Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 01.07.2010

LArbG Mainz: zusammenarbeit, arbeitsgericht, akte, betriebsrat, unterlassen, zwangsvollstreckungsverfahren, quelle, verfügung, geschäftstätigkeit, bezirk

LAG
Mainz
01.07.2010
5 TaBV 18/10
Unterlassungsanspruch
Aktenzeichen:
5 TaBV 18/10
3 BV 7/09
ArbG Trier
Entscheidung vom 01.07.2010
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 25.03.2010
- 3 BV 7/09 - aufgehoben.
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Antragsteller ein Unterlassungsanspruch im Hinblick auf Maßnahmen gemäß §§ 99 ff. BetrVG gegen die
Antragsgegnerin zusteht.
Die Antragsgegnerin betreibt bundesweit eine Drogeriemarktkette; der Antragsteller ist der bei ihr für den
Bezirk X. gebildete Betriebsrat. Vorliegend macht der Antragsteller die Unterlassung der vorläufigen
Durchführung von personellen Maßnahmen gemäß § 100 BetrVG geltend, wenn dies wegen eines bereits
mindestens einen Monat vorher absehbaren Personalbedarfs nicht aus sachlichen Gründen dringend
erforderlich ist.
Der Antragsteller hat vorgetragen,
die Antragsgegnerin führe immer wieder personelle Einzelmaßnahmen ohne erteilte oder nach von ihm
verweigerter Zustimmung vorläufig gemäß § 100 BetrVG durch, obwohl der entsprechende
Personalbedarf bereits langfristig absehbar gewesen sei, sodass es an einer aus sachlichen Gründen
dringenden Erforderlichkeit fehle. Dies folge aus den Verfahren 3 BV 171/08 (Frau D.), 3 BV 2/09 (Frau G.,
Frau B. und Frau Z.), jeweils vor dem Arbeitsgericht Trier. Im zunächst genannten Verfahren ist die
ergangene Entscheidung rechtskräftig geworden; im zweiten Verfahren hat sich die Hauptsache in der
Beschwerdeinstanz durch Zeitablauf erledigt. Mit dieser Vorgehensweise unterlaufe die Antragsgegnerin
fortgesetzt seine Mitbestimmungsrechte, weil sich die gemäß § 100 BetrVG eingeleiteten Verfahren in aller
Regel vor einer gerichtlichen Prüfung oder gar einer abschließenden Entscheidung durch Zeitablauf
erledigten. Oft sei der Personalbedarf bereits langfristig absehbar, was die Antragsgegnerin aber nicht
daran hindere, bis kurz vor Durchführung der Maßnahme abzuwarten und sie dann gemäß § 100 BetrVG
vorläufig durchzuführen. Auch nach Abschluss der zuvor genannten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen
führe sie weiterhin trotz langfristig absehbaren Personalbedarfs derartige Maßnahmen kurzfristig und
vorläufig gemäß § 100 BetrVG durch. Dies gelte zum Beispiel für die Beschäftigung der Mitarbeiterinnen L.
(07.-12.12.2009 Urlaubsvertretung), K. (21.-26. und 28.-31.12.2009 wegen Betriebsratstätigkeit), S. (21.-
23.12. und 28.-31.12.2009 Urlaubsvertretung), K. (21.-23.12. und 28.-31.12.2009 Urlaubsvertretung), S.
(28.12.2009 - 02.01.2010 Urlaubsvertretung), S. (07.-12.12.2009 Urlaubsvertretung) und S. (08.-
12.12.2009 Urlaubsvertretung) und leite teilweise noch nicht einmal ein gerichtliches Verfahren gem.
§ 100 II 3 BetrVG ein.
Der Antragsteller hat beantragt,
die Antragsgegnerin im Beschlussverfahren zu verpflichten, es zu unterlassen, im Falle seiner
Zustimmungsverweigerung innerhalb der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG personelle
Maßnahmen im Sinne des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorläufig durchzuführen, wenn dies wegen
Personalbedarfs, der bereits mehr als einen Monat vor Durchführung der Maßnahme absehbar war, zum
Beispiel im Falle von Mutterschutz, Elternzeit, Altersteilzeit, Betriebsratstätigkeit oder ähnlicher
Tatbestände von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen der Antragsgegnerin, aus sachlichen Gründen
nicht dringend erforderlich ist,
der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1) ein Ordnungsgeld in Höhe von
bis zu 10.000,00 € anzudrohen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, nach ihrer Auffassung handele es sich um unzulässige und
unbegründete Globalanträge. Sie zeige dem Antragsteller im Übrigen die vorläufige Durchführung
personeller Maßnahmen stets gemäß § 100 BetrVG an. Die Prüfung der aus sachlichen Gründen
dringenden Erforderlichkeit habe in den jeweiligen Zustimmungsersetzungsverfahren zu erfolgen, nicht
dagegen im Zwangsvollstreckungsverfahren, zumal es sich stets um einzelfallbezogene Wertungsfragen
handle.
Das Arbeitsgericht Trier hat darauf hin durch Beschluss vom 25.03.2010 - 3 BV 7/09 - die Antragsgegnerin
verpflichtet, es zu unterlassen, im Falle der Zustimmungsverweigerung des Antragsstellers innerhalb der
Wochenfrist des § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG personelle Maßnahmen im Sinne des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG
vorläufig durchzuführen, wenn dies wegen Personalbedarfs, der bereits mehr als einen Monat vor
Durchführung der Maßnahmen absehbar war, zum Beispiel im Falle von Mutterschutz, Elternzeit,
Altersteilzeit, Betriebsratstätigkeit oder ähnlichen Tatbeständen von Arbeitnehmern und
Arbeitnehmerinnen der Antragsgegnerin, aus sachlichen Gründen nicht dringend erforderlich ist und der
Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtung insoweit ein Ordnungsgeld
von 4.000,00 € angedroht. Hinsichtlich des Inhalts der Gründe der Entscheidung wird auf Blatt 141 bis 148
der Akte Bezug genommen.
Gegen den ihr am 01.04.2010 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin durch am 07.04.2010 beim
Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Sie hat die
Beschwerde durch am 12.04.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
Die Beschwerdeführerin trägt vor,
der Antrag sei bereits mangels Bestimmtheit unzulässig. So sei unklar, was unter "ähnlichen
Tatbeständen" zu verstehen sei; diese Frage sei unstatthafter Weise erst im
Zwangsvollstreckungsverfahren zu klären. Der Antrag sei im Übrigen auch nicht begründet. Es handele
sich um einen Globalantrag. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei eine vorläufige
Durchführung einer personellen Maßnahme durchaus auch möglich und denkbar, wenn der
Personalbedarf bereits mehr als einen Monat vor Durchführung der Maßnahme absehbar gewesen sei.
Insoweit seien zahlreiche Fallgestaltungen sowohl im Hinblick auf Mutterschutz, als auch Elternzeit
denkbar. Häufig sei es unerlässlich, die geplante Maßnahme vorläufig gemäß § 100 BetrVG aus
sachlichen Gründen durchzuführen, da ein Zustimmungsersetzungsverfahren bis zu einem rechtskräftigen
Abschluss einen Zeitraum von mindestens einem Jahr in Anspruch nehmen würde.
Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beschwerdeführerin wird auf die
Beschwerdebegründungsschrift vom 09.04.2010 (Bl. 160 bis 165 der Akte Bezug genommen).
Die Beschwerdeführerin beantragt,
d
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Beschwerdegegner verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines
erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, es sei in Notfällen eine Beschränkung der
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats statthaft. Derartige Notfälle seien vorliegend aber nicht gegeben.
Vielmehr sei ein grober Pflichtverstoß der Beschwerdeführerin, wie vom Arbeitsgericht zutreffend
angenommen, gegeben. Stets habe in den genannten Fällen die Beschwerdeführerin trotz längerfristiger
Kenntnis des notwendigen Personalbedarfs den Betriebsrat erst kurzfristig über die geplante Maßnahme
informiert. In den jeweiligen Beschlussverfahren habe sie teilweise keinen Sachvortrag zu der aus
sachlichen Gründen dringenden Erforderlichkeit gehalten.
Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Beschwerdegegners wird auf die Erwiderungsschrift vom
31.05.2010 (Bl. 181, 182 der Akte) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der
Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten
gereichten Schriftstücke verwiesen.
Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 01.07.2010.
II. 1.
Beschwerde ist auch gem. §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO
form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
2.
Denn entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und des Beschwerdegegners sind die tatsächlichen
und rechtlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch gemäß § 23 Abs. 3
BetrVG vorliegend nicht gegeben.
Zwar geht das Bundesarbeitsgericht (Beschluss vom 23.06.2009 1 ABR 23/08) zutreffend davon aus, dass
neben § 99 ff. BetrVG dann, wenn ein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers erstmals
feststeht oder erneut zu erwarten ist, das ist Voraussetzung auch für den allgemeinen
Unterlassungsanspruch, der Betriebsrat das Bestehen seines Mitbestimmungsrechts zunächst gemäß §
256 Abs. 1 ZPO feststellen lassen kann. Drohen anschließend weitere Verstöße, kann er sodann unter
Umständen im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 23 Abs. 3 BetrVG vorgehen. In der Missachtung
eines gerichtlich festgestellten Rechts des Betriebsrats wird regelmäßig eine grobe Pflichtverletzung des
Arbeitgebers liegen. Dieser Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 BetrVG wird durch den
Aufhebungsanspruch nach § 101 BetrVG nicht verdrängt (BAG 07.08.1990, 1 ABR 68/89).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG sind nach Auffassung der Kammer
vorliegend aber nicht gegeben. Denn der vorliegend in beiden Rechtszügen von den Beteiligten
gehaltene Sachvortrag lässt nicht den Schluss zu, dass ein grober Verstoß der Beschwerdeführerin gegen
ihre Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz gegeben ist.
Maßgeblich ist nach Auffassung der Kammer insoweit die betriebsverfassungsrechtliche Gesamtsituation
bei der Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin und zudem die Art und Weise der
Nichtzusammenarbeit bzw. Koexistenz der "Betriebspartner". Die Auffassung des Arbeitsgerichts ist zwar
vom Ausgangspunkt hinsichtlich des Merkmals "ähnliche Tatbestände" geeignet, insoweit eine gewisse
Struktur in der Zusammenarbeit der Beteiligten zu vermitteln; sie findet im Gesetz aber keine Stütze.
Insbesondere bleibt unklar, wodurch sich das Abstellen auf eine vorherige Kenntnis für den Zeitraum von
einem Monat stützt. Hinzu kommt, dass die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des § 100 BetrVG
gegeben oder nicht gegeben sind, nicht vom Arbeitgeber vorab zu entscheiden ist, sondern vom Arbeits-
/Landesarbeitsgericht im konkreten Einzelfall. Beim vorliegenden Sachverhalt davon auszugehen, die
Beschwerdeführerin habe stets wissen müssen und voraussehen können, dass das Gericht das Vorliegen
der gesetzlichen Voraussetzung für die vorläufige Durchführung der personellen Maßnahme verneine, ist
eher fernliegend. Aus den Beteiligungsverfahren hinsichtlich jeweils kurzzeitiger Urlaubsvertretungen und
Krankheitsvertretungen ergibt sich das sich schon daraus, dass diese, wovon das Arbeitsgericht zutreffend
ausgegangen ist, in der Regel, insbesondere Krankheitsvertretungen, kurzfristig erforderlich werden,
sodass dann, wenn die Maßnahme nur wenige Tage andauert, tatsächlich eine Rechtschutzlücke
entsteht, die aber nach der gesetzlichen Struktur der §§ 99 ff BetrVG nicht zu vermeiden und somit
hinzunehmen ist.
Zwar ist nicht zu verkennen, dass es für die vom Gesetz geforderte und an sich als selbstverständlich
vorausgesetzte vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) sinnvoller wäre, wenn die Beteiligten
- in Wahrnehmung und im Interesse ihrer wechselseitigen Funktionen - eine andere Zusammenarbeit
pflegten. Das dies offensichtlich bezogen auf den hier maßgeblichen Betrieb nicht möglich ist, ist
gerichtsbekannt und ergibt sich auch aus der Sachdarstellung des Arbeitsgerichts. Das Verhalten des
Beschwerdegegners ist insoweit auch widersprüchlich. Einerseits wird stets und fortgesetzt die personelle
Situation im Betrieb der Beschwerdeführerin bemängelt, also insbesondere eine als nicht ausreichend
angesehene Personalausstattung. Andererseits wird praktisch jeder personellen Maßnahme zum Zwecke
der Vertretung, also gerade um die Personalausstattung in einem vernünftigen Rahmen zu gestalten, die
Zustimmung verweigert. Statt, was im Hinblick auf die gebotene vertrauensvolle Zusammenarbeit nahe
liegend wäre, Verfahrensregeln und inhaltliche Grundsätze für diese an sich gegebene
betriebsverfassungsrechtliche Dauersituation zu verhandeln und zu vereinbaren, bevorzugen es die
Beteiligten bedauerlicherweise, personelle Einzelmaßnahmen grundsätzlich im Wege zeit- und
kostenintensiver Beschluss- und Beschwerdeverfahren zu lösen.
Vor diesem Gesamthintergrund der gelebten Beziehungen zwischen den Beteiligten ist die Kammer der
Auffassung, dass jedenfalls ein grober Pflichtenverstoß der Beschwerdeführerin - derzeit - nicht gegeben
ist.
Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Antrag des Beschwerdegegners
zurückzuweisen.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1, 2, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.