Urteil des LG Düsseldorf vom 11.02.2004
LG Düsseldorf: werbung, einverständnis, wiederholungsgefahr, eingriff, rechtswidrigkeit, nachrichten, adresse, versendung, behinderung, post
Landgericht Düsseldorf, 12 O 384/03
Datum:
11.02.2004
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
12. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 O 384/03
Tenor:
Tatbestand:
Der Kläger ist Inhaber der Domain „xxx“ und als solcher berechtigter
Nutzer der e-Mail-Adresse „xxx“. Die Beklagte versendet juristische,
berufsspezifische Informationen ohne aufwendige Aufmachungen an
Juristen, Behörden, Krankenversicherungen etc.
Am 01.07.2003 erreichte den Kläger unter seiner e-Mail-Adresse eine e-
Mail der Beklagten mit folgender Betreffzeile:
„Der Mandatenbrief, ein Service des www.RechtsCentrum.de“.
In dieser e-Mail bot die Beklagte gegen ein entsprechendes Entgelt den
Service eines monatlich erscheinenden „Mandantenbriefs“ in Form einer
Übersicht über die wichtigste neueste Rechtsprechung in verschiedenen
Rechtsgebieten an. Zwischen Kläger und Beklagten bestanden zu
diesem Zeitpunkt keine Geschäftsbeziehungen.
Mit Schreiben vom 02.07.2003 forderte der Kläger die Beklagte zur
Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und Erstattung der
mit der Erlangung dieser Erklärung verbundenen
Rechtsverfolgungskosten auf. Hierauf nahm die Beklagte den Kläger
aus ihrem Verteiler. Eine entsprechende strafbewehrte
Unterlassungserklärung gab sie nicht ab. In der Folge erhielt der Kläger
keine weiteren e-Mails von der Beklagten.
Der Kläger ist der Ansicht, die Versendung der streitgegenständlichen e-
Mail stelle wegen der mit dem Abholen/Downloaden und Aussortieren
verbundenen Kosten, Zeit und Mühen einen Verstoß gegen seine
Rechte aus § 823 Abs. I BGB dar. Daher stehe ihm ein
Unterlassungsanspruch aus den §§ 823, 1004 BGB zu. Insbesondere
habe die Beklagte sein Einverständnis zum Erhalt der e-Mail nicht
vermuten dürfen, da der Umstand, daß es sich bei deren Inhalt um rein
juristisch bezogene Informationen handele, für die Annahme einer
entsprechenden Vermutung nicht ausreiche. Die durch die
Rechtsverletzung indizierte Wiederholungsgefahr sei nur durch Abgabe
einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auszuräumen gewesen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis
zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu
unterlassen, e-Mails zum Zwecke der Werbung ohne Aufforderung oder
ohne Einverständnis des Klägers an diesen unter der e-Mail-Adresse
goxxxde zu richten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, der Kläger könne sich in ihre Datenbank nur selber
eingetragen haben oder haben eintragen lassen. Der genaue Vorgang
könne jedoch bei derzeit 70.000 e-Mail Adressen im Verteiler nicht mehr
rekonstruiert werden, weil der Eintragungsvorgang spätestens nach 4
Wochen gelöscht werde. Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe davon
ausgehen können, daß das Versenden rein berufsspezifischer
Informationen im vermuteten Einverständnis des Klägers liegen würde.
Ferner liege kein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb des Klägers vor, da die einmalig erhaltene e-Mail
keinen spezifisch gegen den betrieblichen Organismus oder die
unternehmerische Freiheit gerichteten und über eine bloße Belästigung
und sozial übliche Behinderung hinausgehenden Eingriff begründe.
Außerdem fehle es wegen der Löschung aus dem Verteiler an einer
Wiederholungsgefahr.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht
zu.
Ein solcher könnte allenfalls aus den §§ 823 Abs. I, 1004 BGB unter
dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb folgen, der als Auffangtatbestand des gesetzlichen
Unternehmerschutzes vorliegend zur Anwendung kommt, da andere
Anspruchsgrundlagen nicht einschlägig sind. Ein
wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch scheidet aus, da der
dem Streit zugrundeliegenden Handlung im Verhältnis unter den
Parteien jegliche wettbewerbliche Relevanz fehlt. Denn zwischen einem
Anbieter von aufbereiteten juristischen Fachinformationen für Juristen,
Behörden etc. und einem Rechtsanwalt besteht keine
Konkurrenzsituation. Eine Verletzung sonstiger absoluter Rechte des
Klägers durch Empfang der streitgegenständlichen e-Mail ist nicht
ersichtlich.
Die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs.
I, 1004 BGB liegen indes nicht vor.
Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist ein
„sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. I BGB. In den Schutzbereich
dieses Tatbestandes fallen neben Unternehmen im engeren Sinne auch
Angehörige der freien Berufe, wie vorliegend der Kläger als
Rechtsanwalt.
Die Zusendung von unverlangten e-Mail Nachrichten zu Werbezwecken
(sogenanntes „spamming“) stellt auch nach fast einhelliger
Rechtsprechung (OLG Koblenz, MMR 2003, 590; LG Traunstein, NJW-
CoR 1998, 109; LG Ellwangen, MMR 1999, 675; LG Berlin NJW-CoR
1998, 431; LG Berlin, MMR 1999, 43; LG Berlin NJW-RR 2001, 628; LG
Berlin, MMR, 2002, 685; LG München, NJW-RR 2003, LG München,
MMR 2003, 483; LG Karlsruhe, MMR 2002, 402; AG Bonn, CR 2003, 67;
a.A. LG Kiel, MMR, 2000, 704; LG Braunschweig, NJW-RR, 2000, 924)
sowie der überwiegenden Ansicht in der Literatur (vgl. u.a. Gummig,
ZUM 1996, 537; Ernst, BB 1997, 1057; Schmittmann, 1997, 636;
Schrey/Westerwelle, BB 1997, 1057; Dethloff, NJW 1998, 1596; Hoeren,
WRP 1997, 993; Schrick, MMR, 399; Baumbach Hafermehl, UWG, 22.
Aufl., § 1 Rn. 70 a; Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl., § 1 Rn. 294; a.A.
Reichelsdorfer, GRUR 1997, 191; Kröger/Gimmy, Handbuch zum
Internetrecht, 2000, 387) grundsätzlich einen Verstoß gegen § 1 UWG
sowie einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Voraussetzung eines Eingriffs in den
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist eine unmittelbare
Beeinträchtigung des Gewerbebetriebes als solchen in dem Sinne, daß
sich der Eingriff spezifisch gegen den betrieblichen Organismus oder die
unternehmerische Entscheidungsfreiheit richtet und über eine bloße
Belästigung oder sozial übliche Behinderung hinausgeht (BGHZ 138,
311).
Die Zusendung unverlangter e-Mails zu Werbezwecken stellt eine
solche unmittelbare und unzumutbare Beeinträchtigung des
betrieblichen Organismus dar. Sowohl der Abruf wie das Löschen von
Werbung von den Zentralrechnern, auf denen die e-Mail Nachrichten
gespeichert werden, erfordern Rechner- und
Kommunikationsressourcen. Zwar mögen die dafür anfallenden Kosten
unter den heute üblichen technischen Bedingungen jedenfalls bei reinen
Textnachrichten, wie der streitgegenständlichen e-Mail, nahezu
vernachlässigbar sein. Jedoch muß in jedem Fall Arbeitszeit dafür
aufgewandt werden, um die unerwünschten Zusendungen
auszusortieren, da Filtersysteme nur in begrenztem Umfang Schutz vor
unerwünschten Werbenachrichten bieten und außerdem die Gefahr in
sich bergen, daß auch erwünschte e-Mail Werbenachrichten gelöscht
werden. Außerdem besteht durch das Überhandnehmen von
unaufgefordert zugesandter e-Mail Werbung die Gefahr, daß zum einen
der elektronische Briefkasten mit der Folge der Rücksendung weiterer e-
Mails blockiert wird, und zum anderen die den Geschäftsbetrieb des
Adressaten betreffenden e-Mails in der Menge der Werbe-e-Mails nicht
erkannt werden oder aber im Rahmen des notwendig werdenden
Löschvorgangs versehentlich mitgelöscht werden.
Bei der Beurteilung der Eingriffsqualität von unverlangten Werbe-e-Mails
hat außer Betracht zu bleiben, daß der Grad der beschriebenen
Beeinträchtigungen in Bezug auf eine einzige e-Mail geringen Umfangs
wie jene, die die Beklagte an den Kläger versandt hat, vergleichbar
gering ist und die Unzumutbarkeit der Beeinträchtigung sich erst aus
dem Zusammenwirken mit anderen unverlangt zugesendeten e-Mail
Werbungen ergibt. Zwar ist fraglich, ob der zum Teil aus dem
Wettbewerbsrecht herangezogene Gedanke, wonach auch die
Versendung einer einzelnen e-Mail bereits deshalb rechtswidrig ist, weil
sie den Keim zu einem immer weiteren Umsichgreifen und der
Verwilderung der Wettbewerbssitten in sich trägt (vgl. zu diesem
Gedanken: BGH, GRUR 1988, 614), wegen der unterschiedlichen
Schutzrichtung ohne weiteres auf einen deliktsrechtlichen Anspruch
übertragbar ist. Das Vorliegen eines Eingriffs auch bei nur einmaligem
Versenden einer unverlangten Werbe-e-Mail ist aber bereits deshalb zu
bejahen, weil im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung
die dem System der elektronischen Post inhärenten Nachteile für den
Empfänger zu Lasten des Versenders gehen. Dieser nutzt nämlich
gerade den Umstand, daß durch das Medium der elektronischen Post
mit geringen Kosten und Aufwand eine ungeheuere Vielzahl potentieller
Kunden beworben werden kann, zu seinem eigenen wirtschaftlichen
Vorteil, wobei die sich aus den Möglichkeiten des Mediums ergebenden
Nachteile – Erhalt einer zu den beschriebenen unzumutbaren
Beeinträchtigungen führenden Werbeflut – spiegelbildlich beim
Empfänger eintreten. Das Ergebnis dieser Interessenabwägung, d.h. die
grundsätzliche Rechtswidrigkeit unverlangt versendeter e-Mail Werbung,
wird auch durch Art. 13 Abs. I der Richtlinie 2002/56/EG über die
Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der
Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation vom 12.07.2002,
sowie § 7 Abs. II Nr. 3 des Referentenentwurfs zum neuen UWG
(Entwurf vom 23.01.2003, Drucksache 15/1487, GRUR 2003, 298)
gestützt, wonach e-Mail Werbung ohne Einwilligung des Adressaten als
unzumutbare Belästigung rechtswidrig ist.
Ein Eingriff durch Versendung einer Werbe-e-Mail ist jedoch dann zu
verneinen, wenn sie mit dem Einverständnis des Adressaten erfolgte.
Dies geschah vorliegend nicht. Zwar könnte, wenn sich der Kläger
selbst in die mailing-Liste der Beklagten eingetragen hätte, darin eine
konkludente Einverständniserklärung zum Erhalt solcher Werbe-e-Mails
zu sehen sein. Die Beweislast für diesen Umstand trägt die Beklagte
(vgl. auch LG Berlin, MMR 2002, 685). Nach ihrem eigenen Vortrag läßt
sich jedoch der Eintragungsvorgang nicht mehr rekonstruieren.
In Anlehnung an die Rechtsprechung zur Rechtswidrigkeit von
Telefonwerbung und des unverlangten Zusendens von Werbe-Faxen
wurde bisher angenommen, daß auch im Falle von e-Mail Werbung das
mutmaßliche Einverständnis des Adressaten die Rechtswidrigkeit
entfallen läßt (vgl. u.a. Köhler/Piper a.a.O.; Baumbach/Hefermehl,
a.a.O.). Die oben angeführten Vorschriften der Richtinie 2002/56/EG und
des Referentenentwurfs könnten hieran jedoch Zweifel begründen. Ob
auch zukünftig die Rechtswidrigkeit von e-Mail-Werbung bei berechtigter
Vermutung des Einverständnisses entfällt und die vom BGH hierzu
aufgestellten Voraussetzungen („Telefonwerbung IV“, GRUR 1991, 764)
vorliegend gegeben sind, braucht jedoch hier nicht entschieden zu
werden.
Denn ein Unterlassungsanspruch des Klägers scheitert bereits an der
mangelnden konkreten Wiederholungsgefahr. Zwar vermag in der Regel
die vorangegangene Verletzungshandlung bereits eine tatsächliche
Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr aufzustellen, an
deren Wiederlegung grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen sind
(BGHZ, 140, 1). Das bloße Versprechen, die störende Handlung nicht
mehr vorzunehmen, räumt dabei die Wiederholungsgefahr in der Regel
nicht aus (BayObLG, 95, 174). Vorliegend ist jedoch eine auf Tatsachen
gegründete objektiv ernstliche Besorgnis weiterer Störungen nicht
ersichtlich. Es ist nämlich unstreitig zwischen den Parteien, daß die
Beklagte den Kläger unmittelbar nach dessen Mitteilung, er wünsche
keine weiteren Nachrichten, aus dem Verteiler genommen hat und der
Kläger in der Folge auch keine weiteren e-Mails mehr von der Beklagten
erhalten hat (vgl. auch OLG Koblenz, MMR 2003, 590). Für die
Entscheidung des Gerichts ist dabei mitausschlaggebend, daß die
bisher beim Kläger durch die Beklagte konkret verursachte
Beeinträchtigung lediglich geringfügig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.
11, 711 S. 1 und S. 2 ZPO.
Streitwert: 6.000,- EUR