Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 26.04.2006
LArbG Mainz: fristlose kündigung, verletzung arbeitsvertraglicher pflichten, wichtiger grund, ordentliche kündigung, arbeitsunfähigkeit, arbeitsrecht, auflage, hausarzt, vertragsverletzung
LAG
Mainz
26.04.2006
10 Sa 49/06
Verhaltensbedingte Kündigung
Aktenzeichen:
10 Sa 49/06
3 Ca 1269/05
ArbG Ludwigshafen
Entscheidung vom 26.04.2006
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 20.09.2005, Az.: 3
Ca 1269/05, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.
Der Kläger war bei der Beklagten, die eine Gaststätte betreibt, seit dem 01.02.2004 als Küchenchef
beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig nicht mehr als fünf Arbeitnehmer.
Am 05.05.2005 verließ der Kläger nach seiner Behauptung gegen 17:30 Uhr, nach Behauptung der
Beklagten um 16:30 Uhr das Lokal, obwohl das reguläre Ende seiner Arbeitszeit erst für 18:00 Uhr
vorgesehen war. Zuvor war es zwischen ihm und einem Bekannten der Beklagten, der an dem
betreffenden Tag aushilfsweise in der Gaststätte arbeitete, zu einer - zumindest verbalen -
Auseinandersetzung gekommen, deren Verlauf zwischen den Parteien streitig ist. Am 06.05.2005 wurde
der Kläger zunächst für drei Tage und sodann ab 09.05.2005 bis voraussichtlich 16.05.2005
arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Mit Schreiben vom 19.05.2005, welches dem Kläger noch am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte
das Arbeitsverhältnis fristlos sowie vorsorglich auch ordentlich. Hiergegen richtet sich die vom Kläger am
24.05.2005 eingereichte Klage. Darüber hinaus hat der Kläger im Verlauf des erstinstanzlichen
Verfahrens seine Klage um mehrere Zahlungsanträge erweitert.
Das Arbeitsgericht hat mit Teil-Urteil vom 20.09.2005 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien
durch die mit Schreiben vom 19.05.2005 ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht aufgelöst
worden ist, sondern aufgrund ordentlicher Kündigung mit Ablauf des 30.06.2005 geendet hat. Hinsichtlich
der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 bis 13 dieses Urteils (= Bl. 67 bis 73 d. A.)
verwiesen.
Gegen das ihr am 23.12.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.01.2006 Berufung eingelegt und
diese am 03.02.2006 begründet.
diese am 03.02.2006 begründet.
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die fristlose
Kündigung in Ansehung des gravierenden Fehlverhaltens des Klägers wirksam. Der Kläger habe am
05.05.2005 gegen 16:30 Uhr aus nichtigem Anlass seinen Arbeitsplatz kurzerhand und wutentbrannt
verlassen, ohne sich bei ihr - der Beklagten - abzumelden. Daraufhin habe er sich krankschreiben lassen,
obwohl keinerlei objektivierbaren Anhaltspunkte für eine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hätten. Darüber
hinaus sei der Kläger auch in der hier in Rede stehenden Zeit angeblicher Arbeitsunfähigkeit weiterhin für
seinen "zweiten Arbeitgeber" als Koch beschäftigt geblieben.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern, soweit der Klage durch Teil-Urteil stattgegeben wurde und den
Klageantrag zu 1 insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil.
Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 62 bis 67 d. A.), auf
die Berufungsbegründungsschrift der Beklagten vom 31.01.2006 (Bl. 104 bis 108 d. A.) sowie auf die
Berufungserwiderungsschrift des Klägers vom 02.03.2006 (Bl. 117 bis 120 d. A.).
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das
hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat
vielmehr zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die streitbefangene
außerordentliche Kündigung, sondern vielmehr durch die vorsorglich ausgesprochene ordentliche
Kündigung zum 30.06.2005 aufgelöst worden ist.
Die gegen die mit Schreiben vom 19.05.2005 ausgesprochene fristlose Kündigung gerichtete Klage ist
begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden. Die
Kündigung erweist sich in Ermangelung eines wichtigen Grundes i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB als
rechtsunwirksam.
Ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn
Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles
und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für
die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des
Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt - ohne
die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden.
Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d. h., ob es dem
Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB
relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die von der Beklagten zur Stützung der Kündigung
geltend gemachten Gründe letztlich nicht geeignet sind, den Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu
rechtfertigen.
Soweit die Beklagte die außerordentliche Kündigung auf den Umstand stützt, dass der Kläger am
05.05.2005 seinen Arbeitsplatz vor Arbeitszeitende verlassen hat, so fehlt es bereits an einem an sich zum
Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung geeigneten Grund. Zwar rechtfertigt regelmäßig eine
beharrliche Verletzung der Arbeitspflicht, insbesondere eine beharrliche Arbeitsverweigerung eine
außerordentliche Kündigung. Erforderlich sind diesbezüglich in der Regel wiederholte, bewusste und
nachhaltige Verletzungen der Arbeitspflicht. Aufforderungen zum vertragsgemäßen Verhalten müssen
erfolglos geblieben sein. Ausnahmsweise kann auch eine einmalige Vertragsverletzung den nachhaltigen
Willen des Arbeitnehmers erkennen lassen, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nicht nachkommen zu
wollen (vgl. Müller-Glöge, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 4. Auflage, § 626 BGB, RZ 104 m. N. w.
a. d. Rspr.). Im Streitfall stellt das Verlassen des Arbeitsplatzes am 05.05.2005 zweifellos eine Verletzung
arbeitsvertraglicher Pflichten dar, was u. U. - jedenfalls nach vorheriger Abmahnung - den Ausspruch
einer ordentlichen Kündigung nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt hätte. Eine beharrliche
Verletzung der Arbeitspflicht, d. h. ein nachhaltiger Wille des Klägers, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten
nicht nachkommen zu wollen, war indessen noch nicht gegeben. Eine erfolglose Aufforderung seitens der
Beklagten zur Weiterarbeit ist - soweit ersichtlich - nicht erfolgt. Auch ansonsten liegen keinerlei Umstände
vor, aus denen sich ableiten ließe, die einmalige Vertragsverletzung des Klägers am 05.05.2005 lasse
den nachhaltigen Willen erkennen, seine arbeitsvertraglichen Pflichten fortan nicht mehr zu erfüllen. Dies
gilt insbesondere im Hinblick den Umstand, dass es kurz vor dem Verlassen des Arbeitsplatzes unstreitig
zu einer zumindest verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und einem Bekannten der
Beklagten gekommen war, so dass die Arbeitsniederlegung zumindest auch auf eine gewisse Erregung
des Klägers zurückgeführt werden kann.
Die Beklagte kann die fristlose Kündigung vorliegend im Ergebnis auch nicht mit Erfolg auf die
Behauptung stützen, der Kläger habe sich in der Folgezeit ohne Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit
krankschreiben lassen. Unstreitig hat der Kläger der Beklagten für die Zeit ab dem 06.05.2005 zwei von
einem Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zukommen lassen. Mit der Ausstellung einer
ordnungsgemäßen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besteht eine tatsächliche Vermutung, dass der
Arbeitnehmer tatsächlich infolge Krankheit arbeitsunfähig war (vgl. Dörner, in: Erfurter Kommentar zum
Arbeitsrecht, 5. Auflage, § 5 EFZG, Hd.Ziff. 33 m. N. w. a. d. Rspr.). Umstände, die den Beweiswert, der
dem Kläger ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern oder gar den Verdacht des
"Krankfeierns" begründen könnten (vgl. die Beispiele bei Dörner aaO, RZ 39 ff. sowie bei Müller-Glöge, in:
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 5. Auflage, § 626 BGB, RZ 142) hat die Beklagte nicht dargetan.
Soweit sie diesbezüglich behauptet, der Kläger sei mit dem Ansinnen, krankgeschrieben zu werden, an
seinen Hausarzt herangetreten, der keinerlei objektivierbaren Anhaltspunkte für eine Arbeitsunfähigkeit
habe feststellen können, so handelt es sich um ein unsubstantiiertes und demzufolge unzureichendes
Bestreiten der attestierten Arbeitsunfähigkeit. Es wäre insoweit Sache der Beklagten gewesen, konkrete
Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich begründete Zweifel an der Richtigkeit der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergeben (vgl. auch Matissek, in: Arbeitsrecht-Lexikon, Stichwort:
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung). Entsprechendes gilt für die pauschale Behauptung der Beklagten, der
Kläger habe nur deshalb am 09.05.2005 einen weiteren Arzt konsultiert, weil sein Hausarzt nicht bereit
gewesen sei, ihn nochmals krankzuschreiben. In diesem Zusammenhang erweist sich auch die
Behauptung der Beklagten, der Kläger sei "nach diesseitigen Erkenntnissen auch in der hier in Rede
stehenden Zeit seiner angeblichen Arbeitsunfähigkeit weiterhin für seinen zweiten Arbeitgeber als Koch
beschäftigt geblieben" als nicht ausreichend substantiiert. Dem diesbezüglichen Vorbringen der
Beklagten lässt sich nicht entnehmen, ob und wann der Kläger während der ärztlich attestierten
Erkrankung bestimmte Tätigkeiten erbracht hat, die der Annahme einer Arbeitunfähigkeit entgegenstehen
könnten. Die Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg auf den Inhalt des von
einer Detektei erstellten Observationsberichtes vom 29.06.2005 (Bl. 48 d. A.) berufen. Der betreffende
Bericht betrifft ausschließlich einen Zeitraum ab dem 04.06.2005. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte
die streitbefangene außerordentliche Kündigung bereits ausgesprochen. Darüber hinaus liegt der
Observierungszeitraum außerhalb der ärztlich attestierten Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers.
Da sich die fristlose Kündigung somit als unwirksam erweist, hat das Arbeitsverhältnis der Parteien - wie
im Tenor des arbeitsgerichtlichen Urteils festgestellt - infolge der von der Beklagten hilfsweise
ausgesprochenen ordentlichen Kündigung erst mit Ablauf der in § 12 Ziffer 1 des allgemeinverbindlichen
Manteltarifvertrages für das Hotel- und Gaststättengewerbe Rheinland-Pfalz normierten Kündigungsfrist
von vier Wochen zum 15. bzw. zum Ende eines Kalendermonats, mithin zum 30.06.2005 geendet.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge
zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde
anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.