Urteil des LG Bochum vom 13.12.2001

LG Bochum: begriff, unrichtige angabe, drohender schaden, krankenkasse, gutachter, blutverdünnung, verfügung, rechnungsstellung, nummer, medizin

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landgericht Bochum, 3 O 182/01
13.12.2001
Landgericht Bochum
3. Zivilkammer
Urteil
3 O 182/01
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen 8.500,00 DM Sicherheitsleistung vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger ist Arzt und betreibt in L eine ambulante Tagesklinik für chronische
Erkrankungen und Krebserkrankungen. Der Beklagte zu 1) betrieb als Arzt der inneren
Medizin das "J" (J). Gegenstand der Tätigkeit des J war die Erstattung von Gutachten für
die privaten Krankenversicherungen.
Der Beklagte zu 2) erstattete zwei ärztliche Gutachten unter dem 20.10.1999 auf dem
Briefbogen von J. Unter Bezugnahme auf diese Gutachten verweigert die Q-Krankenkasse
den Patienten H und H1 die Erstattung der von dem Kläger für ärztliche Leistungen in
Rechnung gestellten Beträge. Darüber hinaus versagt die Q-Krankenkasse unter Hinweis
auf die sich aus diesen Begutachtungen ergebenden angeblichen schweren Verfehlungen
des Klägers die Erstattungsleistungen auch hinsichtlich aller anderen bei ihr versicherten
Patienten des Klägers.
Der Kläger trägt vor: Die Gutachten seien grob mangelhaft. Die prinzipiellen und konkreten
Mängel beider Gutachten erfüllten den Tatbestand grob fahrlässig falsch erstellter ärztlicher
Zeugnisse. Die Beklagten hätten die Gutachten ausschließlich nach rechnerischen Daten
der Liquidationen gefertigt, ohne im Besitz der medizinisch notwendigen
Krankendokumentation zu sein. Ebenfalls hätten den Beklagten jegliche Labordaten
gefehlt. Auch hätten die Beklagten sich zu solchen Sachverhalten grob fahrlässig falsch
geäußert, zu denen sie keine Krankendokumentationen benötigt hätten. Die Beklagten
stellten eine von der privaten Krankenversicherungswirtschaft (PKV) organisierte
Funktionsgruppe. Sie täusche die Patienten darüber, dass die Institute wirtschaftlich von
der PKV abhängig seien und keineswegs unabhängig seien. Der Kläger sei von sechs der
etwa dreiunddreißig deutschen privaten Krankenversicherer ausgeschlossen worden. Die
falschen Begutachtungen durch die Beklagten trügen dazu bei, den Kläger wirtschaftlich zu
schädigen.
Die Gutachten zu den Patienten H und H1 seien insbesondere zu folgenden Punkten
unrichtig:
Der Vorwurf des Abrechnungsbetruges sei falsch. Der Kläger habe keine
Doppelberechnung von Leistungen vorgenommen. Er habe die GOÄ-Ziffer 3541 H korrekt
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nur mit dem Höchstsatz und nicht zusätzlich dreimal als einzelne Leistungen abgerechnet.
Der entsprechende Vorwurf der Beklagten zur Doppelabrechnung sei auch bezüglich
anderer Positionen falsch.
Zu Unrecht und in Folge medizinischer Unkenntnis sei von den Beklagten die Berechnung
des Aderlasses beanstandet worden. Zu Unrecht sei dem Kläger vorgeworfen worden, bei
der Berechnung der Ultraschalluntersuchungen habe er die untersuchten Organe nicht
aufgeführt.
Zu Unrecht hätten die Beklagten den Begriff "subakutes Abdomen" als nicht existente
medizinische Bezeichnung gerügt. Der Begriff sei lediglich den Gutachtern nicht bekannt,
jedoch in der medizinischen Praxis gängig.
Infolge medizinischer Unkenntnis hätten die Beklagten aus den Herpesviren mit der
Typenbezeichnung IV (HI-IV) geschlossen, dass es sich um eine HIV-lnfektion gehandelt
haben müsste.
Ebenfalls in Verkennung medizinischer Grundbegriffe hätten die Beklagten verkannt, dass
der Begriff "maligne Hypotonie" bekannt sei.
Die Ausführungen der Beklagten zur Borreliose-Erkrankung zeige grobe fachliche
Unkenntnis der Beklagten.
Wegen der Einzelheiten der vom Kläger beanstandeten Äußerungen der Beklagten in den
angegriffenen Gutachten wird auf die Darstellung in der Klageschrift verwiesen.
Der Kläger stellt folgende Anträge:
1.
Die Beklagten werden verurteilt, es zu unterlassen in ärztlichen Gutachten, welche sie
unter der Bezeichnung "J"
oder im eigenen Namen über ärztliche Leistungen des Klägers, die von ihm durchgeführte
Diagnostik und/oder Therapie und seine Rechnungsstellung erstellen, unrichtige
Tatsachenbehauptungen aufzustellen, insbesondere ärztliche Gutachten zur
Angemessenheit und Notwendigkeit der seitens des Klägers durchgeführten
Behandlungen nur anhand von Rechnungen zu erstellen, ohne weitere Erkenntnisse aus
den übrigen Krankenunterlagen her- anzuziehen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger
diejenigen Schäden zu ersetzen, welche dem Kläger durch die seitens der Beklagten
erstellten ärztlichen Gutachten vom 20.10.1999, betreffend die Patienten des Klägers
namens Herr H und Frau H1, entstanden sind und noch entstehen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie halten die Anträge für unzulässig und sind der Auffassung, dass dem Kläger auch
materiell rechtlich kein Anspruch zustehe.
Sie tragen vor: Ein Fehler des Beklagten zu 2) bezüglich der im Gutachten angenommenen
Doppelberechnung beruhe auf der unüblichen Rechnungsgestaltung des Klägers.
Unmittelbar nach Vorlage der Gutachten habe der Mitarbeiter der Q-Krankenkasse den
Beklagten zu 2) darauf hingewiesen, dass ihm die irrtümliche Bewertung der
eingeklammerten Laborwerte in den Gutachten bereits aufgefallen sei. Nach Erhalt der
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eingeklammerten Laborwerte in den Gutachten bereits aufgefallen sei. Nach Erhalt der
Gutachten habe er die Sache schriftlich richtig gestellt.
Im Übrigen verteidigen die Beklagten die Richtigkeit der Begutachtung.
Sie tragen vor: Sollte der Kläger Aderlässe mit folgender Reinfusion vorgenommen haben,
handele es sich nicht um eine abrechnungsfähige definitive Entziehung von Blut. Sollte er
dagegen eine Blutverdünnung durchgeführt haben und mit der GOÄ- Nummer 286
abgerechnet haben, so müssten hierfür mindestens 400 ml Blut entnommen werden. Somit
seien die Voraussetzungen für eine Abrechnung als Blutverdünnung nicht gegeben.
Die Ultraschalluntersuchungen seien auf zahlreichen Rechnungen des Klägers nicht unter
Nennung des Organs abgerechnet worden.
Die Bezeichnung des Epstein-Barr-Virus unter dem vom Kläger gewählten Begriff sei
unüblich und ohne Krankenunterlagen für den Gutachter nicht verständlich gewesen.
Der Begriff subakutes Abdomen sei in der medizinischen Literatur unbekannt. Gleiches
gelte für den Begriff maligne Hypotonie.
Die Borreliose-lnfektion, die vom Kläger angegeben sei, dürfe nicht mit Cortison-Injektionen
behandelt werden. Es sei deshalb unverständlich, warum der Kläger bezüglich dieser
Injektionen darauf hinweise, dass es keine Anhaltspunkte für eine bakterielle Infektion
ergeben habe.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen zu Protokoll Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Die geltend gemachten Ansprüche stehen dem Kläger nicht zu.
Als Anspruchsgrundlage kommt, wie mit den Parteien ausweislich des Protokolls vom
13.12.2001 erörtert worden ist, § 1004 BGB in Verbindung mit § 826 BGB bzw. 824 BGB in
Betracht. Voraussetzung für eine Haftung der Beklagten ist jedoch in beiden Fällen nicht
nur ein fehlerhaftes Gutachten, sondern ein leichtfertiges Handeln des Sachverständigen
bei der Ermittlung der Grundlagen des Gutachtens gegenüber dem Adressaten dieses
Gutachtens (vgl. BGH NJW 1991, Seite 3282, 3283).
Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die Beklagten die Krankenunterlagen nicht
beigezogen hätten und deshalb gar keine Gutachten hätten erstatten dürfen. Den Umfang
des Gutachtenauftrags bestimmt der Auftraggeber; diesem war die Einschränkung
hinsichtlich des zugrundeliegenden Materials bekannt. Die Gutachten weisen auch aus,
welche Unterlagen Erkenntnisgrundlage für die Begutachtung gewesen sind. Es kommt
deshalb nicht mehr darauf an, ob der Kläger die Beklagten darauf hingewiesen hat, dass
die überreichten Unterlagen ausreichend seien, ein Gutachten zu erstellen. Weder der
Kläger noch die Patienten können jedenfalls eine Begutachtung in dem der Krankenkasse
möglichen Rahmen dadurch verhindern, dass Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt
werden; die eingeschränkte Verlässlichkeit derartiger Gutachten muss der Auftraggeber
(hier die Q-Krankenkasse) hinnehmen, wenn er Beanstandungen gegenüber den
Abrechnungen des Klägers geltend machen will.
Soweit die Gutachten einen offensichtlichen und möglicherweise auch schwerwiegenden
Fehler aufweisen, der grundsätzlich geeignet sein könnte, Ansprüche gegen den oder die
Gutachter auszulösen, betrifft dies nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung
lediglich die unrichtige Angabe durch den Beklagten zu 2), dass der Kläger bestimmte
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GOÄ-Ziffern nicht nur mit dem Höchstsatz, sondern zusätzlich noch einmal mit den
Einzelpositionen abgerechnet hätte. Insoweit scheiden jedoch von vorn herein
Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche aus. Es ist der Auftraggeber der Beklagten
selbst gewesen, der sofort den Fehler der Gutachten festgestellt hat und sich die
Behauptungen im Gutachten nicht zu eigen gemacht hat. Unter diesen Umständen kann
weder eine Wiederholungsgefahr angenommen werden noch ist ein dem Kläger
entstandener oder drohender Schaden denkbar.
Soweit Beanstandungen des Klägers hinsichtlich der Gutachtenerstattung nicht im
einzelnen im Terminprotokoll bzw. Tatbestand dieses Urteils erwähnt sind, gilt für sämtliche
vom Kläger erhobenen Beanstandungen, dass keine zur Ausfüllung der
Anspruchsgrundlage erforderliche leichtfertige Handlungsweise der Beklagten schlüssig
vorgetragen ist. Vielmehr handelt es sich bei sämtlichen Beanstandungen des Klägers,
mögen sie auch im einen oder anderen Fall berechtigt erscheinen, um unterschiedliche
medizinische Bewertungen, über deren Richtigkeit im vorliegenden Verfahren nicht zu
entscheiden ist. Von einer leichtfertigen Handlungsweise oder einer nicht zu
rechtfertigenden falschen Sichtweise der Beklagten kann in diesen Fällen nicht
ausgegangen werden. Nur exemplarisch sei darauf hingewiesen, dass die Ansicht des
Klägers, man solle im Falle eines Karzinoms nach Möglichkeit eine Biopsie vermeiden, um
eine Streuung von Krebszellen zu vermeiden, von vielen Ärzten geteilt werden dürfte, auch
wenn der Beklagte zu 2) eine Literaturstelle zur Belegung dieser medizinischen
Vorgehensweise des Klägers vermisst. Unterschiedliche Ansichten in der Medizin zu
derartigen Einzelfragen rechtfertigen jedoch nicht die Annahme, die angegriffenen
Gutachten seien aus medizinischer Sicht unhaltbar oder gar in Schädigungsabsicht zu
Lasten des Klägers verfasst.
Soweit das Gutachten die Abrechnung des Aderlasses mit Ziffer 286 zusätzlich zur Ziffer
285 beanstandet, kann von einem groben Fehler des Gutachtens nicht ausgegangen
werden. Der Kläger hat erst in der mündlichen Verhandlung erläutert, welche Maßnahme er
vorgenommen hat. Der Beklagte zu 2) war berechtigt, in seinem Gut- achten Vermutungen
zu äußern, da ihm die Krankenunterlagen nicht zur Verfügung standen und weil er anhand
seines Gutachtenauftrages gehalten war, zweifelhafte Punkte in der Rechnungsstellung
gegenüber seinem Auftraggeber deutlich zu machen. Auch wenn anhand der Rechnung
die Vermutung nahe lag, dass nicht das entnommene Blut wieder reinfundiert wurde,
sondern die Substanz Haes steril, so bleibt die unterschiedliche Auffassung zur
Vergütungsfrage bestehen, denn die Ansichten der Parteien darüber, ob für eine
Berechnung nach der entsprechenden GOÄ-Ziffer die Infusion von mindestens 400 ml
erforderlich sei, besteht nach wie vor.
Soweit der Beklagte zu 2) beanstandet hat, dass nicht bei allen Ultraschalluntersuchungen
das untersuchte Organ genannt wurde, mag die Ansicht des Klägers zutreffen, dass es
nach der Gebührenordnung nicht erforderlich sei, gesondert das untersuchte Organ
anzugeben, wenn dies aus der zuvor genannten Ziffer der Abrechnungen erkennbar sei.
Das Gericht kann die Beantwortung dieser Frage offen lassen, da jedenfalls die
Beanstandung des Beklagten für sich genommen zutrifft.
Soweit der Kläger den Beklagten vorwirft, die Begriffe subakutes Abdomen und maligne
Hypotonie zu Unrecht als nicht existent bzw. nicht gängig zu behandeln, vermag das
Gericht ihm nicht zu folgen. Keiner der Begriffe ist im medizinischen Lexikon von
Pschyrembel angegeben; der Kläger hat auch keine andere Literatur vorgelegt, sondern
lediglich eine ärztliche Bestätigung. Daraus könnte gefolgert werden, dass in manchen
ärztlichen Kreisen der Begriff des subakuten Abdomens verwendet wird. Wenn der
Beklagte zu 2) diesen Begriff als unüblich charakterisiert, erscheint sein Gutachten jedoch
nicht nur vertretbar, sondern zutreffend.
Den Begriff der malignen Hypotonie hat der Kläger selbst nicht in der medizinischen
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Literatur belegen können.
Der objektive Irrtum des Beklagten zu 2) darüber, dass der Kläger mit einer Bezeichnung
eines Virentyps keine HIV-Viren, sondern das Herpesvirus Nummer 4 meinte, kann
ebenfalls keinen Anspruch in rechtlicher Hinsicht begründen. Die Bezeichnung dieses
Virustyps (Epstein-Barr-Virus) als H-IV mag der laborspezifischen Bezeichnung
entsprechen, jedoch kann dem Gutachter nicht vorgeworfen werden, dass er mangels
weiterer Unterlagen die vom Kläger verwendete Abkürzung nicht sicher deuten konnte und
deshalb eine andere Deutung ins Spiel gebracht hat. Vielmehr war es Sache des
Auftraggebers, der Q-Krankenkasse, nach Vorlage des Gutachtens entweder diese
Zweifelsfrage mit dem Kläger zu klären oder ohne die Klärung dieser Frage das Risiko
eines Prozesses mit den Patienten einzugehen.
Auch bezüglich der Borreliose-Erkrankung sind die Ausführungen des Beklagten zu 2)
nicht mit Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen durch den Kläger angreifbar. Der
Beklagte zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass es sich um eine
chronische Infektion handelte. Die Wertung des Beklagten zu 2), dass in solchen Fällen
Cortison-Injektionen nicht vorgenommen werden dürfen, ist eine medizinische Wertung, die
der Kläger hinzunehmen hat.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91,709 ZPO.