Urteil des LG Düsseldorf vom 30.05.2008

LG Düsseldorf: kündigung, eintritt des versicherungsfalles, androhung, versicherungsnehmer, vollstreckung, auflage, rechtsschutzversicherung, abrechnung, vergleich, erbrecht

Landgericht Düsseldorf, 22 S 504/07
Datum:
30.05.2008
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
22 Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 S 504/07
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 31. Oktober 2007 verkündete
Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf – Az.: 22 C 9676/07 – wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe:
1
I.
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Der Kläger ist bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Der von ihm abgeschlossene
Rechtsschutzversicherungsvertrag erstreckt sich auch auf arbeitsrechtliche
Auseinandersetzungen.
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Mitte November 2006 hatte die damalige Arbeitgeberin des Klägers, die Firma xxx xxx
GmbH mit Sitz in Solingen, dem Kläger mitgeteilt, dass sie die unternehmerische
Entscheidung getroffen habe, einen Betriebsteil, nämlich die Distribution, zu schließen
mit der Folge, dass sein Arbeitsplatz ersatzlos entfalle und auch eine
Weiterbeschäftigung auf einem anderen adäquaten Arbeitsplatz nicht möglich sei.
Gleichzeitig hatte sie dem Kläger das Angebot auf Abschluss eines
Aufhebungsvertrages unterbreitet und angekündigt, für den Fall der Nichtannahme
dieses Vertragsangebotes eine betriebsbedingte Kündigung auszusprechen. Dies hatte
der Kläger zum Anlass genommen, seine jetzigen Prozessbevollmächtigten zu
beauftragen.
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In der Zeit zwischen Mitte November und Mitte Januar 2007 führte der Kläger in dieser
Angelegenheit mit seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten verschiedene
Beratungsgespräche und übersandte ihnen Ende Januar 2007 den Entwurf des
Aufhebungsvertrages, den er zwischenzeitlich von seinem damaligen Arbeitgeber
erhalten hatte.
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Am 13. Februar 2007 kam es zum Abschluss des Aufhebungsvertrages. Aus dessen
Ziffer 1 ergibt sich, dass das Anstellungsverhältnis zur Vermeidung einer
arbeitgeberseitigen, betriebsbedingten Kündigung beendet wird.
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In der Folgzeit baten die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers die Beklagte um
Erteilung der Kostendeckungszusage und erteilten dem Kläger gleichzeitig eine
Abrechnung über die von ihnen erbrachten Tätigkeiten in Höhe von 2.789,36 €. Diese
Abrechnung leiteten sie der Beklagte zu und forderten sie vergeblich auf, die
entstandenen Rechtsanwaltskosten zu übernehmen.
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Die Parteien streiten darüber, ob ein Versicherungsfall im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c)
ARB eingetreten ist. Zwischen ihnen besteht insbesondere Streit über die Frage, ob
bereits in der Ankündigung einer betriebsbedingten Kündigung ein den
Versicherungsfall auslösenden Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften
liegt.
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Mit seiner beim Amtsgericht Düsseldorf am 25. Juli 2007 eingegangenen Klage verlangt
der Kläger Freistellung von den entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von
2.789,36 € nebst Zinsen.
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Das Amtsgericht Düsseldorf hat mit am 31. Oktober 2007 verkündetem Urteil – Az.: 22 C
9676/07 –, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
ZPO Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
es fehle an einem Versicherungsfall im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c) ARB. Erst der
Ausspruch nicht aber bereits die Ankündigung einer betriebsbedingten Kündigung
begründe den Eintritt des Versicherungsfalles. Dagegen richtet sich die Berufung des
Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt.
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Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor, das Amtsgericht habe zu Unrecht
den Eintritt eines Versicherungsfalls nach § 4 Abs. 1 lit. c) ARB verneint. Bereits die
Ankündigung einer betriebsbedingten Kündigung stelle einen Rechtsverstoß dar.
Bereits durch die Tatsache, unter keinen Umständen mehr an dem Vertragsverhältnis
festhalten zu wollen, verwirkliche sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene
Gefahr. Bereits zu diesem Zeitpunkt bestehe anwaltlicher Beratungsbedarf, weil ein
anschließender Rechtsstreit vorprogrammiert sei.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts
Düsseldorf zu verurteilen, ihn in Höhe eines Betrages von 2.789,36 € nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Mai 2007
freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
15
Die Beklagte ist der Ansicht, ein Versicherungsfall im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c) ARB
werde durch die Ankündigung einer betriebsbedingten Kündigung noch nicht begründet.
Hierzu macht sie weitere Ausführungen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsverfahrens wird auf die eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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II.
18
Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und formell
ordnungsgemäß begründet, § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.
19
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor, das Amtsgericht habe zu Unrecht
den Eintritt eines Versicherungsfalls nach § 4 Abs. 1 c ARB verneint. Unzweifelhaft trete
im Bereich des Arbeitsrechts ein Versicherungsfall ein, wenn der betroffene
Arbeitnehmer eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses erhalten habe. Vorliegend habe
er eine Kündigung zwar noch nicht in den Händen gehalten, der Arbeitgeber habe aber
unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass das Arbeitsverhältnis beendet werden
müsse. Auch ein solches Verhalten stelle nach der überzeugenden Rechtsprechung
des Saarländischen Oberlandesgerichts (Urteil vom 19. Juli 2006, Az.: 5 U 719/05,
veröffentlicht in NJW 2006, 3730) einen Rechtsschutzfall auslösenden Verstoß dar.
Insoweit beziehe sich das Saarländische Oberlandesgericht zutreffend auf die
Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 28. September 2005, Az.: IV ZR 106/04.
Mit dem Bundesgerichtshof sei davon auszugehen, dass in einem solchen Fall der
Rechtsstreit jedenfalls latent vorhanden und damit gewissermaßen bereits
vorprogrammiert sei. Hierzu macht er weitere Ausführungen.
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Mit diesem Vorbringen rügt der Kläger eine Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO,
die – träfe sie zu – entscheidungserheblich wäre. Eine zulässige Berufungsbegründung
gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO liegt damit vor.
21
III.
22
Die Berufung hat keinen Erfolg.
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Dem Kläger steht der mit vorliegender Klage geltend gemachte Freistellungsanspruch
gegen die Beklagte aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen
Rechtsschutzversicherungsvertrag nicht zu.
24
1.
25
Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass vorliegend ein Versicherungsfall im
Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c) ARB nicht eingetreten ist.
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Nach § 4 Abs. 1 lit. c) ARB besteht ein Anspruch auf Rechtsschutz nach Eintritt eines
Versicherungsfalls von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein
anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat
oder begangen haben soll. Umstritten ist, wann und unter welchen Voraussetzungen ein
Versicherungsfall bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten vorliegt. Nach wohl herrschender
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Rechtsprechung und der überwiegenden Ansicht in der Literatur liegt in der bloßen
Androhung einer betriebsbedingten Kündigung noch kein Rechtsverstoß seitens des
Arbeitgebers, so dass ein Versicherungsfall frühestens mit dem Ausspruch der
angedrohten Kündigung eintreten kann (vgl. Harbauer/Maier,
Rechtsschutzversicherung, 7. Auflage, § 14 Rdn. 53 mit weiteren Nachweisen;
Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Auflage, § 14 ARB Rdn. 10; AG
Düsseldorf, Urteil vom 9. November 2006, Az.: 56 C 10115/06; AG Köln in: r + s 1995,
32; AG Frankfurt in: ZFSch 1995, 273; AG Leipzig in: RuS 1999, 204; AG Hannover in:
RuS 1998, 336).
Demgegenüber nimmt das Saarländische Oberlandesgericht in dem von dem Kläger
zitierten Urteil an, dass bereits die Androhung einer betriebsbedingten Kündigung einen
Versicherungsfall im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c) ARB begründe. Der Arbeitgeber bringe
hiermit zum Ausdruck, an seine durch den Arbeitsvertrag begründeten
Leistungspflichten nicht mehr gebunden zu sein, nämlich dem Arbeitnehmer Arbeit
bereit zu stellen. Das Bestreiten oder gar die Loslösung von den dem Arbeitgeber
obliegenden Leistungspflichten stelle daher einen Verstoß gegen Rechtspflichten dar
(vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 19.07.2006, Az.: 5 U 719/05, in: NJW 2006, 3730
(3731)).
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Dieser Argumentation vermag sich die Kammer nicht anzuschließen, denn die
Begründung überzeugt nicht. Eine betriebsbedingte Kündigung und deshalb auch deren
Androhung oder Ankündigung stellt sich nur dann als ein Verstoß gegen
Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c) ARB dar, wenn
die Kündigung selbst materiell rechtswidrig wäre; sie also insbesondere gegen § 1 Abs.
2 Satz 1, 3. Variante KSchG verstoßen würde. Per se rechtswidrig ist eine
arbeitsrechtliche Kündigung nicht; das Kündigungsschutzgesetz räumt die Möglichkeit
einer betriebsbedingten Kündigung sogar ausdrücklich ein (vgl. Will, r + s 2006, 497 ff.,
Anmerkung zu OLG Saarbrücken, Urteil vom 19.07.2006, Az.: 5 U 719/05).
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Die Androhung oder Ankündigung einer betriebsbedingten Kündigung kann einen
Verstoß gegen Rechtspflichten im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c) ARB daher allenfalls nur
dann darstellen, wenn die betriebsbedingte Kündigung gegen die einschlägigen
Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes verstoßen würde und damit rechtswidrig
wäre.
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Davon kann vorliegend nicht ausgegangen. Der insoweit darlegungs- und
gegebenenfalls beweispflichtige Kläger hat weder im Rahmen des erstinstanzlichen
Verfahrens vor dem Amtsgericht noch im Rahmen seiner Berufungsbegründung
vorgetragen, woraus sich die behauptete Rechtswidrigkeit der von seiner damaligen
Arbeitgeberin angekündigten betriebsbedingten Kündigung ergeben soll. Der Vortrag
des Klägers, es habe der Arbeitgeberin oblegen, eine Sozialauswahl durchzuführen,
auch wenn sein konkreter Arbeitsplatz weggefallen war, genügt nicht den
Anforderungen, die an ein prozesserhebliches Vorbringen zu stellen sind. Denn eine
fehlerhafte Sozialauswahl seitens der Arbeitgeberin ist von dem Kläger gerade nicht
dargelegt worden. Dazu fehlt jeglicher Vortrag. Ein Verstoß der Arbeitgeberin des
Klägers gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c)
ARB ist nicht ersichtlich mit der Folge, dass ein Versicherungsfall hier nicht eingetreten
war.
31
2.
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Eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage rechtfertigt sich auch nicht aus dem
Gesichtspunkt, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom
14. September 2005, Az.: IV ZR 145/04) bei der Auslegung von Vertragsklauseln auf
den Empfängerhorizont eines durchschnittlichen, vernünftigen Versicherungsnehmers
ankommt. Die Kammer teilt die von der Berufung vertretene Ansicht nicht, wonach ein
verständiger Arbeitnehmer, der rechtsschutzversichert ist, in der Laiensphäre nicht zu
differenzieren vermag, warum der Ausspruch einer Kündigung einen Versicherungsfall
auslöst, dahingegen eine ernsthafte Androhung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses
nicht vom Rechtsschutz umfasst sein soll. Einem durchschnittlichen
Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bleibt bei
aufmerksamer Durchsicht des § 4 Abs. 1 ARB nicht verborgen, dass nach dem
ausdrücklichen und unmissverständlichen Wortlaut der vorgenannten Vorschrift ein
Anspruch auf
Beratungs
lit. b) ARB. Auch in diesen Fällen tritt der Rechtsschutzfall nur bei einem "Ereignis" ein,
"dass die Änderung der Rechtslage des Versicherungsnehmers" zur Folge hat. Dem
Vergleich zwischen § 4 Abs. 1 lit. b) ARB und § 4 Abs. 1 lit. c) ARB wird ein
durchschnittlich aufmerksamer Versicherungsnehmer entnehmen, dass erst recht im
Arbeitsrecht, für das ausdrücklich
kein
ein Ereignis vorausgesetzt wird, welches seine bestehende Rechtslage tatsächlich
verändert. Auch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer hat als Arbeitnehmer so
viel Rechtsverständnis um zu wissen, dass bloße Absichten seines Arbeitgebers nicht
geeignet sind, seine Rechtslage einseitig und nachteilig zu verändern. Er hat daher
keinen Anlass, auf Grundlage der Regelung in seinem Versicherungsvertrag davon
auszugehen, dass die Rechtsschutzversicherung für Anwaltskosten eintritt, die dadurch
entstanden sind, dass er sich anwaltlicher
Beratung
Aufhebungsvertrages bedient hat.
33
3.
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Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Zinsen.
35
IV.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
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Die Revision war im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Die für den vorliegenden Rechtsstreit
entscheidendungserhebliche Frage, ob bereits die Ankündigung einer
betriebsbedingten Kündigung einen Versicherungsfall im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c)
ARB begründet, ist bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Diese
Rechtsfrage ist über den Einzelfall hinaus von Bedeutung, da sie eine unbestimmte
Vielzahl von Fälle betrifft.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.126,54 € festgesetzt.
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