Urteil des LG Düsseldorf vom 12.11.2008

LG Düsseldorf: gegen die guten sitten, aufsichtsrat, zivilrechtliche haftung, gesellschaft, erwerb, form, eingriff, ausführung, strafrecht, vollstreckbarkeit

Landgericht Düsseldorf, 8 O 110/08
Datum:
12.11.2008
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 O 110/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger erwarb im Februar 2002 und 2006 eilinhaberschuldverschreibungen der E
AG im Wert von 10.000,00 bzw. 5.000,00 EUR. Am 1. September 2006 wurde über das
Vermögen der E – in deren Aufsichtsrat der Beklagte am 23. August 2004 für eine
Vergütung von 6.000,00 EUR jährlich berufen worden war – auf deren am 26. Juni 2006
gestellten Eigenantrag hin das Insolvenzverfahren eröffnet.
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Der Kläger behauptet, die E sei spätestens seit dem Jahre 2003 nicht mehr in der M
gewesen, die ausgegebenen Inhaberschuldverschreibungen auf der Grundlage
operativer Gewinne zurückzuzahlen. Die Verantwortlichen hätten – was der Beklagte
habe erkennen können – ein "Schneeballsystem" betrieben, bei dem die Begleichung
fälliger Zinsen und die Rückführung von Anlagekapital zu keinem Zeitpunkt aus zu
erwirtschaftenden Überschüssen, sondern allein aus neu eingehendem Anlagekapital
weiterer Investoren habe erfolgen sollen. Alle Verkaufsprospekte, die ihm bei der
Zeichnung der Anleihen vorgelegen hätten, seien deswegen unrichtig und unvollständig
gewesen.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 15.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Entscheidungsgründe
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I.
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Die Klage ist unbegründet.
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1. Hinsichtlich der von dem Kläger im Februar 2002 erworbenen
Inhaberschuldverschreibungen kommt eine Ersatzpflicht des Beklagten für den vom
Kläger für diesen Erwerb aufgewandten Betrag von vorneherein nicht in Betracht. Der
Kläger leitet die Haftung des Beklagten aus dessen Aufsichtsratstätigkeit ab. Diese
aber hat der Beklagte erst im Jahr 2004 aufgenommen. Ein Anknüpfungspunkt, ihn für
vor diesem Zeitpunkt stattgefundenes Handeln der Gesellschaft haftbar zu machen,
ist nicht erkennbar.
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2. Für einen dem Kläger aus dem im Februar 2006 vorgenommenen Erwerb von
Inhaberschuldverschreibungen etwa entstandenen Schaden muss der Beklagte
gleichfalls nicht einstehen.
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a) Sollte der Beklagte ihm als Aufsichtsrat obliegende Pflichten verletzt haben, so
stünde ein dadurch etwa entstandener Schadensersatzanspruch allein der
Gesellschaft zu, §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 AktG (vgl. auch BGH, Urteil vom 6. Oktober
1980 – II ZR 60/80, NJW 1981, 1449 [unter II]). Eine Geltendmachung eines
solchen etwaigen Anspruch durch den Kläger nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 5 S. 1
AktG steht das eröffnete und noch andauernde Insolvenzverfahren über das
Vermögen der E entgegen, §§ 116 S. 1, 93 Abs. 5 S. 4 AktG.
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b) Eine Ersatzpflicht des Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB scheidet aus, weil der
Kläger die Verletzung eines Schutzgesetzes durch den Beklagten nicht dargelegt
hat.
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c) Schließlich ist der Beklagte dem Kläger nicht gemäß § 826 BGB bzw. § 830 Abs.
1 S. 1 oder Abs. 2 BGB i.V.m. § 826 BGB einstandspflichtig. Der Kläger hat nicht
dargelegt, dass ihm der Beklagte in einer gegen die guten Sitten verstoßenden
Weise vorsätzlich Schaden zufügt oder sich an einer etwa von Verantwortlichen
der E vorsätzlich begangenen sittenwidrigen Schädigung des Klägers beteiligt hat.
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aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und
gerecht Denkenden verstößt. Hierfür genügt im allgemeinen die bloße Tatsache,
dass der Täter gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen hat, ebenso wenig
wie der Umstand, dass sein Handeln bei einem anderen einen
Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss sich die besondere
Verwerflichkeit des Verhaltens aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln,
der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben (vgl.
BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 – II ZR 217/03, NJW 2004, 2668 [unter III 2 c]).
Besteht die schädigende Handlung in einem Unterlassen, sind die guten Sitten
nur verletzt, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Die
Nichterfüllung allgemeiner oder vertraglicher Pflichten reicht nicht aus; es
müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten
wegen seines Zwecks, des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die
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dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen
Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden verwerflich machen (vgl.
BGH, Urteil vom 10. Juli 2001 – VI ZR 160/00, NJW 2001, 3702 [unter II 3 a]).
bb) Ob sich jemand gemäß § 830 Abs. 1 S. 1 oder Abs. 2 BGB als Mittäter oder
Gehilfe – eine Abgrenzung dieser Beteiligungsformen ist wegen deren
haftungsrechtlicher Gleichstellung in § 830 BGB entbehrlich – an einer die
zivilrechtliche Haftung begründenden deliktischen Verhaltensweise beteiligt hat,
ist nach den für das Strafrecht entwickelten Rechtsgrundsätzen zu beurteilen.
Dementsprechend verlangt eine Teilnahme neben der Kenntnis der
Tatumstände wenigstens in groben Zügen den jeweiligen Willen der einzelnen
Beteiligten, die Tat gemeinschaftlich mit anderen auszuführen oder sie als
fremde Tat zu fördern; objektiv muss eine Beteiligung an der Ausführung der Tat
hinzukommen, die in irgendeiner Form deren Begehung fördert und für diese
relevant ist, wobei psychische Hilfeleistungen genügen können. Erforderlich ist
ein den rechtswidrigen Eingriff in das fremde Rechtsgut unterstützendes
Verhalten des Teilnehmers, das von der Kenntnis der Tatumstände und dem auf
die Rechtsgutverletzung gerichteten Willen getragen war (vgl. BGH, Urteil vom 4.
November 1997 – VI ZR 348/96, NJW 1998, 377 [unter II 6 a]; Urteil vom 13. Juli
2004 – VI ZR 136/03 [unter II 2 a]).
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cc) Nach diesen Grundsätzen lässt sich eine Haftung des Beklagten nicht
begründen.
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(1) Selbst wenn man davon ausginge, dass der Beklagte seine Tätigkeit als
Aufsichtsrat fehlerhaft ausgeübt und Aufsichtspflichten verletzt hätte, könnte
der Kläger hieraus nichts herleiten.
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(a) Bei der Bewertung des Verhaltens des Beklagten in der Ausübung
seiner Funktion als Aufsichtsrat ist zu berücksichtigen, dass die Aufgabe
des Aufsichtsrates vornehmlich die Überwachung der Geschäftsführung ist,
§ 111 Abs. 1 AktG. Anders als der Vorstand führt der Aufsichtsrat keinen
eigenen unternehmerischen Entscheidungsprozess durch. Er prüft weder
alle unternehmerischen Details einer Entscheidung, noch berät er oder
betreibt ein Risikomanagement. Insbesondere ist der Aufsichtsrat kein
Garant für die Ordnungsmäßigkeit der Unternehmensführung durch den
Vorstand (vgl. OLG E2, Urteil vom 23. Juni 2008 – 9 U 22/08, NZG 2008,
713 [unter II]). Dementsprechend muss er nicht allein wegen seiner
Tätigkeit als Aufsichtsrat gemäß § 826 BGB für Schäden einstehen, die
Dritten aus der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft entstehen. Dies
bedeutet, dass der Beklagte allein durch seine Tätigkeit im Aufsichtsrat
selbst dann kein ihm dem Kläger gegenüber obliegendes sittliches Gebot
verletzt hätte, wenn er hierbei ihm obliegende Aufsichtspflichten
vernachlässigt hätte.
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(b) Anders liegt es allerdings, wenn Dritte durch ein Verhalten der
Gesellschaft geschädigt werden, bei dem der Aufsichtsrat mitzuwirken hat.
So ist ein Aufsichtsrat für den Schaden haftbar gehalten worden, der Dritten
infolge einer Kapitalerhöhung der Gesellschaft entstanden ist, bei der der
Aufsichtsrat gemäß § 202 Abs. 3 S. 2 AktG mitgewirkt hatte (vgl. OLG E2,
a.a.O.).
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Auch unter diesem Gesichtspunkt scheidet eine auf die Tätigkeit des
Beklagten als Aufsichtsrat gegründete Haftung für den Schaden des
Klägers jedoch aus. Der Kläger hat einen Schaden erlitten, weil er
Inhaberschuldverschreibungen der E AG erworben hat. Die Ausgabe von
Inhaberschuldverschreibungen aber ist kein Geschäft, bei dem der
Aufsichtsrat mitwirkt. Dementsprechend kommt eine Haftung des
Aufsichtsrats wegen Verletzung ihm obliegender Mitwirkungspflichten nicht
in Betracht.
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(2) Dass der Beklagte unabhängig von seiner eigentlichen Tätigkeit als
Aufsichtsrat in anderer Weise auf die Geschäfte der E AG Einfluss genommen,
diese etwa als Hintermann (mit-)inszeniert oder auf sonstige Weise
sittenwidriges Handeln von Verantwortlichen der E AG veranlasst oder
unterstützt hätte, hat der Kläger nicht vorgetragen.
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II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
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Streitwert: 15.000,00 EUR
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(§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO).
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