Urteil des LAG Hessen vom 28.05.2009

LAG Frankfurt: beschwerdeschrift, arbeitsrecht, vertretung, vollmacht, zustellung, unabhängigkeit, anstellungsvertrag, geschäftsführer, berufsbild, form

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
9. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 TaBV 35/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 11 Abs 4 S 2 ArbGG, § 89
Abs 3 S 1 ArbGG, § 1 BRAO
(Unzulässigkeit einer Beschwerde mangels Vertretung
durch einen freien unabhängigen Rechtsanwalt)
Leitsatz
Unzulässige, auf dem Briefbogen der Arbeitgeberin eingelegte Beschwerde, die von
einem Rechtsanwalt unterschrieben war, der einen Anstellungsvertrag als
Personalreferent Arbeitsrecht bei einer Servicegesellschaft der Unternehmensgruppe
hatte.
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts
Wetzlar vom 16. Dezember 2008 - 3 BV 14/08 - wird als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Kosten für eine Betriebsratsschulung, die der
Beteiligte zu 3) als Mitglied des Betriebsrats (Beteiligter zu 1) besucht hat. Die zu
2) beteiligte Arbeitgeberin hat die Übernahme der Kosten verweigert, weil sie die
Schulung nicht für erforderlich hielt. Wegen des beiderseitigen erstinstanzlichen
Vorbringens der Beteiligten, ihrer Anträge und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens
wird auf Sachdarstellung des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Das Arbeitsgericht Wetzlar hat den Zahlungsanträgen des Betriebsrats durch
Beschluss vom 16. Dez. 2008 – 3 BV 14/08 – stattgegeben und die Arbeitgeberin
zur Zahlung der Seminar- und Fahrtkosten verpflichtet.
Gegen den der Beteiligten zu 2) am 26. Jan. 2009 zugestellten Beschluss hat diese
am 23. Febr. 2009 unter ihrem Briefkopf Beschwerde eingelegt, unterzeichnet von
„A, Rechtsanwalt“. Der Beschwerdeschrift lag eine vom Geschäftsführer der
Beteiligten zu 2) für „Herrn Rechtsanwalt A, geb. am …“ ausgestellte Vollmacht
bei.
Da die Beteiligte zu 2) die erstinstanzlichen Schriftsätze ebenfalls unter ihrem
Briefkopf, unterzeichnet von Rechtsanwalt A, eingereicht hat, dieser im Protokoll
der Anhörung vom 16. Dez. 2008 (Bl. 183 d. A.) und im angefochtenen Beschluss
aber nicht als Verfahrensbevollmächtigter genannt ist, wies das
Beschwerdegericht mit Schreiben vom 5. März 2009 darauf hin, dass Bedenken
gegen die Zulässigkeit der Beschwerde bestünden, da die Beschwerdeschrift nicht
erkennen ließe, dass Rechtsanwalt A die Beteiligte zu 2) als zugelassener, freier
und unabhängiger Rechtsanwalt vertrete. Rechtsanwalt A teilte daraufhin mit
Schreiben vom 16. März 2009 unter seiner Kanzleianschrift und Beifügung einer
Vollmacht mit, er vertrete die Beteiligte zu 2) als unabhängiger Rechtsanwalt und
stünde nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Beteiligten zu 2).
Rechtsanwalt A ist bei der B GmbH & Co. KG, der zentralen Dienstleisterin der C
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Rechtsanwalt A ist bei der B GmbH & Co. KG, der zentralen Dienstleisterin der C
Group, zu der auch die Beteiligte zu 2) gehört, als Personalreferent Arbeitsrecht
angestellt. Die B nimmt für die Unternehmen der C Group u.a. die Rechts- und
Personalberatung wahr. Die Beteiligte zu 2) trägt vor, nach dem
Anstellungsvertrag von Rechtsanwalt A mit der B GmbH & Co. KG vom 1. Aug.
2002 (Bl. 264 ff. d. A.) sei dieser nicht als Syndikusanwalt tätig. Eine Tätigkeit für
die Beteiligte zu 2) erfolge zwangsläufig außerhalb seines Dienstverhältnisses.
Die Beteiligte zu 2) beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 16. Dez. 2008 – 3 BV 14/08 –
abzuändern und die Anträge des Beteiligten zu 1) zurückzuweisen.
Der Beteiligte zu 1) beantragt,
die Beschwerde des Beteiligten zu 2) als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als
unbegründet zurückzuweisen.
Der Beteiligte zu 1) hält die Beschwerde für unzulässig, da Rechtsanwalt A bei
Einlegung der Beschwerde nicht erkennbar als unabhängiger Rechtsanwalt tätig
geworden sei. Die Formulierungen der Beschwerdeschrift ließen nicht erkennen,
dass Rechtsanwalt A in einer geänderten Rolle für die Beteiligte zu 2) tätig
geworden sei. Rechtsanwalt A sei für sämtliche Unternehmen der C Gruppe tätig
und gegenüber der B GmbH & Co. KG insoweit auch weisungsgebunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Beschwerdevorbringens wird
auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten und die
Sitzungsniederschrift vom 28. Mai 2009 Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 89 Abs. 3 Satz 1 ArbGG als unzulässig zu verwerfen.
Sie ist entgegen §§ 89 Abs. 1, 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG von der Beteiligten zu 2)
nicht binnen einen Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung
durch einen Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigter im Sinne des § 11 Abs. 4
Satz 2 ArbGG eingelegt worden. Gemäß § 11 Abs. 4 Satz 2 ArbGG müssen sich die
Beteiligten vor den Landesarbeitsgerichten bei der Einlegung und Begründung der
Beschwerde durch Rechtsanwälte oder Gewerkschaften / Arbeitgeberverbände als
Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Vorliegend kommt nur die erste
Alternative in Betracht. Im Rahmen des § 11 Abs. 4 Satz 2 ArbGG ist jeder
zugelassene Rechtsanwalt zur Vertretung berechtigt. Rechtsanwalt A ist zwar als
Rechtsanwalt zugelassen, es ist aber nicht erkennbar, dass er die Beteiligte zu 2)
bei der Einlegung der Beschwerde als solcher vertreten hat. § 11 Abs. 4 Satz 2
ArbGG soll gewährleisten, dass ein freier und selbstbestimmter Rechtsanwalt (§ 1
BORA), der unabhängig von Weisungen seines Mandanten ist, die Verantwortung
für die Prozesshandlungen übernimmt (BAG Beschluss vom 19. März 1996 - 2 AZB
36/95 - EzA § 11 ArbGG 1979 Nr. 12). Unabhängigkeit ist ein Wesensmerkmal des
Rechtsanwalts. Ein Rechtsanwalt, der im Rahmen eines Anstellungsvertrages mit
einer Gesellschaft, die als zentrale Dienstleisterin die Rechts- und
Personalberatung für die Gruppenunternehmen wahrnimmt, als Personalreferent
Arbeitsrecht tätig wird, entspricht bei seiner Tätigkeit nicht dem allgemeinen
anwaltlichen Berufsbild eines freien und unabhängigen Rechtsanwalts. In dieses
Berufsbild lässt sich nur die Tätigkeit einfügen, die der angestellte Rechtsanwalt als
Anwalt außerhalb seines Dienstverhältnisses ausübt. Im Rahmen des
Anstellungsverhältnisses besitzt er keine Unabhängigkeit, sondern unterliegt dem
Prinzip der Über- und Unterordnung, auch wenn das Anstellungsverhältnis nicht
unmittelbar mit der Beschwerdeführerin besteht, sondern mit einem anderen
Unternehmen der Gruppe, das für die Beschwerdeführerin die Rechtsberatung
durchführt. Herr D ist immerhin in beiden Unternehmen (Mit)Geschäftsführer.
Die Beschwerdeschrift und die sonstigen Umstände lassen nicht erkennen, dass
Rechtsanwalt A bei der Beschwerdeeinlegung als freier und unabhängiger
Rechtsanwalt tätig geworden ist. Die Beschwerdeschrift wurde unter dem Briefkopf
der Beteiligten zu 2) eingelegt. Im Rubrum der Beschwerdeschrift ist Rechtsanwalt
A nicht als Verfahrensbevollmächtigter benannt. Für die Beschwerdeeinlegung hat
Rechtsanwalt A wie schon in den im ersten Rechtszug eingereichten Schriftsätzen
nicht die "Ich"-Form, sondern die „Wir“-Form verwendet. Die mit der Beschwerde
vorgelegte Vollmacht deutet in keiner Weise darauf hin, dass er als unabhängiger
Rechtsanwalt tätig werden sollte. Es ist ungewöhnlich, dass dort sein
Geburtsdatum genannt ist. In einer Anwaltsvollmacht geschieht dies
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Geburtsdatum genannt ist. In einer Anwaltsvollmacht geschieht dies
normalerweise nicht.
Gegen ein Tätigwerden als freier Rechtsanwalt sprechen auch die weiteren
Umstände, nämlich dass Rechtsanwalt A in keinem der erstinstanzlichen
Protokolle und auch nicht in dem angefochtenen Beschluss als
Verfahrensbevollmächtigter ausgewiesen wurde und dass die Zustellung dieses
Beschlusses unbeanstandet mit Postzustellungsurkunde an die Beteiligte zu 2)
erfolgte. Die weiteren Angaben in der Beschwerdeschrift (Anschrift, Telefon,
Telefax) weisen zudem darauf hin, dass Rechtsanwalt A in die Organisation der
Beteiligten zu 2) eingebunden ist (vgl. LAG Baden-Württemberg Beschluss vom 26.
Febr. 2003 – 4 Sa 75702 – Juris). Die Anwaltsanzeige vom 16. März 2009 erfolgte
außerhalb der Beschwerdefrist.
Diese Entscheidung ist nach § 89 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz unanfechtbar. Diese
Rechtsfolge gilt auch dann, wenn der Verwerfungsbeschluss nach mündlicher
Verhandlung ergangen ist (vgl. BAG Beschluss vom 25. Juli 1989 - 1 ABR 48/88 -
EzA § 89 ArbGG 1979 Nr. 3).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.