Urteil des LG Bochum vom 24.01.2006

LG Bochum: verfassungskonforme auslegung, squeeze out, abfindung, verzinsung, handelsregister, mangel, bekanntmachung, verfügung, entstehungsgeschichte, unterlassen

Landgericht Bochum, 12 O 162/05
Datum:
24.01.2006
Gericht:
Landgericht Bochum
Spruchkörper:
12. Zivilkammer des Landgerichts - Kammer für Handelssachen -
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 O 162/05
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 27 U 65/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Hohe von 110 % des jeweils
zu vollstrecken-den Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 111.374,- € festgesetzt
TATBESTAND
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Der Kläger war Stamm- und Vorzugsaktionär der früheren H AG mit Sitz in Bochum. Auf
Verlangen des Mehrheitsaktionärs N AG beschloss die Hauptversammlung der früheren
H AG am 13.08.2004 gemäß § 327 a Abs. 1 S. 1 AktG, die Aktien der
Minderheitsaktionäre der H AG gegen Abfindung auf die N AG zu übertragen. Zum
Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses war der Kläger mit 31.471 Stammaktien
und 49.037 Vorzugsaktien an der damaligen H AG beteiligt.
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Der Hauptversammlungsbeschluss vom 13.08.2004 war Gegenstand des vor der
Kammer geführten Anfechtungsprozesses 12 0 136/04 sowie des Eilverfahrens gemäß
§§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG. Die Durchführung des Eilverfahrens führte schließlich
zur Eintragung des angefochtenen Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister
der damaligen H AG am 11 05 2005.
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Bereits vor dieser Eintragung hat die N AG am 06.05.2005 die Aktien der
Minderheitsaktionäre der H AG aus den Wertpapierdepots der Minderheitsaktionäre
abholen lassen und die festgesetzte Abfindung von 48,15 € je Stammaktie und 43,33 €
je Vorzugsaktie ausgezahlt.
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Die frühere H AG ist zwischenzeitlich auf die N AG verschmolzen worden. Die
Gesellschaft führt den Namen H1 AG.
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Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Ersatz der Kreditkosten für die
Finanzierung der Aktien, die ihm zwischen dem 13.08.2004 und dem 06.05.2005
entstanden seien Der Kläger behauptet, ihm seien insoweit durch die H2 Bank und das
Bankhaus S insgesamt 111.374,70 € berechnet worden.
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Der Kläger vertritt mit eingehendem näheren Vorbringen die Auffassung, bei
vertragsgemäßer Auslegung des § 327 b Abs. 2 AktG ergeben sich die mit dieser Klage
geltend gemachten Ansprüche unmittelbar aus dem Gesetz. Es verstoße gegen Artikel
14 Abs. 1 des Grundgesetzes, wenn dem Minderheitsaktionär im Falle eines Squeeze
Out-Verfahrens zwischen dem Hauptversammlungsbeschluss und der Bekanntmachung
der Eintragung der Enteignung im Handelsregister keine Verzinsung der festgesetzten
Abfindung gewährt werde. Durch verfassungskonforme Auslegung sei aber dieser
Mangel der Regelungen in den §§ 327 a ff. AktG zu schließen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 111.374,70 € nebst Zinsen in Höhe von 2 % über
dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Gleichfalls mit eingehendem weiteren Sachvorbringen trägt die Beklagte insbesondere
vor, für das Begehren des Klägers bestehe im geltenden Recht keine
Anspruchsgrundlage. Eine solche sei auch nicht im Wege verfassungsrechtlich
gebotener erweiternder Auslegung der aktienrechtlichen Bestimmungen zu gewinnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Argumentation der Beklagten wird auf den
Schriftsatz vom 09.01.2006 Bezug genommen.
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Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze einschließlich
der dortigen Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
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ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
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Die Klage ist unbegründet.
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Auch der Kläger verkennt nicht, dass für sein Begehren keine in der üblichen Form
ausformulierte Anspruchsgrundlage zur Verfügung steht. Entgegen seiner Auffassung
lässt sich auch nicht im Wege einer verfassungsgemäßen Auslegung der §§ 327 a ff.
AktG und speziell des § 327 b Abs. 2 2. Halbsatz AktG eine Anspruchsgrundlage für
seine Forderung herleiten. Es kann dabei dahin stehen, ob die Vorschrift über die
Verzinsung der den Minderheitsaktionären zu zahlenden Abfindung an einem
verfassungsrechtlichen Mangel leiden. Denn jedenfalls wäre ein solcher Mangel nicht
durch eine verfassungskonforme Auslegung zu heilen. Denn die verfassungskonforme
Auslegung findet dort ihre Grenzen, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren
Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde. Einem nach Wortlaut und Sinn
eindeutigen Gesetz darf also nicht im Wege der Auslegung ein entgegengesetzter Sinn
verliehen werden (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 08.02.1999 -1 BvL 25/97
m.w.N.). Eine verfassungskonforme Auslegung kommt mithin nur in Betracht, wenn der
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Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Zusammenhang der einschlägigen
Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zulassen, von denen eine
zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führen würde (Bundesverfassungsgericht
a.a.O.). Bei Anlegung dieser Kriterien scheidet die vom Kläger erstrebte Auslegung des
§ 327 b Abs. 2 AktG aus. Eine Verzinsung der Abfindung ordnet das Gesetz
ausdrücklich erst ab der Bekanntmachung der Eintragung des
Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister an. Ebenso eindeutig ist auch der 2.
Halbsatz, wonach die Geltendmachung eines weiteren Schadens nicht ausgeschlossen
ist. Diese Formulierung enthält nicht das Recht, von einem anderen ein Tun oder
Unterlassen zu verlangen (vgl. § 194 BGB), gibt also keinen Anspruch. Die Bedeutung
erschöpft sich vielmehr ebenso wie in der identisch formulierten Bestimmung des § 288
Abs. 4 BGB darin, der Auffassung entgegenzutreten, die Zinspflicht in dem
vorangegangenen Satzteil sei eine abschließende Regelung. Es wird daher die
Geltendmachung eines weiteren Schadens nicht abgeschnitten, andererseits aber auch
nicht durch § 327 b Abs. 2 2. Halbsatz selbst ermöglicht. Über die im vorausgegangenen
Halbsatz angeordnete Verzinsung hinaus kann ein weiterer Schaden geltend gemacht
werden, jedoch nur, wenn andere Anspruchsgrundlagen, beispielsweise nach §§ 280 ff.
BGB, zur Verfügung stehen. Nach dem Wortlaut und der Gesetzessystematik ist diese
Regelung eindeutig. Nichts spricht dafür, dass der Gesetzgeber hier eine andere
Regelung schaffen wollte, als die seit langem bekannte in § 288 BGB. Es kommt hinzu,
dass dem Gesetzgeber die ihm jetzt angelastete Lücke schlechterdings nicht verborgen
geblieben sein kann. Es liegt für jedermann unübersehbar auf der Hand, dass zwischen
einem Hauptversammlungsbeschluss und der Bekanntmachung der Eintragung des
Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister Wochen und Monate vergehen
können. Wenn der Gesetzgeber gleichwohl eine Verzinsungspflicht erst ab dem
letzteren Zeitpunkt angeordnet hat, so beruht dies auf einer bewussten und gewollten
Entscheidung. Dieser im Gesetz zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers
darf nicht durch eine "Auslegung” unterlaufen werden.
Mangels einer geeigneten Anspruchsgrundlage konnte die Klage daher keinen Erfolg
haben.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
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