Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 03.02.2005

LArbG Mainz: nachtarbeit, arbeitsgericht, behinderung, bluthochdruck, ermessen, gleichbehandlung, gestaltung, form, mensch, behinderter

LAG
Mainz
03.02.2005
4 Sa 900/04
Keine Verpflichtung zur Nachtarbeit eines Schwerbehinderten, der durch Arztattest nachgewiesen keine
Nachtarbeit verrichten kann
Aktenzeichen:
4 Sa 900/04
4 Ca 806/04
ArbG Trier
Verkündet am: 03.02.2005
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 22.09.2004 - 4 Ca 806/04 -
wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Frage, ob der Kläger verpflichtet ist Nachtarbeit bei der Beklagten zu leisten.
Der Kläger ist seit 15.06.1978 bei der Beklagten beschäftigt. Unter dem 01.08.1995 schlossen die
Parteien, nachdem betriebsbedingt eine Weiterbeschäftigung des Klägers als Laufkontrolleur nicht
möglich war, einen Arbeitsvertrag über die Tätigkeit als Maschinenbediener. Der Kläger hat seit August
1977 einen Grad der Behinderung von 60. Anlässlich der Vertragsverhandlungen war wegen den
gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers die damalige Hauptfürsorgestelle eingeschaltet. In dem
Arbeitsvertrag ist ausdrücklich geregelt, dass die betriebliche Situation den regelmäßigen
Mehrschichtbetrieb erforderlich macht. Die Parteien vereinbarten ausdrücklich die Verpflichtung zur
regelmäßigen Beschäftigung in Form der Wechselschicht. Die Behinderung des Klägers wurde ab
September 1996 auf 70, seit Juli 1998 auf 80 festgestellt. Der Kläger leidet unter Bluthochdruck und hat
nur noch eine Niere.
Seit Juni 2001 wurde der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen über einen
längeren Zeitraum nicht zur Nachtarbeit eingesetzt. Er hat der Beklagten verschiedene ärztliche Atteste
vorgelegt, so bereits im Jahre 2001 weiter ein Attest vom 06.06.2003, wonach er aufgrund seiner
Erkrankungen aus medizinischer Sicht keine wechselnde Nachtschicht mehr verrichten kann. Das Attest
verweist auf den Grad der Schwerbehinderung von 80. Ein weiteres Attest, datiert unter dem 05.05.2005
(wohl gemeint 05.05.2004) hat der Kläger im einstweiligen Verfügungsverfahren zu den Gerichtsakten 4
Ga 10/04 gereicht.
Die Einteilung, wonach der Kläger von der Nachtschicht befreit wurde, hat sein Vorgesetzter H
vorgenommen. Dieser hat dann einer Anweisung der Geschäftsführung, keine Ausnahmen mehr zu
machen, an den Kläger weitergegeben. Die Beklagte beharrte auf dem Einsatz des Klägers auch in
Nachtschicht.
Der Kläger hat vorgetragen, er könne zwar aus medizinischer Sicht nicht nur Nachtarbeit, sondern auch
keine Wechselschicht mehr verrichten. Um seinen Arbeitsplatz nicht zu gefährden, sei er jedoch bereit bis
auf die Nachtschicht Wechselschicht zu leisten.
Er sei aus gesundheitlichen Grünen zur Ableistung von Nachtschicht nicht in der Lage. Wegen seines
Bluthochdrucks sei er medikamentös eingestellt worden. Bei einer Beschäftigung in der Nachtschicht im
Wechsel müsse die Medikamentenabgabe alle zwei Wochen umgestellt werden, was sein
Gesundheitszustand nicht zulasse. Er müsse eine weitere Schädigung der verbleibenden Niere
befürchten.
Der Kläger hat beantragt,
es wird festgestellt, dass er nicht verpflichtet ist, bei der Beklagten Nachtschicht in der Zeit von 22.00 Uhr
abends bis 6.00 Uhr morgens zu leisten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, aufgrund der ausdrücklichen Vereinbarung im Arbeitsvertrag auch unter
Berücksichtigung der gesundheitlichen Belange des Klägers müsse der Kläger Nachtschicht leisten. Sie
wisse um die Schwerbehinderung des Klägers, insbesondere dass er nur noch eine Niere habe und nach
eigenem Bekunden unter Bluthochdruck leide, bestreite aber mit Nichtwissen, dass bei einer Tätigkeit in
der Nachtschicht die Niere in einem höheren Maße geschädigt werde, als dies bei einer Arbeit tagsüber
der Fall sei. Es handele sich bei dem vorgelegten Attest lediglich um eine apodiktische Erklärung ohne
Begründung. Der Kläger könne nicht in Bereichen eingesetzt werden in dem von der Betriebsorganisation
her keine Nachtschichten anfielen. Neben dem Antrag des Klägers lägen 7 weitere Anträge namentlich
benannter Mitarbeiter auf Befreiung von der Nachtarbeit vor, so dass die verbliebenen
Maschinenbediener überproportional viele Nachtschichten leisten müssten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des
Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 22.09.2004 verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe
hinsichtlich der Arbeitsleistung des Klägers ihr zustehendes Direktionsrechts nicht nach billigem
Ermessen ausgeübt. Zwar erscheine es nachvollziehbar, dass die Beklagte sich entschieden habe, aus
Gründen der Gleichbehandlung keine Ausnahmen von der Verpflichtung zur Ableistung von
Nachtschichten in Wechselschicht zuzulassen. Sie habe aber nicht das rechtlich geschützte Interesse des
Klägers hinreichend gewahrt. Es erscheine, auch wenn im ärztlichen Attest eine ausführliche Begründung
für das Nachtschichtverbot fehle, plausibel, dass es der Stabilität und Funktion der einzig verbleibenden
Niere des Klägers nicht zuträglich sei, wenn durch Umstellung des Lebensrhythmus die Medikation
zeitlich anlässlich der Nachtschichten umgestellt werden müsse um dann wieder zur normalen Medikation
zu wechseln und dies auch im 14-tägigen Rhythmus. Das Arbeitsgericht hat weiter als Kriterium
angenommen, dass die Beklagte seit 2001 und auch nach Erlass der einstweiligen Verfügung den Kläger
ohne Weiteres ohne Nachtschicht habe einsetzen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Urteilsbegründung verwiesen.
Gegen das der Beklagten am 04.10.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 03.11.2004 eingelegte
Berufung, welche die Beklagte am Montag, 06.12.2004 begründet hat. Sie wiederholt ihre Auffassung,
dass allein die ausdrückliche Vereinbarung der Wechselschichten es dem Kläger verwehre, sich nunmehr
darauf zu berufen, Nachtarbeit nicht leisten zu müssen. Die damalige Alternative sei nur gewesen, den
Kläger zu entlassen. Angesichts dieser ausdrücklichen Vereinbarung stelle die Arbeit in der Nachtschicht
eine vertragliche Primärverpflichtung dar. Sie habe den Kläger nicht willkürlich zur Nachtschicht
eingesetzt. Dies sei aus Gleichbehandlungsgründen erfolgt. Die vorgelegten Atteste stellten lediglich die
durch einen Arzt aufgestellte Behauptung dar, der Kläger könne oder solle nicht im Nachtschichtbetrieb
arbeiten. Irgendeine Erklärung, weswegen dies der Fall sei, werde nicht gegeben. Die Beklagte hat des
Weiteren im Berufungsverfahren ausdrücklich eigene Recherchen wiedergegeben, wonach eine
Medikation zur Einstellung von Bluthochdruckpatienten auch für den Wechselschichtbetrieb durchaus
möglich sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 22.09.2004 - 4 Ca 806/04 - die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 03.11.2004 eingelegte Berufung gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Trier vom 22.09.2004 zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bietet zum Beweis dafür, dass er aus gesundheitlichen
Gründen die Nachtschicht nicht mehr verrichten kann, an Zeugnis des behandelnden Arztes und
Sachverständigengutachten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den
vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung ist,
verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zum Sitzungsprotokoll vom 03.02.2005.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m.§ 520 ZPO).
II.
Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Das Arbeitsgericht hat zumindest im Ergebnis zutreffend die Feststellung getroffen, dass der Kläger nicht
verpflichtet ist, Nachtschicht zu leisten. Die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze und das
Ergebnis der mündlichen Verhandlung haben keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte zu Tage
treten lassen, die eine Abweichung von dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis rechtfertigen
würden.
Letztendlich kam es zur Entscheidung der Rechtsfrage nicht darauf an, ob die Beklagte billiges Ermessen
im Rahmen des von ihr auszuübenden Direktionsrechts gewahrt hat, wenn sie vom Kläger die Ableistung
von Nachtschicht verlangt.
Die Kammer konnte es auch ausdrücklich offen lassen, ob allein die ärztliche Feststellung, dass der
Kläger krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, Nachtschicht zu leisten den Kläger von der Verpflichtung
zur Nachtschichtarbeit befreit, die Problematik dann über die Regeln der Arbeitsunfähigkeit gelöst werden
muss. Ergebnis wäre dann auch, dass der Klageanspruch begründet wäre.
Der Klageanspruch des Klägers ist aber auch schon deswegen begründet, weil er besonderen Schutz als
schwer behinderter Mensch genießt. Schwerbehinderte Menschen haben nach § 81 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX
einen einklagbaren Anspruch auf behindertengerechte Gestaltung der Arbeitszeit, soweit dessen
Erfüllung für den Arbeitgeber nicht unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden
ist. Hieraus kann sich die Pflicht des Arbeitgebers ergeben, einen schwer behinderten Arbeitnehmer nicht
zur Nachtarbeit einzuteilen (vgl. BAG Urt. v. 03.12.2002, 9 AZR 462/01). Dieser Anspruch setzt für den
Kläger voraus, dass seine Behinderung eine Arbeitszeit erfordert, die so gestaltet ist, dass sie nicht zur
Nachtarbeit führt. Zur Gestaltung der Arbeitszeit gehört nämlich auch die Lage der Arbeitszeit. Im
Berufungsverfahren hat die Beklagte geltend gemacht, sie könne zur krankheitsbedingten
Beeinträchtigung des Klägers keinerlei Aussagen treffen und diese mit Nichtwissen bestritten.
Dies ist nicht ausreichend.
Nach den anerkannten Regeln, die für den Beweiswert einer ordnungsgemäß ausgestellten
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angewendet werden, spricht die tatsächliche Vermutung der Richtigkeit
für ein von einem Arzt ordnungsgemäß attestierten Erkrankung.
Der Kläger hat nicht nur eins und auf einen bestimmten abgrenzbaren Zeitraum beschränktes Attest
vorgelegt, sondern im Zeitraum von drei Jahren deren drei. Alle Atteste haben den gleichen Aussagewert,
dass nämlich der Kläger aus gesundheitlichen Gründen, die mit seiner Schwerbehinderung im
Zusammenhang stehen, nicht in der Lage ist, Nacht- und Wechselschicht zu leisten. Angesichts der
tatsächlichen Vermutung der Richtigkeit, die die ordnungsgemäß ausgestellte
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat, wäre es Sache der Beklagten darzulegen, dass tatsächliche
Umstände Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen gebieten. Derartige Umstände konnten von der
Beklagten nicht dargelegt werden, insbesondere reicht es hierzu nicht aus, mit Nichtwissen zu bestreiten
oder aber eigene Erkenntnisse zur Medikation von Bluthochdruckpatienten vorzutragen, die es möglich
erscheinen lassen, dass auch eine Medikation im Hinblick auf die Wechselschicht Erfolg versprechend
wäre.
Für die Richtigkeit der Darstellung des Klägers spricht im Übrigen, dass er nicht nur unter
behandlungsbedürftigem Bluthochdruck leidet, sondern nur noch eine Niere hat und es gerichtsbekannt
ist, dass gerade Nierenpatienten mit Bluthochdruck eine Nierenschädigung befürchten müssen, diese um
so schwerer wiegt, wenn der Arbeitnehmer lediglich nur noch über eine Niere verfügt. Für die von der
Kammer zu treffenden Feststellungen muss also davon ausgegangen werden, dass aus medizinischen
Gründen die zu unterlassende Leistung der Nachtdienste im Zusammenhang mit der Behinderung des
Klägers steht. Umstände, die es der Beklagten nicht zumutbar erscheinen lassen oder die mit
unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wären, den Kläger nicht zur Nachtschicht einzuteilen,
sind von ihr nicht dargetan. Zwar ist anerkennenswert, dass sie eine Gleichbehandlung sämtlicher
Mitarbeiter erreichen will, um Unzufriedenheiten und Reibereien zu vermeiden. Es ist auch zuzugeben,
dass durch die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus einem laufenden Wechselschichtbetrieb
andere Arbeitnehmer überproportional belastet werden müssen. Dies alles stellt aber keine
Unzumutbarkeit dar, die gegenüber dem Anspruch des schwer behinderten Menschen aus § 81 Abs. 4
Ziff. 4 SGB IX eingewendet werden kann. Unverhältnismäßige Aufwendungen hat die Beklagte ohnehin
nicht dargetan.
Die Beklagte muss auch nicht befürchten, dass durch die Herausnahme des Klägers aus der Nachtschicht
Präzedenzfälle geschaffen werden. Für die Herausnahme besteht nicht nur ein anerkennenswerter Grund,
der Kläger hat hierauf sogar einen Rechtsanspruch. Andere Mitarbeiter, die sich um die Herausnahme
aus der Nachtschicht bemühen, haben ersichtlich diese Ansprüche, wie sie der Kläger hat, nicht.
Auf den Inhalt des Arbeitsvertrages kann sich die Beklagte nicht berufen. Die Rechtsansprüche aus den
Schutzvorschriften zu Gunsten der schwer behinderten Menschen gehen der vertraglichen Vereinbarung
vor. Im Übrigen ist die Beklagte darauf hinzuweisen, dass sich sehr wohl am Krankheitsbild des Klägers
nach Abschluss der Vereinbarung Wesentliches verändert hat, wie sich aus dem Tatbestand
wiedergegebenen Veränderung des Behindertengrades unschwer ermitteln lässt.
Da somit der Anspruch des Klägers sich aus § 81 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX ergibt, kam es auf die Frage, ob die
Beklagte bei der Zuweisung des Direktionsrechts billiges Ermessen ausgeübt hat, nicht
entscheidungserheblich an.
Die Berufung der Beklagten war mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2
ArbGG nicht.