Urteil des LG Berlin vom 02.03.2010
LG Berlin: einstweilige verfügung, satzung, mitgliedschaft, gewerkschaft, ausschluss, austritt, beendigung, schiedsgericht, erlass, rechtsschutz
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Gericht:
LG Berlin 5.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 O 533/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 925 Abs 2 ZPO vom
02.03.2010, § 936 ZPO vom
02.03.2010
Leitsatz
An die automatische Beendigung der Mitgliedschaft einer Einzelgewerkschaft in einer
Spitzenorganisation der Gewerkschaften sind strenge Anforderungen zu stellen.
Tenor
1. Die einstweilige Verfügung vom 22.12.2009 wird bestätigt.
2. Die Verfügungsbeklagte hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Verfügungsklägerin (im Folgenden nur: Klägerin) ist eine Verkehrsgewerkschaft, der
Mitarbeiter von Bahnen, Tochter- und Beteiligungsunternehmen, anderer Verkehrs- und
Dienstleistungsunternehmen u.a. angehören. Die Verfügungsbeklagte (im Folgenden
nur: Beklagte) ist eine Spitzenorganisation der Gewerkschaften und Verbände des
öffentlichen Dienstes und des privaten Dienstleistungssektors. Die Klägerin ist seit
Jahren deren Mitgliedsgewerkschaft. In der Satzung der Beklagten - auf die im Übrigen
Bezug genommen wird (Anlage AS3) heißt es u.a. in §§ 1 f., Mitglieder seien die
Landesbünde und Mitgliedsgewerkschaften. Nach § 5 haben die Mitgliedsgewerkschaften
die Dachorganisation zu unterstützen. Sie können verschiedene von ihr angebotene
Leistungen wie - u.a. - fachliche und politische Unterstützung, Rechtsberatung und
Rechtsschutz, Nutzung von Veranstaltungsräumen, Seminarangebote und dergleichen
in Anspruch nehmen.
In § 6 heißt es:
“(1) Die Mitgliedschaft erlischt durch:
(2) Der Austritt ist zum Schluss eines Kalenderjahres durch eingeschriebenen Brief an
die Bundesleitung unter Einhaltung einer vierteljährlichen Kündigungsfrist zu erklären.
(3) Der Ausschluss ist zulässig, wenn eine Mitgliedsgewerkschaft der Satzung
zuwiderhandelt oder satzungsgemäß gefassten Beschlüssen und Richtlinien trotz
schriftlicher Aufforderung durch die Bundesleitung binnen Monatsfrist nicht Folge leistet.
Die Mitgliedsgewerkschaft hat Gelegenheit, sich innerhalb dieser Frist zu den Gründen
des Ausschlussantrages zu äußern. Der Antrag auf Ausschluss ist von der Bundesleitung
schriftlich an den Bundeshauptvorstand zu richten. Dieser kann den Ausschluss nur mit
Zweidrittelmehrheit beschließen.
(4) Gegen den Beschluss des Bundeshauptvorstandes ist innerhalb eines Monats, vom
Tage der Bekanntgabe an, die Anrufung des Gewerkschaftstages zulässig.
Diese Anrufung ist schriftlich bei der Bundesleitung einzureichen. Über die Anrufung
entscheidet der Gewerkschaftstag mit einfacher Mehrheit.
(5) Tritt eine Mitgliedsgewerkschaft einer anderen gewerkschaftlichen
Spitzenorganisation bei oder schließt sie sich mit einer Gewerkschaft einer solchen
zusammen, erlischt damit ihre Mitgliedschaft im ….”
Die Klägerin strebt eine Verkehrsgewerkschaft unter Verschmelzung mit der zum DGB
gehörenden “…” an. Die Beklagte wies mit Schreiben ihres Bundesvorsitzenden vom
14.10.2009 (Anlage AS 5) darauf hin, dass “mit Verschmelzung” die Mitgliedschaft bei
der Beklagten “unmittelbar” ende. Die Klägerin weist darauf hin, dass bereits seit August
2005 eine - von der Beklagten hingenommene - Tarifgemeinschaft mit “…” bestehe und
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2005 eine - von der Beklagten hingenommene - Tarifgemeinschaft mit “…” bestehe und
die Beklagte selbst mit der DGB-Gewerkschaft “Verdi” im Rahmen einer “Initiative
öffentliche Dienste” zusammenarbeite. Im Übrigen gehe es nur um die Vorbereitung der
Gründung einer Verkehrsgewerkschaft. Der auf dem außerordentlichen
Gewerkschaftstag vom 10.12.2009 beschlossene Leitantrag betreffe die Vorbereitung
einer solchen Gründung, die den Beschluss eines weiteres außerordentlichen
Gewerkschaftstages voraussetze.
Die Klägerin stützt ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insbesondere
auf ein Schreiben der Beklagten an ihre - der Klägerin - Mitglieder und eine Tischvorlage
des Bundesvorstands der Beklagten vom 14.12.2009 (Anlagen AS 12 f.). In dem
Schreiben an die Mitglieder wird u.a. ausgeführt, dass “...die Mitgliedschaft der GBDA im
… erloschen” sei. Die Mitglieder sollten aus der “GDBA” austreten und einer “…
Bahngewerkschaft” bzw. der “Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL)”
beitreten. In der - angenommenen - Tischvorlage heißt es weiter, dass die Beklagte ab
11.12.2009 alle Dienste für die Klägerin und deren Mitglieder einstelle.
Das Gericht hat im Wege der einstweiligen Verfügung vom 22.12.2009 angeordnet:
“1. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, sämtliche Mitgliedschaftsrechte der
Antragstellerin aus ihrer Mitgliedschaft im Antragsgegner bis zum etwaigen Vollzug einer
Verschmelzung mit der Gewerkschaft … aufrechtzuerhalten und der Antragstellerin
insbesondere die folgenden Leistungen gemäß § 5 Absatz 3 der Satzung des
Antragsgegners in der Fassung vom 28. November 2007, zu gewähren:
a) Fachliche und politische Unterstützung,
b) Rechtsberatung und Rechtsschutz für die Einzelmitglieder der Antragstellerin nach
Maßgabe der Rahmenrechtsschutzordnung des Antragsgegners in Zusammenarbeit mit
den Dienstleistungszentren des Antragsgegners,
c) Zurverfügungstellung der Veranstaltungsräume des forums berlin und des forums
siebengebirge entsprechend den dafür geltenden Bestimmungen,
d) Teilnahme an Seminaren der …akademie des Antragsgegners An der … in K. nach
Maßgabe der Richtlinien und Vorgaben der …akademie,
e) Nutzung der Angebote des Antragsgegners bzw. seiner Untergliederungen im Bereich
Versicherungen, Banken, Wirtschaft, Service,
f) Nutzung der Angebote der …verlag GmbH einschl. einer Kooperation bei
Publikationen,
g) Bezug der Bundeszeitschrift “…-magazin” entsprechend den dafür geltenden
Regelungen,
h) Nutzung der Informationen und Publikationen des ….
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens bei einem
Wert von 20.000,00 € zu tragen.”
Nach Widerspruch der Beklagten beantragt die Klägerin,
die einstweilige Verfügung zu bestätigen.
Die Beklagte beantragt,
den Beschluss vom 22.12.2009 unter Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt die Beklagte vor, seitens der Klägerin seien bereits verbindliche
Vereinbarungen über ein weiteres Vorgehen bzw. Festlegungen getroffen worden. Der
Gewerkschaftstag vom 10.12.2009 habe endgültig beschlossen. Dies stelle sich als
Austritt aus der Beklagten dar.
Entscheidungsgründe
Die einstweilige Verfügung vom 22.12.2009 ist nach Widerspruch zu bestätigen (§§ 936,
925 Abs. 2 ZPO), da sie zurecht ergangen ist.
Die Entscheidung eines Schiedsgerichts musste nicht abgewartet werden. Zwar sieht §
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Die Entscheidung eines Schiedsgerichts musste nicht abgewartet werden. Zwar sieht §
24 der Satzung der Beklagten ein solches Schiedsgericht vor. Es ist aber hier, soweit
ersichtlich, von keiner der beiden Seiten angerufen worden. Es ist auch nichts dazu
vorgetragen worden, dass das Schiedsgericht auch dann noch zuständig sein soll, wenn
es um eine behauptete automatische Beendigung der Mitgliedschaft geht. Ein
vereinsinterner Rechtsbehelf ist zwar regelmäßig vorrangig; dies gilt aber dann nicht,
wenn - wie hier - ein Zuwarten nicht zuzumuten ist (dazu beispielsweise: OLG Düsseldorf,
NJW-RR 1988, 1271). Hier sind die Mitgliedschaftsrechte der Klägerin bzw. ihrer Mitglieder
durch eine Vielzahl von Maßnahmen bereits suspendiert worden. Daraus ergibt sich,
dass jetzt eine vorläufige Regelung getroffen werden muss, um weiteren
Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang beispielsweise mit der Vertretung der Klägerin
in Organen der Beklagten sowie mit Leistungen der Beklagten für die Klägerin und deren
Mitgliedern vorzubeugen. Durch die einstweilige Regelung wird auch nicht die
Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen. Sie entfaltet nur Wirkung für den
Zeitraum, bis die Frage der Bildung einer einheitlichen Verkehrsgewerkschaft, sei es
unter dem Dach des DGB oder der Beklagten, geklärt ist.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin etwa aus der Beklagten
selbst ausgetreten oder die Mitgliedschaft erloschen ist. Ein eigener Austritt im Sinne
von § 6 Abs. 1 der Satzung der Beklagten ist nicht zu sehen. Der Beschluss der Klägerin
vom 10.12.2009 (Anlage AS 11) zeigt vielmehr, dass man zu einer einvernehmlichen
Lösung kommen wollte und die endgültige Entscheidung einem weiteren
außerordentlichen Gewerkschaftstag vorbehalten blieb. Im Übrigen wären die
Voraussetzungen eines Austritts gemäß § 6 Abs. 2 der Satzung nicht gegeben. Ein
Erlöschen der Mitgliedschaft gemäß § 6 Abs. 5 der Satzung würde einen
Zusammenschluss mit einer Gewerkschaft einer anderen Spitzenorganisation - hier:
“…” im DGB - voraussetzen. Eine solche gleichsam automatische Beendigung der
Mitgliedschaft mag grundsätzlich in einer Satzung möglich sein; insofern ist die Satzung
aber gemäß §§ 133, 157 BGB eng und nach objektiven Kriterien auszulegen (dazu: LG
Braunschweig, MDR 1995, 754). Die enge Auslegung bedeutet hier, dass ein
Zusammenschluss bereits erfolgt sein muss. Davon kann hier keine Rede sein. Es ist in
den Unterlagen der Klägerin immer wieder davon die Rede, dass es um einen Prozess
geht, der erst von einem weiteren außerordentlichen Gewerkschaftstag besiegelt werden
soll. Die Auslegung nach objektiven Kriterien bedeutet, dass irgendwelche Erwartungen
seitens des Vorstands der Klägerin oder aber der Beklagten, wie sich die Entwicklung
vollziehen werde, nicht entscheidend sind. Die Gewerkschaftstage sind letztlich die
entscheidenden Organe. Im Übrigen soll nur noch bemerkt werden, dass ja auch die “…”
dem ganzen noch zustimmen müsste.
Wenn die Beklagte im Übrigen der Meinung ist, es liege ein satzungswidriges Verhalten
der Klägerin vor, so müsste sie gemäß § 3 Abs. 3 und 4 vorgehen; auch insofern würde
letztlich der Gewerkschaftstag entscheiden. Ein solches Vorgehen ist ersichtlich nicht
erfolgt.
Der Antrag der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig und justiziabel. Er orientiert sich,
soweit er beispielhaft verschiedene Rechte der Klägerin nennt, an § 5 Abs. 3 der eigenen
Satzung der Beklagten.
Die weiteren Kosten des Verfahrens waren der Verfügungsbeklagten gemäß § 91 ZPO
aufzuerlegen. Das Urteil ist ohne weiteres vorläufig vollstreckbar.
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