Urteil des LG Frankfurt am Main vom 13.03.2017

LG Frankfurt: anhörung, bewährung, vollstreckung, widerruf, verwaltungsrecht, quelle, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, haftbefehl, unterlassen

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Gericht:
LG Frankfurt 4.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5/4 Qs 62/07, 5-4
Qs 62/07, 5/04 Qs
62/07, 5-04 Qs
62/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 453 Abs 1 S 3 StPO
Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung wegen
Auflagen- oder Weisungsverstoß: Notwendige mündliche
Anhörung des Verurteilten
Tenor
In der Rechtssache ... werden
- der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 31.8.2007 – Az.: 941
AR 2/06 (vorm. AG Frankfurt am Main 940 Ds 5230 Js 210546/05) – und
- der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 31.8.2007 – Az.: 941
AR 18/05 (vorm. AG Darmstadt 213 Ds – 1480 Js 33127/03) – aufgehoben.
Beide Sachen werden zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht
Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen
der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Der Verurteilte wurde durch rechtskräftige Entscheidung des Amtsgerichts
Darmstadt vom 21.8.2003 – Az.: 941 AR 18/05 (vorm. AG Darmstadt 213 Ds –
1480 Js 33127/03) – wegen Diebstahls und Betruges zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten, deren Vollstreckung für 3 Jahre zur
Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Die Bewährungsaufsicht wurde vom
Amtsgericht Frankfurt am Main übernommen. Die Bewährungszeit dauert, nach
zwischenzeitlicher Verlängerung um ein Jahr, bis zum 20.8.2008.
Durch weitere rechtskräftige Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt am Main
vom 7.2.2006 – Az.: 941 AR 2/06 (vorm. AG Frankfurt am Main 940 Ds 5230 Js
210546/05) – wurde der Verurteilte wegen unerlaubten Erwerbs von
Betäubungsmitteln (Heroin) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten, deren
Vollstreckung für die Dauer von 3 Jahren ab Rechtskraft (7.2.2006) zur Bewährung
ausgesetzt wurde, verurteilt.
Am 11.7.2007 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main gegen
den Verurteilten ein Haftbefehl gemäß § 453 c StPO erlassen, der am 18.7.2007
vollstreckt wurde. Am 18.7.2007 wurde der Verurteilte im Bezug auf den
Sicherungshaftbefehl angehört. Die Anhörung wurde durch einen anderen Richter
durchgeführt, als jenem, der für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung
in den Verfahren 941 AR 2/06 und 941 AR 18/05 zuständig war. Der Verurteilte
befand sich danach durchgehend in der JVA Weiterstadt.
Mit zwei Beschlüssen, jeweils vom 31.8.2007, hat das Amtsgericht Frankfurt am
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Mit zwei Beschlüssen, jeweils vom 31.8.2007, hat das Amtsgericht Frankfurt am
Main die Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3
StGB sowohl im Verfahren 941 AR 2/06 als auch im Verfahren 941 AR 18/05 ohne
erneute mündliche Anhörung des Verurteilten widerrufen. Die Beschlüsse sind
dem Verurteilten am 5.9.2007 zugestellt worden. Mit Schriftsatz seines
Verteidigers vom 12.9.2007 hat der Verurteilte gegen beide Entscheidungen
sofortige Beschwerde eingelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt (§§ 453
Abs. 2, 304 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) und hat in der Sache Erfolg.
Die angefochtenen Entscheidungen leiden an einem im Beschwerderechtszug
nicht behebbaren Verfahrensmangel. Das Amtsgericht hat die Vorschrift des § 453
Abs. 1 StPO teilweise nicht beachtet.
Nach § 453 Abs. 1 S. 3 StPO soll das Gericht, wenn es über einen Widerruf der
Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu
entscheiden hat, dem Verurteilten zuvor Gelegenheit zur mündlichen Anhörung
geben. Die Ausgestaltung als Sollvorschrift eröffnet dem Gericht allerdings nur
dann die Möglichkeit, von der grundsätzlich zwingend gebotenen mündlichen
Anhörung abzusehen, wenn schwerwiegende Gründe für ein solches Verfahren
sprechen. Die gesetzliche Regelung ist deshalb so zu verstehen, dass das für die
Entscheidung über die Strafaussetzung berufene Gericht regelmäßig eine Pflicht
zur mündlichen Anhörung trifft und vom Mündlichkeitsprinzip nur im Ausnahmefall
bei Vorliegen besonderer Umstände abgesehen werden darf.
Das Amtsgericht hat zwar die Notwendigkeit der mündlichen Anhörung
grundsätzlich erkannt und dem Beschwerdeführer in beiden Verfahren mit
Schreiben jeweils vom 20.7.2007 Gelegenheit gegeben, innerhalb von zwei Wochen
eine mündliche Anhörung zu erbitten. Beide Schreiben wurden dem
Beschwerdeführer am 30.7.2007 zugestellt. Mit Schreiben vom 7.8.2007, mithin
innerhalb der Zweiwochenfrist, verlangte der Beschwerdeführer dann nach einem
mündlichen Anhörungstermin unter eindeutiger Angabe der Aktenzeichen beider
Verfahren. Der Verurteilte erklärte in dem Schreiben, dass ihm gerade die
mündliche Anhörung wichtig sei, um seine Situation darzustellen. Zudem bat er
um die Beiziehung eines Drogenberaters.
Die Widerrufsbeschlüsse in beiden Verfahren ergingen jedoch ohne Durchführung
einer mündlichen Anhörung am 31.8.2007.
Bei dieser Sachlage durfte das Amtsgericht nicht von der Durchführung einer
mündlichen Anhörung absehen. Der Verurteilte hat dem Gericht mitgeteilt, dass er
sich zu den ihm vorgeworfenen Verletzungen der Bewährungspflicht mündlich
äußern wolle, denn er hat um die Festsetzung eines Anhörungstermins gebeten.
Schwerwiegende Umstände, die es ermöglicht hätten, von der grundsätzlichen
mündlichen Anhörungspflicht abzusehen, sind nicht gegeben. Die Anhörung des
Verurteilten hätte z. B. unterbleiben können, wenn der Verurteilte untergetaucht
wäre oder wenn er aufgrund des Verstoßes gegen die Auflage, seinen Wohnsitz
mitzuteilen, trotz zumutbarer Nachforschungen nicht hätte aufgefunden werden
können oder wenn er auf mündliche Anhörung ausdrücklich verzichtet hätte.
Keiner dieser Gründe liegt vor. Insbesondere war der Verurteilte in der JVA W
erreichbar.
Eine weitere Sachaufklärung erscheint ebenfalls nicht als ausgeschlossen, insofern
der Verurteilte das Gericht darum bat, einen Drogenberater in die Anhörung mit
einzubeziehen. Dieser hätte möglicherweise verwertbare Auskünfte über die
Situation des Verurteilten geben können. Zudem hatte der Angeklagte
angekündigt, seine Situation in der Anhörung näher zu erläutern.
Von der mündlichen Anhörung konnte auch unter Beachtung der Anhörung, die
am 18.7.2007 im Rahmen der Vollstreckung des Sicherungshaftbefehls
durchgeführt wurde, nicht abgesehen werden. Zum einen wurde die Anhörung
durch einen anderen als den für den Bewährungswiderruf zuständigen Richter
durchgeführt. Dieses ersetzt nicht die unmittelbar mündliche Anhörung durch den
zuständigen Richter. Des weiteren wurde bei dem Verurteilten durch die Mitteilung
vom 20.7.2007 ein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass er
hinsichtlich des Widerrufs der beiden Strafaussetzungen zur Bewährung vor Erlaß
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hinsichtlich des Widerrufs der beiden Strafaussetzungen zur Bewährung vor Erlaß
der Widerrufsbeschlüsse angehört werden würde. Würde man die Anhörung vom
18.7.2007 genügen lassen wollen, durfte man keine Gelegenheit zur erneuten
Anhörung geben. Damit wird dem Verurteilten die Möglichkeit abgeschnitten, sich
zumindest schriftlich zu äußern, da er dieses im Vertrauen auf die mündliche
Anhörung unterlassen wird. Schließlich hat die Anhörung im Rahmen der
Vollstreckung des Sicherungshaftbefehls auch eine andere Zielrichtung als jene,
die wegen des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung durchgeführt wird.
Erstere Anhörung dient der Gewährung rechtlichen Gehörs hinsichtlich einer
vorläufigen Sicherungsmaßnahme, letztere der mündlichen Erörterung im Rahmen
des endgültigen Widerrufs der Bewährung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.