Urteil des LAG Hessen vom 08.06.2009
LAG Frankfurt: ordentliche kündigung, wichtiger grund, abmahnung, fliegen, alter, manager, arbeitsgericht, sperre, verspätung, absicht
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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
17. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
17 Sa 45/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 2 KSchG, § 626 Abs 1
BGB, § 314 Abs 2 BGB, § 611
Abs 1 BGB
Unrechtmäßigkeit der Kündigung einer Flugbegleiterin -
Sicherheitsaspekte berührender Pflichtverstoß -
Abmahnungserfordernis
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Frankfurt am Main vom 31. Juli 2008, Az.: 1 Ca 3686/08, wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch im Berufungsrechtszug in erster Linie über die
Wirksamkeit einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses, die die Beklagte gegenüber der am 10. August 1967
geborenen und seit 11. Oktober 1999 bei ihr als Flugbegleiterin beschäftigten
Klägerin anlässlich eines Vorfalls vom 24. April 2008 erklärte, bei dem die Klägerin
einen von ihr gebuchten und eingecheckten Rückflug von A nach B nicht antrat
und versuchte, ihre damals zehnjährige Nachbarstochter, die über ein Ticket mit
dem Status eines Travelpartners verfügte und mit der sie gemeinsam den sog.
Girls-Day bei der Beklagten besucht hatte, alleine nach B zurückfliegen zu lassen.
Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien
im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der
angefochtenen Entscheidung (Bl. 142 bis 145 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat der Klage durch am 31. Juli 2008
verkündetes Urteil, 1 Ca 3686/08, stattgegeben. Es hat die Kündigung vom 07. Mai
2008 sowohl als außerordentliche als auch als ordentliche Kündigung als
unwirksam angesehen und dies im Wesentlichen damit begründet, der Kündigung
hätte eine Abmahnung vorausgehen müssen und im Rahmen der
Interessenabwägung überwögen die Bestandsinteressen der Klägerin. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils
verwiesen (Bl. 146 bis 150 d. A.).
Gegen dieses ihr am 08. Januar 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.
Januar 2009 Berufung eingelegt und diese am 24. Februar 2009 begründet.
Sie hält unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrages an der Auffassung fest,
ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sowie ein die ordentliche
Kündigung sozial rechtfertigender Kündigungsgrund liege vor und teilt nicht die
Auffassung der angefochtenen Entscheidung, als mildere Mittel hätten die
Erteilung einer Abmahnung bzw. die Verhängung einer sog. PAD-Sperre zur
Verfügung gestanden. Der Klägerin sei die Kündigungsrelevanz ihres
eigenmächtigen Nichtantritts des Fluges nach erfolgtem Check-In mit ihrer erst
zehnjährigen Travelpartnerin erkennbar gewesen. Dies folge aus ihrer Kenntnis der
Regelungen, wonach sog. Travelpartner immer gemeinsam mit dem Mitarbeiter zu
reisen haben und Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren ohnehin nur mit
einem sog. UM-Ticket gegen entsprechende Gebühr allein fliegen dürfen. Aktuelle
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einem sog. UM-Ticket gegen entsprechende Gebühr allein fliegen dürfen. Aktuelle
Kenntnis der Klägerin von diesen Regelungen folge auch daraus, dass sie bei ihrer
Auseinandersetzung mit dem Flight-Manager H. diesen gebeten habe, aus
kollegialen Gründen gegen die Vorschriften zu verstoßen. Die Beklagte bleibt im
Übrigen dabei, diese Auseinandersetzung mit H. habe ca. 20 Minuten gedauert
und sei im Beisein verschiedener Fluggäste geführt worden. Die Beklagte meint,
der Klägerin sei ohne weiteres erkennbar gewesen, ihr Verhalten werde vom
Arbeitgeber nicht toleriert und könne ggf. zum Ausspruch einer Kündigung führen.
An dieser Beurteilung ändere auch die Darstellung der Klägerin nichts, es habe
sich um eine "Kurzschluss-Reaktion" gehandelt und der Entschluss, das Kind allein
reisen zu lassen, sei erst kurzfristig im Zubringerbus gefasst worden. Die Beklagte
bestreitet diese Einlassung der Klägerin, verweist auf den Umstand, dass die
Mutter des Kindes bei Reiseantritt eine Erklärung mitgegeben hatte, das Kind dürfe
auch allein fliegen, verweist auf den weiteren unstreitigen Umstand, dass die
Klägerin für den Folgetag zu einem in A beginnenden Flugeinsatz eingeplant war
und geht davon aus, die Klägerin habe die Bestätigung der Mutter bereits mit der
Absicht eingeholt, das Kind am Nachmittag des 24. April 2008 allein nach B
zurückfliegen zu lassen und selbst in A zu bleiben, um von dort aus am nächsten
Morgen direkt ihren Dienst antreten zu können. Die Beklagte hält ferner an ihrer
Auffassung fest, die Klägerin habe mit ihrem Verhalten luftsicherheitsrelevante
Betriebsabläufe der Station A erheblich gestört und behauptet, durch das
Verhalten der Klägerin sei es zu einer Verspätung des Fluges von A nach B von
über einer Stunde gekommen, was wiederum zu Umbuchungen von Passagieren
und Hotelbuchungen für Passagiere geführt habe. Richtig sei zwar, dass ein bereits
eingecheckter Passagier sich dazu entschließen könne, den Flug doch nicht
anzutreten und den Busfahrer um den Rücktransport zum Terminal bitten könne.
Die Beklagte verweist aber darauf, dass dann auch das die Klägerin begleitende
Kind den Flug nicht hätte antreten dürfen und dass, was auch der Klägerin bekannt
sei, über ein derartiges Deboarding das HCC (Hub Control Center), der Flight
Manager sowie der Ramp Agent bzw. der Fraport Lademeister zu unterrichten
seien. Die Beklagte trägt vor, sowohl der Busfahrer als auch der Ramp Agent seien
davon ausgegangen, bei der Klägerin handele es sich um ein Mitglied des
Betreuungsdienstes, das ein auf UM-Ticket reisendes Kind übergeben habe. Die
Klägerin habe das Tragen ihrer Uniform hierbei gezielt eingesetzt, um den Rückflug
nach B nicht gemeinsam mit dem Kind antreten zu müssen bzw. vorzuspiegeln,
das Kind reise als sog. "UM". Die Beklagte hält ferner daran fest, durch das
Verhalten der Klägerin sei ihre Berechtigung gefährdet, die Zählung der
Passagiere bereits am Gate und nicht mit erhöhtem Zeitaufwand an Bord
durchzuführen.
Die Beklagte wendet sich ferner gegen die Auffassung, ihr hätte als milderes Mittel
auch eine sog. PAD-Sperre zur Verfügung gestanden; eine PAD-Sperre allein sei
nicht ausreichend. Im Übrigen handele es sich bei einer PAD-Sperre um eine
Betriebsbuße, die gegenüber individualvertraglichen Maßnahmen wie einer
Abmahnung oder einer Kündigung nicht als vorrangiges Mittel in Betracht komme.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom
31. Juli 2008, 1 Ca 3686/08, die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung
ihres Vortrags. Sie behauptet, das von der Mutter des Kindes erteilte Schreiben
habe in erster Linie dem Zweck gedient, sie – die Klägerin – zu ermächtigen, mit
dem Kind überhaupt den Girls-Day verbringen und die Reise antreten zu dürfen
und sei nicht von vornherein darauf ausgelegt gewesen, das Kind den Rückflug
allein antreten zu lassen. Sie bestreitet, mit ihrem Verhalten in erheblichem Maß
gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen zu haben und hält daran fest, die
Verspätung des Fluges von A nach B sei nicht allein auf ihr Verhalten
zurückzuführen. Das Flugzeug sei bereits bei seiner Ankunft in A verspätet
gewesen, dementsprechend sei bereits im Zeitpunkt des Check-In für den
Weiterflug nach B eine Verspätung eingetreten gewesen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am
Main vom 31. Juli 2008, 1 Ca 3686/08, ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. c ArbGG
statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1
und 3 ZPO.
Sie ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage mit zutreffender
Begründung stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde weder durch
außerordentliche noch durch ordentliche Kündigung der Beklagten vom 07. Mai
2008 beendet. Dementsprechend ist die Beklagte verpflichtet, die Klägerin bis zur
Rechtskraft der Entscheidung über den Feststellungsantrag vorläufig
weiterzubeschäftigen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass weder
ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung noch ein die ordentliche
Kündigung sozial rechtfertigender Kündigungsgrund vorliegt. Es wird festgestellt,
dass die Kammer den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils folgt, § 69
Abs. 2 ArbGG. Dies gilt mit der Maßgabe, dass die Kammer nicht auch auf den
Vorrang einer sog. PAD-Sperre, sondern allein auf den Vorrang einer vor
Ausspruch der Kündigung auszusprechenden Abmahnung abstellt. Im Hinblick auf
die Ausführungen in der Berufung ist noch folgendes auszuführen:
Das Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine außerordentliche Kündigung ist im
Rahmen einer zweistufigen Prüfung zu beurteilen. Im Rahmen des § 626 Abs. 1
BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen
Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt
ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des
Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist
oder nicht .
Ein die ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen im Verhalten
des Arbeitnehmers rechtfertigender Grund liegt vor, wenn das dem Arbeitnehmer
vorgeworfene Verhalten eine Vertragspflicht verletzt, das Arbeitsverhältnis
dadurch konkret beeinträchtigt wird, keine zumutbare Möglichkeit anderweitiger
Beschäftigung besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der
Interessen beider Parteien billigenswert und angemessen erscheint
.
Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das Prognoseprinzip. Der Zweck der
Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung,
sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die
vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend
auswirken. Eine negative Prognose liegt dann vor, wenn aus der konkreten
Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung
geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde zukünftig den Arbeitsvertrag
auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise
verletzen. Aus diesem Grund setzt eine Kündigung wegen einer
Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Die Abmahnung
dient in diesem Zusammenhang der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt
eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut
seine vertraglichen Pflichten, kann in der Regel davon ausgegangen werden, es
werde auch künftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Die Abmahnung ist
insoweit notwendiger Bestandteil bei der Anwendung des Prognoseprinzips
. Sie ist zugleich auch Ausdruck des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es
andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu
beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine
gesetzgeberische Bestätigung erfahren
. Soweit ein steuerbares Verhalten betroffen ist, muss der Kündigung
grundsätzlich eine erfolglose Abmahnung vorausgehen, es sei denn, sie ist nicht
erfolgversprechend oder die Pflichtverletzung ist so schwer, dass ihre Hinnahme
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erfolgversprechend oder die Pflichtverletzung ist so schwer, dass ihre Hinnahme
durch den Arbeitgeber von vornherein ausgeschlossen ist
. Diese Grundsätze gelten gleichermaßen im Bereich der auf
verhaltensbedingte Gründe gestützten außerordentlichen Kündigung
.
Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt weder ein wichtiger Grund für eine
außerordentliche Kündigung noch ein eine ordentliche Kündigung sozial
rechtfertigender Kündigungsgrund vor.
Das Arbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend darauf
hingewiesen, dass das Verhalten der Klägerin am 24. April 2008 eine erhebliche
arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellt, die auch an sich geeignet ist, einen
wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB
darzustellen. Die Pflichtverletzung der Klägerin wirkt sich in mehrfacher Hinsicht
aus. Zum einen liegt im Verhalten der Klägerin ein Verstoß gegen die bei der
Beklagten bestehenden Regelungen im Zusammenhang mit der Mitnahme von
Travelpartnern , wonach Travelpartner nicht allein reisen, sondern immer mit dem
zur Inanspruchnahme von Mitarbeiterflügen berechtigten Arbeitnehmer
gemeinsam. Ferner liegt ein Verstoß gegen die weitere Regelung vor, wonach
Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren nur mit UM-Ticket, gegen
entsprechende Gebühr und damit verbunden mit Betreuung durch den
Betreuungsdienst und Übergabe durch diesen an die Crew allein fliegen dürfen.
Der Beklagten ist auch einzuräumen, dass auch dieser Umstand
Sicherheitsaspekte berührt, da das unbeaufsichtigte Fliegen von Kindern in diesem
Alter auch aus Sicherheitsgründen unterbleiben soll. Das Verhalten der Klägerin
führte ferner dazu, dass eine ordnungsgemäße Zählung der Passagiere nicht
gewährleistet war, wobei die Zählung zweifellos ebenfalls Sicherheitsaspekte
berührt. Hieran vermag es auch nichts zu ändern, wenn die Klägerin seinerzeit
fälschlicher Weise davon ausging, eine Zählung werde nur am Gate erfolgen und
nicht auch an Bord, wie es bei dem von C für die Beklagte durchgeführten Flug
erfolgte. Die Klägerin wusste jedenfalls, dass sie für den Flug eingecheckt war. Die
Kammer teilt allerdings auch weiterhin die Auffassung der angefochtenen
Entscheidung, dass Sicherheitsgesichtspunkte noch nicht allein dadurch
beeinträchtigt wurden, dass die Klägerin am 24. April 2008 die Maschine nach B
nicht bestieg, sondern mit dem Bus zum Terminal zurückfuhr. Dass die Klägerin
den Bus verlassen und sich auf dem Vorfeld aufgehalten habe, trägt die Beklagte
nicht konkret vor; die Klägerin bestreitet dies. Im Berufungsverfahren räumt die
Beklagte im Übrigen selbst ein, ein einmal eingecheckter Passagier könne sich
kurzfristig entscheiden, den Flug nicht anzutreten und den Fahrer des
Zubringerbusses bitten, ihn zum Terminal zurück zu transportieren. Soweit die
Beklagte in diesem Zusammenhang ausführt, die Klägerin hätte dann das Kind mit
aussteigen lassen müssen, ist dies zwar zutreffend, betrifft aber die bereits
angesprochenen Verstöße gegen die Ticketregelungen. Soweit ein derartiger
Rücktransport zu melden ist und im konkreten Fall eine Meldung unterblieb,
mögen hiervon zwar ebenfalls Sicherheitsgesichtspunkte betroffen sein. Dies ist
jedoch dann nicht auf eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung der Klägerin
zurückzuführen, wenn sich ihr Verhalten im Bus darauf beschränkt, das Flugzeug
nicht zu besteigen, sondern zum Terminal zurück zu fahren. Entsprechende
Beeinträchtigung von Sicherheitsgesichtspunkten wäre nur dann auf eine
arbeitsvertragliche Pflichtverletzung zurückzuführen, wenn die Klägerin es
veranlasst hätte, dass eine entsprechende Meldung des Rücktransports eines
eingecheckten Passagiers unterblieb.
Die damit vorliegende Pflichtverletzung der Klägerin rechtfertigt weder eine
außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses, denn
nach den dargestellten Grundsätzen hätte einer Kündigung eine erfolglose
Abmahnung vorausgehen müssen. Umstände, aufgrund derer hiernach eine
Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich wäre, liegen nicht vor. In besonderer
Weise beharrliches, unbelehrbares oder ignorantes Verhalten der Klägerin wird von
der Beklagten nicht dargelegt. Aufgrund welcher Umstände trotz Ausspruchs einer
Abmahnung eine Verhaltensänderung der Klägerin nicht zu erwarten wäre, ist nicht
erkennbar. Allein der Umstand, dass das Verhalten der Klägerin neben der
Verletzung der Regelungen über die Mitnahme von Travelpartnern und über das
Fliegen unbegleiteter Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren auch
Sicherheitsaspekte berührt, kann die Entbehrlichkeit einer Abmahnung hier nicht
begründen. Dies gilt auch, wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass
die Verspätung des Fluges von A nach B den behaupteten Umfang hatte und die
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die Verspätung des Fluges von A nach B den behaupteten Umfang hatte und die
behaupteten damit verbundenen organisatorischen Maßnahmen und
entstandenen Kosten ausschließlich auf die Pflichtverletzung der Klägerin
zurückzuführen sind. Ferner ist es auch für die Frage der Entbehrlichkeit oder
Erforderlichkeit einer Abmahnung nicht allein entscheidend, ob das Verhalten der
Klägerin nur den sog. Leistungsbereich oder auch den sog. Vertrauensbereich
betrifft. Auch insoweit gilt, dass eine Abmahnung grundsätzlich erforderlich ist,
wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine
Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann
.
Eine Abmahnung ist schließlich auch nicht aufgrund besonderer Schwere des
Pflichtverstoßes entbehrlich. Vielmehr liegt nach der von der Beklagten nicht
widerlegten Darstellung der Klägerin ein einmaliger Vorgang vor, der aufgrund der
besonderen Umstände zu einer spontanen Fehlreaktion der Klägerin führte.
Die Darstellung der Klägerin ist plausibel. Es ist unstreitig, dass am Nachmittag
des 24. April 2008 nicht nur die Klägerin bei dem Flight-Manager H. wegen der
Möglichkeit nachfragte, ob das sie begleitende Kind den Rückflug nach B allein
antreten könne. Eine entsprechende Frage stellte auch ein Flugkapitän der
Beklagten hinsichtlich seiner ihn begleitenden Tochter. H. lehnte hierbei sowohl
das Ansinnen der Klägerin als auch das des Flugkapitäns ab. Wenn die Klägerin
dann in der Folgezeit im Zubringerbus feststellte, dass die Tochter des
Flugkapitäns dennoch den Rückflug allein antreten konnte, während das als ihr
Travelpartner reisende Kind von ihr auf dem Rückflug begleitet werden musste, ist
es jedenfalls nicht fernliegend und unplausibel, wenn die Klägerin hieraus – objektiv
unzutreffend – auf eine unterschiedliche Behandlung gleichartiger Sachverhalte
und eine Bevorzugung eines Mitarbeiters einer höheren Hierarchieebene schloss.
Geeignete Überprüfungen, ggf. durch Rückfrage bei der Tochter des Flugkapitäns,
hätten zwar ergeben, dass diese bereits über 12 Jahre alt war und
dementsprechend trotz vorheriger Ablehnung durch den Flight-Manager H. die
Möglichkeit der alleinigen ID-Reise eines Kinds eines Mitarbeiters bestand. Es ist
jedoch weder realitätsfern noch der menschlichen Natur fremd, dass die Klägerin
anstelle eine entsprechende Überprüfung vorzunehmen davon ausging, es sei mit
zweierlei Maß gemessen worden, sich zurückgesetzt fühlte, verärgert war und sich
in ihrer Verärgerung entschloss, dass sie begleitende Kind nun doch ebenfalls
allein fliegen zu lassen sowie hierbei in ihrer spontanen Entscheidung sämtliche
Überlegungen vernachlässigte, die sie als berufserfahrene Flugbegleiterin im
Hinblick auf die betrieblichen Abläufe bei Feststellung des Fehlens eines Passagiers
hätte anstellen können.
Zutreffend ist, dass ggf. anders zu entscheiden und eine Abmahnung als
entbehrlich anzusehen wäre, wenn die Klägerin gezielt vorgegangen wäre, um eine
von Anfang an bestehende Absicht umzusetzen, den Rückflug nach B nicht
anzutreten und das Kind allein fliegen zu lassen. Die Darstellung der Klägerin ist
aber von der Beklagten nicht widerlegt.
Gegen die Darstellung der Klägerin spricht zunächst nicht bereits, dass sie am
nächsten Tag einen Flugeinsatz von A aus wahrzunehmen hatte. Die
Wahrnehmung dieses Einsatzes war auch bei einem Rückflug nach B möglich und
organisiert. Ein entsprechender Flug von B wieder nach A am Abend des 24. April
2008 war bereits gebucht.
Gegen die Darstellung der Klägerin spricht nicht, dass sie am 24. April 2008 ihre
Dienstuniform trug. Soweit hierin zunächst ebenfalls eine arbeitsvertragliche
Pflichtverletzung wegen Verstoßes gegen die Betriebsvereinbarung
Dienstbekleidung und Regelungen des OM-A liegt, hat bereits das Arbeitsgericht
zutreffend darauf abgestellt, dass dieser Verstoß ohne vorherige Abmahnung die
außerordentliche Kündigung ebenso wenig rechtfertigt wie die ordentliche
Kündigung. Die Beklagte schließt aus dem Tragen der Dienstuniform, dass die
Klägerin diese gezielt einsetzen wollte, um entweder am Check-In ihrem Wunsch
nach einem Alleinflug des sie begleitenden Kindes Nachdruck zu verleihen oder
auch, um vor Besteigen der Maschine bei Ramp-Agent, Busfahrer oder sonstigen
Personen den Eindruck zu erwecken, bei ihr handele es sich um eine Mitarbeitern
des Betreuungsdienstes, die das Kind lediglich zur Maschine bringe. Diese
Einschätzung ist denkbar, zumal die Klägerin, hätte sie von vornherein nicht
beabsichtigt, nach B zu fliegen, ihre Uniform in A gebraucht hätte. Zumindest
ebenso plausibel ist aber die Darstellung der Klägerin, die Uniform getragen zu
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ebenso plausibel ist aber die Darstellung der Klägerin, die Uniform getragen zu
haben, um der Exkursion einen offiziellen Anstrich zu geben und auf diese Weise
eher die tatsächlich auch eingetretene Möglichkeit zu erhalten, dem Kind den
Kapitän vorstellen und das Cockpit zeigen zu können.
Gegen die Darstellung der Klägerin und die behauptete spontane Reaktion spricht
auch nicht, wenn die Klägerin wie von der Beklagten behauptet, zuvor den Flight-
Manager H. aufgefordert haben sollte, aus kollegialen Gründen gegen geltende
Vorschriften zu verstoßen. Diese von der Klägerin bestrittene Aufforderung war
jedenfalls erfolglos. Sie zeigt lediglich, dass der Klägerin bekannt war, dass nach
den bestehenden Vorschriften ein alleiniger Rückflug des Kindes als Travelpartner
nicht möglich war. Diese Kenntnis bestand auch, wenn die Klägerin H. nicht
aufgefordert haben sollte, gegen Vorschriften zu verstoßen. Denn auch nach
Darstellung der Klägerin hat H. einen alleinigen Rückflug des Kindes im Hinblick auf
die entsprechenden Regelungen abgelehnt. Damit steht lediglich fest, dass der
Klägerin jedenfalls auf der Fahrt im Zubringerbus bekannt war, dass ein alleiniger
Rückflug des Kindes nach Bremen gegen die Regeln über die Mitnahme von
Travelpartnern verstößt. Auf Unkenntnis beruft sich die Klägerin jedoch nicht,
sondern darauf, sich in einer spontanen Fehlreaktion entschlossen zu haben, das
Kind allein fliegen zu lassen, nachdem sie feststellte, dass auch die Tochter des
Flugkapitäns allein den Rückflug antrat.
Gegen die Darstellung der Klägerin spricht auch nicht, dass diese über eine
Erklärung der Erziehungsberechtigten verfügte, das Kind dürfe auch allein reisen.
Richtig ist, dass die Klägerin erstinstanzlich vorgetragen hat, die
"Alleinfluggenehmigung" habe sie sich lediglich vorsorglich für den Fall geben
lassen, dass wegen eines unvorhergesehenen Umstands ein gemeinsamer
Rückflug nicht möglich wäre, während sie in der Berufung ausführt, das Schreiben
der Erziehungsberechtigten habe insbesondere die Funktion gehabe, die Klägerin
zu ermächtigen, mit dem Kind den Girls-Day zu verbringen und die Reise
überhaupt anzutreten. Hierin liegt kein unlösbarer Widerspruch. Beide Erklärungen
konnten in einem Schreiben verbunden erfolgen. Dass die der Klägerin von der
Erziehungsberechtigten erteilte Ermächtigung nicht den von der Klägerin
behaupteten Inhalt hatte, ist im Übrigen von der insoweit darlegungs- und
beweisbelasteten Beklagten nicht unter Beweisantritt dargelegt. Der Umstand,
dass eine Erlaubnis der Erziehungsberechtigten vorlag, das Kind ggf. allein fliegen
zu lassen, lässt im Übrigen auch noch keinen zwingenden Schluss dahin zu,
Alleinflug bedeute alleinige Reise unter Umgehung der Regelungen für die
Mitnahme von Travelpartnern oder der Regelungen für Flüge unbegleiteter Kinder
im Alter zwischen fünf und elf Jahren. Eine entsprechende Erklärung ergibt genau
so einen Sinn, wenn sie für den Fall ausgestellt worden sein sollte, dass das Kind
ohne Begleitung der Klägerin zurückfliegen und ein sog. UM-Ticket erworben
werden müsste.
Die Beklagte mag den Verdacht hegen, die Klägerin habe von Anfang an nicht die
Absicht gehabt, am Nachmittag bzw. Abend des 24. April 2008 den zeitlichen
Aufwand eines Fluges nach B und dann zurück nach A auf sich zu nehmen, jedoch
den Wunsch, die Kosten für ein UM-Ticket für den Rückflug des Kindes nach B zu
vermeiden. Ob ein entsprechender dringender Verdacht durch die von der
Beklagten angeführten Anhaltspunkte dargelegt ist, kann dahinstehen. Die
Beklagte begründet im Rechtsstreit ihre Kündigung nicht als Verdachtskündigung
mit einem entsprechenden Verdacht, trägt nicht vor, die Klägerin im Hinblick auf
einen entsprechenden Verdacht angehört zu haben
und hat mit der Anhörung vom 29. April 2008 die
Personalvertretung auch nicht zu einer Verdachtskündigung angehört.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund i. S. d. § 72 Abs. 2 ArbGG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.