Urteil des LG Karlsruhe vom 10.03.2006

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LG Karlsruhe Urteil vom 10.3.2006, 6 S 26/05
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst: Reichweite der Rechtskraft von Betriebsrenten betreffenden
Feststellungsurteilen
Leitsätze
Setzt sich die Anstalt über die Bindung vorangegangener rechtskräftiger Feststellungsurteile hinweg, so besteht
ein berechtigtes Interesse des Versichterten an einer nochmaligen Tenorierung auch für den be-reits von den
früheren Urteilen umfassten Zeitraum des Betriebsrentenbezugs.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 29.04.2005- AZ.: 2 C 50/04 - im
Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte bei der Berechnung der Betriebsrente des Klägers verpflichtet ist, über die
gewährte Versorgungsrente hinaus auch nach dem 01. Juli 2002 weitere EUR 107,25/brutto monatlich im Voraus
als Schadensersatz entsprechend dem Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 14.3.2003 - 2 C 24/02 - zu zahlen,
nebst jeweils 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB hieraus jeweils monatlich seit dem 01.07.2002 bis zum
05.09.2005.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 4/5 und der Kläger 1/5.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
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Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Zu Unrecht hat
das Amtsgericht die Klage vollumfänglich abgewiesen. Wegen des Parteivorbringens in erster Instanz und den
dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
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Der Kläger hat einen Anspruch auf Fortzahlung einer Versorgungsrente über den 01.07.2002 hinaus unter
Berücksichtigung des im Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 14.3.2003 - 2 C 24/02 - ausgeurteilten
Schadensersatzes über die gewährte Versorgungsrente von weiteren EUR 107,25 monatlich im Voraus. Die
Beklagte war nicht befugt, unter Missachtung der Urteile des Amtsgerichts Karlsruhe vom 14.3.2003 - 2 C
24/02 - und des Landgerichts Karlsruhe vom 30.01.2004 - 6 S 10/03 - einseitig zu Lasten des Klägers die
Versorgungsrente ab dem 01.07.2002 neu zu berechnen und den ausgeurteilten Schadensersatz zu streichen.
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1. Soweit der Kläger mit seinen Anträgen lediglich ein einzelnes Berechnungselement seines Rentenanspruchs
angreift, ist die Prüfung hierauf zu beschränken, soweit keine offensichtlichen Fehler in den Mitteilungen der
Beklagten erkennbar sind. Es wäre prozesswirtschaftlich nicht sinnvoll, bei schwierigen Rentenberechnungen
den Rechtsstreit mit einem zusätzlichen Zahlenwerk zu belasten, an dessen gerichtlicher Klärung die Parteien
nicht interessiert sind (vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom, 16. Dezember 2004, Az.: 12 U 134/04 unter
Hinweis auf BAG DB 1984, 2518 unter I ).
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2. Der Kläger bezieht seit dem 01.06.2001 von der Beklagten eine Versorgungsrente für Versicherte in Höhe
von brutto 584,01, seit dem 01.07.2001 in Höhe von brutto EUR 560,33 (vgl. beigezogene Akte des
Amtsgerichts Karlsruhe - 2 C 24/02 - AS. 61, hier: AS 77 und 81). Die Beklagte hat durch Mitteilung vom
23.08.2002 (II 65) dem Kläger diese Versorgungsrente auch nach der Neuordnung der Zusatzversorgung
weiterhin gewährt und diese Versorgungsrente von brutto EUR 560,33 entsprechend den neuen
Satzungsbestimmungen mit 1 v.H. dynamisiert auf (brutto) EUR 565,93 (II 65 - vgl. §§ 75 Abs. 1, 39 VBLS
n.F.). Dies ist nicht zu beanstanden. Einwendungen hierzu werden nicht vorgetragen und sind auch nicht
ersichtlich.
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3. Fehlerhaft gewährt die Beklagte jedoch seit dem 01.07.2002 über die Versorgungsrente hinaus nicht mehr
den in den Urteilen des Amtsgerichts Karlsruhe vom 14.3.2003 - 2 C 24/02 - und des Landgerichts Karlsruhe
vom 30.01.2004 - 6 S 10/03 - ausgeurteilten Schadensersatz von weiteren EUR 107,25 brutto monatlich im
Voraus.
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a. Das Amtsgericht Karlsruhe hat durch Urteil vom 14.3.2003 - 2 C 24/02 - festgestellt, dass die Beklagte
verpflichtet ist, an den Kläger eine über die derzeitige Versorgungsrente von EUR 584,01 (sic!) hinausgehende
Zahlung von EUR 107,25 monatlich im Voraus, erstmals ab dem 01.02.2002 zu zahlen, längstens bis zu dem
Zeitpunkt, zu dem sich die Versorgungsrente wegen einer aufgrund der Satzung der Beklagten
durchzuführenden Rentenanpassung oder Rentenneuberechnung ändert. Die Berufung der Beklagten wurde
durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.01.2004 - 6 S 10/03 - zurückgewiesen. Entsprechend diesen
Urteilen hat die Beklagte mit Mitteilung vom 17.03.2004 (I 37) Nachzahlungen bis zum 30.06.2002 geleistet.
Diese Mittelung wird insoweit nicht angegriffen.
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b. Fehlerhaft geht die Beklagte jedoch in dieser Mittelung vom 17.03.2004 davon aus, nach dem Urteil des
Amtsgerichts ab dem 01.07.2002 den Schadensersatz nicht mehr zahlen zu müssen.
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aa. Das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 14.03.2003 - 2 C 24/02 - enthält keine zeitliche Befristung
dahingehend, dass die Beklagte berechtigt wäre ab dem 01.07.2002 die Verpflichtung zur Zahlung von
Schadensersatz insgesamt in Zweifel zu ziehen.
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Das Amtsgericht hat in seinem Urteil zu dem ausgeurteilten Schadensersatz tenoriert, dass die Beklagte zur
Zahlung verpflichtet ist, „längstens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Versorgungsrente wegen einer
aufgrund der Satzung der Beklagten durchzuführenden Rentenanpassung oder Rentenneuberechnung ändert“.
In den Entscheidungsgründen führt das Amtsgericht hierzu aus, dass ab dem Zeitpunkt der Rentenanpassung
oder Rentenberechnung von einem Differenzbetrag in anderer Höhe auszugehen ist, der möglicherweise höher
oder niedriger ausfallen kann. Insoweit sei die Beklagte nicht auf den Weg der Abänderungsklage zu verweisen
(vgl. Urteil Seite 7). Demzufolge hat das Amtsgericht lediglich eine Anpassung in der Höhe durch die Beklagte
gestattet, wenn die Voraussetzungen einer Rentenanpassung oder Rentenneuberechnung vorliegen. Eine
zeitliche Befristung des Schadensersatzanspruch bis zum Zeitpunkt einer Rentenanpassung oder
Rentenneuberechnung ergibt sich daraus gerade nicht. Bei der erneuten Prüfung von Rentenmiteilungen der
Beklagten ist das erkennende Gericht wegen der Rechtskraft der vorangegangenen Gerichtsurteile hinsichtlich
der jeweils maßgeblich mit zu entscheidenden Vorfrage - der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von
Schadensersatz wegen fehlerhafter Auskunft - gebunden (vgl. zur Bindung einer rechtskräftig entschiedenen
Vorfrage BGH NJW 1993, 3204, 3205; BGH NJW - RR 1987, 642; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Auflage, Rn 24
und 28 vor § 322 m.w.N.). Auf die Frage, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs des Klägers auf
Schadensersatz überhaupt vorliegen, oder ob die Vorgerichte die Höhe des Schadensersatzes unter
Berücksichtigung neuerer obergerichtlicher Rechtssprechung richtig berechnet haben kommt es daher nicht
(mehr) an.
10 bb. Die im amtsgerichtlichen Urteil vom 14.3.2003 ausgeurteilte Befugnis der Beklagten zur Änderung der
Berechnung des zu leistenden Schadensersatzes umfasst inhaltlich nur Änderungen im Rahmen von
Neuberechnungen oder Anpassungen, d.h. hinsichtlich der Höhe besteht eine Änderungsbefugnis durch die
Beklagte nur in dem Umfang, wie eine Rentenneuberechnung oder Rentenanpassung erfolgt. Eine Anpassung
nach § 39 VBLS n.F. zum 01.07.2002 umfasste deshalb nur die Erhöhung der Versorgungsrente von 1 % (§ 39
VBLS n.F.), wie sie mit der Mitteilung vom 23.08.2002 auch vorgenommen wurde.
11 i) Nach § 56 VBLS a.F. wurden Versorgungsrenten nach Maßgabe der Veränderungen bei der
Beamtenversorgung des Bundes angepasst. Diese Anpassung kann zu einer Erhöhung, aber auch zu einer
Verminderung der Versorgungsrente führen. Diese Satzungsregelung wurde mit der 40. Satzungsänderung vom
20.12.2001 mit Wirkung vom 01.01.2001 gestrichen.
12 Nach § 55 a VBLS a.F. war die Versorgungsrente bei Änderung der Rentenbezüge oder einem neuen
Versicherungsfall neu zu berechnen.
13 Dass die Voraussetzungen der §§ 55 a , 56 VBLS a.F. bei dem Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem
30.06.2002 vorlagen, wird von der Beklagten nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.
14 ii) Nach § 40 Abs. 1 VBLS n.F. ist eine Betriebsrente neu zu berechnen, wenn beim Betriebsrentenberechtigten
ein neuer Versicherungsfall eintritt und seit dem Beginn der Betriebsrente aufgrund des früheren
Versicherungsfalls zusätzliche Versorgungspunkte zu berücksichtigen sind. Nach § 40 Abs. 3 VBLS n.F. wird
die Betriebsrente neu berechnet bei Änderung der Erwerbsminderung, und nach § 40 Abs. 5 VBLS n.F. bei
Umwandlung der Witwerrente. Keine dieser Neuberechnungsfälle liegt hier vor.
15 iii) Nach § 39 VBLS n.F. wird die Betriebsrente jeweils zum 01. Juli um 1 v.H. ihres Betrages erhöht. Mit
Mitteilung vom 23.08.2002 wurde diese Anpassung vorgenommen. Bei dieser Art der „Anpassung“ (vgl.
Überschrift der Regelung) spielt - anders als gemäß § 56 VBLS a.F. im Kontext des alten
Gesamtversorgungssystems - die u.U. geänderte Höhe der gesetzlichen Rente keine Rolle mehr. Da das
Amtsgericht im Ausgangsprozess 2 C 24/02 den Schadensersatzbetrag im Tenor in absoluter Höhe benannte
(statt beispielsweise bloß seine Berechnungsweise über den Nettoversorgungssatz vorzugeben: 89,93 % statt
75,55 %, vgl. Akte 2 C 24/02, AS 73), musste es die naheliegende Änderung der gesetzlichen Rente in
Betracht ziehen und im Tenor berücksichtigen. Mit der Abschaffung des § 56 VBLS a.F. ist diese Schwierigkeit
entfallen; bei der stetigen Dynamisierung nach § 39 VBLS n.F. tritt sie nicht auf. Demnach ist eine Anpassung
im Sinne des § 39 VBLS n.F. keine „Rentenanpassung“ im Sinne des Tenors des Ausgangsverfahrens.
16 Andere Anpassungen oder Neuberechnungen sind nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich. Die Beklagte war
deshalb unter Berücksichtigung des amtsgerichtlichen Urteils nicht zu einer Streichung des ausgeurteilten
Schadensersatzes berechtigt.
17 4. Einer (erneuten) Bestätigung des Urteils des Amtsgerichts vom 14.3.2003 steht auch nicht die Rechtskraft
vorangegangener Urteile entgegen.
18 Streitgegenstand des hiesigen Verfahrens ist die abändernde Mitteilung der Beklagten vom 17.03.2004. Wie
oben bereits ausgeführt, hat das erkennende Gericht im Zweitprozess bei dem als Vorfrage erneut zu
prüfenden Streitgegenstand des rechtskräftig entschiedenen Erstprozesses den Inhalt der rechtskräftigen
Entscheidung seinem Urteil zugrunde zu legen (vgl. oben I 3 b) aa)). Streitgegenstand im Vorprozess war der
Schadensersatzanspruch des Klägers wegen fehlerhafter Auskunft durch die Beklagte. Sofern mit dem
Amtsgericht davon ausgegangen werden kann, dass die Urteile des Erstprozesses bis zum 30.06.2004
Rechtskraft entfalten, ist das erkennende Gericht dennoch an einer nochmaligen Entscheidung nicht gehindert,
da die Beklagte den Umfang ihrer Bindung aus den Urteilen des Erstprozesses verkennt, wie aus der Mitteilung
vom 17.03.2004 - Abänderung eines Schadensersatzanspruchs zum 01.07.2002 - ohne weiteres zu entnehmen
ist. Setzt sich die Beklagte durch ihre Mitteilung vom 17.03.2002 über eine Bindung der Feststellungsurteile
hinweg, wie sie das Amtsgericht (befristet) bis zum 30.06.2004 annimmt, so besteht ein berechtigtes Interesse
des Klägers an einer nochmaligen Tenorierung auch für den Zeitraum ab dem 01.07.2002 (vgl. für den Streit
über die Tragweite einer zu Zweifeln Anlass gebenden Urteilsformel BGHZ 36,11, 14; NJW 1972, 2268; NJW
1985, 1711; Zöller/Vollkommer aaO, Rn 20 a vor § 322).
19 5. Der Zinsanspruch des Klägers hinsichtlich des nicht monatlich im Voraus gewährten Betrages von EUR
107,25 rechtfertigt sich für den beantragten Zeitraum vom 01.07.2002 bis zum 05.09.2005 aus §§ 286, 288
BGB.
20 6. Aus oben dargelegten Gründen hat die Berufung des Klägers daher in der Hauptsache im Umfang des
monatlichen Schadensersatzbetrags von EUR 107,25 Erfolg.
21 Keinen Erfolg hat die Klage und die Berufung insoweit, als der Kläger über die EUR 107,25 weitere EUR 23,68
als Schadensersatzbetrag geltend machen will (Der Kläger macht nämlich als monatlichen Bruttozahlbetrag
geltend: EUR 691,26 = EUR 584,01 + EUR 107,25 = EUR 560,33 + EUR 23,68 + EUR 107,25). Diese Differenz
beruht darauf, dass auch im Tenor Ziff. 2 des Ausgangsprozesses die seinerzeit gezahlte Rentenhöhe falsch
mitgeteilt worden ist (EUR 584,01 statt EUR 560,33). Diese Mitteilung der Höhe der Zusatzrente erfolgte
ersichtlich aber nur nachrichtlich und nahm daher nicht an der Rechtskraft des Urteils teil. Das Gericht hat den
Anträgen des Klägers, an die es bei seiner Entscheidung nur inhaltlich, aber nicht wortwörtlich gebunden ist, im
Ergebnis im berechtigten Umfang entsprochen.
II.
22 Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO; der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus
§§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
23 Die Revision war nicht zuzulassen. Ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 ZPO lag nicht vor.