Urteil des LAG Hessen vom 19.02.2008
LAG Frankfurt: betriebsrat, montage, einstweilige verfügung, ordentliche kündigung, kopie, kündigungsfrist, begriff, rechtsschutz, ersetzung, anhörung
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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
4. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TaBVGa 21/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 78 S 1 BetrVG, § 78 S 2
BetrVG, § 103 BetrVG, § 15
Abs 4 KSchG, § 15 Abs 5
KSchG
(Zur Störung der Betriebsratstätigkeit durch die
unwirksame Kündigung gegenüber einem
Betriebsratsmitglied - Unterlassungsverfügung)
Leitsatz
Eine die §§ 15 KSchG, 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG verletzende Kündigung des
Arbeitgebers gegenüber einem Betriebsratsmitglied bewirkt eine Störung der Tätigkeit
des Betriebsrats. Dem Betriebsrat kann gegenüber einer solchen Maßnahme des
Arbeitgebers ein Unterlassungsanspruch zustehen, den er bei Vorliegen der
allgemeinen Voraussetzungen mir einer einstweiligen Verfügung geltend machen kann.
Tenor
Der Beschluss vom 30. Januar 2008 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass
der im Tenor gebrauchte Begriff „Kündigung“ zur Klarstellung durch den Begriff
„Beendigungskündigung“ ersetzt wird.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des antragstellenden Betriebsrats auf
Unterlassung des Ausspruchs einer ordentlichen Beendigungskündigung
gegenüber dessen Vorsitzenden, des Beteiligten zu 3).
Die Arbeitgeberin betreibt ein Druckunternehmen mit 47 Arbeitnehmern, die vom
Betriebsrat repräsentiert werden. Der Betriebsbereich Technik wird von dem
Betriebsleiter A geführt. Dieser umfasst die Bereiche Druck, Versand, EDV und
Montage/Kopie, die jeweils von gegenüber den Arbeitnehmern fachlich
weisungsbefugten und für die Materialbestellung zuständigen Vorgesetzten
geführt werden. Für die Bereiche gelten jeweils eigenständige
Arbeitszeitregelungen. Die Arbeitgeberin beschäftigt u. a. von ihr angelernte
Helfer. Aufgabe des Bereichs Montage/Kopie war die manuelle Herstellung von
Druckplatten. Der Beteiligte zu 3) war für die Arbeitgeberin seit Anfang 2001 tätig.
Er ist angelernter Helfer und wurde überwiegend im Bereich Montage/Kopie, aber
auch im Versand und in der Weiterverarbeitung beschäftigt. Er wurde zum 01.
Dezember 2005 zum Schichtführer und damit zum Fachvorgesetzten im Bereich
Montage/Kopie befördert. Seitdem erhält er eine Funktionszulage von derzeit €
200 brutto pro Monat. Der Bereich umfasste Anfang 2008 noch insgesamt drei
Arbeitnehmer. Die Arbeitgeberin entschloss sich, ab Februar 2008 die manuelle
durch eine digitale Druckplattenherstellung zu ersetzen. Da sie der Auffassung ist,
dass dadurch der Beschäftigungsbedarf für die drei Arbeitnehmer des Bereichs
Montage/Kopie entfällt, unterrichtete sie den Betriebsrat mit Schreiben vom 23.
Januar 2008 über ihre Absicht, die Arbeitsverhältnisse der drei Arbeitnehmer des
Bereichs betriebsbedingt zu kündigen. Bezüglich des Beteiligten zu 3) kündigte sie
eine ordentliche Kündigung zum 31. März 2008 an. In dem Schreiben heißt es u.
a.:
„Durch die Umstellung auf die digitale Druckformherstellung ist der Personalbedarf
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„Durch die Umstellung auf die digitale Druckformherstellung ist der Personalbedarf
in der Abteilung Montage, mithin des Herrn B, entfallen. Die Abteilung Montage
besteht derzeit aus insgesamt drei Beschäftigten und wird daher geschlossen. Ein
Betriebsteil wurde damit stillgelegt. Es bestehen für Herrn B keine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten. Eine Sozialauswahl war nicht durchzuführen,
da allen drei Mitarbeitern in der Abteilung Montage gekündigt worden ist. Eine
Übernahme in eine andere Abteilung ist nicht möglich. Es besteht im
Unternehmen auch kein gleichwertiger Arbeitsplatz. Es ist beabsichtigt,
unmittelbar nach Abschluss des Anhörungsverfahrens die Kündigung
auszusprechen.“
Der Betriebsrat hat darauf mit einem beim Arbeitsgericht am 24. Januar 2008
eingegangenen Antrag den Erlass einer Unterlassungsverfügung beantragt. Das
Arbeitsgericht hat den Antrag ohne mündliche Verhandlung im Wesentlichen mit
dem Argument zurückgewiesen, der Betriebsrat habe das Nichtvorliegen einer
Abteilungsstilllegung im Sinne von § 15 Abs. 5 KSchG nicht glaubhaft gemacht.
Der Betriebsrat hat gegen den am 29. Januar 2008 zugestellten Beschluss am
selben Tag Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Die
erkennende Kammer hat mit Beschluss vom 30. Januar 2008 der Arbeitgeberin
ohne mündliche Anhörung aufgegeben, es zu unterlassen, gegenüber dem
Beteiligten zu 3) eine Kündigung auszusprechen, solange keine Zustimmung des
Betriebsrats vorliegt oder diese nicht rechtskräftig gerichtlich ersetzt worden ist.
Gegen den Beschluss legte die Arbeitgeberin am 31. Januar 2008 Widerspruch ein.
Der Betriebsrat hat glaubhaft gemacht, es gebe im Betrieb keine Abteilung
Montage. Der gesamte Produktionsbereich sei nicht in Abteilungen untergliedert,
sondern stehe unter der einheitlichen Leitung von Herrn A. Die Tätigkeit des
Beteiligten zu 3) entfalle durch die Einführung der digitalen
Druckplattenherstellung nicht vollständig.
Wegen des Weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Betriebsrats wird auf die
Schriftsätze vom 29. und 30. Januar sowie vom 14. Februar 2008 Bezug
genommen.
Der Betriebsrat beantragt,
den Widerspruch des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss vom 30. Januar
2008 zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss vom 30. Januar 2008 aufzuheben.
Die Arbeitgeberin hat glaubhaft gemacht, dass die vier Bereiche eigenständige
Betriebsabteilungen seien. Die in diesen beschäftigten Mitarbeiter folgten den
Anweisungen des jeweiligen Abteilungsleiters. Herr A überwache lediglich die
Abläufe der jeweiligen Abteilungen. Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, der Erlass der
einstweiligen Verfügung vereitele ihr Kündigungsrecht gemäß § 15 Abs. 4, Abs. 5
KSchG und bewirke eine nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässige Bevorzugung des
Beteiligten zu 3) aufgrund seines Amtes. Das Kündigungsschutzverfahren gewähre
ihm in hinreichendem Umfang effektiven Rechtsschutz. Angesichts der Dauer der
Kündigungsfrist fehle auch ein Verfügungsgrund.
Wegen des Weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf die
Schriftsätze vom 31. Januar und 15. Februar 2008 Bezug genommen.
II.
Der Widerspruch der Arbeitgeberin gegen den Beschluss vom 30. Januar 2008 ist
nicht begründet.
1. Der Betriebsrat beruft sich zu Recht auf einen Verfügungsanspruch. Er kann von
der Arbeitgeberin die Unterlassung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses des
Beteiligten zu 3) verlangen, da diese zu einer nach § 78 Abs. 1 BetrVG
unzulässigen Behinderung der Tätigkeit des Betriebsrats führen würde.
Der Begriff der Behinderung im Sinne dieser Norm ist umfassend zu verstehen. Er
betrifft jede unzulässige Erschwerung, Störung oder Verhinderung der
Betriebsratsarbeit (BAG 19.07.1995 – 7 ABR 60/94 – BAGE 80/296, zu B II 5;
12.11.1997 – 7 ABR 14/97 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 27, zu B 1). Ein Verschulden
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12.11.1997 – 7 ABR 14/97 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 27, zu B 1). Ein Verschulden
oder eine Behinderungsabsicht des Störers ist nicht erforderlich (BAG 12.11.1997
a. a. O., zu B 1; 20.10.1999 – 7 ABR 37/98 – Juris, zu B I 2 b bb; GK-BetrVG-Kreutz
8. Aufl. § 78 Rn. 29; Worzalla in Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai BetrVG 7.
Aufl. § 78 Rn. 7). Dem Betriebsrat steht bei einer Störung seiner Arbeit durch den
Arbeitgeber gegen diesen ein Unterlassungsanspruch zu. Dies ist in der Norm
zwar nicht ausdrücklich festgelegt worden, folgt aber aus dem Normzweck der
Sicherung der Betriebsratstätigkeit (BAG 12.11.1997 a. a. O., zu B 2; 20.10.1999
a. a. O., zu B I 2 b bb; GK-BetrVG-Kreutz a. a. O. § 78 Rn. 38; Worzalla a. a. O. § 78
Rn. 9).
Auch rechtswidrige individualrechtliche Maßnahmen gegenüber einzelnen
Betriebsratsmitgliedern können gegen § 78 Satz 1 BetrVG verstoßen. Dies gilt
etwa für den besonderen Kündigungsschutz nach §§ 15 KSchG, 103 Abs. 1, Abs. 2
BetrVG verletzende Kündigungen (LAG Hamm 25.11.2002 – 10 TaBV 121/02 –
Juris, zu B II 1 b; Hess. LAG 03.05.2007 – 9 TaBVGa 72/07 – AE 2007/331; GK-
BetrVG-Kreutz a. a. O. § 78 Rn. 33; entsprechend für rechtswidrige Versetzungen
BAG 11.07.2000 – 1 ABR 39/99 – BAGE 95/240, zu B II 1 c aa).
Dass der Betriebsrat in solchen Fällen damit einen präventiv wirkenden
Unterlassungsanspruch geltend machen kann, führt entgegen der Auffassung der
Arbeitgeberin nicht zu einer nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässigen Privilegierung
von Amtsträgern. Vielmehr dient ein derartiger Unterlassungsanspruch der
Gewährleistung der insbesondere auch die Zusammensetzung und die
Funktionsfähigkeit des gewählten Betriebsrats sichernden
Kündigungsbeschränkungen der §§ 15 KSchG, 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG (zum
kollektiven Schutzzweck dieser Normen vgl. BAG 11.07.2000 – 1 ABR 39/99 –
BAGE 95/240, zu II 2 b bb; 18.10.2000 – 2 AZR 494/99 – BAGE 96/78, zu B I 1 b;
02.03.2006 – 2 AZR 83/05 – BAGE 117/178, zu B III 1 c). Zweck des Anspruchs ist
daher der Schutz kollektiver Rechtspositionen und nicht die Verbesserung der
individuellen Rechtslage der Betriebsratsmitglieder. Es soll im Interesse der
Wahrung des Mandats des gewählten Betriebsrats und seiner demokratischen
Legitimation als Gremium die personelle Zusammensetzung des Betriebsrats so
weit wie möglich aufrechterhalten werden. Die gesetzlichen Vorgaben messen
diesen kollektiven Bestands- und Funktionsinteressen hohe Bedeutung und
Priorität zu (BAG, 18.10.2000 a. a. O., B I 1 b; 02.03.2006 a. a. O., zu B III 1 c).
Dass dadurch mittelbar die individuellen Rechtspositionen der
Betriebsratsmitglieder gestärkt werden, steht dem im kollektiven Interesse
stehenden Anspruch des Betriebsrats nicht entgegen. Ein Betriebsrat ist
grundsätzlich nicht an der Durchsetzung kollektivrechtlicher Ansprüche gehindert,
weil diese mittelbar einzelnen Arbeitnehmern zugutekommen (vgl. BAG
17.06.2003 – 3 ABR 43/02 – AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 44, zu B II 1 b;
18.01.2005 – 3 ABR 21/04 – BAGE 113/173, zu B III 2). Schließlich können
Ansprüche des Betriebsrats nicht durch den Hinweis auf den individuellen
Rechtsschutz der betroffenen Arbeitnehmer beschränkt werden. Die Wahrung der
kollektiven Interessen obliegt dem Betriebsrat als Träger der kollektiven
Mitbestimmung.
Hier besteht ein Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung der beabsichtigten
ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 3), da eine
derartige Kündigung nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt die §§ 15 KSchG,
103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG verletzen würde. Nach dem glaubhaft gemachten
Sachverhalt kann allerdings nicht festgestellt werden, dass die von der
Arbeitgeberin stillgelegte betriebliche Einheit Montage/Kopie keine
Betriebsabteilung im Sinne von § 15 Abs. 5 KSchG ist. Betriebsabteilung ist ein
räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil eines Betriebes oder eines
Betriebsteils, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehen und der
eigene Betriebszwecke verfolgt, die Teil des arbeitstechnischen Zwecks des
Gesamtbetriebs sind oder die in einer Hilfsfunktion für den arbeitstechnischen
Zweck des Gesamtbetriebes bestehen (BAG 21.07.2005 – 6 AZR 118/05 – AP
KSchG 1969 § 15 Nr. 60, zu I 2 b cc; 22.09.2005 – 2 AZR 544/04 – AP KSchG 1969
§ 15 Nr. 59, zu B II 4). Nach der Glaubhaftmachung der Arbeitgeberin erfüllte der
Bereich Montage/Kopie alle diese Voraussetzungen, so dass allenfalls ein non
liquet vorliegt. Dies geht zu Lasten des Betriebsrats. Die Feststellungslast für
einen Verstoß gegen § 78 Abs. 1 BetrVG trägt derjenige, der sich auf eine
rechtswidrige Störung der Betriebsratstätigkeit beruft (GK-BetrVG-Kreutz a. a. O. §
78 Rn. 32).
Die Arbeitgeberin ist jedoch nicht gemäß der Ausnahmeregelung von § 15 Abs. 5
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Die Arbeitgeberin ist jedoch nicht gemäß der Ausnahmeregelung von § 15 Abs. 5
in Verbindung mit Abs. 4 KSchG zur ordentlichen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 3) ohne vorherige Zustimmung des
Betriebsrats bzw. deren Ersetzung berechtigt, weil die weiteren Voraussetzungen
von § 15 Abs. 5 KSchG nicht vorliegen. Die Weiterbeschäftigungsobliegenheiten
des Arbeitgebers gegenüber dem Schutz von § 15 KSchG unterliegenden
Amtsträgern überschreiten den allgemeinen kündigungsrechtlichen Maßstab von §
1 Abs. 2 KSchG aus den vorstehend dargelegten Gründen im Interesse der
Sicherung des Mandats und der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats beträchtlich.
Der Arbeitgeber muss alle in Betracht kommenden
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ausschöpfen. Ist kein gleichwertiger
Arbeitsplatz vorhanden, hat er dem Amtsträger einen geringerwertigen
Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, und zwar den Arbeitsplatz, der dem
Arbeitnehmer bei objektiver Betrachtung am ehesten zumutbar ist.
Erforderlichenfalls hat der Arbeitgeber zu diesem Zweck eine Änderungskündigung
auszusprechen (vgl. etwa BAG 28.10.1999 – 2 AZR 437/98 – AP KSchG 1969 § 15
Nr. 44, zu II 2, 3; 02.03.2006 a. a. O., zu B III 1; KR-Etzel 8. Aufl. § 15 KSchG Rn. 126
– 128). Ist kein geeigneter Arbeitsplatz frei, hat der Arbeitgeber zudem einen dem
vorstehenden Maßstab entsprechenden Arbeitsplatz freizumachen. Stehen ihm
dazu keine milderen Mittel wie Um- oder Versetzungen zur Verfügung, hat er den
Arbeitsplatz durch Entlassung des bisher auf diesem Arbeitsplatz beschäftigten
Arbeitnehmers bzw. eines im Rahmen von § 1 Abs. 3 KSchG vergleichbaren
Arbeitnehmers freizumachen (BAG 18.10.2000 a. a. O., zu B I 1; 13.06.2002 – 2
AZR 391/01 – BAGE 101/328, zu B I 3 a; 02.03.2006 a. a. O., zu B III 1 a; KR-Etzel a.
a. O. § 15 KSchG Rn. 126). Die Weiterbeschäftigung des Amtsträgers hat
grundsätzlich Vorrang vor der anderer Arbeitnehmer (BAG 02.03.2006 a. a. O., zu
B III 1 c).
Hier drängt sich nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt geradezu auf, dass
bei Berücksichtigung dieses Maßstabs eine Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu
3) zumindest nach einem Freimachen eines anderen Arbeitsplatzes, ggf. unter
Ausspruch einer Änderungskündigung gegenüber dem Beteiligten zu 3), möglich
ist. Der Beteiligte zu 3) ist angelernter Helfer und wurde als solcher bereits in der
Vergangenheit in anderen Betriebsteilen außerhalb des Bereichs Montage/Kopie
beschäftigt. Weiter ist unstreitig, dass die Arbeitgeberin nach wie vor eine größere
Zahl angelernter Helfer beschäftigt. Für die Annahme, dass der Beteiligte zu 3)
nicht zumindest einige der Arbeitsplätze dieser Helfer übernehmen könnte,
besteht kein Anhaltspunkt. Irgendwelche konkreten Hinderungsgründe hat die
Arbeitgeberin auch auf die konkreten Hinweise der Kammer im Beschwerdetermin
nicht genannt. Bei Arbeitsplätzen für angelernte Helfer liegt auch die Annahme
fern, dass die Übernahme des Arbeitsplatzes durch den Beteiligten zu 3) einen
unzumutbaren Einarbeitungs- oder Ausbildungsaufwand auslösen würde. Irgendein
Indiz hierfür ist jedenfalls nicht ersichtlich. Damit ist nach dem glaubhaft
gemachten Sachverhalt ein Recht der Arbeitgeberin zur ordentlichen Kündigung
gemäß § 15 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 4 KSchG ausgeschlossen. Mit der
beabsichtigten Kündigung würde die Arbeitgeberin daher die §§ 15 KSchG, 103
Abs. 1, Abs. 2 BetrVG verletzen und gleichzeitig die Tätigkeit des Betriebsrats im
Sinne von § 78 Abs. 1 BetrVG stören.
2. Es liegt auch ein Verfügungsgrund vor. Im Beschlussverfahren ist gleichermaßen
wie im Urteilsverfahren Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen
Verfügung, dass im Sinne von § 940 ZPO ohne die begehrte Regelung das Recht
eines Beteiligten vereitelt oder wesentlich erschwert würde oder dass die
einstweilige Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile erforderlich ist (vgl. etwa
Hess. LAG 21.06.2001 – 5 TaBVGa 45/01 – n. v.; 29.08.2002 – 5 TaBVGa 91/02 – n.
v., zu II 2). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Durch das mit der Kündigung
angestrebte Ausscheiden des Beteiligten zu 3) aus dem Betrieb würde dessen
Betriebsratsamt enden (§ 24 Nr. 3 BetrVG) und damit die durch die Wahl
demokratisch legitimierte Zusammensetzung des Betriebsrats verändert, was –
wie dargelegt – soweit wie möglich vermieden werden soll. Selbst wenn der
Beteiligte zu 3) Kündigungsschutzklage erheben und mit dieser obsiegen sollte,
wäre er nach dem Ablauf der Kündigungsfrist für die Dauer des
Kündigungsschutzprozesses gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG an der
Amtsausübung gehindert, solange er nicht einen Weiterbeschäftigungstitel
erstreitet (vgl. GK-BetrVG-Oetker a. a. O. § 24 Rn. 27, § 25 Rn. 27, m. w. N.). Die
Amtsführung des Betriebsrats würde dadurch auf unabsehbare Zeit gestört.
Der nach dem Kündigungsausspruch noch bevorstehende Lauf der Kündigungsfrist
steht dem Vorliegen eines Verfügungsgrundes nicht entgegen. Mit dem Ausspruch
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steht dem Vorliegen eines Verfügungsgrundes nicht entgegen. Mit dem Ausspruch
einer Kündigung würden bereits vorläufig vollendete Tatsachen geschaffen, die für
den Betriebsrat als Rechtsinhaber kaum zu revidieren wären. Angesichts der
gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 ArbGG auf den Eintritt der Rechtskraft aufgeschobenen
Vollstreckbarkeit würde auch ein in einem Hauptsacheverfahren erlangter Titel
dem Betriebsrat keinen effektiven Rechtsschutz verschaffen, da ein rechtskräftiger
Titel vor dem Ablauf der Kündigungsfrist des Beteiligten zu 3) von zwei Monaten
zum Monatsende nicht zu erlangen ist. Individuelle Rechtsschutzmöglichkeiten des
Beteiligten zu 3) können dem Betriebsrat auch im Rahmen des
Verfügungsgrundes nicht entgegengehalten werden. Der Betriebsrat ist Träger der
kollektiven Rechte und hat Anspruch auf eine effektive Durchsetzung dieser Rechte
unabhängig vom Verhalten Dritter.
Schließlich steht dem Erlass der einstweiligen Verfügung nicht der Einwand der
Arbeitgeberin entgegen, dass ihr dadurch ihr Kündigungsrecht gemäß § 15 Abs. 5
in Verbindung mit Abs. 4 KSchG entzogen würde. Nach dem von den Beteiligten
glaubhaft gemachten Sachverhalt verfügt die Arbeitgeberin über ein derartiges
Recht nicht. Sollte die Arbeitgeberin der Auffassung sein, § 15 Abs. 4, Abs. 5
KSchG ge- statte dem Arbeitgeber zunächst den Ausspruch einer Kündigung unter
Hinweis auf diese Norm unabhängig vom Vorliegen von deren
Tatbestandsmerkmalen, würde sie das System des gesetzlichen
Sonderkündigungsschutzes für Amtsträger verkennen. Sind die
Tatbestandsmerkmale von § 15 Abs. 4, Abs. 5 KSchG nicht erfüllt, ist gemäß §§ 15
Abs. 1 KSchG, 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG nur eine außerordentliche Kündigung des
Arbeitsverhältnisses des Amtsträgers nach Zustimmung des Betriebsrats oder
nach deren Ersetzung zulässig. In einer solchen Situation ist es nicht
funktionswidrig, dem Arbeitgeber die Ausübung eines ordentlichen
Kündigungsrechts zu untersagen, das ihm vom Gesetz nicht eingeräumt wurde.
Dadurch wird im Gegenteil der mit diesen Normen verfolgte Schutzzweck
gewährleistet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in einem vom Betriebsrat
auf § 78 Satz 1 BetrVG gestützten Unterlassungsverfahren die prozessuale
Feststellungslast für den Arbeitgeber wesentlich günstiger ist als die Darlegungs-
und Beweislast in einem Kündigungsschutzprozess, in dem er das Vorliegen der
Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands des § 15 Abs. 5 in Verbindung mit
Abs. 4 KSchG in vollem Umfang darzulegen und zu beweisen hat. Erfüllt der
Betriebsrat im Unterlassungsverfahren die bei ihm liegende Feststellungslast für
die Rechtswidrigkeit der vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung, ist die
Wahrscheinlichkeit groß, dass der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren die
bei ihm liegenden Darlegungs- und Beweispflichten nicht erfüllen kann. In einer
solchen Situation wird es nicht selten sachgerecht sein, dem Arbeitgeber durch
einstweilige Verfügung den Kündigungsausspruch zu untersagen. Will er sich
danach gleichwohl auf ein Kündigungsrecht nach § 15 Abs. 4, Abs. 5 KSchG
berufen, steht ihm die Erwirkung einer Anordnung nach § 926 ZPO oder die
Einleitung eines eigenen Hauptsacheverfahrens frei. Dem zeitweiligen Verlust des
Rechts zur ordentlichen Kündigung stehen in einer solchen Situation überwiegende
Interessen des Betriebsrats gegenüber.
Diese Erwägungen treffen im vorliegenden Verfahren zu. Irgendwelche Umstände,
die trotz der nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt eindeutigen
Unzulässigkeit einer ordentlichen Kündigung ohne Zustimmung des Betriebsrats
oder ohne deren Ersetzung dem Erlass der einstweiligen Verfügung
entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.
3. Ein Anlass zur Gewährung von rechtlichem Gehör zugunsten der Arbeitgeberin
bezüglich der vom Beteiligten zu 3) gegen Ende des Beschwerdetermins
vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 19. Februar 2008 besteht nicht.
Die Kammer hat ihre Entscheidung nicht auf den Inhalt dieser eidesstattlichen
Versicherung gestützt, sondern auf das bereits vor der Einreichung dieser
eidesstattlichen Versicherung eingetretene Ergebnis der schriftlichen und
mündlichen Anhörung der Beteiligten.
4. Im Tenor war klarzustellen, dass sich das Unterlassungsgebot nur auf
Beendigungskündigungen bezieht. Eine Änderungskündigung war nicht
Gegenstand der Anhörung nach § 102 BetrVG. Die Zulässigkeit einer ordentlichen
Änderungskündigung gemäß § 15 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 4 KSchG ist nach
dem glaubhaft gemachten Sachverhalt auch nicht auszuschließen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.