Urteil des LG Freiburg vom 11.02.2005
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LG Freiburg Urteil vom 11.2.2005, 2 O 451/04
Wohnungseigentumsanlage: Abwehranspruch gegen die Nutzung vermieteter Gewerbeeinheit als kirchliche Versammlungsstätte
Leitsätze
Mit der Zweckbestimmung eines Teileigentums als "gewerbliche Nutzung jeder Art" ist es nicht vereinbar, dieses Teileigentum als
Versammlungsstätte und Gebetsraum zu nutzen, wenn dabei an Sonn- und Feiertagen Gottesdienste mit Gesang und Musikbegleitung stattfinden
und auch unter der Woche am Feierabend Senioren und Jugendtreffs mit Liedersingen abgehalten werden.
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Räume der vom Treppenhaus aus gesehen geradeaus befindlichen Raumeinheit im 2. OG des
Anwesens H. in W. sowie den Kellerraum im Kellergeschoss direkt unterhalb des Hauseingangs zu Versammlungszwecken, insbesondere als
kirchliche Versammlungsstätte, als Versammlungsräume für Kinder und Jugendliche oder für Musikveranstaltungen sowie als Proberäume zu
nutzen.
2. Dem Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von EUR 250.000,00, ersatzweise
Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen am Vorstand, festgesetzt wird.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte erhält Vollstreckungsschutz. Er kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,00 EUR abwenden.
5. Der Streitwert wird festgesetzt auf 15.000,00 EUR.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren von dem beklagten Verein die Unterlassung der Nutzung der von diesem angemieteten Räumlichkeiten zu kirchlichen
Versammlungen und Gottesdiensten, hilfsweise das Unterlassen der Öffnung der Lichtkuppeln während der Veranstaltung.
2
Die Kläger sind Eigentümer einer Wohnung im 3. OG des Anwesens H. in W.
3
Der Beklagte ist Mieter von Räumlichkeiten im 2. OG sowie von Kellerräumen desselben Anwesens. Die Räume der Kläger sind in § 2 der
Teilungserklärung als Wohnraum ausgewiesen, die von dem Beklagten genutzten Räume im 2. OG als Büroflächen und der Kellerraum als
solcher. § 4 enthält darüber hinaus die Pflicht der Eigentümer, die uneingeschränkte gewerblichen Nutzung jeder Art mit Ausnahme von
Bankgeschäften zu dulden. Aufgrund dieser Regelung wurde in Abteilung 2 des Grundbuchs eine entsprechende Grunddienstbarkeit
eingetragen.
4
Der Beklagte nutzt die ihm vermieteten Räume als kirchliche Versammlungsstätte und Gebetsraum. U.a. versammeln sich die Mitglieder jeden
Sonntagvormittag zwischen ca. 9.15 Uhr und 12.30 Uhr, wobei zwischen 9.30 Uhr und 11.00 Uhr ein Gottesdienst stattfindet. Während der
Veranstaltungen, die auch an Feiertagen stattfinden, werden die Lieder mit Musikbegleitung durch Gitarre und Keyboards untermalt. Zusätzlich
werden die Räumlichkeiten von der Gemeinde auch für Veranstaltungen der Senioren- und Jugendkreise und einmal monatlich abends für
Veranstaltungen mit Liedersingen genutzt. Während des Gottesdienstes sind die Lichtkuppeln zum Lichthof, die sich in unmittelbarer Nähe zu
den Außenfenstern der klägerischen Wohnung befinden, geöffnet.
5
Die Kläger behaupten, ihr Ruhe- und Erholungsbedürfnis werde durch die Veranstaltungen des Beklagten gestört, namentlich dann, wenn diese
Sonntagvormittags oder abends stattfänden.
6
Die Kläger beantragen,
7
1 a): wie erkannt
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b): Hilfsweise: Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, für die Dauer der Veranstaltungen und Versammlungen in den Räumen
der vom Treppenhaus aus gesehen geradeaus befindlichen Raumeinheit im 2. OG des Anwesens H. in W. die Lichtkuppeln zu öffnen.
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2. Dem Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von EUR 250.000,00,
ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu vollziehen am Vorstand, festgesetzt wird.
10 Der Beklagte beantragt
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Klagabweisung und bittet um Vollstreckungsschutz.
12 Er trägt vor, die Nutzung der Räumlichkeiten laufe der Teilungserklärung nicht zuwider. § 4 sehe eine weitestgehende Nutzungsmöglichkeit vor.
Zu dieser Nutzungsmöglichkeit gehöre auch die Nutzung als kirchliche Versammlungsstätte.
13 Weiterhin handle es sich bei den Lärmentwicklungen um keine wesentlichen Beeinträchtigungen nach § 906 BGB. Diese Einschätzung werde
vom Landratsamt L. geteilt.
14 Wegen des weiteren Vortrages wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
15 Die Klage ist begründet. Der Anspruch der Kläger ergibt sich aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB.
16 Die Nutzung durch den beklagten Verein widerspricht der Teilungserklärung. Die Kläger haben deshalb einen eigenen Anspruch gegen den
Beklagten auf Unterlassung dieser Nutzung.
1.
17 Die Teilungserklärung sieht für die Räume des 2. OG eine Nutzung als Bürofläche (§ 2) vor, während sie für den Keller keine gesonderte
Nutzung ausweist. In § 4 der Teilungserklärung dulden die Eigentümer die uneingeschränkte gewerbliche Nutzung jeder Art mit Ausnahme von
Bankgeschäften.
18 Die so beschriebene Nutzungsmöglichkeit der Eigentumswohnung im 2. OG stellt eine einschränkende Zweckbestimmung mit
Vereinbarungscharakter i.S. der §§ 15 Abs. 1, 10 Abs. 2 WEG dar (Hanseatisches OLG Hamburg ZMR 2003 770; BayObLG, Beschluss vom 15.
Mai 2003, BayObLGR 2003 335; OLG Hamm, OLGR Hamm 1999, 181; Kammergericht Berlin OLGZ 1987, 406).
19 Die damit zum Ausdruck gekommene Möglichkeit der gewerblichen Nutzung ist dahin zu verstehen, dass eben nur eine gewerbliche Nutzung,
nicht aber auch anderweitige Nutzungen erlaubt sein sollen. Bei der Nutzung durch den Beklagten handelt es sich um eine anderweitige
Nutzung, die sich von einer gewerblichen Nutzung unterscheidet (BayObLG a.a.O.: In der Teilungserklärung war ein „Cafe mit Schnellimbiss“
vorgesehen, die Räume wurden aber als Versammlungsstätte eines ausländischen Kulturvereins mit genutzt).
20 Der Unterschied zwischen der gewerblichen Nutzung und der als kirchliche Versammlungsstätte liegt auf der Hand. Eine gewerbliche Nutzung
wird in aller Regel an den Werktagen stattfinden und dort innerhalb der üblichen Arbeitszeiten. Ausnahmen gibt es selbstverständlich, wie zum
Beispiel Tanzschulen oder Fitnessstudios. Aber, wie gesagt, handelt es sich dabei um Ausnahmen und darauf kann sich ein potentieller
Wohnungskäufer einstellen.
21 Anders liegt es, wenn eine Eigentumswohnung als kirchliche Versammlungsstätte genutzt wird. Hier ist in aller Regel damit zu rechnen, dass die
Kirchenmitglieder einen Sonntagsgottesdienst durchführen und sich auch unter der Woche treffen. Wie in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt,
nehmen an den Sonntagsgottesdiensten rund 100 Personen teil. Unstreitig finden auch an Feiertagen und abends Veranstaltungen in den
Räumen mit Gesang und Musikbegleitung statt.
22 Dies ist eine Nutzung, auf die sich ein Wohnungseigentümer auch dann nicht einzustellen braucht, wenn er in der Teilungserklärung eine
weitgehende gewerbliche Nutzung duldet.
2.
23 Die Kläger haben einen eigenen Anspruch auf Unterlassung gegen den Beklagten (OLG Karlsruhe NJW - RR 1994, 146 - 147).
24 Die Nutzung des zweiten Obergeschosses als Versammlungsraum ist mit Geräuschentwicklung verbunden. Es bedarf keiner Beweiserhebung
dazu, dass diese Immissionen die Kläger in ihrer Sonntags- und Feiertagsruhe stören. Das gleiche gilt von sonstigen Veranstaltungen in den
Abendstunden.
25 Der Beklagte kann sich nicht auf die Erkenntnisse des Landratsamtes Lörrach in dessen Schreiben vom 01.09.2003 berufen. Dort wurde eine
Bewertung der Lärmimmission anhand der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm vorgenommen (TA-Lärm). Diese geht von
Durchschnittswerten aus, die über einen gewissen Zeitraum hinweg gemessen werden. Die TA-Lärm kann zwar ein Anhaltspunkt dafür sein, ob
eine Störung anzunehmen ist oder nicht. Für den immissionsrechtlichen Unterlassungsanspruch können aber solche Messwerte nicht die
alleinentscheidende Rolle spielen. Eine Überschreitung der Richtwerte indiziert zwar eine wesentliche Beeinträchtigung, ihre Unterschreitung
zwingt aber im Einzelfall nicht zur Annahme, die Lärmimmission sei unwesentlich (BGHZ 121, 248 ff). Die Kläger werden besonders in ihrer
Sonntags-, Feiertags- und Feierabendruhe gestört. Diese Störungen sind, da hier sensible Zeiten betroffen sind, besonders lästig und werden
von jedem verständigen Durchschnittsmenschen (auf diesen stellt der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung ab) als störend
empfunden. Solche Störungen brauchen die Kläger nicht hinzunehmen.
26 Mit dem Argument, die von der kirchlichen Veranstaltung ausgehende Lärmemission sei nicht größer als die von Gewerbebetrieben ausgehende
Emission, kann der Beklagte nicht gehört werden.
27 Das OLG Karlsruhe hat hierzu nämlich entschieden: „Gestattet ein vermietender Wohnungseigentümer seinem Mieter eine von dem Inhalt der
Teilungserklärung abweichende, die anderen Wohnungseigentümer störende Nutzung, haben diese unmittelbar gegen den störenden Mieter
einen Abwehranspruch aus § 1004 BGB, ohne eine nach BGB § 906 nicht mehr hinzunehmende Überschreitung der Nutzung nachweisen zu
müssen“. Aus diesem Leitsatz ergibt sich, dass sich ein Eigentümer gegenüber einem Nutzer, der die Wohnung anders als in der
Teilungserklärung erlaubt nutzt, nicht auf die Diskussion einlassen muss, ob die beanstandete Nutzung nun über das übliche Maß hinausgeht
oder nicht. Damit ist zugleich gesagt, dass eine von der Teilungserklärung nicht zugelassene Nutzung nicht auf dem Umweg über den Vergleich
mit zugelassenen Nutzungen nun eben doch geduldet werden muss. Eine solche Argumentation würde auch dem eingangs beschriebenen, von
der ganz überwiegenden Rechtsprechung vertretenen Grundsatz zuwiderlaufen, wonach eine bestimmte Nutzungsbeschreibung in der
Teilungserklärung eben zugleich eine einschränkende Zweckbestimmung enthält.
3.
28 Dem Gericht ist die Entscheidung nicht leicht gefallen. Die Religionsausübung ist ein hohes, grundrechtlich geschütztes Gut. Der Beklagte erhält
Vollstreckungsschutz, damit er sich nach und nach auf die jetzt ausgesprochene Rechtslage einstellen kann.
29 Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709, 712 ZPO.