Urteil des LG Düsseldorf vom 27.01.2009

LG Düsseldorf: gegen die guten sitten, aufsichtsrat, zivilrechtliche haftung, gesellschaft, form, eingriff, ausführung, strafrecht, einfluss, geschäftsführung

Landgericht Düsseldorf, 1 O 130/08
Datum:
27.01.2009
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 130/08
Rechtskraft:
Nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Der Kläger erwarb im Februar 2005, Mai 2005 und März 2006
Teilinhaberschuldverschreibungen der XXX im Wert von 6.000,00 €, 5.000,00 € sowie
3.000,00 €.
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Über das Vermögen der XXX ist am 1.09.2006 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
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Der Beklagte ist seit Mitte 2004 Mitglied des Aufsichtsrates.
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Der Kläger behauptet, die XXX sei spätestens seit dem Jahre 2003 nicht mehr in der
Lage gewesen, die ausgegebenen Inhaberschuldverschreibungen auf der Grundlage
operativer Gewinne zurückzuzahlen. Die Verantwortlichen hätten – was der Beklagte
habe erkennen können – ein Geschäftsmodell der Bilanzmanipulationen - betrieben, bei
dem die Begleichung fälliger Zinsen und die Rückführung von Anlagekapital zu keinem
Zeitpunkt aus zu erwirtschaftenden Überschüssen, sondern allein aus neu
eingehendem Anlagekapital weiterer Investoren habe erfolgen sollen. Alle
Verkaufsprospekte, die ihm bei der Zeichnung der Anleihen vorgelegen hätten, seien
deswegen unrichtig und unvollständig gewesen.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 14.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er behauptet, selbst durch den Vorstand XXX getäuscht worden zu sein. Aus den ihm
vorliegenden Unterlagen sei nicht zu erkennen gewesen, dass es zu
Unregelmäßigkeiten im Geschäftsablauf der XXX gekommen sei.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Schadensersatz
gegen den Beklagten.
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1.
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Ansprüche aus §§ 116, 93 Abs.2 AktG kann der Kläger nicht mit Erfolg gegenüber dem
Beklagten geltend machen. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob der Beklagte seine
Pflichten als Aufsichtsrat verletzt hat.
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Sollte der Beklagte ihm als Aufsichtsrat obliegende Pflichten verletzt haben, so stünde
ein dadurch etwa entstandener Schadensersatzanspruch allein der Gesellschaft zu,
§§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 AktG (vgl. auch BGH, Urteil vom 6. Oktober 1980 – II ZR 60/80,
NJW 1981, 1449 [unter II]). Einer Geltendmachung eines solchen etwaigen Anspruch
durch den Kläger nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 5 S. 1 AktG steht das eröffnete und noch
andauernde Insolvenzverfahren über das Vermögen der XXX entgegen, §§ 116 S. 1, 93
Abs. 5 S. 4 AktG.
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2.
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Eine Ersatzpflicht des Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB scheidet aus, weil der Kläger
die Verletzung eines Schutzgesetzes durch den Beklagten nicht dargelegt hat.
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3.
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Schließlich ist der Beklagte dem Kläger nicht gemäß § 826 BGB bzw. § 830 Abs. 1 S. 1
oder Abs. 2 BGB i.V.m. § 826 BGB einstandspflichtig. Der Kläger hat nicht dargelegt,
dass ihm der Beklagte in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich
Schaden zufügt oder sich an einer etwa von Verantwortlichen der XXX vorsätzlich
begangenen sittenwidrigen Schädigung des Klägers beteiligt hat.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht
Denkenden verstößt. Hierfür genügt im allgemeinen die bloße Tatsache, dass der Täter
gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen hat, ebenso wenig wie der Umstand, dass
sein Handeln bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss
sich die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens aus dem verfolgten Ziel, den
eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen
ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 – II ZR 217/03, NJW 2004, 2668 [unter III 2
c]). Besteht die schädigende Handlung in einem Unterlassen, sind die guten Sitten nur
verletzt, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Die Nichterfüllung
allgemeiner oder vertraglicher Pflichten reicht nicht aus; es müssen besondere
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Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks, des
angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den
Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden
verwerflich machen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2001 – VI ZR 160/00, NJW 2001, 3702
[unter II 3 a]).
Ob sich jemand gemäß § 830 Abs. 1 S. 1 oder Abs. 2 BGB als Mittäter oder Gehilfe –
eine Abgrenzung dieser Beteiligungsformen ist wegen deren haftungsrechtlicher
Gleichstellung in § 830 BGB entbehrlich – an einer die zivilrechtliche Haftung
begründenden deliktischen Verhaltensweise beteiligt hat, ist nach den für das Strafrecht
entwickelten Rechtsgrundsätzen zu beurteilen. Dementsprechend verlangt eine
Teilnahme neben der Kenntnis der Tatumstände wenigstens in groben Zügen den
jeweiligen Willen der einzelnen Beteiligten, die Tat gemeinschaftlich mit anderen
auszuführen oder sie als fremde Tat zu fördern; objektiv muss eine Beteiligung an der
Ausführung der Tat hinzukommen, die in irgendeiner Form deren Begehung fördert und
für diese relevant ist, wobei psychische Hilfeleistungen genügen können. Erforderlich ist
ein den rechtswidrigen Eingriff in das fremde Rechtsgut unterstützendes Verhalten des
Teilnehmers, das von der Kenntnis der Tatumstände und dem auf die
Rechtsgutverletzung gerichteten Willen getragen war (vgl. BGH, Urteil vom 4. November
1997 – VI ZR 348/96, NJW 1998, 377 [unter II 6 a]; Urteil vom 13. Juli 2004 – VI ZR
136/03 [unter II 2 a]).
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Nach diesen Grundsätzen lässt sich eine Haftung des Beklagten nicht begründen.
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Selbst wenn man davon ausginge, dass der Beklagte seine Tätigkeit als Aufsichtsrat
fehlerhaft ausgeübt und Aufsichtspflichten verletzt hätte, könnte der Kläger hieraus
nichts herleiten.
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Bei der Bewertung des Verhaltens des Beklagten in der Ausübung seiner Funktion als
Aufsichtsrat ist zu berücksichtigen, dass die Aufgabe des Aufsichtsrates vornehmlich die
Überwachung der Geschäftsführung ist, § 111 Abs. 1 AktG. Anders als der Vorstand
führt der Aufsichtsrat keinen eigenen unternehmerischen Entscheidungsprozess durch.
Er prüft weder alle unternehmerischen Details einer Entscheidung, noch berät er oder
betreibt ein Risikomanagement. Insbesondere ist der Aufsichtsrat kein Garant für die
Ordnungsmäßigkeit der Unternehmensführung durch den Vorstand (vgl. OLG
Düsseldorf, Urteil vom 23. Juni 2008 – 9 U 22/08, NZG 2008, 713 [unter II]).
Dementsprechend muss er nicht allein wegen seiner Tätigkeit als Aufsichtsrat gemäß
§ 826 BGB für Schäden einstehen, die Dritten aus der Geschäftstätigkeit der
Gesellschaft entstehen. Dies bedeutet, dass der Beklagte allein durch seine Tätigkeit im
Aufsichtsrat selbst dann kein ihm dem Kläger gegenüber obliegendes sittliches Gebot
verletzt hätte, wenn er hierbei ihm obliegende Aufsichtspflichten vernachlässigt hätte.
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Anders liegt es allerdings, wenn Dritte durch ein Verhalten der Gesellschaft geschädigt
werden, bei dem der Aufsichtsrat mitzuwirken hat. So ist ein Aufsichtsrat für den
Schaden haftbar gehalten worden, der Dritten infolge einer Kapitalerhöhung der
Gesellschaft entstanden ist, bei der der Aufsichtsrat gemäß § 202 Abs. 3 S. 2 AktG
mitgewirkt hatte (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).
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Auch unter diesem Gesichtspunkt scheidet eine auf die Tätigkeit des Beklagten als
Aufsichtsrat gegründete Haftung für den Schaden des Klägers jedoch aus. Der Kläger
hat einen Schaden erlitten, weil er Inhaberschuldverschreibungen der XXX erworben
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hat. Die Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen aber ist kein Geschäft, bei dem
der Aufsichtsrat mitwirkt. Dementsprechend kommt eine Haftung des Aufsichtsrats
wegen Verletzung ihm obliegender Mitwirkungspflichten nicht in Betracht.
Dass der Beklagte unabhängig von seiner eigentlichen Tätigkeit als Aufsichtsrat in
anderer Weise auf die Geschäfte der XXX Einfluss genommen, diese etwa als
Hintermann (mit-)inszeniert oder auf sonstige Weise sittenwidriges Handeln von
Verantwortlichen der XXX veranlasst oder unterstützt hätte, hat der Kläger nicht
vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
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Streitwert: 14.000,00 EUR.
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