Urteil des LAG Hessen vom 20.06.2008

LAG Frankfurt: werkstatt, öffentlich, werkstätte, kontrahierungszwang, handbuch, zivilrecht, arbeitsgericht, arbeitsrecht, mensch, erfüllung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ta 131/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 138 Abs 1 SGB 9, § 137
Abs 1 SGB 9, § 2 Abs 1 Nr 10
ArbGG BW
(Rechtsweg - Aufnahmeanspruch nach § 137 Abs 1 SGB 9)
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss
des Arbeitsgerichts Offenbach vom 20. Februar 2008 - 5 Ca 16/08 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin zu
tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
A
Die Parteien streiten über die Rechtswegzuständigkeit zu den Gerichten für
Arbeitssachen.
Die Beklagte ist Trägerin einer Werkstätte für behinderte Menschen im Sinne des
9. Buches des Sozialgesetzbuches. Der Kläger ist ein schwerbehinderter Mensch.
Mit seiner am 17. Januar 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat er die
Aufnahme in die Werkstätte der Beklagten, hilfsweise die Feststellung begehrt,
dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger in ihrer Einrichtung als
Werkstattmitarbeiter aufzunehmen. Durch Beschluss vom 20. Februar 2008 hat
das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig
erklärt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Rechtsweg zu den
Arbeitsgerichten sei gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10 ArbGG eröffnet, weil das
Rechtsverhältnis zwischen dem behinderten Menschen und der Werkstatt
zivilrechtlich geprägt sei. Durch die Regelung des § 138 Abs. 1 SGB IX erhalte die
Rechtsbeziehung eine arbeitsrechtliche Dimension (wegen der weiteren
Begründung im Einzelnen wird auf die Gründe Seite 4 bis 6 - Bl. 28 bis 30 d.A. -
Bezug genommen).
Mit ihrer am 11. März 2008 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde
wendet sich die Beklagte gegen den ihr am 28. Februar 2008 zugestellten
Beschluss. Sie meint, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben sei.
Der Aufnahmeanspruch habe öffentlich-rechtlichen und keineswegs zivilrechtlichen
Charakter. Dem Zivilrecht und dem Arbeitsrecht sei ein in der Vorschrift des § 137
SGB IX niedergelegter Kontrahierungszwang fremd. § 2 Abs. 1 Nr. 10 ArbGG stehe
dem nicht entgegen, da er nur die Rechtswegzuständigkeit für Streitigkeiten aus
den in § 138 SGB IX geregelten bereits bestehenden arbeitnehmerähnlichen
Rechtsverhältnissen betreffe. Im Streitfall solle demgegenüber erst ein
Rechtsverhältnis aufgrund der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung begründet
werden. Dies sei auch verfahrensrechtlich sinnvoll, weil der jeweilige
Rehabilitationsträger nur in Verfahren vor dem Sozialgericht mit in den
Rechtsstreit einbezogen werden könne.
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Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 20. Februar 2008 - 5 Ca
16/08 - aufzuheben und den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig zu
erklären.
Der Kläger beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den Beschluss des Arbeitsgerichts unter Wiederholung seines
erstinstanzlichen Vorbringens.
B
I.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, da sie an sich statthaft ist (§§ 17 a Abs. 4
Satz 3 GVG, 78 Satz 1 ArbGG, 567 Abs. 1 ZPO) und form- sowie fristgerecht (§§
569 Abs. 1 Satz 1, 2; 222 Abs. 2 ZPO) eingelegt wurde.
II.
In der Sache hat die sofortige Beschwerde allerdings keinen Erfolg. Zu Recht hat
das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig
erklärt.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für
bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen behinderten Menschen im Arbeitsbereich
von Werkstätten für behinderte Menschen und den Trägern der Werkstätten aus
den in §138 SGB IX geregelten arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnissen. Die
Bestimmung erfasst nicht nur Streitigkeiten über den Inhalt des
Beschäftigungsverhältnisses eines Mitarbeiters im Arbeitsbereich einer Werkstatt
für Behinderte (arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis nach §138 Abs. 1 SGB IX),
sondern auch Streitigkeiten über die Umsetzung des Aufnahmeanspruchs aus
§137 Abs. 1 SGB IX (i.E. auch Wiegand-Jung, SGB IX / Teil 2 Schwerbehinderten
Recht, § 137 Rn. 4; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, § 137 Rn. 3; GK-
Schimanski, SGB IX, § 137 Rn. 79). Es handelt sich auch insoweit um eine
bürgerliche und nicht um eine öffentlich-rechtliche Rechtsstreitigkeit.
Maßgebend ist insoweit, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für
die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen Rechts
oder des öffentlichen Rechts geprägt wird (vgl. BAG 08. November 2006 - 5 AZB
36/06 -Rn. 10, m. w. N.; zitiert nach Juris). Grundsätzlich unterstehen die
Rechtsbeziehungen zwischen Privaten dem Zivilrecht. Ausnahmsweise können sie
zwar dem öffentlichen Recht zuzuordnen sein, wenn eines der Rechtssubjekte
seinerseits als Teil der öffentlichen Verwaltung zu betrachten ist oder jedenfalls auf
die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten in Anspruch genommen wird (BAG a. a.
O. Rn. 16, m. w. N.; zitiert nach Juris). Dies trifft im Streitfall indessen nicht zu. Die
sozialrechtliche Leistungsbeziehung besteht zwischen dem behinderten Menschen
und dem Rehabilitationsträger. Aus dieser gesonderten Rechtsbeziehung erwächst
der Anspruch des behinderten Menschen auf Eingliederungsbeihilfe (vgl.
Hauck/Noftz/Götze, SGB IX, 137 Rn. 6). Sie besteht nicht aus der Verschaffung
eines Werkstattvertrages, sondern aus der Gewährleistung der Kostenübernahme
für die Aufnahme des behinderten Menschen in die Werkstatt
(vgl.Hauck/Noftz/Götze, SGB IX, § 137 Rn. 6). Demgegenüber wird der Träger der
Werkstatt nicht zur Erfüllung eines öffentlich-rechtlichen Sachleistungsanspruchs
des behinderten Menschen gegen den Rehabilitationsträger tätig
(Neumann/Pahlen/Makerski-Pahlen, SGB IX, § 138 Rn. 18; Münchner Handbuch-
Cramer §237 Rn 38). Zwischen dem Behinderten und dem Träger der Werkstatt
besteht kein hoheitliches Verhältnis der Über - und Unterordnung, sondern beide
treten - jedenfalls nach der Vorstellung des Gesetzgebers - gleichgeordnet
einander gegenüber (zu diesem Aspekt, BAG 22.9.1999 - 5 AZB 27/99 - NZA
2000, 55(56)). Nach §138 SGB IX gelten im Arbeitsbereich anerkannter
Werkstätten Beschäftige, sofern sie nicht nach allgemeinen Grundsätzen als
Arbeitnehmer einzustufen sind, als arbeitnehmerähnliche Personen, soweit sich
aus dem zugrunde liegenden Sozialleistungsverhältnis nichts anderes ergibt. Auch
wenn nicht von der Hand zu weisen ist, dass neben der Arbeitsleistung die
Betreuung und Förderung des behinderten Menschen im Vordergrund stehen,
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Betreuung und Förderung des behinderten Menschen im Vordergrund stehen,
handelt es sich um eine zivilrechtliche Beziehung, die nach § 138 Abs. 1 SGB IX
eine arbeitsrechtliche Komponente hat. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, dem
behinderten Menschen in den Geltungsbereich der Arbeitsschutzgesetzgebung
einzubeziehen (vgl. Münchner Handbuch - Cramer §237 Rn 38; Neumann-Wendz,
Handbuch SGB IX, § 22 Rn. 43). Der mit dem Aufnahmeanspruch verbundene
Kontrahierungszwang spricht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin
nicht für eine öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses. Im
Arbeitsrecht ist beispielsweise bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein
Wiedereinstellungsanspruch nach Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung
(vgl. BAG 27. Februar 1997 - 2 AZR 160/96 - Rn 25 zitiert nach juris) und damit ein
Kontrahierungszwang anerkannt und im Zivilrecht kann im Einzelfall ein Anspruch
auf Aufnahme in einen Verband mit einer überragenden Machtstellung im
wirtschaftlichen oder sozialen Bereich bestehen (vgl. BGH 23.11.1998 - II ZR 54/98
- NJW 1999, 1326ff).
Es ist darüber hinaus insgesamt sachgerecht und entspricht auch dem Erfordernis
einer klaren und praktikablen Abgrenzung der Rechtswegzuständigkeiten sowie
dem Ziel einer weitgehenden Integration des schwerbehinderten Menschen in das
Arbeitsleben, wenn für alle Streitigkeiten in der Rechtsbeziehung zwischen dem
Behinderten und dem rechtlich gleichgeordneten Träger der Werkstätte der
Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist. Die Regelungen im
Zuständigkeitskatalog des § 2 ArbGG sind weit auszulegen. Es ist seit jeher das
Ziel des Arbeitsgerichtsgesetztes, alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten, die in
so greifbar naher Beziehung zu einem Arbeitsverhältnis stehen, dass sie
überwiegend durch das Arbeitsverhältnis bestimmt werden, auch prozessual im
Rahmen der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zu erfassen (vgl. BAG
19.3.1975 - 4 AZR 270(74 - AP Nr. 14 zu §5 TVG; BAG 14. November 1979 - 4 AZR
3/78 - Rn. 13, 14; zitiert nach Juris; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge,
ArbGG, § 2 Rn. 6; Bader /Creutzfeldt/Friedrich, ArbGG, §2 Rn 1). Dementsprechend
werden von der Ziffer 3 a des § 2 Abs. 1 ArbGG nicht nur Streitigkeiten aus einem
bestehenden Arbeitsverhältnis, sondern auch solche erfasst, in denen es um die
Begründung des Vertragsverhältnisses geht (vgl. ErfK-Koch, §2 Rn. 17;
Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, § 2 Rn. 53; Hauck/Helml,
ArbGG, §2 Rn 22). Nichts anderes gilt für die Auslegung der Ziffer 10 des § 2 Abs. 1
ArbGG. Da dem Gesetzgeber die vom Bundesarbeitsgericht praktizierte weite
Auslegung des Zuständigkeitskataloges für Arbeitsverhältnisse bekannt war, muss
davon ausgegangen werden, dass er die durch das Gesetz zur Reform des
Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 eingefügte Ziffer 10 des § 2 Abs. 1 ArbGG
ebenfalls umfassend verstanden wissen wollte. Dafür spricht auch der Wortlaut, da
in Ziffer 10 in Anlehnung an Ziffer 3 a die Formulierung „bürgerliche
Rechtsstreitigkeiten (...) aus arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnissen“ gewählt
wurde. Der Hinweis in § 2 Abs. 1 Nr. 10 ArbGG auf § 138 SGB IX dient lediglich der
Qualifizierung der Rechtsstellung der Beschäftigten in einer Werkstatt für
behinderte Menschen und damit der Kennzeichnung des erfassten
Rechtsverhältnisses und nicht - wie die Beklagte meint - einer Beschränkung der
Rechtswegzuständigkeit auf Rechtsstreitigkeiten, die in einem bereits bestehenden
arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis wurzeln. Die von der Beklagten
befürwortete strikte Trennung von Streitigkeiten die einem bereits bestehenden
Rechtsverhältnis entspringen und solchen, die der Begründung des
Rechtsverhältnisses dienen, ist im Gesetz nicht angelegt. Zwar kommt das
arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis bereits mit der Aufnahme in die Werkstatt
zustande (vgl. Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, § 138 Rn. 20) und der
darauf gerichteter Anspruch ist in § 137 SGB IX geregelt. Durch den
Aufnahmeanspruch aus § 137 SGB IX wird aber der Inhalt der zwischen dem Träger
der Werkstätte und dem behinderten Menschen bestehenden Rechtsbeziehung
keineswegs abschließend geregelt. Vielmehr bedarf es hierfür weiterer
Vereinbarungen zwischen dem behinderten Menschen und dem Träger der
Werkstätte. Auf den Abschluss einer solchen Vereinbarung hat der behinderte
Mensch ebenfalls einen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch, der allerdings nicht
in § 137 SGB IX, sondern wiederum in § 138 Abs. 3 SGB IX eingeräumt wird (vgl.
Neumann/Pahlen, SGB IX, Rn. 20). Die enge Verknüpfung zeigt sich auch daran,
dass der Aufnahmeanspruch zu einem Weiterbeschäftigungsanspruch führt, §137
Abs. 2 SGB IX.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu
tragen.
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D
Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 2, 77 Abs. 2
ArbGG ist nicht ersichtlich. Damit ist der Beschluss unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.