Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 20.12.2006

LArbG Mainz: ordentliche kündigung, stadt, niederlassung, arbeitsgericht, fahrzeugbau, berufserfahrung, auto, betriebsrat, programmierer, stellenausschreibung

LAG
Mainz
20.12.2006
9 Sa 668/06
Unkündbarkeit und außerordentliche betriebsbedingte Kündigung
Aktenzeichen:
9 Sa 668/06
10 Ca 3310/05
ArbG Koblenz
Entscheidung vom 20.12.2006
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 06.07.2006, Az.: 10 Ca
3310/05, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise erklärten
ordentlichen Kündigung und um den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers während des
Rechtsstreites.
Von einer wiederholenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen
Parteivorbringens wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und
auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 06.07.2006 (dort S. 2 - 8 = Bl. 151 -
157 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die
ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.10.2005 beendet wurde, und
2. Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als
Programmierer weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 06.07.2006 (Bl. 150 ff. d. A.) festgestellt, dass das
Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung
der Beklagten vom 27.10.2005 beendet wurde; des Weiteren hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger bis
zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen
Bedingungen als Programmierer weiter zu beschäftigen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die
Rechtswirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 27.10.2005 scheitere daran, dass der Kläger nach
dem anwendbaren Manteltarifvertrag für die Angestellten der X. grundsätzlich ordentlich unkündbar sei
und ein tariflich vorgesehener Ausnahmefall nicht vorliege. Ein solcher Ausnahmefall sei nach dem
Tarifwortlaut nur gegeben bei Betriebsstilllegungen bzw. Teilbetriebsstilllegungen, wobei die Kündigung
zum Zeitpunkt der endgültigen Stilllegung im Zusammenhang mit einem Sozialplan zulässig sei. Im
vorliegenden Fall habe aber die Beklagte den Betrieb in W-Stadt nicht stillgelegt und die Schließung oder
Verlegung der Niederlassung der Beklagten in C-Stadt sei kein Anlass für die von der Beklagten mit
Schreiben vom 27.10.2005 erklärte Kündigung.
Darüber hinaus habe auch die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist vom 27.10.2005 das
Beschäftigungsverhältnis nicht zum 31.05.2006 beendet. Sehe der Tarifvertrag im Fall von
betriebsbedingten Gründen - wie vorliegend - Kündigungsmöglichkeiten vor, so seien bei Nichterfüllung
dieser Voraussetzungen gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne
von § 626 Abs. 1 BGB zu stellen. Dementsprechend habe der Arbeitgeber darzulegen, dass er ohne eine
außerordentliche Kündigungsmöglichkeit gezwungen wäre, ein sinnloses Arbeitsverhältnis über viele
Jahre hinweg allein durch Gehaltszahlungen, denen keine entsprechende Arbeitsleistung
gegenüberstehe, aufrecht zu erhalten, und dass auch keine andere Möglichkeit bestehe, die Fortsetzung
eines völlig sinnentleerten Arbeitsverhältnisses etwa durch eine anderweitige Beschäftigung ggfls. nach
entsprechender Umschulung zu vermeiden. Das Fehlen jeglicher anderweitiger
Beschäftigungsmöglichkeit zähle hierbei schon zum wichtigen Grund und sei vom Arbeitgeber im
Kündigungsrechtsstreit darzulegen. Dabei habe er auch auszuführen, dass er seiner Pflicht
nachgekommen sei, mit allen zumutbaren Mitteln, ggfls. auch durch eine entsprechende Umorganisation
und das Freimachen geeigneter gleichwertiger Arbeitsplätze, eine Weiterbeschäftigung zu versuchen.
Da der anwendbare Tarifvertrag im Fall von betriebsbedingten Gründen die Möglichkeit einer ordentlichen
Kündigung bei Betriebsstilllegungen und Teilbetriebsstilllegungen vorsehe, könne eine außerordentliche
Kündigung mit Auslauffrist nur in Extremfällen auf betriebsbedingte Gründe gestützt werden. Ein solcher
Extremfall liege aber - allein ausgehend vom Sachvortrag der Beklagten - nicht vor, da der Kläger als
ausgebildeter Elektrotechniker als Versuchstechniker bei der Beklagten - entsprechend einem
Stellenangebot (Bl. 119 d. A.) hätte beschäftigt werden können. Nach diesem Stellenangebot seien
Erfahrungen in der Versuchstechnik lediglich von Vorteil, nicht aber Einstellungsvoraussetzung gewesen.
Es sei vorliegend nicht ersichtlich, weshalb der Kläger ggfls. nach einer zumutbaren Zeit der Umschulung
außerstande sein sollte, die Erstellung, Erprobung und Betreuung komplexer Versuchsanlagen zu
bearbeiten.
Angesichts der hieraus folgenden Rechtsunwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung sei die
Beklagte auch verpflichtet den Kläger während des Rechtsstreites weiter zu beschäftigen.
Hinsichtlich aller weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichtes wird auf S. 8 ff. des
Urteils vom 06.07.2006 (Bl. 157 ff. d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte, der die Entscheidung des Arbeitsgerichts Koblenz am 31.07.2006 zugestellt worden ist, hat
am 24.08.2006 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 31.10.2006 ihr
Rechtsmittel begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 31.10.2006 verlängert
worden war.
Die Beklagte macht geltend,
aufgrund der wirtschaftlichen Unterauslastung und defizitären Finanzsituation der Niederlassung C-Stadt
sei diese zum 31.12.2003 geschlossen und die angemietete Immobilie zum 30.04.2004 an die
Bundesrepublik Deutschland als Vermieterin zurückgegeben worden. Beim Wechsel des Klägers von C-
Stadt nach W-Stadt habe festgestanden, dass sein Arbeitsplatz nicht mehr vorhanden gewesen sei und
seine Weiterbeschäftigung in W-Stadt ausschließlich auf der unsicheren Prognose beruhe, dass die in C-
Stadt schon nicht mehr vorhandenen Aufträge möglicherweise in W-Stadt hereingeholt werden könnten.
Diese Erwartung habe sich aber nicht erfüllt; die Arbeitsauslastung des Klägers in W-Stadt habe sich im
Jahr 2005 auf lediglich 1,66 % belaufen. Die im Zusammenhang mit der Stilllegung der Niederlassung C-
Stadt ausgesprochene Kündigung sei daher rechtswirksam.
Unabhängig hiervon hätten auch die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit
Auslauffrist nach § 626 BGB vorgelegen. Die Beklagte habe nämlich innerhalb des gesamten
Unternehmensbereiches überprüft, welche Funktionen oder Arbeitstellen vom Kläger aufgrund seiner
Ausbildung, Qualifikation und seiner bisherigen Tätigkeit, einschließlich der dabei gewonnenen
Erfahrungen, unter Berücksichtigung einer zumutbaren Einarbeitungszeit hätten übernommen werden
können. In dem Bereich V. (Test und Analyse) sei für die dortige Tätigkeit eine mindestens fünfjährige
Berufsausbildung mit sehr detaillierten Kenntnissen im Auto- und Fahrzeugbau und in Automobiltechnik
erforderlich. Über diese Kenntnisse und Erfahrungen verfüge der Kläger nicht. Auch in den anderen
Unternehmensbereichen (Infokom, Raumfahrt, Verteidigung und Sicherheit, Embedded Systems und
Magnetbahnversuch) seien die Möglichkeiten einer Beschäftigung des Klägers geprüft und dabei sei
festgestellt worden, dass auch sein Einsatz in einem dieser Bereiche, mangels Berufserfahrung oder
Ausbildung, nicht möglich gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom
31.10.2006 (Bl. 187 ff. d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz (10 Ca 3310/05) vom 06.07.2006 die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger führt aus,
die von der Beklagten in C-Stadt betriebene Niederlassung sei nicht stillgelegt, sondern lediglich zum
01.01.2004 nach W-Stadt verlegt worden; dies ergebe sich aus dem Inhalt des Interessenausgleiches vom
08.12.2003, welcher ausdrücklich von einer Zusammenlegung der Standorte C-Stadt und W-Stadt
spreche. Die Abteilung U., in welcher der Kläger in C-Stadt beschäftigt worden sei, sei komplett nach W-
Stadt verlagert worden und habe dort unverändert fortbestanden. Die Beklagte habe im Übrigen dem
Betriebsrat im Anhörungsschreiben vom 19.10.2005 nicht mitgeteilt, dass sie die Kündigung auf eine
Stilllegung der Niederlassung C-Stadt stützen wolle.
Darüber hinaus werde bestritten, dass die Arbeitsauslastung des Klägers im Jahr 2005 lediglich 1,66 %
betragen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, wie diese Prozentzahl berechnet worden sei; offenbar seien
Zuarbeitstätigkeiten des Klägers zu Projekten, für die Dokumentation und Netzbetreuung nicht in die
Stundensätze der Projekte mit eingerechnet worden. Darüber hinaus werde die pauschale Behauptung,
für den Bereich V. sei eine mindestens fünfjährige Berufserfahrung mit sehr detaillierten Kenntnissen im
Auto- und Fahrzeugbau und Automobiltechnik erforderlich, ebenso pauschal bestritten wie sie von der
Beklagten vorgetragen worden sei. Die Einarbeitung des Klägers in diesem Bereich, welche in A-Stadt
hätte erfolgen müssen, hätte allenfalls einige Monate in Anspruch genommen; der Kläger sei mit einer
Versetzung nach A-Stadt einverstanden gewesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom
08.12.2006 (Bl. 197 ff. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegt Berufung ist nach §§ 64 ff. ArbGG, 513 ff. ZPO zwar zulässig, in der
Sache jedoch nicht begründet.
Sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 27.10.2006 haben
das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.05.2006 beendet; der Kläger ist daher bis zum rechtskräftigen Ende
des Kündigungsrechtsstreites als Programmierer weiterzubeschäftigen. Dies hat bereits das Arbeitsgericht
Koblenz zu Recht und mit zutreffenden Gründen in seinem Urteil vom 06.07.2006 festgestellt. Die
Berufungskammer macht sich die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe (Bl. 157 - 162 d. A.)
vollumfänglich zu Eigen und verzichtet gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf eine wiederholende Darstellung.
Die von der Beklagten mit ihrer Berufung geltend gemachten Einwendungen greifen nicht durch.
1.
Die ordentliche Kündigung ist rechtsunwirksam, da der Kläger gemäß § 2 Ziffer 5. III des einzelvertraglich
vereinbarten Manteltarifvertrages der Angestellten für die X. ordentlich unkündbar war.
Allerdings ist nach dieser Tarifregelung eine ordentliche Kündigung unter anderem bei
Betriebsstilllegungen bzw. Teilbetriebsstilllegungen zum Zeitpunkt der endgültigen Stilllegung im
Zusammenhang mit einem Sozialplan zulässig. § 15 Abs. 4 und 5 KSchG gelten sinngemäß. Ob allerdings
- wie die Beklagte ausführt - die Schließung ihrer Niederlassung in C-Stadt und die Verlagerung der dort
ansässigen Unternehmensbereiche nach W-Stadt eine Betriebs- oder Teilbetriebsstilllegung verkörperte
und die ordentliche Kündigung, welche mehr als 1 ½ Jahre später erfolgte, auf einer solchen Stilllegung
beruht, kann dahinstehen. Auf eine Betriebs- oder Teilbetriebsstilllegung als Kündigungsgrund kann sich
die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit nämlich nicht berufen. Eine objektiv unvollständige
Unterrichtung über Kündigungsgründe verwehrt es dem Arbeitgeber nämlich, im
Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des dem Betriebsrat
mitgeteilten Sachverhaltes hinausgehen (vgl. DLW/Dörner D Randziff. 294 m. w. N.).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte im Anhörungsschreiben vom 19.10.2005 (Bl. 105 ff. d. A.) die
beabsichtigte Kündigung auf einen Auftragsmangel, der in ihrer Niederlassung W-Stadt im Rahmen der
Abteilung U. aufgetreten ist, gestützt. Hingegen hat sie dem Betriebsrat nicht mitgeteilt, dass die
Kündigung auf einer Betriebs- oder Teilbetriebsstilllegung der Niederlassung in C-Stadt beruhe. Da es
sich bei dem in W-Stadt aufgetreten Auftragsmangel und einer Betriebs- oder Teilbetriebsstilllegung in C-
Stadt um zwei grundverschiedene Sachverhalte handelt, die sich zeitlich, räumlich und inhaltlich klar
unterscheiden lassen, kann der von der Beklagten nachgeschobene Kündigungsgrund der Betriebs- oder
Teilbetriebsstilllegung im vorliegenden Kündigungsrechtsstreit nicht mehr berücksichtigt werden.
2.
Auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist sind nach wie
vor nicht erfüllt. Ausgehend von der vom Arbeitsgericht zutreffend dargelegten Rechtslage hat die
Beklagte nach wie vor nicht substantiiert vorgetragen, dass eine Beschäftigung des Klägers in der
Abteilung V. als Elektrotechniker vor Ausspruch der Kündigung nicht möglich gewesen wäre. Die Beklagte
wendet insofern mit der Berufung lediglich ein, der Kläger verfüge nicht über die erforderlichen
Voraussetzungen: Eine mindestens fünfjährige Berufserfahrung mit sehr detaillierten Kenntnissen im
Auto- und Fahrzeugbau und Automobiltechnik.
In dem Stellenangebot Nr. 27/05 (Bl. 119 d. A.) suchte die Beklagte für den Bereich V. einen
"Elektrotechniker, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik" und machte im Text der Stellenausschreibung
Angaben zu den Bereichen "Aufgabengebiet", "erforderliche Ausbildung" und "erwünschte Kenntnisse".
Als "erforderliche Ausbildung" verlangte sie eine abgeschlossene Ausbildung zum Elektrotechniker oder
vergleichbare Qualifizierung mit Vertiefung in der MSR-Technik.
Der Kläger verfügt unstreitig über eine abgeschlossene Ausbildung zum Elektrotechniker und erfüllte
mithin die Qualifizierungsvoraussetzung für die in der Vergangenheit ausgeschriebene Stelle. Wenn die
Beklagte nunmehr im Kündigungsrechtsstreit weitergehende Qualifizierungsvoraussetzungen für eine
Tätigkeit des Klägers in diesem Bereich für notwendig hält, hätte sie im Einzelnen ausführen müssen, in
welchem Zusammenhang nunmehr eine fünfjährige Berufserfahrung und darüber hinaus Detailkenntnisse
im Fahrzeugbau erforderlich sein sollen und wie der Widerspruch zu den Angaben in der
Stellenausschreibung zu erklären ist. Allein durch den pauschalen Hinweis auf die weitergehenden
Anforderungen genügte die Beklagte der ihr obliegenden Darlegungslast nicht. Dies gilt umso mehr als an
die Darlegungslast für einen betriebsbedingten außerordentlichen Kündigungsgrund, angesichts der -
vom Arbeitsgericht bereits dargelegten - tariflichen Ausgangssituation, hohe Anforderungen zu stellen
sind.
Nach alldem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision fehlte es unter Berücksichtigung von § 72 Abs. 2 ArbGG an einem
gesetzlich begründeten Anlass.