Urteil des LG Freiburg vom 19.03.2003
LG Freiburg: wohnung, ruhe, zusammenleben, musik, spiel, anschlussbeschwerde, persönlichkeit, gebäude, grundrecht, erholung
LG Freiburg Beschluß vom 19.3.2003, 4 T 20/03
Wohnungseigentum: Beschränkung der Musikausübung eines Schlagzeugers
Leitsätze
In einer Wohnungseigentumsanlage mit 2 Einheiten ist die Musikausübung eines Schlagzeugers auf täglich 2 Stunden, aufgeteilt auf je eine Stunde
vormittags bzw. nachmittags, beschränkt.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten Ziffer 1 sowie die Anschlussbeschwerde des Beteiligten Ziffer 3 wird der Beschluss des Amtsgerichts
Staufen wie folgt geändert:
1. Der Beteiligte Ziffer 3 hat es zu unterlassen, in seiner Wohnung, F. 37 in B. Schlagzeug zu spielen
a) Montag bis Freitag zwischen 20.00 Uhr und 9.00 Uhr
b) Montag bis Freitag zwischen 13.00 Uhr und 15.00 Uhr
c) Samstags, Sonntags und Feiertags ganz.
2. Von Montag bis Freitag einer Woche - mit Ausnahme von Feiertagen - darf der Beteiligte Ziffer 3 nicht länger als 2 Stunden pro Tag, davon 1
Stunde vormittags, d.h. vor 13.00 Uhr und 1 Stunde nachmittags, d. vh. ab 15.00 Uhr spielen.
3. Dem Beteiligten Ziffer 1 wird für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1 und 2 der Beschlussformel ein Ordnungsgeld
in Höhe von bis zu 20.000,-- EUR, für den Fall der Uneinbringlichkeit Ordnungshaft bis zu 2 Monaten angedroht.
Die weitergehenden Rechtsmittel werden zurückgewiesen.
2. Die Gerichtskosten haben der Beteiligte Ziffer 1 und der Beteiligte Ziffer 3 je ½ zu tragen. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf EUR 5.000,00 festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten sind Wohnungseigentümer einer Anlage, die aus zwei Wohnungen besteht. Sie streiten über die Befugnis des Beteiligten Ziffer 3,
in der Wohnung Schlagzeug zu spielen.
2
Die Antragsteller tragen vor, der Beteiligte Ziffer 3 spiele zu unterschiedlichsten Tageszeiten zwischen 9.00 Uhr und 22.30 Uhr, manchmal sogar
bis spät in die Nacht, Schlagzeug, teilweise mit Musikbegleitung. Das Spiel verursache ohrenbetäubenden Lärm, welcher das ganze familiäre
Zusammenleben störe und ein normales Leben in der Wohnung nicht mehr ermögliche.
3
Der Beteiligte Ziffer 1 trägt vor, da er ausschließlich nachts in einem Sicherheitsdienst arbeite, sei er auf morgendliche Ruhe besonders
angewiesen. Diese werde durch die Musikausübung seitens des Beteiligten Ziffer 3 gestört. Selbst Oropax helfe nicht, da die Vibration des
Basses im ganzen Körper zu spüren sei.
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Demgegenüber trägt der Antragsgegner vor, er sei Berufsmusiker. Durch die Arbeitszeitgestaltung seiner Berufstätigkeit könne er - außerhalb der
Ferien - nur morgens üben.
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Mit der angefochtenen Entscheidung, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht dem Antrag des Antragstellers teilweise
stattgegeben. Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde des Beteiligten Ziffer 1, mit welcher er die erstinstanzlich
gestellten Anträge weiter verfolgt und sein Vorbringen vertieft. Der Beteiligte Ziffer 3 ist der sofortigen Beschwerde mit Ausführungen, auf welche
Bezug genommen wird, entgegengetreten und hat in einem weiteren Schriftsatz vom 06.03.2003 die Auffassung vertreten, dass es notwendig
sei, für die Schulferienzeiten eine andere Regelung zu finden, als im Beschluss des Amtsgericht Staufen festgelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
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Die Kammer hat die Beteiligten durch den beauftragten Richter mündlich angehört.
II.
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Die sofortige Beschwerde des Beteiligten Ziffer 1 sowie das Anschlussrechtsmittel des Beteiligten Ziffer 3 sind jeweils teilweise begründet.
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§ 14 Nr. 1 WEG bestimmt, dass jeder Wohnungseigentümer verpflichtet ist, von im Sondereigentum stehenden Gebäudeteilen sowie von dem
gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei
einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Das Musizieren innerhalb der eigenen Wohnung ist
Bestandteil eines sozial üblichen Verhaltens und Element der Zweckbestimmung einer Wohnanlage. Es darf zwar auf bestimmte Zeiten und
einen bestimmten Umfang beschränkt, nicht jedoch insgesamt verboten werden. In welchem Umfang danach die Ausübung von Musik verboten
ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Handelt es sich z.B. um eine Anlage mit älteren ruhebedürftigen Personen
(Seniorenwohnanlage), wird ein größeres Maß an Rücksichtnahme seitens der musizierenden Bewohner erwartet, als dies bei einer
Wohnungseigentümergemeinschaft mit überwiegend jüngeren Mitgliedern der Fall ist. Weitere zu berücksichtigende Gesichtspunkte sind die
baulichen Gegebenheiten, z.B. Abstand der einzelnen Wohnungen zueinander, Hellhörigkeit im Gebäude, Vorhandensein von
Schallschutzmaßnahmen, der Pegel der Umgebungsgeräusche sowie die Art des Musizierens (BGHZ 139, 289). Ein generelles Verbot der
Musikausübung, wie vom Beteiligten Ziffer 1 gewünscht, ist demnach nicht rechtens (vgl. auch BayObLG NJW-RR 1986, 500, 501). Sind bei
Musizieren mit Instrumenten trotz schalldämmender Maßnahmen Geräuschbelästigungen in benachbarten Wohnungen nicht völlig
auszuschließen, steht das Interesse des einen Wohnungsinhabers an der Musikausübung dem des anderen an ungestörter Ruhe gegenüber.
Erforderlich ist demnach eine Abwägung der beteiligten Interessen im Einzelfall. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die
Ausübung von Musik einen wesentlichen Teil des Lebensinhaltes bilden und von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude sein kann und
dass das Musizieren in der eigenen Wohnung zum Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu rechnen ist. Andererseits muss beachtet
werden, dass die eigene Wohnung die Möglichkeit zum Leben mit der Familie, zur Entspannung und Erholung und zur häuslichen Arbeit
eröffnen, mithin auch die jeweils notwendige, von Umweltgeräuschen möglichst ungestörte Ruhe bieten soll. Auch das darauf gerichtete
Interesse darf nicht gering veranschlagt und nicht demjenigen an der Ausübung von Hausmusik von vornherein untergeordnet werden
(BayObLG aaO).
10 Demgegenüber darf bei der Gewichtung der beteiligten Interessen nicht auf die besonderen individuellen Verhältnisse der jeweiligen Bewohner
abgestellt werden. Vielmehr kommt es auf die dargestellten objektiven, aus den Eigenschaften der Wohnungseigentumsanlage resultierenden
Besonderheiten des Einzelfalles an. Andernfalls würde die Sicherheit und die Vorausberechenbarkeit in den Rechtsbeziehungen der
Wohnungseigentümer untereinander in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt. Deswegen ist vorliegend nicht von Bedeutung, dass der
Beteiligte Ziffer 3 vorträgt, als Berufsmusiker auf die von ihm beanspruchten Übungsstunden angewiesen zu sein (vgl. BayObLGZ 1985, 104).
11 Dem korrespondiert, dass das besondere, tagsüber gegebene Ruhebedürfnis des Beteiligten Ziffer 1 für das Verhältnis der
Wohnungseigentümer untereinander nicht von wesentlicher Bedeutung ist. Dies schon deshalb, weil auch die weiteren Beteiligten zur Nutzung
des Sonder- und Gemeinschaftseigentums berechtigt sind, ohne durch die besonderen Wünsche und Empfindlichkeiten der Beteiligten Ziffer 1
und 3 gehindert zu sein. In derselben Weise ist auch die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit des Beteiligten Ziffer 1 zu bewerten und zu
gewichten.
12 Allerdings ist die Kammer der Auffassung, dass sich die von einem Schlagzeug ausgehende, nach den zutreffenden Darlegungen des
12 Allerdings ist die Kammer der Auffassung, dass sich die von einem Schlagzeug ausgehende, nach den zutreffenden Darlegungen des
Beteiligten Ziffer 3 gerichtsbekannte Geräuschentwicklung von musikalischen Darbietungen anderer Art durchaus in rechtserheblicher Weise
unterscheidet; dies nicht nur hinsichtlich der Lautstärke, sondern auch der besonderen Art der sich in den Wänden eines Hauses fortsetzenden
Rhythmik. Der Antragsteller Ziffer 3 hat das von ihm benutzte Schlagzeug glaubhaft beschrieben. Hiervon gehen Auswirkungen aus, die nicht
vergleichbar sind mit beispielsweise dem Spiel eines Klaviers oder von Saiteninstrumenten. Unter Berücksichtigung des unstreitigen Umstandes,
dass das von den Beteiligten Ziffer 1 bis 4 bewohnte Haus relativ schlecht schallisoliert ist, hält die Kammer eine ansonsten tolerierte maximale
Dauer von 3 Stunden täglichen Musizierens nicht für zumutbar. Die von den Beteiligten Ziffer 3 und 4 an die Rechtsvorgänger der Beteiligten
Ziffer 1 und 2 übergebene Information zu Übezeiten Schlagzeug/Hausmusik, die ohnehin, wie sich herausgestellt hat, keine Vereinbarung der
damaligen Beteiligten wiedergibt und abgesehen hiervon nicht bindend wäre (vgl. § 10 Abs. 2 WEG) und die auch nicht einen vorherigen
Beschluss sämtlicher Wohnungseigentümer wiedergibt, wird den berechtigten Interesse der Beteiligten Ziffer 1 und 2 sowie auch 4 an der
Abwehr von Geräuschimmissionen nicht gerecht. Die Kammer vertritt vielmehr die Auffassung, dass lediglich pro Tag ein insgesamt
zweistündiges Musizieren mit Schlagzeug zumutbar ist. Wegen der besonderen Intensität der Geräuscheinwirkung ist das Musizieren jeweils zu
1/2 auf die Tageshälften zu verteilen. Dies gilt, wie vom Amtsgericht angeordnet, für Werktage ohne Samstage. Für Samstage und Sonntage
nimmt auch der Beteiligte Ziffer 3 keine Rechte auf Musikausübung in Anspruch.
13 2. Der Beteiligte Ziffer 3 hat zwar bei der mündlichen Anhörung durch den beauftragten Richter lediglich die Zurückweisung der sofortigen
Beschwerde des Beteiligten Ziffer 1 beantragt. Schriftsätzlich hat er jedoch am 06.03.2003 dargelegt, dass es erforderlich sei, für die
Schulferienzeiten eine andere Regelung zu finden. Dies stellt eine im Wohnungseigentumsverfahren statthafte Anschlussbeschwerde dar. Eines
förmlichen Antrages bedarf es hierzu nicht (vgl. auch BGHZ 95, 118, 124 f). Die Anschlussrechtsbeschwerde hat aus den dargelegten Gründen
Erfolg. Eine Unterscheidung zwischen Schulferienzeiten und anderen Zeiten ist, da es auf die besonderen persönlichen Verhältnisse der
Beteiligten Ziffer 1 und 3 nicht wesentlich ankommt, nicht gerechtfertigt. Vielmehr hat es auch insoweit bei der allgemeinen, im einzelnen
dargestellten Regelung zu verbleiben.
14 3. Die Entscheidung beruht im übrigen auf den §§ 890 Abs. 2 ZPO, 47 WEG.