Urteil des LAG Hessen vom 22.03.2006

LAG Frankfurt: angemessene entschädigung, unterrichtung, vorstellungsgespräch, hessen, mensch, arbeitsgericht, dekan, wiederholung, stellenausschreibung, behinderung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Sa 1686/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 81 Abs 1 SGB 9
(Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten
Stellenbewerbers)
Leitsatz
1. Ein schwerbehinderter Stellenbewerber hat Anspruch auf Zahlung einer
Entschädigung, wenn aufgrund der fehlenden Unterrichtung der
Schwerbehindertenvertretung von seiner eingegangenen Bewerbung eine
Benachteiligung vermutet wird und der Arbeitgeber die Vermutung nicht widerlegen
kann.
2. Dem Arbeitgeber ist es im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung grundsätzlich
verwehrt, sich auf sachliche Gründe für die Ablehnung zu berufen, die er dem
betroffenen Bewerber bei seiner Unterrichtung nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX nicht
mitgeteilt hat (im Anschluss an Hess. LAG vom 07.11.2005 - 7 Sa 473/05).
Tenor
Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg
vom 29. Juli 2005 - 2 Ca 65/05 - wird zurückgewiesen.
Das beklagte Land hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um einen
Entschädigungsanspruch des Klägers im Zusammenhang mit einer Bewerbung als
schwerbehinderter Mensch.
Der am 8. September 1959 geborene Kläger verfügt über eine Ausbildung als
Steuerfachangestellter und ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der
Behinderung von 50 anerkannt (Bl. 9 d.A.). An der A in X wurde unter dem 28.
Oktober 2004 für den Fachbereich fremdsprachige Philologie ein Stellenangebot
für eine halbe Stelle eines Verwaltungsangestellten der Vergütungsgruppe VII BAT
ausgehängt, für die Schwerbehinderte bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt
werden sollten (Bl. 21 d.A.). Die Bewerbungsfrist in der Stellenausschreibung lief
bis zum 16. November 2004. Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 8.
November 2004 für diese Stelle (Bl. 4 d.A.). Mit Schreiben von diesem Tag
beantragte der Institutsleiter des Institutes für Romanische Philologie am
Fachbereich Fremdsprachige Philologien B auf die ausgeschriebene Stelle die
Mitarbeiterin C vom Informationszentrum für Fremdsprachenforschung
umzusetzen. Diese Mitarbeiterin war auf der Sekretariatsstelle des Institut
beschäftigt. Diese Stelle der Mitarbeiterin C wurde durch Schreiben des
Präsidenten der A vom 5. Oktober 2004 freigegeben und die Mitarbeiterin C der
Personalvermittlungsstelle (PVS) des Landes Hessen gemeldet. Nach einem
Vorstellungsgespräch hielt der Institutsleiter B die als freigesetzt gemeldete
Mitarbeiterin C für geeignet, die unter dem 28. Oktober 2004 ausgeschriebene
Stelle zu besetzen. Außerdem hatte sie sich bereits erklärt, ihre Arbeitszeiten den
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Stelle zu besetzen. Außerdem hatte sie sich bereits erklärt, ihre Arbeitszeiten den
Anforderungen der neuen Stelle anzupassen. Mit Schreiben vom 25. November
2004 hörte der Universitätspräsident den Personalrat wegen der Umsetzung der
Mitarbeiterin C an. Mit Schreiben vom 30. November 2004 verfügte er die
Umsetzung dieser Mitarbeiterin auf die freie Halbtagsstelle einer
Verwaltungsangestellten mit Wirkung vom 11. Dezember 2004. Mit Schreiben des
Dekans des Fachbereichs fremdsprachige Philologie vom 10. Dezember 2004 -
wegen dessen genauen Inhalt auf Bl. 10 d.A. Bezug genommen wird - erhielt der
Kläger folgende Mitteilung: Leider haben sich die zuständigen Gremien für eine
andere Bewerberin entschieden. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute.
...Der Kläger war weder zu einem Vorstellungsgespräch geladen noch war die
Schwerbehindertenvertretung von seiner Bewerbung durch die Personalverwaltung
informiert worden. Der Kläger forderte mit Schreiben vom 12. Dezember 2004 den
Dekan des Fachbereich fremdsprachige Philologie der A in X auf, ihm eine
qualifizierte und begründete Ablehnung seiner Bewerbung zukommen zu lassen.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 erhielt er folgende Stellungnahme (Bl. 12
d.A.): Im von Ihnen genannten Verfahren, hat man sich intern für eine Umsetzung
entschieden. Dies bedeutet, es ist zu keinem Bewerbungsverfahren gekommen.
Die Stelle dieser Dame wurde in dem Institut nicht mehr benötigt und somit dem
Institut für Romanische Philologie angeboten. Da wir gehalten sind, im Zuge der
Einsparungen im Öffentlichen Dienst, wenn möglich, keine Stellen mehr neu zu
besetzen, haben wir dieses Angebot angenommen. Mit Schreiben vom 2. Januar
2005 forderte der Kläger von dem Dekan des Fachbereich fremdsprachige
Philologie der A in X Schadenersatz in Höhe von € 10.000,00 wegen vorsätzlicher
Diskriminierung als Schwerbehinderter.
Mit einem am 21. Januar 2005 beim Verwaltungsgericht Gießen eingegangenen
Schriftsatz hat der Kläger Klage auf Zahlung einer Entschädigung erhoben. Er hat
die Ansicht vertreten, er sei vorsätzlich diskriminiert und in seiner Bewerbung als
Schwerbehinderter benachteiligt worden. Dies folge daraus, dass bei der
Bewerbung eines behinderten Menschen gemäß § 82 Satz 2 SGB IX stets ein
Bewerbungsgespräch mit diesem geführt werden müsse, unabhängig davon, ob
das Bewerbungsverfahren später abgebrochen werde oder nicht. Außerdem habe
die Schwerbehindertenvertretung eingeschaltet werden müssen, um die
Interessen der Schwerbehinderten vertreten zu können. Dies gelte auch bei einem
späteren Abbruch des Bewerbungsverfahrens, denn die
Schwerbehindertenvertretung hätte gegebenenfalls auf die Einstellung eines
Schwerbehinderten hinwirken können und die Interessen des schwerbehinderten
Bewerbers vertreten können, was ohne entsprechende Mitteilung nicht möglich
sei. Der Kläger hat gemeint, ihm stünde Schadenersatz in Höhe von 3
Jahresgehältern der entsprechenden Stelle zu, wobei von einem Monatsgehalt von
ca. € 1.000,00 auszugehen sei.
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung in Höhe von €
30.000,00 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat die Klage für nicht begründet gehalten. Es hat gemeint, der Kläger sei
weder diskriminiert noch benachteiligt worden wegen seiner Schwerbehinderung.
Die von ihm angeführten Vorschriften der §§ 81, 82 SGB IX träfen auf den
vorliegenden Fall nicht zu, da das Bewerbungsverfahren aufgrund der internen
Umsetzung im November 2004 abgebrochen worden sei. Die Vorschriften seien im
Übrigen auch nicht nur nach dem Wortlaut, sondern nach ihrem Sinn und Zweck
auszulegen. Es ergebe keinen Sinn, einen Schwerbehinderten zum
Vorstellungsgespräch zu laden oder die Schwerbehindertenvertretung
einzuschalten, wenn letztendlich das Bewerbungsverfahren abgebrochen und
damit nicht durchgeführt worden sei. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt
werden, zum Schutz der Schwerbehinderten mehr oder weniger sinnlose
Vorschriften zu schaffen, die beim Schwerbehinderten eine falsche Hoffnung
erwecken würden.
Das Arbeitsgericht Marburg hat durch Urteil vom 29. Juli 2005 das beklagte Land
zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von € 1.000,00 verurteilt und im Übrigen
die Klage abgewiesen. Soweit es der Klage stattgegeben hat, hat es genommen,
dass der Kläger zwar nicht wegen seiner Schwerbehinderung von der
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dass der Kläger zwar nicht wegen seiner Schwerbehinderung von der
Beklagtenseite diskriminiert worden sei. Allerdings sei er jedoch in seiner
Bewerbung als Schwerbehinderter gesetzeswidrig benachteiligt worden, weil seine
Bewerbung entgegen der ausdrücklichen Pflicht des § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX
nicht unmittelbar der Schwerbehindertenvertretung vorgelegt bzw. diese nicht
unmittelbar nach Eingang hiervon unterrichtet worden sei. Deshalb habe dieses
Gremium mangels Kenntnis nicht zugunsten des Klägers tätig werden können.
Zwar habe das beklagte Land den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch
geladen. Dies sei jedoch unschädlich, da das laufend Bewerbungs- bzw.
Stellenausschreibungsverfahren noch vor einer Einladung zum
Bewerbungsgespräch abgebrochen worden sei. Anders verhalte es sich jedoch im
Falle der Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung nach § 81 Abs. 1 Satz 4
SGB IX. Der Gesetzgeber habe bestimmt, dass der Arbeitgeber die
Schwerbehindertenvertretung über vorliegende Bewerbungen von
schwerbehinderten Menschen unmittelbar nach Eingang zu unterrichten hat. Dies
sei eine klare, unmissverständliche Vorschrift an den Arbeitgeber. Der
Gesetzgeber habe gewollt, dass bei laufenden oder jedenfalls noch laufenden
Bewerbungsverfahren die Schwerbehindertenvertretung unmittelbar, d.h. sofort
nach Eingang von der Bewerbung des schwerbehinderten Menschen erfährt. Sie
sollte damit nach dem Willen des Gesetzgebers sofort in die Lage versetzt werden,
die Interessen des schwerbehinderten Bewerbers zu vertreten. Ob später das
Bewerbungsverfahren abgebrochen wird, ob die Stelle letztendlich doch nicht
besetzt oder durch eine interne Lösung besetzt werden soll, spiele für die
Unterrichtungspflicht gegenüber der Schwerbehindertenvertretung keine Rolle. Die
Schwerbehindertenvertretung müsse in jedem Falle in die Lage versetzt werden,
die Interessen des schwerbehinderten Menschen zu vertreten und möglicherweise
durchzusetzen. Entscheidend ist nicht, ob aus der Rückschau eine solche
Bemühung letztendlich erfolgreich gewesen wäre oder nicht. Dies zeige die
Schadenersatzvorschrift des § 81 Abs. 2 Ziffer 3 SGB IX. Auch sei das
Bewerbungsverfahren erst mit der Versetzungsverfügung gegenüber der
Arbeitnehmerin C vom 30. November 2004 abgebrochen bzw. beendet worden.
Der Kläger habe zu Recht bemängelt, dass ihm mit dem Ablehnungsschreiben
vom 10. Dezember 2004 eine falsche Begründung gegeben und er dadurch
zunächst in die Irre geleitet worden sei. Der Gesetzgeber habe dem Arbeitgeber in
§ 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung
unmittelbar nach Eingang des Bewerbungsschreibens zu unterrichten. Da
zeitgleich die Umsetzung der Mitarbeiterin C auf die freie Stelle beantragt worden
sei, wäre die Schwerbehindertenvertretung in der Lage gewesen, die Sachlage
zumindest unter dem Gesichtspunkt des Schwerbehindertenschutzes zu prüfen.
Sie wäre bei entsprechendem Ergebnis auch in der Lage gewesen, ggf. zugunsten
des Klägers zu intervenieren und seine Einstellung zu befürworten oder zu
betreiben. Das beklagte Land habe durch die Unterlassung der Unterrichtung der
Schwerbehindertenvertretung seine gesetzlichen Verpflichtungen zu Lasten des
Klägers nicht erfüllt, ohne dass dafür ein sachlicher oder sonst ausreichend
nachvollziehbarer Grund vorliegt. Bei Eingang des Bewerbungsschreibens sei die
Beendigung des Verfahrens durch die Umsetzung der Angestellten C allen
Beteiligten noch nicht bekannt gewesen. Außerdem hätte die
Schwerbehindertenvertretung neben ihrer Intervention in der Personalabteilung
auch bei der Anhörung des Personalrats ihre Stellungnahme abgeben können,
wenn sie entsprechende Kenntnisse besessen hätte und aus ihrer Sicht die
Bewerbung des Klägers vorrangig gewesen wäre. Weil der Gesetzgeber in § 81 Abs.
2 Ziffer 3 SGB IX ausdrücklich bestimmt habe, dass selbst dann,
wenn ein schwerbehinderter Bewerber bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht
eingestellt worden wäre, der Arbeitgeber eine angemessene Entschädigung zu
leisten hat, komme es nicht darauf an, ob der behinderte Bewerber eingestellt
worden wäre. Maßgeblich sei allein, ob er als schwerbehinderter Bewerber
gesetzeswidrig durch die fehlende Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung
benachteiligt worden sei. Im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung
hat das Arbeitsgericht einen Betrag in Höhe von € 1.000,00 für angemessen
gehalten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 41-45 d.A.
Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil hat das beklagte Land innerhalb der zur Niederschrift über die
Berufungsverhandlung am 22. März 2006 festgestellten und dort ersichtlichen
Fristen Berufung eingelegt.
Es verfolgt sein Begehren auf Klageabweisung unter Wiederholung und Ergänzung
seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Es meint, es sei zu keiner
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seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Es meint, es sei zu keiner
Benachteiligung des Klägers als schwerbehinderter Bewerber gekommen, weil
keine Auswahl unter Bewerbern getroffen worden, sondern die Stelle durch
Umsetzung besetzt worden sei. Daher greife die Vorschrift des § 81 Abs. 2 Ziff. 3
SGB IX nicht ein. Selbst wenn aufgrund der Verfahrensverletzung zunächst eine
Vermutung der Benachteiligung anzunehmen gewesen sei, habe es diese jedoch
durch die Darstellung des unstreitigen Verfahrensablaufs widerlegt.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 29. Juli 2005 - 2 Ca 65/05 - teilweise
abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung und
Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 22. März 2006 (Bl. 84 d.A.) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des beklagten Landes gegen das am 29. Juli 2005 verkündete Urteil
des Arbeitsgerichts Marburg ist zulässig. Das Rechtsmittel ist nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2 ArbGG). Das beklagte
Land hat es auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520
ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu
Recht teilweise stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des beklagten
Landes ist nicht geeignet, eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung zu
erreichen. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob der Begründung des
Arbeitsgerichts zu folgen ist, denn das beklagte Land ist nicht in der Lage, die
Vermutung der Benachteiligung des Klägers als behindertem Menschen im
Rahmen des Bewerbungsverfahrens zu beseitigen und schuldet ihm daher eine
Entschädigung in Höhe von € 1.000,00 gemäß § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB IX.
Grundsätzlich kann ein wegen seiner Schwerbehinderung diskriminierter Bewerber,
der auch bei benachteiligungsfreier Auswahl die Stelle nicht erhalten hätte,
Anspruch auf Entschädigung von bis zu drei Monatsgehältern verlangen. Dies folgt
aus § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 1 SGB IX. In diesem Zusammenhang kann der
schwerbehinderte Bewerber eine Beweislastverschiebung herbeiführen, wenn er
Hilfstatsachen darlegt und unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen der
Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lassen (vgl. BAG vom 15. Februar 2005 -
9 AZR 635/03, AP Nr. 7 zu § 81 SGB IX). Nach zutreffender Auffassung des
Bundesarbeitsgerichts in seiner vorgenannten Entscheidung, von der abzuweichen
der Sachverhalt keinen Anlass gibt, ist eine Benachteiligung wegen der
Schwerbehinderteneigenschaft zu vermuten, wenn der Arbeitgeber die
Schwerbehindertenvertretung entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht
unmittelbar über die eingegangene Bewerbung eines schwerbehinderten
Menschen unterrichtet hat (vgl. BAG a.a.O.).
Der Kläger hat sich als schwerbehinderter Mensch auf die Stellenausschreibung
vom 28. Oktober 2004 unter Angabe seiner Behinderteneigenschaft beworben. Die
zuständige Stelle bei der A in X hat die existierende Schwerbehindertenvertretung
nicht über die Bewerbung in Kenntnis gesetzt. Hierdurch hat das beklagte Land
gegen seine aus § 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX ergebenden Pflichten verstoßen, wodurch
die Benachteiligung des Klägers wegen der Schwerbehinderteneigenschaft
vermutet wird.
Das beklagte Land kann entgegen der von ihm vertretenen Auffassung die
Vermutung der Benachteiligung nicht mit der Begründung widerlegen, das
Stellenbesetzungsverfahren sei abgebrochen worden und es deswegen zu keiner
Benachteiligung des Klägers als Bewerber gekommen, weil keine Auswahl unter
Bewerbern getroffen worden, sondern die Stelle durch Umsetzung besetzt worden
sei.
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Denn das beklagte Land ist aufgrund der von ihm im Schreiben vom 10.
Dezember 2004 angegebenen Gründe für die Ablehnung der Bewerbung des
Klägers gehindert, sich auf diese nunmehr angegebenen Gründe für die
Widerlegung der vermuteten Benachteiligung zu berufen.
Der Arbeitgeber ist gemäß § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX verpflichtet, alle im
Bewerbungsverfahren Beteiligte, zu denen auch der Bewerber zählt, über die von
ihm getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu
unterrichten. Zweck der Vorschrift ist es, die Entscheidung des Arbeitgebers in
einem überprüfbaren Verfahren transparent zu machen. Insbesondere soll der
Bewerber in die Lage versetzt werden zu prüfen, ob er im Verlauf des Bewerbungs-
und Einstellungsverfahrens wegen seiner Behinderung unzulässig benachteiligt
worden ist (vgl. Großmann u.a., GK-SGB IX § 81 Rn 176 f). Die Mitteilung genügt
nur dann den Anforderungen, wenn dem behinderten Bewerber die Gründe
dargelegt werden, die den Arbeitgeber zu seiner Entscheidung veranlasst haben.
Sofern ein Arbeitgeber in einem Verfahren um eine Entschädigung wegen der
Benachteiligung gehalten ist, die Vermutung der Benachteiligung aufgrund eines
Verstoßes gegen das Bewerbungsverfahrens zu widerlegen, ist es ihm
grundsätzlich verwehrt, sich auf Gründe zu beziehen, die er dem betroffenen
Bewerber im Rahmen seiner Unterrichtung nach § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX nicht
mitgeteilt hat (vgl. Hess. LAG vom 7. November 2005 - 7 Sa 473/05, veröffentlicht
in der Landesrechtsprechungsdatenbank Hessen). Ein Nachschieben kommt
grundsätzlich nicht in Betracht, da der Arbeitgeber ansonsten unter Missachtung
der Formvorschriften das Benachteiligungsverbot umgehen könnte. Nachträglich
im Verfahren nach § 81 Abs. 2 SGB IX vorgebrachte Gründe können
ausnahmsweise nur dann herangezogen werden, wenn der Arbeitgeber sie vorher
nicht geltend machen konnte, weil sie ihm zum Beispiel nicht bekannt waren (vgl.
Hess. LAG vom 7. November 2005 a.a.O.; Großmann a.a.O. Rn 246).
Unter Beachtung dieser Grundsätze kann das beklagte Land sich zur Widerlegung
der Benachteiligungsvermutung nicht auf den Abbruch des Besetzungsverfahrens
und die interne Umsetzung berufen. Denn es hat sich im Schreiben vom 10.
Dezember 2004 darauf festgelegt, sich für eine andere Bewerberin entschieden zu
haben. Damit hat es dokumentiert, das Bewerbungsverfahren durchgeführt zu
haben. Erst im Schreiben vom 23. Dezember 2004 hat es dem Kläger mitgeteilt,
es sei aufgrund einer internen Umsetzung zur keinem Bewerbungsverfahren
gekommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Das beklagte Land hat die
Kosten der Berufung zu tragen, weil sein Rechtsmittel keinen Erfolg gehabt hat.
Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung
(§ 72 Abs. 2 ArbGG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.