklagten zum 01. Januar
2001 (im Folgenden: VBLS n.F.), insbesondere auf § 80 VBLS n.F. Bei der Errechnung der Startgutschrift
wurde die Steuerklasse I/0 zugrunde gelegt (AH 15).
9
Seit 01.04.2002 erhält der Kläger gesetzliche Rente in Höhe von EUR 1.057,17/brutto bzw. EUR 970,49/netto
und von der Beklagten eine Betriebsrente in Höhe von 164,88/brutto bzw. EUR 150,37 netto (AH 1/19). In der
zugehörigen Mitteilung vom 04.02.2003 (AH 1) errechnete die Beklagte die Betriebsrente unter Zugrundelegung
der Versorgungspunkte aus der Startgutschrift und nahm wegen vorzeitiger Inanspruchnahme eine
Herabsetzung der Rente um EUR 9,10 bzw. 4,8 % vor (AS 59, AH 19).
10 Ferner nahm die Beklagte in der Mitteilung vom 04.02.2003 zur Errechnung des zustehenden Rentenbetrags
eine Kürzung wegen Versorgungsausgleichs um EUR 15,62 vor (19). Die Ehezeit hatte vom 01.07.1968 bis
zum 30.06.1982 angedauert (AS 111). Am Ende der Ehezeit war der Kläger 38 Jahre alt. Zugunsten der
geschiedenen Ehefrau des Klägers hatte das Amtsgericht A. (Urteil vom 19.01.1984) im Rahmen des
Versorgungsausgleichs zunächst eine Anwartschaft bei der Beklagten in Höhe von EUR 2,23 begründet (vgl.
AH 175).
11 Mit Beschluss vom 15.09.2004 hat das Amtsgericht B. die Entscheidung über den Versorgungsausgleich
dahingehend abgeändert, dass die VBL-Anwartschaft der geschiedenen Ehefrau DM 13,82 bzw. EUR 7,07
betrage (AH 175). In der Mitteilung vom 25.01.2006 nahm die Beklagte daraufhin eine Kürzung der
Betriebsrente wegen Versorgungsausgleichs um EUR 26,41 vor (AH 167-169). Die Betriebsrente betrug sodann
ab 01.02.2006 EUR 161,42/brutto bzw. EUR 134,95/netto (AH 171).
12 Der Kläger beantragt:
13
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.07.2004 eine
Versorgungsrente für Versicherte gemäß der Satzung der Beklagten i.d.F.d. 41 SÄ zu gewähren.
14 Hilfsweise zu 1.:
15
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger unter Anwendung der Grundsätze für
die Versorgungsrente nach der Satzung in der 41. SÄ zum 31.12.2001 eine Startgutschrift unter
Berücksichtigung von Ausbildungs-, Vordienst- und Zurechnungszeiten zu ermitteln wie für Anwartschaften
der am 31.12.2001 schon und am 01.01.2002 noch Pflichtversicherten gemäß § 79 VBLS n.F.
16
3. Es wird festgestellt, dass die Kürzung der Betriebsrente aufgrund des Versorgungsausgleiches nicht
verbindlich ist, hilfsweise ab 01.07.2008 nicht verbindlich ist.
17 Der Kläger beantragt ferner hilfsweise:
18
4. Es wird festgestellt, dass die von der Beklagten gemäß ihrer Satzung erteilte Startgutschrift den Wert
der von dem Kläger bis zum 31.12.2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des
Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlegt.
19 Die Beklagte beantragt,
20
die Klage abzuweisen.
21 Das Gericht hat verhandelt am 28.11.2008.
22 Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen
verwiesen.
Entscheidungsgründe
23 Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
I.
24 Haupt- und Hilfsanträge sind zulässig, jedoch nur der in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2008
gestellte Hilfsantrag zur Feststellung der Unverbindlichkeit der Startgutschrift ist begründet.
25 Soweit die Klage unbegründet ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob ein Feststellungsinteresse auch insoweit
besteht. Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ist nur für ein stattgebendes Urteil echte
Prozessvoraussetzung (vgl. BGHZ 12, 308 unter II 4; BAGE 104, 324 unter II 1 m.w.N.; OLG Karlsruhe, Urteil
vom 20.12.2007 - 12 U 59/07, Seite 9).
II.
26 Die Anträge Ziff. 1 bis 3 sind unbegründet.
27 1. Dem Kläger steht keine Versorgungsrente nach VBLS a.F. zu (Hauptantrag Ziffer 1). Ein solcher Anspruch
bestünde noch nicht einmal bei Fortgeltung des alten Satzungsrechts. Anspruch auf eine Versorgungsrente
nach den alten Satzungsbestimmungen hat der Versicherte, bei dem der Versicherungsfall eintritt und der zu
diesem Zeitpunkt pflichtversichert ist (§ 37 Abs. 1 a VBLS a.F.). Ist er zu diesem Zeitpunkt freiwillig
weiterversichert oder beitragsfrei versichert, so hat er Anspruch auf Versicherungsrente (§ 37 Abs. 1 b VBLS
a.F.). Der Kläger war indes bei Eintritt des Versicherungsfalls (01. April 2002) beitragsfrei versichert, da das
seiner Pflichtversicherung zugrundeliegende Arbeitsverhältnis bereits zum 30. Juni 2001 geendet hatte.
28 Die Unterscheidung zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente ist vom Kläger hinzunehmen (vgl. BGH,
Urteil vom 14. Januar 2004, Az.: IV ZR 56/03 in NVwZ - RR 2004, 513 - 516 = VersR 2004, 453 - 456; LG
Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2008, Az. 6 S 15/07).
29 2. Anspruch auf Berücksichtigung der Vordienstzeiten im Rahmen der nach § 80 VBLS n.F. i.V.m. § 18
BetrAVG errechneten Startgutschrift besteht nicht (Hilfsantrag Ziffer 2).
30 Mit Urteil vom 14.11.2007 - IV ZR 74/06 - hat der Bundesgerichtshof die fehlende Berücksichtigung der
Vordienstzeiten bei der Startgutschrifterteilung für rentenferne Versicherte gebilligt. Da für beitragsfrei
Versicherte die Vordienstzeiten auch nach altem Satzungsrecht keine Rolle spielten, stößt die Nicht-
Berücksichtigung dieser Zeiten nach § 80 VBLS n.F. erst recht nicht auf Bedenken.
31 3. Die Ermittlung des Kürzungsbetrags nach durchgeführtem Versorgungsausgleich ist weder wegen der
angewandten Methode noch wegen der konkreten Berechnung zu beanstanden (Hauptantrag Ziff. 3).
32 Die Rechtmäßigkeit des Rückrechnungsverfahrens zur Ermittlung des Kürzungsbetrags nach durchgeführtem
Versorgungsausgleich ist in der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt (OLG Karlsruhe, Urt.
v. 09.12.2004, 12 U 303/04, OLGR Karlsruhe 2005, 512-514, m.w.N.). Zur Vermeidung unnötiger
Wiederholungen wird auf diese Entscheidung verwiesen (s.a. LG Karlsruhe, Beschluss vom 17.02.2005, 6 S
34/04).
33 Der Lebensaltersfaktor wurde - anders als der Kläger im Schriftsatz vom 14.10.2008 (dort S. 5, AS 141) meint -
richtig berechnet. Die Mitteilung der Beklagten vom 25.01.2006 (Anl. K7, AH 165 ff.) berücksichtigt in Anl. 1 Bl.
1 einen Lebensalterfaktor von 4,29 und nimmt Bezug auf Tabelle 1/7 der Barwertverordnung. In jener Tabelle
ist indes für einen 38-jährigen Anwartschaftsberechtigten (Lebensalter des Klägers am Ende der Ehezeit)
grundsätzlich ein Lebensalterfaktor von 2,6 vorgesehen (AH 189).
34 Der Kläger kann nicht geltend machen, dass Anmerkung 1 dieser Tabelle, wonach - bei Anwendbarkeit dieser
Anmerkung - für jedes Jahr des vorgezogenen Rentenbeginns die Werte der Tabelle um 8 % zu erhöhen sind,
nicht beachtet worden sei: Der Kläger bezog seine erste Rente mehr als sieben Jahre vor Vollendung des 65.
Lebensjahres. Die Erhöhung des Wertes von 2,6 um 64 % (8 x 8 %) führt zu einem Lebensalterfaktor von
4,264. Dass hier sogar eine Erhöhung um 65 % (auf 4,29) vorgenommen wurde, schadet dem Kläger im
Vergleich zu einer bloßen Erhöhung um 64 % jedenfalls nicht. Denn der Lebensalterfaktor ist ein Divisor zur
Ermittlung des Kürzungsbetrags: Ein höherer Lebensalterfaktor führt also zu einem geringeren Kürzungsbetrag.
35 Das Klagebegehren in den drei ersten Anträgen ist daher unbegründet und die Klage insoweit abzuweisen.
III.
36 Die Klage ist begründet, soweit die Feststellung begehrt wird, dass die von der Beklagten gemäß ihrer Satzung
erteilte Startgutschrift den Wert der von dem Kläger bis zum 31.12.2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei
Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlegt (Hilfsantrag Ziff. 4).
37 Bei Zugrundelegung der vom Bundesgerichtshof (Urt. v. 14.11.2007, Az. IV ZR 74/06) vertretenen Auffassung
ist von der Unverbindlichkeit der Startgutschrift des beitragsfrei versicherten Klägers und mithin von der
Begründetheit des Hilfsantrags auszugehen (s. bereits LG Karlsruhe, Urteil vom 19.09.2008, Az. 6 O 326/07,
veröffentlicht in juris).
38 Von entscheidender Relevanz sind dabei folgende Ausführungen des BGH:
39 Durchgreifenden Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG begegne der nach den §§ 33 Abs. 1
Satz 1 ATV, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG der Startgutschriftenberechnung zugrunde
zu legende Versorgungssatz von 2,25% für jedes Jahr der Pflichtversicherung.
40 Soweit die Regelung auf die Pflichtversicherungsjahre abstelle und diesen einen jeweils festen Prozentsatz
zuordne, erscheine dies zunächst systemkonform und für sich genommen rechtlich unbedenklich. Der in § 18
Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG (n.F.) vorgesehene Prozentsatz von 2,25 pro Pflichtversicherungsjahr, der über §
79 Abs. 1 Satz 1 VBLS und § 33 Abs. 1 Satz 1 ATV für die Berechnung der Startgutschrift maßgebend sei,
führe jedoch zu einer sachwidrigen und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung
innerhalb der Gruppe der rentenfernen Versicherten, die vom weiten Handlungsspielraum der
Tarifvertragsparteien nicht mehr gedeckt sei. Gesamtversorgungsfähige Zeit und Pflichtversicherungsjahre
könnten deutlich voneinander abweichen. Während beispielsweise zur gesamtversorgungsfähigen Zeit
insbesondere als beitragsfreie Zeiten auch nach dem vollendeten 17. Lebensjahr zurückgelegte Schul-,
Fachschul- und Hochschulzeiten, ferner berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen mit (bei Halbanrechnung) bis
zu vier Jahren berücksichtigt wurden (vgl. §§ 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS a.F., 54 Abs.
1 Nr. 2 und Abs. 4, 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI), zählten die genannten Zeiten nicht zu den
Pflichtversicherungsjahren im Sinne von § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG. Arbeitnehmer mit längeren
Ausbildungszeiten, wie etwa Akademiker, könnten 44,44 Pflichtversicherungsjahre überhaupt nicht erreichen
und müssten deshalb überproportionale Abschläge hinnehmen. Beispielsweise betrage bei einem
Arbeitnehmer, der nach Abschluss seines Studiums mit Vollendung des 28. Lebensjahres in den öffentlichen
Dienst eintrat und am 31. Dezember 2001 das 54. Lebensjahr erreicht hatte, der maßgebliche Prozentsatz
nach § 33 Abs. 1 Satz 1 ATV, § 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG 58,50% (=
26 x 2,25%). Dagegen würde sich der Unverfallbarkeitsfaktor nach § 2 Abs. 1 BetrAVG auf 70,27% (26/37)
belaufen. Neben Akademikern seien aber auch all diejenigen betroffen, die aufgrund besonderer Anforderungen
eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst, etwa einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder eines
Meisterbriefes in einem handwerklichen Beruf, erst später in den öffentlichen Dienst eintreten. Weder das
Modell der Standardrente eines Durchschnittsverdieners in der gesetzlichen Rentenversicherung noch das bei
der Berechnung der anzurechnenden Sozialversicherungsrente nach § 79 Abs. 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 Nr.
1 Satz 2 Buchst. f BetrAVG anzuwendende Näherungsverfahren lieferten stichhaltige Argumente dafür, den
maßgeblichen Prozentsatz unter Berücksichtigung der gesamtversorgungsfähigen Zeit von 44,44 Jahren zu
bestimmen und ihn dann lediglich mit der Zahl der erreichten Pflichtversicherungsjahre zu multiplizieren,
obwohl diese in aller Regel niedriger sei als die erreichte gesamtversorgungsfähige Dienstzeit. Wegen der zu
verzeichnenden Systembrüche und Ungereimtheiten könne aber die Höhe der Versorgungsquote allein mit den
Besonderheiten des Versorgungssystems des öffentlichen Dienstes und einem Recht zur Standardisierung
nicht gerechtfertigt werden.
41 Der Senat sei nicht gehalten gewesen, die Verfassungsmäßigkeit des § 18 Abs. 2 BetrAVG im Wege der
Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Denn er
habe nicht die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen, sondern allein der im Tarifvertrag und in der Satzung
der Beklagten getroffenen Regelung zu überprüfen gehabt.
42 Die dargelegte Verfassungswidrigkeit und die sich daraus ergebende Unwirksamkeit dieser Detailregelung des
Tarifvertrages vom 1. März 2002 und der neuen Satzung der Beklagten änderten an der Wirksamkeit der
Systemumstellung als solcher nichts. Unwirksam sei lediglich die in den §§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 1 Satz 1
VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG für die rentenfernen Versicherten getroffene Übergangsregelung, was zur
Folge hat, dass die der klagenden Partei erteilte Startgutschrift einer ausreichenden rechtlichen Grundlage
entbehre. Sie lege damit den Wert der von der klagenden Partei bis zum Umstellungsstichtag erdienten
Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende Rente nicht verbindlich fest.
43 Bei Abwägung der geschützten Interessen der Tarifpartner einerseits und der Versicherten andererseits gebiete
der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz jedenfalls derzeit noch keine gerichtlichen Übergangsregelungen,
weil zum einen das Interesse an alsbaldiger Klärung bei rentenfernen Versicherten weniger schwer wiege als
bei rentennahen Versicherten oder Rentenempfängern. Zum anderen sei es zulässig, dass die Gerichte sich
mit Rücksicht auf Art. 9 Abs. 3 GG einer ersatzweisen Regelung enthielten, soweit - wie hier - eine
Neuregelung durch die Tarifvertragsparteien in absehbarer Zeit zu erwarten sei. Mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG
sei es den Tarifvertragsparteien vorzubehalten, für welche Lösungen sie sich entscheiden.
44 Diese Rechtsprechung ist auch im konkreten Fall anwendbar, in dem der Kläger zwar keine Startgutschrift für
eine rentenferne Person zu erhalten hatte, sondern eine solche für eine beitragsfrei versicherte Person. Denn §
18 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BetrAVG und damit ein Versorgungssatz von 2,25% für jedes Jahr der
Pflichtversicherung könnte auch im konkreten Fall Anwendung finden und das Ergebnis der Rentenberechnung
maßgeblich beeinflussen.
45 Nicht entscheidend ist dabei, dass im konkreten Fall offensichtlich eine Berechnung nach § 18 Abs. 2 Nr. 4
BetrAVG vorgenommen wurde (vgl. auch AH 129), bei der der Versorgungssatz von 2,25% nicht von
Bedeutung ist, sondern die Versicherungsrente nach § 44 VBLS a.F. als Mindestbetrag zugrundegelegt wird.
Zwar hat das Landgericht Karlsruhe in einer Entscheidung vom 15.02.2008 (Az. 6 S 15/07) die dort angewandte
Berechnung der Startgutschrift nach § 80 VBLS n.F. i.V.m. § 44 VBLS a.F. gebilligt, allerdings war dort die
Unverbindlichkeit der Startgutschrift nicht geltend gemacht worden. Auch der Bundesgerichtshof differenziert
bei der Frage der Unverbindlichkeit der Startgutschrift für rentenferne Jahrgänge (s. Urt. v. 14.11.2007, Az. IV
ZR 74/06) nicht zwischen der Berechnung nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BetrAVG und jener nach § 18 Abs.
2 Nr. 4 BetrAVG.
46 Zur Abgrenzung der Fallgestaltungen sei erwähnt, dass der BGH in einer Entscheidung vom 28.03.2007 (Az. IV
ZR 145/06, Rz. 9, VersR 2007, 1214 f.) lediglich die eingeschränkte Dynamisierung nach § 80 S. 2 VBLS a.F.
gebilligt hat, im Übrigen jedoch keine Aussagen zur Rechtmäßigkeit des § 80 VBLS n.F. gemacht hat.
IV.
47 Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
rechtfertigt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711, 108 ZPO.