Urteil des LAG Hessen vom 04.08.2010

LAG Frankfurt: ordentliche kündigung, abmahnung, unternehmen, arbeitsgericht, karte, fremder, programm, bestimmtheit, form, unterlassen

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Sa 422/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Außerordentliche Kündigung - Bonuspunktemissbrauch
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am
Main vom 26. November 2009 – 21 Ca 5136/09 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um die Rechtsmäßigkeit
einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung
sowie um einen Weiterbeschäftigungsanspruch.
Der bei Klageeingang 33 Jahre alte Kläger arbeitete seit Juni 2006 in Frankfurt am
Main bei der Beklagten, die im gesamten Bundesgebiet Tankstellen betreibt,
regelmäßig in Nachtschicht als Tankstellenmitarbeiter zu einem
Bruttomonatsgehalt von ca. € 2.200,00. Im Frühjahr 2009 führte die Beklagte ein
EDV-unterstütztes Programm A-Extra-Punkte" ein. Im Zusammenhang mit dieser
Einführung, zuvor hatte die Beklagte Klebemärkchen an Kunden ausgegeben,
unterwies sie die Mitarbeiter über die Bedienung der hierfür eingeführten
Kassensoftware, wobei die näheren Einzelheiten der Unterweisung zwischen den
Parteien streitig sind. Bei der Beklagten existiert eine A Extra Partnerinformation
(Dealer Manual), wegen deren Inhaltsverzeichnis und auszugsweisen Inhalten auf
die Kopie (Bl. 57-60 d. A.) Bezug genommen wird. Während seiner Schicht am 12.
Mai 2009 verbuchte der Kläger in zwei Fällen Umsätze von Kunden, die getankt
und nicht an dem Programm teilgenommen haben, in Höhe von € 86,17 und €
50,00 auf die A-Extra-Karte seines Kollegen B.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes, des Vortrags der Parteien im
ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26. November
2009 gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen (Bl. 107-110 d. A.).
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat durch vorgenanntes Urteil der Klage
stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch
die außerordentliche, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der
Beklagten aufgelöst worden ist und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des
Klägers verurteilt. Es hat angenommen, beide Kündigungen seien unwirksam.
Zwar stelle die Verbuchung der zwei Kundenumsätze auf die A-Extra-Karte seines
Kollegen B an sich einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB dar, denn
dem Kläger habe auch ohne ausdrückliche Belehrung bewusst gewesen sein
müssen, dass die Buchung von Kundenumsätzen auf fremde A-Extra-Karten nicht
zulässig sei, ohne dass es darauf ankomme, ob der Kunde mit der Verbuchung auf
eine fremde Karte einverstanden sei. Die A-Extra-Karten seien Teil eines
umfassenden Kundenbindungssystems und die mit diesem System verfolgten
Ziele seien offensichtlich und für den Kläger ohne weiteres erkennbar. Gleichwohl
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Ziele seien offensichtlich und für den Kläger ohne weiteres erkennbar. Gleichwohl
wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, auf sein Fehlverhalten zunächst mit
einer Abmahnung zu reagieren und ihn hierdurch zu einer zukünftig
beanstandungsfreien Arbeitsleistung anzuhalten. Es seien keine Anhaltspunkte
ersichtlich, aufgrund derer die Beklagte im Falle der Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses davon ausgehen konnte, dass der Kläger trotz einer
einschlägigen Abmahnung auch weiterhin Arbeitsvertragsverletzungen im
Zusammenhang mit der Verbuchung von Umsätzen auf fremde A-Extra-Karten
begehen würde. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Behauptung der
Beklagten, der Kläger und andere Mitarbeiter der Station seien durch den
Stationsmanager C Ende März/Anfang April 2009 über die ausschließliche
Zulässigkeit der Verbuchung eigener Umsätze belehrt und einige Wochen später
nach einem Missbrauchsfall in Stuttgart auf die Möglichkeit einer fristlosen
Kündigung bei Missbrauch der eigenen Punktekarte hingewiesen worden. Der
diesbezügliche Vortrag der Beklagten sei unsubstantiiert und daher unbeachtlich.
Die Pflichtverletzung des Klägers wiege auch nicht so schwer, dass die Erteilung
einer Abmahnung als entbehrlich angesehen werden könne. Mangels Vorliegen
einer Abmahnung sei auch die ordentliche Kündigung unwirksam und infolge
dessen die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet. Wegen der
weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 111-117 d. A. Bezug
genommen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die
Berufungsverhandlung am 4. August 2010 festgestellten und dort ersichtlichen
Fristen Berufung eingelegt.
Sie verfolgt ihr Begehren auf Klageabweisung teilweise unter Wiederholung und
Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie vertritt die Ansicht, die
Pflichtverletzung des Klägers wiege so schwer, dass das durch den Kläger
erschütterte Vertrauen nicht durch eine Abmahnung hätte wiederhergestellt
werden können. Es komme auch nicht darauf an, dass ihr durch das Verhalten des
Klägers kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei, da dies nicht sein Verdienst,
sondern Folge des internen Kontroll- und Überwachungssystems der A
Deutschland GmbH gewesen sei. Dem Kläger sei auch ein dauerhaftes
Fehlverhalten zur Last zu legen, da er zusammen mit anderen Mitarbeitern
seinem Kollegen B die Punkte habe zuschanzen wollen. Sie vertritt weiterhin die
Ansicht, dass die Anforderungen des Arbeitsgerichts zur Darlegung der
Belehrungen des Klägers zu den Folgen eines missbräuchlichen
Kartennutzungsverhaltens überzogen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26. November 2009 – 21
Ca 5136/09 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung seines
erstinstanzlichen Vorbringens. Er meint, da es sich bei dem A-Extra-Kartensystem
um ein kompliziertes System handele, bei welchem der Nutzer z. B. Punkte
sammeln und an Freunde oder Angehörige weitergeben könne, bestünden bereits
Bedenken, eine Pflichtverletzung durch die Weitergabe der Punkte anzunehmen.
Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass zu Zeiten des Bonussystems
in Gestalt der Klebemarken diese jederzeit an Dritte weitergegeben werden
konnten. Für ihn sei nicht erkennbar gewesen, dass sich insoweit irgendetwas
geändert habe.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 4. August 2010 (Bl. 165 d. A.)
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten gegen das am 26. November 2009 verkündete Urteil
des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main ist zulässig. Das Rechtsmittel ist als in
einem Rechtsstreit über die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses eingelegt ohne
Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes und im Übrigen nach dem
Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2 ArbGG). Die
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Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2 ArbGG). Die
Beklagte hat es auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520
ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).
Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit
zutreffender Begründung festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche
Kündigung der Beklagten vom 22. Mai 2009 beendet worden ist und die Beklagte
zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Das Berufungsgericht kann daher
zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die zutreffenden
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verweisen, denen es in vollem
Umfang folgt und deshalb auf sie gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug nimmt. Im
Hinblick auf die Ausführungen der Beklagten im zweiten Rechtszug ist noch
Folgendes auszuführen.
Zwar ist der Beklagten insoweit zu folgen, dass das Verhalten des Klägers,
Tankbeträge fremder Kunden auf der A-Extra-Karten seines Kollegen B zu buchen
als schwerwiegendes Fehlverhalten einzustufen ist, ohne dass es auf die
strafrechtliche Würdigung ankommt. Das Arbeitsgericht hat bereits umfänglich zur
Zielsetzung von Kundenbindungssystemen hingewiesen, ohne dass es hierbei auf
die nähere Ausgestaltung (Klebemärkchen, elektronische Punktesammlung auf
einer Kundenkarte) ankommt. Selbstverständlich will ein Unternehmen, das – wie
die Beklagte – Einkäufe bepunktet, die jeweiligen Kunden an das Unternehmen
binden. Diese sollen mittels der durch das Bonussystem erreichbaren Vorteile
weitere Umsätze im Unternehmen und nicht bei Konkurrenzunternehmen tätigen.
Nur hierfür ist der Arbeitgeber bereit, dem Kunden Vorteile zukommen zu lassen,
die für ihn mit finanziellen Belastungen einhergehen. Sammeln Mitarbeiter
hingegen die von Kunden nicht in Anspruch genommenen Punkte für eigene
Zwecke, wird diese Absicht des Arbeitgebers unterlaufen. Dies konnte der Kläger
zweifelsfrei erkennen und hätte deshalb die Buchungen auf die A-Extra-Karten
seines Kollegen unterlassen müssen.
Allerdings folgt die Berufungskammer der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass
eine Abmahnung oder ein vorheriger Hinweis auf die Missbrauchsfolgen nicht
entbehrlich war. Die Beklagte selbst hat ausgeführt, dass der Stationsmanager die
Mitarbeiter auf die Konsequenzen eines missbräuchlichen Verhaltens im Umgang
mit der Kundenkarte hingewiesen hat. Allerdings ist die Beklagte nicht in der Lage
gewesen, die Umstände, unter denen dieser Hinweis an die Mitarbeiter und damit
auch an den Kläger gegeben worden ist, zu konkretisieren. Der Kläger hat
bestritten, einen solchen Hinweis von dem Stationsmanager erhalten zu haben. Er
hat ausgeführt, in Nachtschicht zu arbeiten und daher den Stationsmanager
häufig nicht zu sehen. Vor diesem Hintergrund wäre es eben doch erforderlich
gewesen, dass die Beklagte die näheren zeitlichen Umstände dargelegt hätte, aus
denen sich ergibt, wann die Belehrung über die Folgen eines missbräuchlichen
Verhaltens durch den Stationsmanager erfolgt ist. Nur dann wäre es dem Kläger
möglich gewesen, substantiiert zu der Behauptung der Beklagten Stellung zu
nehmen. Ansonsten würde es sich bei der Vernehmung des Zeugen C um einen
unzulässigen Ausforschungsbeweis handeln.
Gemäß § 373 ZPO muss die beweispflichtige Partei diejenigen Tatsachen
bezeichnen, zu denen der Zeuge vernommen werden soll. Als Tatsachen sind
konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder der Gegenwart
angehörige Geschehnisse oder Zustände anzusehen (vgl. BAG Urteil vom 25.
August 1982 – 4 AZR 878/79, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifliche Übung; BAG vom 24.
Januar 1990 – 4 AZR 493/89, AP Nr. 125 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).
Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag der Beklagten nicht, es fehlt an der
Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsachen. Erst durch die beabsichtigte
Beweiserhebung sollen die Grundlagen für substantiierte Tatsachenbehauptungen
gewonnen werden. Gerade vor dem Hintergrund eines rollierenden
Mitarbeitereinsatzes gehört es zum Beweisvortrag, Tatsachen vorzubringen, aus
denen sich ergibt, dass der Kläger zum Zeitpunkt der behaupteten Hinweise des
Stationsleiters überhaupt im Betrieb gewesen ist und Gelegenheit hatte, dem
Gespräch beizuwohnen.
Im Hinblick auf das vom Kläger gezeigte Fehlverhalten kann auch nicht auf eine
Abmahnung verzichtet werden. Die von der Beklagten unter Bezugnahme auf die
Entscheidung des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 2. Mai 2008 (AZ 22 Ca
2654/07, Berufungsentscheidung Hess. LAG vom 11. Dezember 2008 – 9 Sa
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2654/07, Berufungsentscheidung Hess. LAG vom 11. Dezember 2008 – 9 Sa
1075/08) gestützte gegenteilige Auffassung übersieht, dass in dem dort zugrunde
liegenden Sachverhalt eine Mitarbeiterin unberechtigt Kundeneinkäufe im
Warenwert von mehr als € 30.000,00, der Klägers hingegen lediglich ein
Wareneinsatz von ca. € 130,00 gutgeschrieben hat.
Dass eine solche Abmahnung nicht erfolgversprechend und deshalb entbehrlich
sein würde, kann – entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung – nicht
angenommen werden.
Grundsätzlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine
Abmahnung erforderlich, wenn wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens
gekündigt werden soll und die Störungen im Leistungsbereich liegen, wobei dies für
jede Kündigung gilt, die wegen eines Verhaltens des Arbeitnehmers oder aus
einem Grund in seiner Person ausgesprochen werden soll, den er durch sein
steuerbares Verhalten beseitigen kann, wenn also eine Wiederherstellung des
Vertrauens erwartet werden kann (vgl. BAG vom 11. März 1999 – 2 AZR 507/98,
AP Nr. 149 zu § 626 BGB und vom 17. Februar 1994 – 2 AZR 616/93, AP Nr. 116 zu
§ 626 BGB). Denn nur nach einer vergeblichen vorherigen Abmahnung ist die
notwendige negative Zukunftsprognose zu bejahen, dass auch zukünftig weitere
Vertragsverletzungen zu befürchten sind. Diese Prognose ist auch erforderlich, da
der Kündigungszweck zukunftsbezogen ausgerichtet ist. Entscheidend ist, ob eine
Wiederholungsgefahr besteht und ob sich das vergangene Ereignis auch zukünftig
belastend auswirkt. Deshalb wird erst nach einer Abmahnung die erforderliche
Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft
nicht vertragsgetreu verhalten werde (vgl. BAG vom 4. Juni 1997 – 2 AZR 526/96,
AP Nr. 137 zu § 626 BGB und vom 26. Januar 1995 – 2 AZR 649/94, AP Nr. 34 zu §
1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung).
Von diesem Grundsatz gelten Ausnahmen nur, wenn durch das zukünftige
Verhalten des Arbeitnehmers die Störung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr
behoben werden kann. Eine Abmahnung ist deshalb dann entbehrlich, wenn es um
schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer
ohne weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme durch den Arbeitgeber
offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BAG Urteil vom 10. Februar 1999 – 2 ABR
31/98, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG und vom 1. Juli 1999 – 2 AZR 676/98, AP Nr. 11 zu
§ 15 BBiG). Gleiches gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen,
aufgrund derer eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend angesehen werden
kann. Eine solche Situation ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der
Arbeitnehmer eindeutig nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten, was
wiederum der Fall ist, wenn er seine Vertragsverletzungen hartnäckig und
uneinsichtig fortsetzt, obwohl er die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens kennt
(vgl. BAG vom 4. Juni 1997 a. a. O.). Selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs
durch Eigentums- und Vermögensdelikte kann es danach Fälle geben, in denen
eine Abmahnung nicht ohne Weiteres entbehrlich erscheint (vgl. BAG vom 23. Juni
2009 – 2 AZR 103/08, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung,
KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264 m. w. N.). Dies gilt etwa, wenn dem
Arbeitnehmer zwar die Verbotswidrigkeit seines Verhaltens hinreichend klar ist, er
aber Grund zu der Annahme haben durfte, der Arbeitgeber würde dieses nicht als
ein so erhebliches Fehlverhalten werten, dass dadurch der Bestand des
Arbeitsverhältnisses auf dem Spiel stünde (BAG vom 23. Juni 2009 a. a. O.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist eine Abmahnung im zu entscheidenden Fall
nicht entbehrlich.
Auch wenn die Zweckrichtung des Bonussystems es selbstverständlich macht,
dass keine fremden Kundenumsätze auf eigene Karten bzw. Karten von
Arbeitskollegen gutgeschrieben werden dürfen, wäre im Hinblick auf die nach dem
System teilweise zulässigen Umbuchungen eine Abmahnung notwendig, um dem
Kläger die Gelegenheit zu geben, sein Verhalten entsprechend auszurichten. Eine
uneinsichtige Fortsetzung des Fehlverhaltens durch den Kläger kann nicht
angenommen werden. Mangels substantiierter Darlegung, dass er den Hinweis auf
die arbeitsrechtlichen Konsequenzen eines missbräuchlichen Verhaltens erhalten
hat, liegt keine uneinsichtige Fortsetzung seines Fehlverhaltens vor. Soweit die
Beklagte einen unabänderbaren Vertrauensverlust in die Redlichkeit des Klägers
behauptet, führt dieser aufgrund der vom Kläger gezeigten Verhaltensweise
jedenfalls nicht zur Entbehrlichkeit einer Abmahnung. Zwar darf die Beklagte auf
die Vertragstreue ihrer Beschäftigten vertrauen und ist deshalb nicht verpflichtet,
alle denkbaren Umgehungen eines Verbotes zu umschreiben. Allerdings muss
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alle denkbaren Umgehungen eines Verbotes zu umschreiben. Allerdings muss
dieses Verbot und die sich bei Verletzung ergebenden Konsequenzen dem
Arbeitnehmer eindeutig und unmissverständlich vor Augen geführt werden. Es ist
nach dem Vorbringen der Beklagten nicht zu erkennen, dass dies geschehen ist.
Der Hinweis auf Seite 18 in dem mehr als 30-seitigen Bedienerhandbuch genügt
diesen Anforderungen nicht. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass
Mitarbeiter, die persönlich auf ein neues Softwaresystem geschult werden, ein
Bedienerhandbuch komplett durchlesen. Es wäre der Beklagten ein leichtes
gewesen, jedem Mitarbeiter auf einem Merkblatt, dessen Empfang
gegengezeichnet wird, eindeutig auf die Unzulässigkeit der Buchung fremder
Kundengeschäfte hinzuweisen. Aufgrund der unstreitig nach den
Kartenbedingungen möglichen Übertragung von Punkten auf andere Personen
konnte bei dem Kläger ohne eine solche Verdeutlichung der Eindruck entstehen, in
geringem Umfang Kundenpunkte einem Kollegen gutschreiben zu können, ohne
dass dies zum Verlust seines Arbeitsverhältnisses führen würde.
Unwirksam ist auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 30.
Juni 2009. Es gelten insoweit die oben dargestellten Erwägungen zum Erfordernis
der Abmahnung, auch wenn nicht verkannt wird, dass die Anforderungen an eine
ordentliche Kündigung selbstredend geringer sind als an eine außerordentliche
Kündigung.
Nachdem die Berufung in Bezug auf die Kündigungen unbegründet ist, ist die
Beklagte folglich auch zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verpflichtet (vgl. BAG GS vom 27.
Februar 1985- GS 1/94, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Näherer
und ausdrücklich auf den Weiterbeschäftigungsanspruch bezogener substantiierter
Vortrag der Beklagten zu etwa überwiegenden entgegenstehenden
Arbeitgeberinteressen liegt nicht vor. Es ist hier wie beim Vortrag zu
Auflösungsanträgen (vgl. dazu KR-Spilger, 9. Aufl., § 9 KSchG Rn 58) nicht Sache
des Gerichts, aus dem Vortrag zu den Kündigungsgründen gegebenenfalls von
sich aus überwiegende Arbeitgeberinteressen abzuleiten (vgl. Hess. LAG vom 8.
August 2006 – 15 Sa 1413/05, n. v.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten
der Berufung zu tragen, weil ihr Rechtsmittel keinen Erfolg gehabt hat.
Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung
(§ 72 Abs. 2 ArbGG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.