Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 11.02.2009

LArbG Mainz: treu und glauben, betriebsrat, wahlrecht, wahlergebnis, arbeitsgericht, eingliederung, anfechtung, hauptbetrieb, aufgabenbereich, betriebsorganisation

LAG
Mainz
11.02.2009
8 TaBV 27/08
Anfechtung einer Betriebsratswahl wegen unvollständiger Wählerliste
Aktenzeichen:
8 TaBV 27/08
3 BV 50/07
ArbG Koblenz
Beschluss vom 11.02.2009
Tenor:
1. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10.6.2008 - 3
BV 50/07 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin betreibt in Koblenz ein Alten- und Pflegeheim sowie einen ambulanten Pflegedienst.
Antragsgegner ist der am 04.10.2007 im Betrieb der Arbeitgeberin gewählte Betriebsrat, dessen Wahl mit
Aushang vom 10.10.2007 bekannt gemacht wurde.
Am 15.08.2007 wurde vom Wahlvorstand ein Wahlausschreiben sowie eine Wählerliste ausgehängt. Auf
der Wählerliste waren die seinerzeit insgesamt elf Mitarbeiter des ambulanten Pflegedienstes der
Arbeitgeberin nicht aufgeführt.
Mit ihrer am 24.10.2007 beim Arbeitsgericht eingereichten Antragsschrift hat die Antragstellerin die
Betriebsratswahl angefochten. Sie hat geltend gemacht, die Betriebsratswahl sei aus mehreren Gründen,
u. a. weil die im mobilen Pflegedienst eingesetzten Mitarbeiter nicht in die Wählerliste aufgenommen
worden seien, unwirksam. Der mobile Pflegedienst sei rechtlich unselbständig und voll in den Betrieb
integriert.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die Betriebsratswahl vom 04.10.2007 für unwirksam zu erklären.
Der Betriebsrat hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Betriebsrat hat erstinstanzlich u. a. geltend gemacht, er bestreite die rechtliche Unselbständigkeit des
mobilen Pflegedienstes und dessen Integration in den Betrieb der Antragstellerin.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 10.06.2008 die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt und in
den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Wahl sei zwar nicht nichtig, jedoch aus mehreren Gründen
anfechtbar. Zur Darstellung der Entscheidungsgründe im Einzelnen wird auf die Ausführungen unter II.
des Beschlusses vom 10.06.2008 (Bl. 136 bis 143 d. A.) verwiesen.
Gegen den ihm am 19.06.2008 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am Montag, dem 21.07.2008,
Beschwerde eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 19.08.2008 verlängerten
Beschwerdebegründungsfrist am 19.09.2008 begründet.
Der Betriebsrat macht u. a. geltend, es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Mitarbeiter des mobilen
Pflegedienstes, d. h. der " W-Mobil" in einem Arbeitsverhältnis zu der Antragstellerin stünden. Die
betreffenden Arbeitnehmer seien auch in der seitens der Antragstellerin dem Wahlvorstand zugesandten
Mitarbeiterliste nicht aufgeführt gewesen. Die Antragstellerin habe daher durch eigenes rechtswidriges
Handeln den behaupteten Anfechtungsgrund selbst geschaffen. Es widerspreche den Grundsätzen von
Treu und Glauben, ein Recht auszuüben, welches durch eigenes rechtswidriges Handeln begründet
worden sei.
Der Betriebsrat beantragt,
den erstinstanzlichen Beschluss abzuändern und den Antrag
zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss und macht darüber hinaus u. a. geltend,
sämtliche Mitarbeiter des mobilen Pflegedienstes stünden in einem Arbeitsverhältnis mit ihr, der
Antragstellerin. Der Wahlvorstand habe sich auch selbst Gedanken darüber gemacht, ob die Mitarbeiter
des mobilen Pflegedienstes in die Wählerliste aufzunehmen seien. Dies ergebe sich aus einem Schreiben
des Wahlvorstands vom 02.08.2007, in welchem dieser den Vorstand um Mitteilung darüber gebeten
habe, ob die betreffenden Mitarbeiter zum Kreis der Wahlberechtigten gehörten. Daraufhin sei dem
Wahlvorstand vom Vorstandsmitglied V mit Schreiben vom 06.08.2007 (Bl. 242 d. A.) mitgeteilt worden,
dass man dem Wahlvorstand eine um die im mobilen Pflegedienst beschäftigten Arbeitnehmer erweiterte
Mitarbeiterliste zukommen lassen werde, falls der Wahlvorstand der Auffassung sei, dass diese Mitarbeiter
Wahlberechtigte seien. Sodann sei der Wahlvorstand offensichtlich zu dem Ergebnis gelangt, dass die
Mitarbeiter des mobilen Pflegedienstes nicht in die Wählerliste aufzunehmen seien. Der
Anfechtungsgrund der nicht vollständigen Wählerliste beruhe daher ausschließlich auf der fehlerhaften
rechtlichen Bewertung des Wahlvorstandes. Bei dem Bereich " W-Mobil" handele es sich auch nicht um
einen selbständigen Betriebsteil i. S. v. § 4 BetrVG. Alle Arbeitnehmer des betreffenden Aufgabenbereichs
nähmen ihre Tätigkeit von der U aus auf und kämen zu ihren Einsatzbesprechungen in die
Räumlichkeiten der W. Disziplinarischer Vorgesetzter sei der Heimleiter dieser W. Sämtliche Weisungen
würden gegenüber diesen Mitarbeitern ausschließlich durch das Vorstandsmitglied V oder den Heimleiter
erteilt. Diese seien auch zuständig in allen anderen sozialen und personellen Angelegenheiten wie
Einstellung, Entlassung, Festlegung von Entgelten, Urlaubsgewährung usw. Bei dem mobilen
Pflegedienst handele es sich daher nicht um einen in Aufgabenbereich und Organisation eigenständigen
Betriebsteil. Eine Teilnahme der seinerzeit in diesem Bereich tätigen elf Mitarbeiter an der
Betriebsratswahl sei auch zweifellos geeignet gewesen, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Zur Darstellung aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den tatbestandlichen Teil
des Beschlusses des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10.06.2008 (Bl. 132 bis 136 d. A.) sowie auf die von
den Beteiligten im Beschwerdeverfahren zu den Akten gereichten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat
vielmehr zu Recht die Betriebsratswahl vom 04.10.2007 für unwirksam erklärt.
Eine Betriebsratswahl kann nach § 19 Abs. 1 BetrVG angefochten werden, wenn gegen wesentliche
Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine
Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder
beeinflusst werden konnte.
Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist u. a. der Arbeitgeber zur Anfechtung berechtigt. Die Anfechtung ist nur
binnen einer Frist von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses zulässig.
Vorliegend hat die nach § 19 Abs. 2 BetrVG anfechtungsberechtigte Arbeitgeberin die Betriebsratswahl
vom 04.10.2007 fristgerecht angefochten. Der Wahlvorstand hat das Wahlergebnis am 10.10.2007 durch
Aushang bekannt gegeben. Der am 24.10.2007 beim Arbeitsgericht eingereichte Wahlanfechtungsantrag
erfolgte somit fristgerecht.
Bei der Wahl wurde gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht verstoßen, wodurch das
Wahlergebnis beeinflusst werden konnte. Da die Eintragung in die Wählerliste formelle Voraussetzung für
die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts ist (§ 2 Abs. 3 WO), führte die Nichtaufnahme der bei
der Antragstellerin damals im Bereich des ambulanten Pflegedienstes insgesamt beschäftigten elf
Arbeitnehmern in die Wählerliste dazu, dass diese ihr Wahlrecht nicht ausüben konnten.
Nach § 7 BetrVG sind alle Arbeitnehmer des Betriebes, die das 18. Lebensjahr vollendet haben,
wahlberechtigt. Arbeitnehmer sind Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung
Beschäftigten (§ 5 Abs. 1 BetrVG), die nicht nach § 5 Abs. 2 bis Abs. 4 BetrVG vom Wahlrecht
ausgenommen sind. Nach § 7 BetrVG i. V. m. § 5 Abs. 1 BetrVG sind - abgesehen von den in § 7 Satz 2
BetrVG genannten Personen - nur diejenigen Arbeitnehmer wahlberechtigt, die in einem Arbeitsverhältnis
zu dem Betriebsinhaber stehen und innerhalb seiner Betriebsorganisation abhängige Arbeit erbringen
(BAG v. 18.01.1989 - 7 ABR 21/88 - BAGE 61, 7; BAG v. 29.01.1992 - 7 ABR 27/91 - BAGE 69, 286; BAG v.
22.03.2000, 7 ABR 34/98 -). Das Wahlrecht setzt demnach nicht nur das Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses zu dem jeweiligen Betriebsinhaber voraus, sondern auch die tatsächliche
Eingliederung des Arbeitnehmers in die Betriebsorganisation. Für die Eingliederung ist entscheidend, ob
der Arbeitgeber mit Hilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck seines Betriebs verfolgt. Ob
die Tätigkeit des Arbeitnehmers innerhalb oder außerhalb der Betriebsstätte verrichtet wird, ist
unerheblich (BAG v. 05.04.2000 - 7 ABR 20/99 - NZA 2001, 629).
Ausgehend von diesen Grundsätzen waren die im Bereich des mobilen Pflegedienstes der Antragstellerin
beschäftigten Arbeitnehmer nach § 7 BetrVG wahlberechtigt und daher in die Wählerliste einzutragen. Die
Antragstellerin hat durch Vorlage der Arbeitsverträge dargetan und nachgewiesen, dass zwischen ihr und
den Mitarbeitern des mobilen Pflegedienstes Arbeitsverhältnisse bestehen. Diese sind auch in den
Betrieb der Antragstellerin integriert. Sie verfolgt mit Hilfe der betreffenden Arbeitnehmer einen
arbeitstechnischen Zweck ihres Betriebes, nämlich die ambulante Pflege. Der Betriebsrat hat auch nicht
den Sachvortrag der Antragstellerin bestritten, wonach die Mitarbeiter des mobilen Pflegedienstes ihre
Tätigkeit von der Betriebsstätte der U aus aufnehmen und ihnen sämtliche Anweisungen von ihrem
Vorgesetzten, dem Heimleiter der U erteilt werden. Hinsichtlich der Eingliederung dieser Mitarbeiter in die
Betriebsorganisation der Antragstellerin bestehen somit keinerlei Zweifel. Der ambulante Pflegedienst gilt
auch nicht nach § 4 Abs. 1 BetrVG als selbständiger Betrieb. Diese wäre nur dann der Fall, wenn der
mobile Pflegedienst entweder räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und
Organisation eigenständig wäre. Eine räumlich weite Entfernung vom Hauptbetrieb, der
Seniorenresidenz, ist zweifellos nicht gegeben. Der mobile Pflegedienst ist auch nicht durch
Aufgabenbereich und Organisation eigenständig. Eine Eigenständigkeit in der Organisation kann nämlich
nur dann bejaht werden, wenn eine von der Betriebsleitung des Hauptbetriebes abgehobene eigene
Leitung auf der Ebene des Betriebsteils besteht. Fehlt hingegen ein eigener Leitungsapparat, so kann der
Betriebsteil nur Teil des Gesamtbetriebs sein (vgl. Richardi, BetrVG, 9. Auflage, § 4, Rz. 26 f., m. N. a. d.
R.). Im Streitfall existiert für den mobilen Pflegedienst unstreitig kein eigener Leitungsapparat. Vielmehr
erhalten die in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmer ihre Weisungen - ebenso wie die innerhalb
der U eingesetzten Mitarbeiter - von ihrem Vorgesetzten, dem Heimleiter. Dieser bzw. das ihm
übergeordnete Vorstandsmitglied V sind auch unstreitig ausschließlich zuständig in den personellen und
sozialen Angelegenheiten aller Mitarbeiter. Damit bleibt der Bereich des ambulanten Pflegedienstes dem
Hauptbetrieb zugeordnet.
Die Nichtaufnahme der elf Mitarbeiter des mobilen Pflegedienstes war auch geeignet, das Wahlergebnis
zu beeinflussen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass bei der durchgeführten Wahl auf die Vorschlagsliste
eins 23 Stimmen, auf die Vorschlagsliste zwei 30 Stimmen, auf die Vorschlagsliste drei 15 Stimmen und
auf die Vorschlagsliste vier 12 Stimmen entfielen. Hätten alle elf Arbeitnehmer des mobilen Pflegedienstes
beispielsweise für die Vorschlagsliste eins oder die Vorschlagsliste drei votiert, so wäre es zu einer
anderen Zusammensetzung des siebenköpfigen Betriebsrats gekommen.
Der Betriebsrat kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, die Antragstellerin habe in der von ihr
erstellten Mitarbeiterliste die Arbeitnehmer des mobilen Pflegedienstes nicht aufgeführt, dadurch gegen
ihre Verpflichtung aus § 2 Abs. 2 WO verstoßen und somit die Anfechtbarkeit der Wahl selbst
herbeigeführt. Zum Einen ergibt sich aus dem Schreiben des Vorstandes V vom 06.08.2007 (Bl. 242 d. A.),
dass die Arbeitgeberin für den Fall, dass der Wahlvorstand der Meinung sein sollte, die Mitarbeiter des
mobilen Pflegedienstes gehörten zum Kreis der Wahlberechtigten, durchaus bereit war, dem
Wahlvorstand eine Auflistung der betreffenden Arbeitnehmer zukommen zu lassen. Darüber hinaus
obliegt die Entscheidung, welche Personen in die Wählerliste aufzunehmen sind, letztlich allein dem
Wahlvorstand, der seinen Rechtsanspruch aus § 2 Abs. 2 WO auf Erteilung aller erforderlichen Auskünfte
gegenüber dem Arbeitgeber notfalls auch gerichtlich im Wege einer einstweiligen Verfügung durchsetzen
kann.
III.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die
Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 92 a ArbGG), wird
hingewiesen.