Urteil des LAG Hessen vom 08.12.2005
LAG Frankfurt: nichtigkeit, betriebsrat, ex tunc, genehmigung, arbeitsgericht, wahlergebnis, amtszeit, anfechtbarkeit, zahl, rücktritt
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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
9. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 TaBV 88/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 13 Abs 2 Nr 2 BetrVG, § 16
Abs 3 BetrVG, § 19 BetrVG, §
83a Abs 2 ArbGG
(Betriebsratswahl - Nichtigkeit - Wahlvorstand - Bestellung
- Erledigungserklärung)
Leitsatz
1. Eine wirksame Erledigungserklärung setzt auch im betriebsverfassungsrechtlichen
Beschlussverfahren ein zulässiges Rechtsmittel voraus.
2. Bestellt der Restbetriebsrat im Falle des Absinkens der Gesamtzahl der
Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder unter die
vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG) keinen
Wahlvorstand, ist der Gesamtbetriebsrat in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 3
BetrVG hierzu berechtigt.
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 4) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts
Darmstadt vom 03. März 2005 - 10 BV 12/04 - wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde des Beteiligten zu 5) wird als unzulässig verworfen.
Das Verfahren hinsichtlich der Beschwerde der Beteiligten zu 6) wird eingestellt.
Die Rechtsbeschwerde für die Beteiligte zu 4) wird zugelassen.
Gründe
I .
Die Beteiligten streiten zuletzt noch um die Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom
5. Aug. 2004.
Die inzwischen dort ausgeschiedenen Beteiligten zu 1) bis 3) waren
wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 6), der A GmbH B. Sie sind
Mitglieder der Beteiligten zu 4). Der Beteiligte zu 5) ist der bei der Wahl am 5. Aug.
2004 gewählte Betriebsrat.
Der Beteiligte zu 5) hat unter dem 3. Nov. 2005 (Bl. 218 d. A.) schriftlich erklärt,
dass er sein Amt als Betriebsobmann seit dem 1. Juli 2005 nicht mehr ausübe, da
die gesetzlichen Voraussetzungen entfallen seien und hat vorsorglich seinen
Rücktritt erklärt. Mit Telefax vom 6. Dez. 2005 (Bl. 237 d. A.) hat er mitgeteilt, dass
er sein Amt endgültig und unwiderruflich niedergelegt habe.
Im Betrieb der Beteiligten zu 6), dem noch weitere Standorte angehörten, waren
ursprünglich mehr als 20 Arbeitnehmer ständig beschäftigt. Am 25. April 2002 war
ein dreiköpfiger Betriebsrat gewählt worden. Am 21. Juni 2004 traten die
Betriebsratsmitglieder C und D zurück. Es gab keine Ersatzmitglieder mehr, die in
den Betriebsrat hätten nachrücken können.
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Das verbliebene Betriebsratsmitglied, der Beteiligte zu 1), wurde aufgefordert, die
Neuwahl einzuleiten, lehnte dies jedoch ab. Am 12. Juli 2004 forderte der
Gesamtbetriebsratsvorsitzende E den Beteiligten zu 1) auf, einen Wahlvorstand
zur Betriebsratswahl einzuberufen und kündigte für den Fall der Untätigkeit bis 16.
Juli 2004 an, selbst einen Wahlvorstand zu benennen, (Bl. 109 d.A.). Am 15. Juli
2004 fand im Betrieb der Beteiligten zu 6) eine von drei Arbeitnehmern
einberufene Wahlversammlung zur Wahl eines Betriebsrates statt. Es wurde ein
Wahlvorstand bestehend aus den Arbeitnehmern F, C und G; Ersatzmitglied: H
gewählt und das Ergebnis dem Gesamtbetriebsrat mitgeteilt. Durch Schreiben
vom 16. Juli 2004 setzte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende E für den
Gesamtbetriebsrat die Arbeitnehmer F, C und G zum Wahlvorstand ein. Bis zu
diesem Zeitpunkt war weder vom Gesamtbetriebsrat noch vom
Gesamtbetriebsausschuss ein entsprechender Beschluss gefasst worden. Die
Betriebsratswahl fand am 5. Aug. 2004 statt; gewählt wurde ein einköpfiger
Betriebsrat. Das Wahlergebnis wurde am 12. Aug. 2004 (BI. 20 d.A.) bekannt
gegeben.
Mit am 26. Aug. 2004 bei Gericht eingegangenem Antrag haben die Beteiligten zu
1) bis 4) die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl vom 5. Aug. 2004
geltend gemacht. Sie haben gemeint, die Wahl sei unwirksam, weil bereits ein
Betriebsrat im Amt gewesen sei, dessen Amtszeit nicht abgelaufen gewesen sei.
Der amtierende Betriebsrat habe gute Gründe gehabt, keine Neuwahlen
einzuleiten, da er sich mit der Arbeitgeberin in Verhandlungen über
Interessenausgleich und Sozialplan wegen der zum 31. Dez. 2004 beschlossenen
Betriebsschließung befunden habe. Die Durchführung von Neuwahlen sei deshalb
unsinnig gewesen. Einzig der Betriebsrat sei berechtigt gewesen, Neuwahlen
einzuleiten; allenfalls habe er mit einem Verfahren gemäß § 23 BetrVG dazu
angehalten werden können. Die Einsetzung des Wahlvorstandes auf der
Wahlversammlung vom 15. Juli 2004 - falls eine solche stattgefunden habe - sei
unwirksam, da § 14 a BetrVG nur Anwendung auf Betriebe finde, in denen kein
Betriebsrat bestehe. Eine Einsetzung des Wahlvorstandes durch den
Gesamtbetriebsrat sei nicht möglich, da § 16 Abs. 3 BetrVG bei nicht
turnusmäßiger Wahl keine Anwendung finde. Die Einsetzung des Wahlvorstandes
durch den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden E sei auch nicht später genehmigt
worden noch überhaupt genehmigungsfähig, da die Entscheidung
Gestaltungswirkung gehabt habe. Schließlich sei die Betriebsratswahl auch deshalb
unwirksam, weil die Arbeitnehmer des Ausbildungszentrums I daran hätten
beteiligt werden müssen. Dieses sei organisatorisch von B aus mitbetreut worden.
Die Antragsteller zu 1) bis 4) haben beantragt,
festzustellen, dass die Betriebsratswahl der A GmbH B vom 5. August
2004 unwirksam ist,
hilfsweise
die Wahl des Betriebsrates der A GmbH B vom 5. August 2004 für
unwirksam zu erklären.
Die Beteiligten zu 5) und 6) haben beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Der Beteiligte zu 5) hat gemeint, der Wahlvorstand sei sowohl von der
Wahlversammlung am 15. Juli 2004 als auch vom Gesamtbetriebsrat am 16. Juli
2004 ordnungsgemäß eingesetzt worden. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende sei
zum Handeln befugt gewesen, da seit vielen Jahren eine Absprache bestanden
habe, nach der der Gesamtbetriebsratsvorsitzende in Eilfällen alle erforderlichen
Schritte einleiten könne. Gesamtbetriebsausschuss und Gesamtbetriebsrat
müssten dies anschließend auf der nächsten Sitzung legitimieren. Hier habe der
Gesamtbetriebsausschuss am 21./22. Juli 2004 der Einsetzung des
Wahlvorstandes zugestimmt und der Gesamtbetriebsrat am 14./15. Sept. 2004
beschlossen, diesen Beschluss mitzutragen. Durch diese Genehmigung sei eine
eventuelle Unwirksamkeit der Erklärung des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden
geheilt worden. Der Gesamtbetriebsrat sei gemäß § 16 Abs. 3 BetrVG berechtigt
gewesen, den Wahlvorstand einzusetzen. Schließlich sei auch der Betriebsbegriff
nicht verkannt worden. Mit Schließung des Standortes I sei die Zuordnung der
Arbeitnehmer des Standortes I ausgelaufen. Zudem habe durch die
Nichtberücksichtigung der Arbeitnehmer des Standortes I auch das Wahlergebnis
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Nichtberücksichtigung der Arbeitnehmer des Standortes I auch das Wahlergebnis
nicht beeinflusst werden können.
Die Beteiligte zu 6) ist ebenfalls der Auffassung gewesen, der Betriebsbegriff sei
nicht verkannt worden und eine mögliche Verkennung habe am Wahlergebnis
nichts ändern können. Am Standort I sei allenfalls eine Arbeitnehmerin - Frau J -
wahlberechtigt gewesen. Herr K sei zum 30. Juni 2004 gekündigt, Herr L sei
leitender Angestellter gewesen. Für die Einsetzung des Wahlvorstandes sei der
Gesamtbetriebsrat zuständig gewesen. Dessen Handeln sei wirksam, zumindest
rückwirkend genehmigt worden. Zudem hätten mögliche Fehler bei der
Wahlvorstandsbestellung nicht zwangsläufig Auswirkungen auf das Wahlergebnis.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten,
des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des erstinstanzlichen
Verfahrens wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Das Arbeitsgericht Darmstadt hat die Wahl durch Beschluss vom 3. März 2005 - 10
BV 12/04 – für ungültig erklärt, den auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl
gerichteten Antrag jedoch zurückgewiesen. Die Nichtigkeit der Wahl hat es
verneint, weil kein schwerer Verstoß gegen Verfahrensvorschriften vorliege. Auch
wenn der Betriebsbegriff vom Wahlvorstand verkannt worden wäre, führte dies
nicht zur Nichtigkeit der Wahl. Nach dem Rücktritt zweier Betriebsratsmitglieder
am 21. Juni 2004, der Aufforderung des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden E vom
12. Juli 2004, einen Wahlvorstand zu bestellen und der entsprechenden Weigerung
des Beteiligten zu 1) habe gemäß § 16 Abs. 3 BetrVG vom Gesamtbetriebsrat ein
Wahlvorstand eingesetzt werden können. Eine entsprechende Anwendung des § 16
Abs. 3 BetrVG sei hier geboten, da die Situation, dass ein Betriebsrat infolge
Ablaufs der regulären Amtszeit nach § 13 Abs. 1 zu wählen sei oder aufgrund der
Sondertatbestände des § 13 Abs. 2, vergleichbar sei. Anderenfalls könne eine
Betriebsratsneuwahl über lange Zeit verhindert werden, obwohl sie gemäß § 13
Abs. 2 BetrVG zwingend sei. Dies sei ein unhaltbares Ergebnis. Der Verweis der
Antragsteller auf ein Verfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG führe nicht weiter, da
während der Dauer dieses Verfahrens die Neuwahl des Betriebsrates ebenfalls für
lange Zeit verhindert würde. Die Betriebsratswahl sei jedoch gemäß § 19 Abs. 1
BetrVG für unwirksam zu erklären, weil der Wahlvorstand nicht durch den
Gesamtbetriebsrat, sondern allein durch dessen Vorsitzenden bestellt worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen
Beschlussgründe verwiesen.
Den Beteiligten zu 4) und 5) wurde der Beschluss des Arbeitsgerichts am 31. Mai
2005 zugestellt, der Beteiligten zu 6) am 1. Juni 2005. Die Beteiligte zu 4) hat
gegen den Beschluss am 24. Juni 2005 Beschwerde eingelegt und diese am 1.
Aug. 2005 per Telefax begründet. Die Beschwerde des Beteiligten zu 6) ging am
15. Juni 2005 ein, ihr Schriftsatz vom 4. Juli 2005 am 6. Juli 2005. Der Beteiligte zu
5) hat am 16. Juni 2005 Beschwerde eingelegt.
Die Beteiligte zu 4) hält die Wahl weiterhin für nichtig, weil es zum Zeitpunkt der
Wahl noch einen amtierenden Betriebsrat gegeben hätte. Es habe zwar ein Fall
des § 13 Abs. 2 Ziff. 2 BetrVG vorgelegen, wonach Neuwahlen einzuleiten gewesen
seien, § 16 Abs. 3 BetrVG finde jedoch keine entsprechende Anwendung. Bei
Untätigbleiben des Rumpfbetriebsrats könne ein Antrag nach § 23 Abs. 3 BetrVG
gestellt werden. Der Betrieb sei noch betriebsratsfähig. Es würden die
Mitarbeiter/innen M, D, J, C, F, G und eine weitere Mitarbeiterin aus N, die nunmehr
organisatorisch zu B gehöre, beschäftigt. Der Mitarbeiter G sei zur Durchführung
von Lehrgängen in O eingesetzt, dieser Bereich gehöre jedoch organisatorisch
zum Betrieb B.
Der Beteiligte zu 5) hat vorgetragen, der Betrieb sei nicht mehr betriebsratsfähig,
weil die Mitarbeiter G und J nicht mehr dem Betrieb angehörten, Frau M sei
leitende Angestellte.
Die Beteiligte zu 6) ist ebenfalls der Auffassung, das Verfahren sei erledigt, weil der
Betrieb nicht mehr betriebsratsfähig sei. Er habe nur noch vier Mitarbeiter/innen (F,
M, D und C). Die Beteiligte zu 4) sei nach Ausscheiden der Beteiligten zu 1) bis 3)
nicht mehr im Betrieb vertreten.
Die Beteiligte zu 4) beantragt, den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom
3. März 2005 – 10 BV 12/04 – abzuändern und festzustellen, dass die
Betriebsratswahl der A GmbH B vom 5. Aug. 2004 unwirksam ist.
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Der Beteiligte zu 5) hat seinen ursprünglichen Antrag aus der Beschwerdeschrift,
die Anträge unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses abzuweisen, für
erledigt erklärt.
Die Beteiligte zu 6) hat ihren ursprünglichen Antrag, die Anträge unter Abänderung
des angefochtenen Beschlusses insgesamt zurückzuweisen, für erledigt erklärt.
Sie verfolgt in erster Linie ihre Erledigungserklärung und stellt die ursprünglichen
Anträge nur noch hilfsweise. Sie beantragt außerdem die Zurückweisung der
Beschwerde der Beteiligten zu 4) und vorsorglich auch der Beteiligten zu 1) bis 3).
Die Beteiligten zu 1) bis 4) schlossen sich im Hinblick auf die Anfechtung der
Betriebsratswahl der Erledigungserklärung der Beteiligten zu 6) an und
beantragten im Übrigen, die gegnerischen Beschwerden zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf den
vorgetragenen Inhalt der Beschwerdeschriftsätze und den Inhalt der
Sitzungsniederschrift vom 8. Dez. 2005 verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Beteiligten zu 5) ist gemäß § 89 Abs. 3 ArbGG als unzulässig
zu verwerfen, da sie nicht begründet worden ist, was nach §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 66
Abs. 1 Satz 1 ArbGG binnen zwei Monaten nach Zustellung des Beschlusses hätte
geschehen müssen. Der Beteiligte zu 5) hat jedoch das Verfahren mit Schriftsatz
vom 15. Juli 2005 lediglich für erledigt erklärt und dies innerhalb der bis 1. Sept.
2005 verlängerten Begründungsfrist (Bl. 174 d. A.) nicht begründet. Erst mit am 5.
Sept. 2005 eingegangenem Schriftsatz vom 1. Sept. 2005 und mit Schriftsatz vom
19. Sept. 2005 erfolgte eine Begründung. Es bedarf zwar, wenn der
Beschwerdeführer lediglich geltend machen will, das Verfahren habe sich wegen
eines zwischenzeitlichen Ereignisses erledigt, keiner Auseinandersetzung mit dem
erstinstanzlichen Beschluss mehr, zumindest ist aber innerhalb der
Beschwerdebegründungsfrist darzulegen, aus welchen Gründen die Erledigung
eingetreten sein soll (so BAG Beschluss vom 26. Sept. 1990 – 7 ABR 70/87 – Juris;
BVerwG Beschluss vom 20. Nov. 1998 – 6 P 8/98 – NZA-RR 1999, 504). Daran fehlt
es hier. Wegen der Unzulässigkeit der Beschwerde ist die vom Beteiligten zu 5)
abgegebene Erledigungserklärung unwirksam. Die Erledigung der Hauptsache
setzt ein zulässiges Rechtsmittel voraus (vgl. BFH Beschluss vom 17. Aug. 1995 –
VIII R 64/94 – Juris).
Die Beschwerde der Beteiligten zu 4) ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig,
da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, §§ 87 Abs. 2
Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg.
Der auf Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl gerichtete Antrag ist zum
Zeitpunkt der letzten mündlichen Anhörung noch zulässig. Insbesondere besteht
ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag, obwohl nach Amtsniederlegung des
Betriebsrats F dessen Mitgliedschaft im Betriebsrat nach § 24 Nr. 2 BetrVG
erloschen ist, ein Betriebsrat damit nicht mehr existiert, eine Weiterführung der
Geschäfte nach § 22 BetrVG nicht stattfindet und überdies streitig ist, ob der
Betrieb überhaupt noch betriebsratsfähig ist. Die Nichtigkeit der Wahl kann
indessen von jedermann geltend gemacht werden (GK-BetrVG/Kreutz, 8. Aufl., §
19 Rz. 145 mit weiteren Nachw.). Darauf, ob die Beteiligte zu 4) im Betrieb noch
vertreten ist, kommt es nicht an. Die Regelung des § 19 Abs. 2 BetrVG findet in
diesem Falle keine Anwendung (LAG Berlin Beschluss vom 8. April 2003 - 5 TaBV
1990/02 - NZA-RR 2003, 587). Bei Nichtigkeit der Wahl wäre der Beteiligte zu 1),
Mitglied der Beteiligten zu 4), weiterhin Betriebsratsmitglied gewesen. Sämtliche
Amtshandlungen des gewählten Betriebsrats wären ex tunc als unwirksam
anzusehen.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die Betriebsratswahl ist nicht nichtig. Die
Nichtigkeit einer Betriebsratwahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen
anzunehmen, in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen
Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem
Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt (so BAG, Beschluss vom 21. Juli
2004 - 7 ABR 57/03 - EzA § 4 BetrVG 2001 Nr 1; BAG, Beschluss vom 19. Nov.
2003 - 7 ABR 25/03 - EzA § 19 BetrVG 2001 Nr. 1). Von einer Wahl im Sinne des
Betriebsverfassungsgesetzes ist nicht mehr auszugehen, wenn die Verstöße
gegen die Vorschriften des Wahlverfahrens so offensichtlich und schwerwiegend
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gegen die Vorschriften des Wahlverfahrens so offensichtlich und schwerwiegend
sind, dass das Wahlverfahren nicht mehr als ein nach dem Gesetz durchgeführter
Wahlakt angesehen werden kann. Die Betriebsratswahl muss den Stempel der
Nichtigkeit auf der Stirn tragen. Ein derartiger Verstoß gegen das Wahlverfahren
liegt – wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat und auf dessen
Begründung verwiesen wird – nicht vor.
Es kann insbesondere dahinstehen, ob bei der Wahl der Betriebsbegriff verkannt
worden ist, weil dies nicht zu deren Nichtigkeit führte. Die Verkennung des
Betriebsbegriffs gemäß §§ 1, 4 BetrVG hat nicht die Nichtigkeit, sondern bei
Vorliegen der Voraussetzungen des § 19 BetrVG nur die Anfechtbarkeit einer
darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge ( BAG Beschluss vom 31. Mai 2000
- 7 ABR 78/98 - EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 39; BAG, Beschluss vom 22.3.2000 - 7
ABR 34/98 - EzA § 14 AÜG Nr. 4).
Dass zunächst nur der Gesamtbetriebsratsvorsitzende den Wahlvorstand bestellt
hat, kann die Nichtigkeit der Wahl ebenfalls nicht begründen. Liegt seiner Erklärung
ein Beschluss des Gesamtbetriebsrats nicht zugrunde, ist diese schwebend
unwirksam. Ihre Wirksamkeit ist von einer Genehmigung durch einen
nachträglichen Beschluss abhängig (BAG Urteil vom 8. Juni 2004 – 1 AZR 308/03 –
NZA 2005, 66; BAG Urteil vom 24. Febr. 2000 – 8 AZR 180/99 – NZA 2000, 785).
Es gibt keinen überzeugenden Grund dafür, weshalb die Bestellung eines
Wahlvorstandes nicht rückwirkend genehmigt werden kann (vgl. 184 Abs. 1 BGB).
Wird die Genehmigung nicht erteilt, ist die Wahl nicht nichtig, aber anfechtbar. Der
Gesamtbetriebsratsvorsitzende E hat jedoch mit seiner Zeugenaussage vor dem
Arbeitsgericht bestätigt, dass die Einladung zur Gesamtbetriebsratssitzung im
September 2004 den Tagesordnungspunkt „Wahlvorstand B" enthalten und der
Gesamtbetriebsrat seine Entscheidung über die Bestellung des Wahlvorstandes
nach Diskussion genehmigt hätte
Die Wahl ist auch nicht deshalb nichtig, weil der Gesamtbetriebsrat – jedenfalls mit
nachträglicher Genehmigung - den Wahlvorstand bestellt hat. Nach § 13 Abs. 2 Nr.
2 BetrVG ist ein Betriebsrat zu wählen, wenn die Gesamtzahl der
Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder unter die
vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder sinkt. Aufgabe des
Rumpfbetriebsrates ist dann die Bestellung eines Wahlvorstandes. Das Verfahren
richtet sich nach § 16 BetrVG. § 16 Abs. 1 BetrVG findet, wenn nicht unmittelbare,
so doch jedenfalls entsprechende Anwendung. Kommt der Rumpfbetriebsrat
seiner Verpflichtung, einen Wahlvorstand zu bestellen, nicht nach, finden § 16 Abs.
2 und 3 BetrVG Anwendung und ist der Gesamtbetriebsrat hierzu berechtigt (so
DKK/Schneider, BetrVG, 9. Aufl., § 13 Rz. 13; ErfK/Eisemann, 6. Aufl., § 13 BetrVG
Rz. 4,5; Fitting, BetrVG, 22. Aufl., § 16 Rz. 32; GK-BetrVG/Kreutz, 8. Aufl., § 22 Rz.
18; § 16 Rz. 11; Richardi/Thüsing, BetrVG, 9. Aufl., § 16 Rz. 4, 22). Es bedeutet in
der Sache keinen Unterschied, ob die Amtszeit des bisherigen Betriebsrats noch
läuft oder ob er die Geschäfte nach § 22 BetrVG lediglich weiterführt. Die nach § 16
BetrVG berechtigten Personen oder Gremien, sind nicht gehalten, erst ein unter
Umständen über die Instanzen hinweg langwieriges Ausschlussverfahren nach § 23
Abs. 1 BetrVG zu führen, damit ein Wahlvorstand bestellt werden kann. Wird der
Auflösungsantrag dann noch zurückgewiesen, weil zwar eine Pflichtverletzung, aber
keine grobe angenommen wird, liefe § 13 Abs. 2 BetrVG vollends leer. Das kann
nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein.
Hinsichtlich des Hilfsantrages der Antragsteller, die Betriebsratswahl für ungültig
zu erklären, ist das Verfahren einzustellen, da sämtliche Beteiligten das Verfahren
für erledigt erklärt oder sich der Erklärung angeschlossen haben, § 83 a Abs. 2
ArbGG. Die Beteiligte zu 6) konnte eine entsprechende Erklärung abgeben, weil
ihre Beschwerde zulässig war. Ihr Schriftsatz vom 4. Juli 2005 (Bl. 171, 172 d. A.)
reicht als rechtzeitige Beschwerdebegründung aus. Sie hat dort vorgetragen, dass
der Betrieb nur noch vier Arbeitnehmer habe und nicht mehr betriebsratsfähig sei
und hat deshalb das Verfahren für erledigt angesehen. Dies macht wie eingangs
ausgeführt eine Auseinandersetzung mit den erstinstanzlichen
Entscheidungsgründen entbehrlich.
Eine Kostenentscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG nicht.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß 72 Abs. 2 ArbGG wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, da die Frage der entsprechenden
Anwendung des § 16 BetrVG auf den Fall des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG
höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.