Urteil des LG Bochum vom 07.08.2009

LG Bochum (gutachten, versicherung, zpo, befangenheit, internetadresse, frist, ablehnung, verweis, stellungnahme, meinung)

Landgericht Bochum, I-10 S 15/08
Datum:
07.08.2009
Gericht:
Landgericht Bochum
Spruchkörper:
10. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-10 S 15/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Witten, 2 C 1679/07
Tenor:
Die Ablehnung des Sachverständigen S wegen der Besorgnis der
Befangenheit wir für begründet erklärt.
Gründe:
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I.
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In der Sitzung vom 17.10.2008 hat die Kammer einen Beweisbeschluss erlassen und
den Sachverständigen G als Sachverständigen bestellt. Dieser Sachverständige wurde
abberufen, weil die Klägerin mit Schriftsatz vom 05.11.2008 Bedenken an der
Sachkunde äußerte. Die Klägerin schlug eigene Sachverständige vor. Die Beklagte
hatte keine Bedenken gegen den Sachverständigen G, aber Bedenken gegen die von
der Klägerin vorgeschlagenen Sachverständigen.
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Die Kammer hat sich, da die Parteien sich nicht auf einen Sachverständigen einigen
konnten, von der IHK Bochum einen geeigneten Sachverständigen vorschlagen lassen.
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Die IHK schlug den Sachverständigen S als Sachverständigen vor. Mit Schriftsatz vom
29.12.2008 teilte die Beklagte mit, dass keine Bedenken gegen den Sachverständigen
S bestanden, der daraufhin mit Beschluss der Kammer vom 08.01.2009 als
Sachverständiger bestellt wurde.
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Unter dem 16.05.2009 erstattete der Sachverständige sein Gutachten. Auf dem Briefkopf
gab er hierbei als Internetadresse ######## an. Bestandteil des Gutachtens war als
Anlage auch ein Anschreiben an eine Autovermietung im Zuge der Gutachtenerstellung.
In diesem wird neben der angegebenen Internetadresse auch die Adresse #########
angegeben.
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Das Gutachten wurde den Parteien mit Beschluss vom 25.05.2009 übersandt mit einer
Stellungnahmefrist von drei Wochen. Der Beschluss und das Gutachten gingen bei den
Beklagtenvertretern ausweislich des in der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses
am 05.06.2009 ein.
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Mit Schriftsatz vom 26.06.2009, der am selben Tag per Fax bei Gericht einging, nahm
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die Beklagte zum Sachverständigengutachten Stellung und lehnte den
Sachverständigen S wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Die Beklagte bezog
sich hierbei u.a. auf den Inhalt der angegebenen Internetadresse ######### und
#########. Beide zeichneten sich durch eine versicherungsfeindliche Einstellung aus.
Wegen der im Einzelnen gerügten Passagen wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom
26.06.2009 Bezug genommen (Bl. 338 ff. d.A.).
Der angehörte Sachverständige bestätigte mit Schreiben vom 24.07.2009, dass die
Internetadresse ####### seine eigene Homepage sei. Diese sei seiner Ansicht nach
nicht versicherungsfeindlich. Zuzugeben sei lediglich, dass diese
überarbeitungsbedürftig sei. Der Verweis auf die Internetadresse ####### sei vor
längerer Zeit von seinem Briefkopf verschwunden. Der Sachverständige ist der
Meinung, dass er weisungsfrei und unvoreingenommen sein Gutachten erstattet hat.
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II.
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Der zulässige Befangenheitsantrag ist begründet.
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1.
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Der Befangenheitsantrag ist zulässig, insbesondere auch fristgemäß gestellt worden.
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Gem. § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag grundsätzlich spätestens binnen
zwei Wochen nach der Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des
Sachverständigen anzubringen. Dies gilt aber nicht, wenn sich Gründe, auf die die
Ablehnung des Sachverständigen gestützt wird, erst aus dessen Gutachten ergeben. Im
letzteren Fall ist die Frist des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO maßgeblich. Nach der
Rechtsprechung des BGH (NJW 2005, 1869), der sich die Kammer insoweit anschließt,
sind die Ablehnungsgründe in diesem Falle nicht binnen einer kalendermäßigen Frist,
sondern grundsätzlich unverzüglich i.S. von § 121 Abs. 1 Nr. 1 BGB nach Kenntnis des
Gutachtens geltend zu machen. Das bedeutet, dass der Ablehnungsantrag zwar nicht
sofort, wohl aber ohne schuldhaftes Zögern, das heißt innerhalb einer den Umständen
des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist, anzubringen ist (vgl.
Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. § 121 Rdnr. 3). Zugleich hat der Ablehende glaubhaft
zu machen, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher
geltend zu machen. In einem einfach gelagerten Fall können bereits wenige Tage
ausreichend sein, um die das Ablehnungsgesuch stützenden Tatsachen zu erkennen
und vorzutragen. Hingegen kann sich die Frist je nach Sachlage verlängern, wenn der
Ablehnungsgrund erst nach sorgfältiger Prüfung des Gutachtens zu erkennen ist.
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Auch wegen der in diesem Fall erforderlichen inhaltlichen Auseinandersetzung und der
Rechtssicherheit ist es nach Auffassung des BGH angezeigt, dass die Frist gem. § 406
Abs. 2 S. 2 ZPO im Regelfall gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur
Stellungnahme gem. § 411 Abs. 4 ZPO abläuft. Dieser Auffassung schließt sich die
Kammer an.
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Das Gutachten mit der Stellungnahmefrist gem. § 411 Abs. 4 ZPO wurde den
Prozessbevollmächtigen der Beklagten am 05.06.2009 zugestellt. Die gesetzte
Dreiwochenfrist lief damit am 26.06.2009 ab. Mit Schriftsatz vom selben Tage, der noch
vor Fristablauf bei Gericht per Fax einging, wurde der Sachverständige wegen der
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Beklagte hat in diesem Schriftsatz auch
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glaubhaft dargestellt, dass ihr vorher die Homepage des Sachverständigen und seine
Affinität zur Internetplattform ###### nicht bekannt gewesen ist. Die
Befangenheitsgründe waren auch nur aufgrund eines sorgfältigen Studiums des
Gutachtens erkennbar. Die Ablehnung des Sachverständigen war damit nach den oben
dargestellten Grundsätzen rechtzeitig.
Andere Bedenken gegen die Zulässigkeit des Befangenheitsantrages bestehen nicht.
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II.
18
Der Befangenheitsantrag ist auch begründet.
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Gem. § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt
werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigten. Eine Besorgnis der
Befangenheit des Sachverständigen ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die
berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen. Allein entscheidend
ist, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach
der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben an der
Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln (vgl. hierzu Zöller-
Vollkommer, § 406, Rdn. 8 f. m.w.N.).
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Die Besorgnis der Befangenheit aus Sicht der Beklagten ist durch den Verweis auf die
Internetseiten ############## und ########### begründet.
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1.
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Der Sachverständige hat im Rahmen der Gutachtenerstattung einen Briefbogen
verwendet, der auch auf ######### verweist. Diese Internetplattform ist nach dem
eigenen Anspruch her versicherungsfeindlich eingestellt. So findet sich u.a. folgende
Passage auf der Homepage:
23
"Insbesondere das "Schadensmanagement” vieler Versicherer soll hier eingehend
beleuchtet werden, das einzig und allein dem Ziel dient, diesen Versicherungen mehr
Profit zu ermöglichen; fast immer natürlich zu Lasten der Geschädigten.
24
Wenn einzelne Versicherer bei D, bei den Gerichten oder Gerichtsentscheidungen
häufiger in Erscheinung treten, dann ist ausschließlich deren Regulierungsverhalten
dafür verantwortlich.
25
D wird aber nicht nur negatives über die Versicherungswirtschaft berichten – auch
positives Regulierungsverhalten wird ggf. einen lobenswerten Platz erhalten.
26
D ist ein Sprachrohr ausschließlich für die Belange der Geschädigten und bieten keinen
Raum als Plattform für Interessengruppen aus der Versicherungswirtschaft."
27
Allein die Verwendung der Internetadresse im Briefkopf durch den Sachverständigen im
Rahmen der Gutachtenerstattung durfte bei der Beklagten berechtigterweise die
Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen erwecken. Dass der
Sachverständige den Hinweis mittlerweile entfernt hat, ändert nichts an der Tatsache,
dass der Sachverständige durch den Verweis auf die Adresse zum Ausdruck gebracht
hat, dass er versicherungskritisch eingestellt ist.
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2.
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Dieser Eindruck wird durch die eigene unter ########### betriebene Homepage noch
verstärkt.
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Diese lautet unter der Rubrik "Vorsicht" auszugsweise wie folgt:
31
"Seien Sie skeptisch, wenn Ihnen die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners die
gesamte praktische Abwicklung des Unfallschaden anbietet. Geben Sie nicht Ihr
Fahrzeug aus der Hand.
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Wer im Schadenfall zahlen muss, wird immer versuchen, die eigenen Interessen
durchzusetzen.
33
Ein Gutachter benötigen Sie im Falle Ihrer unverschuldeten Beteiligung am Unfall, um
Ihre Ansprüche aus dem Unfallereignis bei der Versicherung durchzusetzen.
34
Nach gängiger Rechtsprechung steht es Ihnen zu, zwecks Beweissicherung und
Feststellung der Schadenshöhe das Gutachten eines unabhängigen und neutralen
Sachverständigenbüros einzuholen. Auch dann, wenn die gegnerische Versicherung
ihren hauseigenen Gutachter bereits angekündigt hat.
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Nun ist Vorsicht angebracht!
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Denn aus Sicht der zahlungspflichtigen Versicherung macht eine solche Maßnahme nur
dann einen Sinn, wenn hierdurch Kosten eingespart werden können. Da aber der
(Versicherungseigene oder Versicherungsnahe) Sachverständige der Versicherung
zunächst auch einmal Geld kostet, rechnet sich eine Nachbesichtigung für die
Versicherung nur dann, wenn zusätzlich zu den Kosten des eigenen Sachverständigen
noch ein weiterer Betrag eingespart werden kann. Natürlich soll dieser Betrag an Ihrem
Fahrzeugschaden eingespart werden! Wo sonst? Tatsächlich zeigt die
Regulierungspraxis, dass diejenigen Sachverständigen, die im Dienste der
Versicherungen stehen und Unfallschäden nachbesichtigen, d.h. im Klartext, ein
eigenes Gutachten über den Schaden am Unfallfahrzeug für die gegnerische
Versicherung erstellen, teilweise zu erhebliche niedrigen Schadensummen kommen,
als die ursprünglich im Dienste der geschädigten Unfallopfer tätigen freien, neutralen
und unabhängigen Kfz-Sachverständigen. Die zahlungspflichtige Versicherung aber
wird dann naturgemäß lieber nur den niedrigeren Schadensbetrag an Sie auszahlen,
den nämlich, der eigene (Haus) Sachverständige festgestellt hat."
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Auch diese Ausführungen auf der eigenen Homepage zeigen, dass der
Sachverständige zumindest aus der nachvollziehbaren Sicht der beklagten
Versicherungen dieser nicht unbefangen gegenüber steht. Soweit der Sachverständige
in seiner Stellungnahme vom 24.07.2009 ausführt, dass er diese Homepage als
Verbraucherschutz und zur Aufklärung der Verkehrsunfallopfer betreibt, ändert dies
nichts daran, dass diese Homepage allein wegen der verwendeten Sprache sehr
versicherungskritisch seitens der Beklagten eingestuft werden kann. Dies durfte bei der
Beklagten berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen.
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3.
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Der Befangenheitsantrag der Beklagten ist damit insgesamt begründet. Eine
Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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