Urteil des LG Bochum vom 10.09.2008
LG Bochum: geschiedene frau, reaktive depression, geldstrafe, bewährung, persönlichkeitsstörung, gespräch, schuldfähigkeit, kränkung, rechtskraft, beruf
Landgericht Bochum, 23 Ns 63 Js 885/03 II 148/07
Datum:
10.09.2008
Gericht:
Landgericht Bochum
Spruchkörper:
kleine Strafkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 Ns 63 Js 885/03 II 148/07
Tenor:
Auf die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Strafrichters in
Bochum vom 29.11.2004 hat die Kleine auswärtige Strafkammer
Recklinghausen des Landgerichts Bochum aufgrund der
Hauptverhandlung vom 19.11.2007, an der teilgenommen haben:
für R e c h t erkannt:
Die Berufung des Angeklagten wird mit der Maßgabe verworfen, dass
eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60,- €, die in monatlichen
Raten von 250,- € bezahlt werden darf, verhängt wird.
Der Angeklagte trägt die Kosten und Auslagen der Berufung und der
Revision einschließlich der Kosten und Auslagen der Nebenklage.
G r ü n d e:
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Das Amtsgericht - Strafrichter - in Bochum hat den Angeklagten am 29.11.2004 wegen
vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten ohne
Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die dagegen eingelegte Berufung des
Angeklagten hat die 14. kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum nach
vollumfänglicher Verhandlung zur Sache und Beweisaufnahme am 23.03.2006
verworfen. Auf die Revision des Angeklagten hat der 2. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 22.01.2007 das angefochtene Urteil im
Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und insoweit zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an die erkennende
Kammer zurückverwiesen.
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Danach sind der Schuldspruch des Amtsgerichts und die ihn tragenden Feststellungen
im Berufungsurteil der 14. kleinen Strafkammer rechtskräftig. Wegen der Einzelheiten
wird auf die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts Bezug genommen.
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I.
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Die erneute Hauptverhandlung hat zu folgenden ergänzenden Feststellungen geführt:
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Der Angeklagte hat den Beruf eines Zweiradmechanikers gelernt und in diesem Beruf
einen Meistertitel erlangt. Er arbeitet bereits seit mehr als 10 Jahren bei der Firma P und
erzielt dort zur Zeit ein Nettoeinkommen von ca. 2.000,- €. Von diesem Geld hat er
Unterhaltsleistungen nicht zu erbringen.
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Der Angeklagte heiratete im Jahre 1977 die Geschädigte des hiesigen Verfahrens. Die
beiden gemeinsamen Töchter sind erwachsen und leben auf eigenen Füßen.
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Die Ehe des Angeklagten wurde 1998 geschieden, nachdem sich seine Ehefrau einem
anderen Mann zugewandt hatte. Der Angeklagte ist über dieses Erleben zum heutigen
Tage nicht hinweggekommen.
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Durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 03.12.2002 (37 Ds 63 Js 738/00) wurde er
wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6
Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der
Angeklagte hatte seiner geschiedenen Ehefrau mehrere Faustschläge ins Gesicht
versetzt und dabei Hämatome, ein Bruch des Jochbeines und eine Nasenbeinfraktur
bewirkt. In einem weiteren Fall hatte er eine seiner Töchter geschlagen. Tatzeit war der
25.05.2000. Der Angeklagte überstand die Bewährungszeit anstandslos. Die Strafe
wurde mit Wirkung vom 10.07.2005 erlassen.
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Der Angeklagte leidet unter einer narzisstischen Störung. Sein gesamtes Verhalten vor
dem Hintergrund der als Kränkung verarbeiteten Scheidung hat die Qualität einer
Persönlichkeitsstörung erlangt. Er ist zwar noch in der Lage, seine Alltagsbelange zu
erledigen, jedoch ist sein gesamtes Denken und Handeln starr und rigide auf die
Kränkungsanteile ausgerichtet. Die Zwanghaftigkeit seiner Gedanken hat ein
pathologisches Ausmaß im Hinblick auf eine überwertige Idee gewonnen. Inhaltlich
beginnt sich vor dem zwanghaften permanenten Wiederholen der Denkinhalte eine
wahngewisse Ausprägung auszubilden. Aufgrund des Verlaufes über mehrere Jahre
und der Unfähigkeit, die Zeit nutzen zu können, um sich gedanklich von seiner
Kränkung zu lösen, entstand eines narzisstische Persönlichkeit mit fanatischen und
zwanghaften Anteilen. Die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das Strafbare seines
Handelns war zwar zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt. Seine Steuerungsfähigkeit war
hingegen sicher erheblich eingeschränkt, da er in eine stark affektiv belastete
Gefühlswelt im Sinne seiner oben beschriebenen Persönlichkeitsstörung geriet. Eine
Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ist allerdings auszuschließen, wie sich bereits allein
daraus ergibt, dass er nach der hier zu Beurteilung anstehenden Tat in der Lage war,
das Gespräch nach eigenen Angaben zu beenden und in sein Kfz sich zu setzen.
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Nach der hier zur Beurteilung anstehenden Tat, also nach dem September 2003, kam
es zwischen dem Angeklagten und seiner geschiedenen Frau zu keinen vergleichbaren
Vorfällen mehr.
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Der Angeklagte ist nach wie vor auf das damalige Tatgeschehen nicht ansprechbar. Er
sieht sich als Opfer einer allseitigen Verschwörung, an der sich nunmehr neben seiner
geschiedenen Frau auch die Mitarbeiter der Justiz mit dem alleinigen Ziel beteiligen, ihn
zu schädigen. Er trägt die Überzeugung in sich, der anklagende Staatsanwalt und die
Richter der früheren Instanzen hätten absichtlich das Recht gebeugt, nur um ihn zu
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schädigen. Er hat gegen diese Personen Strafanzeige erstattet, wenngleich im Ergebnis
erfolglos. Jeder Versuch, mit ihm über das damalige Tatgeschehen in ein sinnfähiges
Gespräch einzutreten, schlägt fehl und bewirkt nicht mehr, als dass er in einem
unkontrollierten Wortschwall wütende verbale Attacken gegen alle Personen führt, die in
der Verfahrensakte auftauchen.
Der Angeklagte hat die Tatsache der teilweise in diesem Verfahren eingetretenen
Rechtskraft nicht akzeptieren wollen. Er hat durch einen seiner beiden Verteidiger
zunächst Verfassungsbeschwerde einlegen lassen, die hingegen zur Entscheidung
nicht angenommen worden ist. In der erneuten Berufungsverhandlung vor der
erkennenden Kammer hat er über diesen Verteidiger beantragen lassen, erneut in die
Beweisaufnahme zum Tatgeschehen selbst einzutreten, damit er nunmehr endlich seine
Unschuld beweisen könne. Die Kammer hat diesen Antrag zurückweisen müssen, da
hinsichtlich des Schuldspruches und der ihn tragenden Feststellungen Rechtskraft
eingetreten ist. Der Angeklagte sieht diesen Verfahrensstand als erneutes Indiz dafür,
dass die Justiz vorsätzlich das Recht beugt, um ihm zu schaden.
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II.
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Die ergänzenden Feststellungen beruhen hinsichtlich der Biographie des Angeklagten
auf seinen geständigen Angaben. Ein Zentralregisterauszug ist ihm vorgehalten und
von ihm als richtig anerkannt worden. Die Taten, die damals Gegenstand der
Verurteilung waren, nämlich Schläge zum Nachteil seiner geschiedenen Frau und
seiner Tochter, räumt er heute freimütig ein.
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Die Feststellungen zu seiner psychischen Konstitution und seiner Schuldfähigkeit
beruhen auf dem schriftlichen Gutachten des Psychiaters Dr. H vom 08.09.2005,
welches hinsichtlich seiner zusammenfassenden "Diagnose und Beurteilung" mit
Zustimmung aller Verfahrensbeteiligter verlesen worden ist. Zwar ist dieses Gutachten
nunmehr 2 Jahre alt, doch ist es zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten
zur Tatzeit im Jahre 2003 im Zweifel noch besser geeignet, als es ein erneutes
Gutachten zum gegenwärtigen Zeitpunkt sein könnte. Der gerichtsbekannte
Sachverständige ist als Amtspsychiater des Kreises S zur Beurteilung der hier zur
Diskussion anstehenden Fragen unzweifelhaft geeignet. Seinen Ausführungen
begegnen keine Bedenken. Auch der Angeklagte hatte weder in den vorangegangenen
Verfahrensteilen noch in der jetzigen Berufungsverhandlung die Ergebnisse der
Sachverständigenbegutachtung in Zweifel gezogen.
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Die Feststellungen zum Prozessverhalten des Angeklagten beruhen auf dem
persönlichen Eindruck in der Berufungsverhandlung.
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III.
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Bei der Strafzumessung war zu Lasten des Angeklagten zu werten, dass die
Verletzungen seiner geschiedenen Frau erheblich waren und das zur
Tatbestandsverwirklichung Erforderliche deutlich überschritten. Die reaktive Depression
löste eine Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum von mehr als 5 Monaten aus und
bedurfte einer medikamentösen Behandlung mit einem Antidepressivum zunächst auf
Dauer. Ferner war eine Gesprächstherapie erforderlich.
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Das damalige Tatgeschehen war der Höhepunkt eines sich über Monate hin
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entwickelnden Geschehens, bei dem der Angeklagte seine geschiedene Frau
zielstrebig belauert und beschattet hatte und sich auch durch zivilrechtliche
Gerichtsentscheidungen in seinem Eifer nicht hatte bremsen lassen. Um die hier zur
Beurteilung anstehende Tat begehen zu können, musste er mit seinem Pkw von V bis
nach X, also über eine Strecke von etwa 70 km fahren, um seinen Tatentschluss
umsetzen zu können. Der Angeklagte hat durch dieses Verhalten eine deutlich
überdurchschnittliche Intensität an den Tag gelegt.
Zu Lasten des Angeklagten sprach schließlich, dass er einschlägig vorbestraft war und
zur Tatzeit unter laufender Bewährung stand, wobei eine der Vortaten zum Nachteil
ebenfalls seiner geschiedenen Ehefrau begangen worden war. Er hat folglich auch
durch richterliche Bestrafungen nicht davon abhalten lassen wollen, dasselbe Tatopfer
weiterhin zu verfolgen und zu schädigen.
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Die psychische Konstitution des Angeklagten führt zu einer Reduzierung des
Strafrahmens nach den §§ 21, 49 StGB, so dass ein Rahmen von Freiheitsstrafe bis zu
3 Jahren und 9 Monaten oder Geldstrafe verbliebt. Innerhalb dieses reduzierten
Rahmens kann dann aber die psychische Beeinträchtigung des Angeklagten nicht
erneut strafmildernd herangezogen werden.
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Zu seinen Gunsten spricht hingegen, dass die Tat nunmehr mehr als 4 Jahre
zurückliegt, die überlange Verfahrensdauer nicht auf sein Verschulden zurückzuführen
ist, und sein Verhalten seit dem damaligen Zeitpunkt, also seit September 2003, zu
weiteren Beanstandungen keinen Anlass mehr gegeben hat.
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Insbesondere wegen des langen Zeitablaufes und des danach einwandfreien
Verhaltens waren die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung einer kurzen
Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB nicht länger gegeben. Die Verhängung einer
Geldstrafe erschien danach als ausreichend. Wegen der aber doch deutlichen
Schädigung des Opfers und der nicht minder deutlichen kriminellen Energie des
Angeklagten erschien es angebracht, die Geldstrafe so zu bemessen, dass der durch
das Verschlechterungsverbot im Berufungsverfahren vorgegebene Strafrahmen von
maximal 90 Tagessätzen voll ausgeschöpft wird. Nach der Überzeugung der Kammer
wäre jede mildere Form der Ahndung der Tat und den Folgen der Tat für das Opfer nicht
angemessen gewesen.
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Die Höhe des einzelnen Tagessatzes war mit 60,- Euro angemessen festzusetzen, da
dem Angeklagten ein Einkommen von wenigstens 2.000,- € netto monatlich
vollumfänglich für seinen persönlichen Lebensunterhalt zur Verfügung steht.
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IV.
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Die Kostenentscheidung, die sich auch auf die Kosten des Revisionsverfahrens bezieht,
beruht auf den §§ 472, 473 Abs. 1, 4 StPO. Die volle Kostentragungspflicht durch den
Angeklagten erscheint nicht unbillig im Sinne des § 473 abs. 4 StPO, da durch den
Wechsel von einer Freiheitsstrafe zu einer Geldstrafe in gleicher Höhe ausscheidbare
Kosten und Auslagen nicht entstanden sind.
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