Urteil des LAG Hessen vom 23.10.2007

LAG Frankfurt: verbot der diskriminierung, altersrente, sozialplan, beendigung, persönlicher geltungsbereich, sachlicher geltungsbereich, arbeitsmarkt, unternehmen, arbeitslosigkeit, belohnung

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
4. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4/11 Sa 2089/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 1 EGRL 78/2000, Art 2
Abs 1 EGRL 78/2000, Art 2
Abs 2a EGRL 78/2000, Art 6
Abs 1 EGRL 78/2000, § 1
AGG
Sozialplanabfindung - Altersdiskriminierung
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom
07. November 2006 – 3 Ca 85/06 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe eines Abfindungsanspruchs aus einem
Sozialplan.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Steine- und Erdenindustrie. Sie ist
Rechtsnachfolgerin der A GmbH. Der am 15. März 1944 geborene Kläger war vom
01. Februar 1990 bis zum 30. November 2005 für die Beklagte in deren Betrieb in
B als Schichtmeister zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt € 4.059,41 tätig.
Er legte für die Fahrten zwischen seinem Wohnort in C und seinem Arbeitsplatz 25
km pro Arbeitstag zurück. Anfang 2004 sprach der Kläger die Beklagte auf den
Abschluss eines Altersteilzeitvertrages an. Die Beklagte stellte die Möglichkeit
eines Ausscheidens zum 31. Januar 2005 auf der Grundlage einer
betriebsbedingten Kündigung bei Zahlung einer Abfindung von € 53.400 in den
Raum. Unter dem 26. Mai 2004 erteilte sie dem Kläger die in der Anlage K 7 zum
Schriftsatz vom 28. Juni 2007 (Bl. 160 d. A.) ersichtliche fiktive Gehaltsabrechnung
für Januar 2005 unter Einbeziehung einer Abfindung in dieser Höhe. Die Gründe
des Nichtzustandekommens eines Abwicklungsvertrages sind zwischen den
Parteien streitig.
Am 11. Februar 2005 schloss die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat
einen Interessenausgleich (nachfolgend IA), demgemäß die D-Produktion u. a. in B
geschlossen werden sollte. Die betroffenen Arbeitsplätze sollten überwiegend in
der ersten Jahreshälfte und spätestens Ende September 2005 wegfallen. Nach § 4
IA sollten die wirtschaftlichen Nachteile der Betriebsänderung durch einen
Sozialplan (SP) ausgeglichen oder gemildert werden, den die Betriebsparteien am
selben Tag unterzeichneten. Der SP enthält u. a. folgende Bestimmungen:
1. Sachlicher Geltungsbereich
Der Ausgleich bzw. die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den
betroffenen Arbeiterinnen und Mitarbeitern infolge der im Interessenausgleich vom
heutigen Tag beschriebenen Maßnahmen entstehen, erfolgt gemäß diesem
Sozialplan.
2. Persönlicher Geltungsbereich
a) Der Sozialplan gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Unternehmens im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG, die bei seinem Abschluss
in einem unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis mit dem
Unternehmen stehen und von der Betriebsänderung, hinsichtlich der am
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Unternehmen stehen und von der Betriebsänderung, hinsichtlich der am
heutigen Tag ein Interessenausgleich geschlossen wurde, betroffen sind.
b) Der Sozialplan findet keine Anwendung auf
– Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen aus einem in ihrer Person oder
in ihrem Verhalten liegenden Grund ordentlich oder aus wichtigem
Grund außerordentlich gekündigt wird oder deren Arbeitsverhältnis aus
diesen Gründen einvernehmlich aufgehoben wird oder die einer
Kündigung aus diesen Gründen mit einer Eigenkündigung
zuvorkommen
– Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bei denen zum Zeitpunkt der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Voraussetzungen für einen
ungekürzten Anspruch gegen die gesetzliche Sozialversicherung auf
eine der Renten nach § 33 Abs. 2 Ziffern 1 – 6 SGB VI erfüllt sind.
c) Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die durch Eigenkündigung
ausscheiden, gilt dieser Sozialplan nur dann, wenn
– ihr Arbeitsplatz infolge der Betriebsänderung wegfällt und sie erst
gekündigt haben, nachdem das Unternehmen – bezogen auf ihr
Arbeitsverhältnis – ein Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG
eingeleitet hat
und
– keine Gründe in ihrer Person oder ihrem Verhalten vorliegen, die das
Unternehmen zu einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung
berechtigen.
3. Abfindungsanspruch
a) Grundsatz
– Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis wegen der
Betriebsänderung – hinsichtlich derer am heutigen Tage ein
Interessenausgleich geschlossen wurde – betriebsbedingt gekündigt
oder durch Aufhebungsvertrag einvernehmlich beendet wird oder
aufgrund einer Eigenkündigung des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin
endet, die die Voraussetzungen vorstehender Ziffer 2 c) erfüllt, erhalten
eine Abfindung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieser
Ziffer 3.
...
c) Abfindungsformel
Anspruchsberechtigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei Beendigung
des Arbeitsverhältnisses das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, haben
einen Anspruch auf eine individuell berechnete Abfindung, die sich nach der
folgenden Formel berechnet:
Lebensalter x Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt
83,5
d) Abfindung für ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses das 60. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine Abfindung
als Einmalzahlung. Zur Berechnung dieser Abfindung wird ein Betrag in Höhe von €
560,00 multipliziert mit der Anzahl der vollendeten Monate zwischen dem
Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem
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Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem
Zeitpunkt, zu dem frühestens ein Anspruch auf eine ungekürzte Altersrente aus
der gesetzlichen Rentenversicherung besteht, maximal aber bis zur Vollendung
des 65. Lebensjahres.
Sofern der Gesetzgeber das Eintrittsalter für den Bezug der ungekürzten
Regelaltersrente während der Laufzeit dieses Sozialplans erhöht und dieses
spätere Eintrittsalter für den betroffenen Mitarbeiter bzw. die betroffene
Mitarbeiterin zwingend gilt, ist das dann geltende Renteneintrittsalter für die
Berechnung der Abfindung maßgeblich.
e) Zuschläge
Der Abfindungsbetrag nach Ziffer 2 c) bzw. nach Ziffer 2 d) erhöht sich
– für jedes unterhaltsberechtigte Kind, das im Jahr des Ausscheidens auf
der Lohnsteuerkarte eingetragen ist oder vom Abfindungsberechtigten
auf andere Weise nachgewiesen wird, um € 2.600,00.
Sofern beide Elternteile von der personellen Maßnahme betroffen sind,
erhält jeder Elternteil die Hälfte des vorgenannten Betrages.
– für schwerbehinderte Menschen oder gleichgestellte behinderte
Menschen im Sinne des Sozialgesetzbuches IX um € 2.500,00.
f) Höchstbetrag
Der Abfindungsbetrag, der sich nach Maßgabe der vorstehenden Ziffern 3
b) bis 3 e) errechnet, beträgt maximal € 55.000,00 (Höchstbetrag)."
Gemäß Ziffer 4 a Abs. 2 Satz 1 SP sollte die Abfindung am 15. des auf das Ende
des Arbeitsverhältnisses folgenden Monats fällig werden. Nach Ziffer 7 c SP galt für
Sozialplanansprüche eine Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit. Wegen
des vollständigen Inhalts von IA und SP wird auf die Anlagen K 2 und K 3 zur
Klageschrift (Bl. 10 – 19 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund der
Betriebsänderung mit Schreiben vom 25. Februar zum 30. November 2005. Eine
Kündigungsschutzklage des Klägers wies das Arbeitsgericht ab. Der Kläger erhielt
eine Abfindung nach Ziffer 3 d SP in Höhe von € 22.400 sowie gemäß einer
Protokollnotiz zum Sozialplan vom 11. Februar 2005 eine zusätzliche Zahlung von
€ 5.740. Er ist gemeinsam mit der Kollegin E der einzige von Ziffer 3 d SP
betroffene Arbeitnehmer. Beide hatten die Möglichkeit, nach dem Bezug von
Arbeitslosengeld übergangslos Altersrente in Anspruch nehmen zu können. Die
übrigen Arbeitnehmer erhielten Sozialplanabfindungen zwischen € 632,34 und €
55.000. Wegen der Einzelheiten der Leistungen und der Personaldaten der 64
betroffenen Arbeitnehmer wird auf die Anlage zum Schriftsatz vom 13. August
2007 (Bl. 187, 188 d. A.) Bezug genommen. Der Kläger bezieht bis 31. Dezember
2007 Arbeitslosengeld und nimmt ab Januar 2008 Altersrente in Anspruch.
Während des Arbeitslosengeldbezugs hatte er gegenüber der von der Beklagten
bezogenen Nettovergütung eine Einbuße von € 1.120 netto pro Monat. Die
Altersrente wird wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme um € 90 pro Monat
reduziert. Der Kläger ist der Auffassung, die Regelung von Ziffer 3 c, d SP verstoße
gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Er machte mit einem
Schreiben vom 19. Dezember 2005 die Differenz von € 20.086,76 geltend, die sich
bei Anwendung von Ziffer 3 c SP zusätzlich zu seinen Gunsten ergeben würde.
Wegen der Berechnung der Klageforderung wird auf die Anlage K 4 zur Klageschrift
(Bl. 21 d. A.) Bezug genommen. Der Kläger verfolgt diese Forderung im
vorliegenden Verfahren weiter.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands und der dort gestellten
Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 85 – 89 d. A.) und
auf die mit diesem in Bezug genommenen Aktenbestandteile verwiesen (§ 69 Abs.
3 Satz 2 ArbGG). Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur
Begründung – kurz zusammengefasst – ausgeführt, die Regelung von Ziffer 3 c, d
SP verstoße nicht gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit gemäß § 75 Abs.
1 BetrVG. Bei rentennahen Arbeitnehmern wie dem Kläger sei eine
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1 BetrVG. Bei rentennahen Arbeitnehmern wie dem Kläger sei eine
Abfindungsberechnung ohne Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit
angesichts der kurzen Dauer des zu überbrückenden Zeitraums und der sich
daraus ergebenden leichteren Berechenbarkeit der zu erwartenden Nachteile
sachgerecht. Gegebenenfalls seien geringere Abfindungen der Mitglieder
rentennaher Jahrgänge gegenüber jüngeren Arbeitnehmern durch deren bessere
wirtschaftliche Absicherung gerechtfertigt. Eine derartige Differenzierung wegen
des Alters sei nach Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG zulässig. Auch aus dem
Nichtzustandekommen eines Aufhebungsvertrages zwischen den Parteien
ergäben sich keine Ansprüche des Klägers, da dieser nicht konkret dargelegt habe,
inwieweit die Beklagte den Abschluss eines Aufhebungsvertrages verschleppt und
dem Kläger dadurch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Altersteilzeit
genommen habe. Zudem sei ein eventueller Schaden des Klägers nicht mit der
streitgegenständlichen Abfindung identisch. Wegen der weiteren Begründung wird
auf die Entscheidungsgründe (Bl. 90 – 94 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger legte gegen das am 10. November 2006 zugestellte Urteil am 05.
Dezember 2006 Berufung ein und begründete diese nach rechtzeitig beantragter
Verlängerung der Begründungsfrist bis 12. Februar 2007 am 12. Februar 2007. Er
hält an seiner Auffassung fest, dass die Kompensationsregelungen des SP nicht
zukunftsbezogen, sondern auf die Belohnung von Betriebstreue und Alter
ausgerichtet seien. Mit der Sonderregelung von Ziffer 3 d SP werde dieses System
auf willkürliche Weise zu Lasten des Klägers durchbrochen. Dies sei auch deshalb
ungerechtfertigt, weil mangels eines bestimmt festgelegten Sozialplanvolumens
die sich aus Ziffer 3 d SP ergebende Anspruchsreduzierung nicht anderen
Arbeitnehmern zugutekomme. Die durch Ziffer 3 d SP ausgelöste Differenzierung
verstoße gegen die Richtlinie 2000/78/EG. Diese Regelung könne deshalb nicht
angewendet werden. Ein legitimes Ziel im Sinne von Art. 6 der Richtlinie müsse
vom nationalen Gesetzgeber definiert werden. Dies könne nicht auf die
Betriebsparteien delegiert werden. Soweit finanzielle Belastungen der
Arbeitnehmer als Differenzierungsgrund herangezogen werden sollten, müsse auf
diese und nicht auf das Alter der Arbeitnehmer abgestellt werden. Die
Rentennachteile des Klägers durch die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente
lägen bei einer Lebenserwartung von 17 bis 19 Jahren ab Renteneintritt weit über €
18.000. Insgesamt seien seine Nachteile aufgrund der Betriebsänderung daher
nicht kompensiert worden. Bei der Betrachtung komme es auf durch die
Arbeitslosigkeit ersparte Fahrtkosten nicht an. Der Kläger werde gegenüber den
jüngeren Arbeitnehmern benachteiligt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die
Arbeitnehmer F, G, H, I, J und K aufgrund von Vergleichen in ihren
Kündigungsschutzprozessen über deren Sozialplanabfindungen hinaus weitere
Abfindungszahlungen erhalten hätten.
Der Kläger bestreitet, dass die Arbeitnehmer mit höherer Abfindung schlechte
Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätten. Wegen der
diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Seiten 3 und 4 des Schriftsatzes vom 11.
September 2007 (Bl. 195, 196 d. A.) Bezug genommen. Der Kläger behauptet,
ihm sei wegen seines Alters als einzigem Arbeitnehmer nicht die Teilnahme an
einem Bewerbungstraining durch ein externes Unternehmen angeboten worden.
Daraus folge, dass die Beklagte bei den anderen Arbeitnehmern von realistischen
Chancen auf dem Arbeitsmarkt ausgegangen sei. Der Kläger ist der Ansicht, er
habe im ersten Halbjahr 2004 gemäß dem zum 01. Juli 2004 außer Kraft
getretenen Tarifvertrag zur Vereinbarung von Altersteilzeit für die Gesellschaften
und Betriebe der L AG Anspruch auf Altersteilzeit gehabt. Wegen des Inhalts des
Tarifvertrages wird auf die Anlage K 6 zum Schriftsatz vom 28. Juni 2007 (Bl. 155 –
159 d. A.) Bezug genommen. Die Zeugin M habe ihm mehrfach auf Nachfrage
versichert, dass die Abwicklungsvereinbarung zustande kommen werde. Es seien
nur noch geringfügige Formalien in der Hauptverwaltung der Beklagten zu erfüllen.
Dadurch sei ein schützenswertes Vertrauen des Klägers darauf entstanden, dass
er im Fall einer betriebsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine
Abfindung in Höhe von € 53.400 erhalten werde. Wegen dieser Zusage habe er
von der Geltendmachung seines Altersteilzeitanspruchs abgesehen. Die
Verzögerungstaktik der Beklagten habe jedoch lediglich dazu gedient, das
Arbeitsverhältnis auf möglichst kostengünstige Weise zu beenden und dem Kläger
die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Altersteilzeit zu nehmen.
Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Klägers wird auf die
Schriftsätze vom 12. Februar, 28. Juni und 11. September 2007 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 07. November 2006 – 3 Ca
85/06 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 20.086,76
brutto sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit 16. Dezember 2005 zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags die
Würdigung des Arbeitsgerichts. Sie ist der Ansicht, die Differenzierung nach der
Rentennähe durch Ziffer 3 c, d SP sei nicht nur gerechtfertigt, sondern wegen des
unterschiedlichen Kompensationsbedarfs der rentennahen und der nicht
rentennahen Arbeitnehmer sogar geboten gewesen. Auch der
Gleichbehandlungsgrundsatz gebiete nur den Vergleich von Äpfeln mit Äpfeln und
von Birnen mit Birnen, nicht aber den Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Mit dem
Bemessungskriterium "Beschäftigungsdauer" werde nicht nur Betriebstreue
anerkannt, sondern ein mit der zunehmenden Beschäftigungsdauer verbundener
Verlust von Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ausgeglichen. Die Beklagte ist der
Auffassung, die Richtlinie 2000/78/EG sei im Verhältnis der Parteien nicht
anzuwenden. Zudem diene Ziffer 3 d SP nur der Rückführung der sich aus Ziffer 3
c SP ergebenden Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer. Der Kläger stehe durch
sein Ausscheiden unter Bezug der Abfindung wirtschaftlich eher besser, als wenn
das Arbeitsverhältnis fortbestanden hätte. Den Arbeitnehmern, die eine höhere
Abfindung als der Kläger erhielten, hätten wegen ihrer schlechteren Chancen auf
dem Arbeitsmarkt dagegen erheblich größere Nachteile durch die
Betriebsänderung gedroht. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die
Seiten 1 bis 4 des Schriftsatzes vom 13. August 2007 (Bl. 182 – 185 d. A.) Bezug
genommen. Über die Sozialplanansprüche hinausgehende Abfindungen seien
lediglich an Arbeitnehmer gezahlt worden, die vorzeitig aus ihren
Arbeitsverhältnissen ausschieden oder bei denen das Arbeitsgericht in den
Kündigungsschutzprozessen Fehler in der Sozialauswahl in Erwägung gezogen
habe. Der Kläger habe gemäß dem SP ebenfalls eine Outplacement-Beratung in
Anspruch nehmen können. Frau M habe dem Kläger keine Zusagen über die
Abfindungshöhe gemacht.
Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Beklagten wird auf die
Schriftsätze vom 30. April, 05. Juli und 13. August und 18. Oktober 2007 Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine weitere
Abfindungszahlung.
1. Auf die Ablehnung des Altersteilzeitwunsches des Klägers durch die Beklagte
kann der Kläger die Klageforderung nicht stützen. Selbst wenn die Beklagte sich
insoweit rechtswidrig verhalten haben sollte, wären eventuelle
Schadensersatzansprüche gemäß § 280 BGB oder Ansprüche nach dem
Gleichbehandlungsgrundsatz jedenfalls nicht auf die Zahlung einer weiteren
Abfindung gerichtet, da ein Anspruch auf Altersteilzeit in keinem Zusammenhang
zur Abfindungshöhe steht. Dasselbe gilt für die Rüge des Klägers, dass er als
einziger der betroffenen Arbeitnehmer keine Outplacement-Beratung erhalten
habe. Zudem hat der Kläger nicht dargelegt, jemals ein Interesse an einer solchen
Beratung geäußert zu haben.
2. Eine die Beklagte bindende einzelvertragliche Vereinbarung über die
Abfindungshöhe ist nicht zustande gekommen. Aus dem Vortrag des Klägers
ergibt sich bereits nicht der nach § 145 BGB für eine solche Vereinbarung
notwendige Antrag der Beklagten. Die Parteien befanden sich im ersten Halbjahr
2004 in Verhandlungen über den Abschluss eines Abwicklungsvertrages, die über
das Stadium von Vorverhandlungen nie hinausgelangten. Der Kläger hat eine
Erklärung der Beklagten, die als verbindliches Angebot der Zahlung einer
bestimmten Abfindung verstanden werden könnte, nicht dargelegt. Allein die
Aufnahme von Vertragsverhandlungen verpflichtet regelmäßig keinen der daran
Beteiligten zum Abschluss eines Vertrages
und begründet daher keine Rechtsansprüche des
Verhandlungspartners. Zudem betraf der von der Beklagten genannte
Abfindungsbetrag von € 53.400 ein Ausscheiden des Klägers zum 31. Januar 2005.
Ein Anhaltspunkt dafür, dass dieser Betrag auch im Fall eines späteren
Ausscheidens unter anderen Bedingungen gültig sein sollte, ist nicht zu erkennen.
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3. Dem Kläger steht auch nicht aufgrund der Zahlung weiterer Abfindungen über
die Sozialplanansprüche hinaus an einzelne Arbeitnehmer ein Anspruch aufgrund
des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu. Der
Gleichbehandlungsgrundsatz knüpft an das Aufstellen generalisierender Prinzipien
durch den Arbeitgeber an. Er kann einen Anspruch begründen, wenn der
Arbeitgeber freiwillige Leistungen nach von ihm gesetzten allgemeinen Regeln
gewährt und dabei bestimmte Arbeitnehmer sachwidrig ausschließt
. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei
der Gewährung zusätzlicher Abfindungsbeträge ein allgemeines Prinzip
angewendet und den Kläger von diesem sachwidrig ausgeschlossen hat. Nach
ihrer Darstellung verpflichtete sich die Beklagte nach den individuellen Umständen
einzelner Arbeitsverhältnisse zu zusätzlichen Leistungen, wenn die betroffenen
Arbeitnehmer entweder vor Ablauf ihrer Kündigungsfristen ausschieden oder wenn
sie gemäß der Hinweise des Arbeitsgerichts gute Chancen hatten, in ihren
Kündigungsschutzprozessen zu obsiegen. Beides traf auf den Kläger unstreitig
nicht zu. Ein allgemeines Prinzip, das auch auf den Kläger anspruchsbegründend
zuträfe, ergibt sich aus dem Vortrag der Parteien nicht.
4. Die Klage könnte daher nur Erfolg haben, wenn der Kläger einen Anspruch auf
Gleichbehandlung mit den in Ziffer 3 c SP unterfallenden Arbeitnehmern hätte.
Dies ist nicht der Fall.
a) Die erst zum 18. August 2006 in Kraft getretenen Regelungen des AGG sind für
die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits nicht einschlägig. Allerdings ist die
Übergangsregelung von § 33 AGG u. a. hinsichtlich des Differenzierungskriteriums
"Alter" wenig deutlich gefasst. Da dieses Kriterium von den §§ 611 a, 611 b, 612
Abs. 3 BGB a. F. und vom Beschäftigtenschutzgesetz a. F. nicht erfasst wurde, gilt
die allgemeine, Sachverhalte vor dem 18. August 2006 aus dem Geltungsbereich
des AGG ausschließende Regelung von § 33 Abs. 1 AGG ihrem Wortlaut nach für
dieses Kriterium nicht eindeutig. Aus § 33 Abs. 3 AGG könnte abgeleitet werden,
dass das Diskriminierungsverbot wegen des Alters nur hinsichtlich der
zivilgerichtlichen Benachteiligungsverbote der §§ 19 – 21 AGG nicht rückwirkend für
Sachverhalte vor dem Inkrafttreten des AGG gelten sollte. Eine solche Auslegung
würde jedoch dem erkennbaren Normzweck nicht gerecht. Nach der
Gesetzesbegründung sollte für zeitlich vor dem
Inkrafttreten des AGG liegende Benachteiligungen die alte Rechtslage weiter
anzuwenden sein. Da daraus deutlich wird, dass mit dem AGG eine Rückwirkung
nicht bezweckt wurde, wird allgemein zu Recht angenommen, dass die
Kollisionsnorm von § 33 Abs. 1 AGG alle in § 1 AGG aufgeführten
Differenzierungsmerkmale einschließlich des des Alters betrifft
.
b) Da die vom Kläger geltend gemachte Forderung im Falle ihres Bestehens vor
dem Inkrafttreten des AGG entstanden und fällig geworden wäre, ist die
Wirksamkeit der Klausel von Ziffer 3 c, d SP nach der bis 17. August 2006
geltenden alten Fassung von § 75 Abs. 1 BetrVG zu beurteilen. Maßgeblich ist
daher, ob die Klausel den Grundsätzen von Recht und Billigkeit entspricht (§ 75
Abs. 1 Satz 1 BetrVG a. F.) und Arbeitnehmer nicht wegen des Überschreitens
bestimmter Altersstufen benachteiligt (§ 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG a. F.).
aa) Gemäß der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben die
Betriebsparteien bei der Vereinbarung von Sozialplanleistungen einen weiten
Ermessensspielraum. Bei der Entscheidung, welche wirtschaftlichen Nachteile der
von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer durch welche
Sozialplanleistungen gemäß der gesetzlichen Vorgabe von § 112 Abs. 1 Satz 2
BetrVG ausgeglichen oder gemildert werden sollen, haben sie allerdings den
Gleichbehandlungsgrundsatz als einen der Grundsätze von Recht und Billigkeit
gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beachten. Aus diesem Grund sind die
Regelungen eines Sozialplans am Zweck der Sozialplanleistungen auszurichten,
der darin besteht, mit einem begrenzten Volumen möglichst allen von der
Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte
Überbrückungshilfe bis zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes oder bis zum
Bezug von Altersrente zu ermöglichen. Mangels Vorhersehbarkeit der später
tatsächlich eintretenden Nachteile ist dabei eine Pauschalierung möglich
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tatsächlich eintretenden Nachteile ist dabei eine Pauschalierung möglich
.
Nach dieser Rechtsprechung ist der Überbrückungszweck von Sozialplanleistungen
längstens beschränkt auf den frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem für die
betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit des Bezugs von Altersrente besteht
. Dementsprechend hat das
Bundesarbeitsgericht den vollständigen Ausschluss von Arbeitnehmern, die sofort
nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder mit dem Ende ihres
Arbeitslosengeldanspruchs zum – ggf. vorzeitigen – Bezug gesetzlicher Altersrente
berechtigt sind, vom Anspruch auf Sozialplanleistungen trotz des dadurch
bedingten Eintritts nicht unerheblicher Versorgungsnachteile im Ruhestand
aufgrund der Interessen anderer von Dauerarbeitslosigkeit bedrohter, nicht
rentenberechtigter Arbeitnehmer als gerechtfertigt erachtet
. Da der Kläger jedenfalls die Abfindung gemäß
Ziffer 3 d SP und nach der Protokollnotiz vom 11. Februar 2005 erhalten hat,
erlangte er aufgrund des SP mehr, als es gemäß der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts der Zweck eines Sozialplans geboten hätte.
bb) Es ist allerdings aus mehreren Gründen zweifelhaft, ob an dieser
Rechtsprechung uneingeschränkt festgehalten werden kann. Bereits nach den
Vorgaben des deutschen Rechts erscheint es wenig einleuchtend,
Versorgungsnachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen der früheren
Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Betriebsänderung sowie
durch den Bezug von Arbeitslosengeld vor Inanspruchnahme der Altersrente aus
dem Kreis der mit einem Sozialplan zu mildernden wirtschaftlichen Nachteile
generell auszuschließen. Die bisherige Rechtsprechung reflektiert eine Zeit, in der
Arbeitnehmer typischerweise ihr Berufsleben bei einem Arbeitgeber verbrachten
und in der sie im Ruhestand durch die gesetzliche Altersrente und ggf. durch
Betriebsrente so abgesichert waren, dass sie gegenüber der Zeit ihrer aktiven
Erwerbstätigkeit keine erheblichen wirtschaftlichen Einschränkungen hinnehmen
mussten. Inzwischen sind jedoch Erwerbsbiografien verbreitet, die durch den
Wechsel zwischen Arbeitgebern und zwischen aktiver Tätigkeit und Zeiten
gekennzeichnet sind, in denen Arbeitnehmer freiwillig oder aufgrund der Umstände
keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Gleichzeitig werden Lohnersatzleistungen wie
Arbeitslosengeld und die gesetzliche Altersrente zunehmend eingeschränkt.
Diese Einflüsse bewirken, dass der Zwang zur Inanspruchnahme vorzeitiger
Altersrente erhebliche Einschränkungen der wirtschaftlichen Absicherung im Alter
bewirken kann, die von den betroffenen älteren Arbeitnehmern regelmäßig auch
nicht mehr durch anderweitige Tätigkeit ausgeglichen werden können und von
diesen daher bis zu ihrem Lebensende hingenommen werden müssen. Derartige
Nachteile unterscheiden sich strukturell nicht von denen jüngerer Arbeitnehmer,
die gezwungen sind, aufgrund einer durch eine Betriebsänderung ausgelösten
Beschäftigungslosigkeit andere Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld und
Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen und dadurch wirtschaftliche Nachteile aufgrund
der Betriebsänderung erleiden. Daher spricht bereits § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG
dafür, dass die Betriebsparteien bei der Sozialplangestaltung im Rahmen ihrer
Ermessensausübung auch wegen der Betriebsänderung drohende Nachteile
unmittelbar vor dem Rentenalter und nach dessen Eintritt im Verhältnis zu den zu
prognostizierenden wirtschaftlichen Nachteilen anderer Arbeitnehmer
angemessen zu berücksichtigen haben
.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass mit § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG a. F. das Verbot
der unmittelbaren Diskriminierung wegen des Alters nach Art. 1, 2, 6 der Richtlinie
2000/78/EG für die Differenzierung wegen des aufsteigenden Alters bereits
teilweise umgesetzt war
. Die Norm war daher auch vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie
2000/78/EG im Sinne dieser Richtlinie europarechtskonform auszulegen. Hinzu
kommt, dass auch der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz
als mit einer Rechtsnorm vergleichbares richterrechtliches Grundprinzip des
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als mit einer Rechtsnorm vergleichbares richterrechtliches Grundprinzip des
deutschen Arbeitsrechts bereits vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie
europarechtskonform auszulegen war. Daher kann der
Gleichbehandlungsgrundsatz einschließlich seiner in § 75 Abs. 1 Satz 1, Satz 2
BetrVG a. F. enthaltenen Ausprägungen bereits seit der Verabschiedung der
Richtlinie 2000/78/EG am 27. November 2000 nicht mehr so ausgelegt werden,
dass eine Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmer als gerechtfertigt
anzusehen ist, wenn es sich um eine Diskriminierung wegen des Alters im Sinne
der Richtlinie handelt
. Das in der Richtlinie konkretisierte Verbot der Diskriminierung wegen des
Alters hatte daher über den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz im
Ergebnis bereits vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie unmittelbare
Drittwirkung im Arbeitsrecht . Daher ist der
Maßstab der Richtlinie hier für die Auslegung von § 75 Abs. 1 BetrVG maßgeblich.
cc) Die Klausel von Ziffer 3 c, d SP bewirkt eine unmittelbare Differenzierung
wegen des Alters im Sinne von Art. 1, 2 Abs. 1, Abs. 2 a der Richtlinie 2000/78/EG.
Arbeitnehmer, die bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses das 60. Lebensjahr
vollendet haben, erhalten eine nach Ziffer 3 d SP berechnete Abfindung, während
jüngere Arbeitnehmer bei gleicher Beschäftigungszeit und gleicher
Vergütungshöhe die regelmäßig höhere Abfindung nach Ziffer 3 c SP erhalten.
Zudem bewirkt die Formel von Ziffer 3 d SP, dass Arbeitnehmer eine umso
geringere Leistung erhalten, je näher sie bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses
vor der Vollendung ihres 65. Lebensjahres standen. Daher knüpft auch die mit
dieser Formel bewirkte Dynamik der Leistungsberechnung
anspruchsbeschränkend unmittelbar an das aufsteigende Alter an. Diese
Differenzierung wird vom Geltungsbereich der Richtlinie erfasst, da Regelungen
über einen Anspruch auf Sozialplanabfindungen Beschäftigungsbedingungen im
Sinne von Art. 3 Abs. 1 c der Richtlinie sind
.
Bei einer rein wortlautbezogenen Auslegung könnte die durch die Klausel von Ziffer
3 c, d SP bewirkte Differenzierung wegen des Alters nicht als gerechtfertigt im
Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG angesehen werden. Nach dieser
Regelung ist eine Ungleichbehandlung wegen des Alters keine unzulässige
Diskriminierung, sofern sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des
nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel insbesondere aus den Bereichen
Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung gerechtfertigt ist und
wenn das Mittel zum Erreichen dieses Ziels angemessen und erforderlich ist. Als
die Klausel von Ziffer 3 c, d SP rechtfertigender Differenzierungsgrund kommt
nach dem Vortrag der Beklagten lediglich das Ziel in Betracht, die wirtschaftliche
Absicherung der Arbeitnehmer rentennaher Jahrgänge zu berücksichtigen, so dass
in größerem Umfang Mittel für weniger gut abgesicherte und damit bedürftigere
jüngere Arbeitnehmer zur Verfügung stehen. Mit dem Gebrauch des
Differenzierungskriteriums der Vollendung des 60. Lebensjahres wird jedoch nicht
berücksichtigt, dass mindestens 60 Jahre alte Arbeitnehmer nicht zwingend über
existenzsichernde Ansprüche auf Altersrente und auf Arbeitslosengeld bis zum
Erreichen des gesetzlichen Rentenalters verfügen. Bei atypischen
Erwerbsbiografien können die einschlägigen sozialrechtlichen
Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllt sein.
Das in Ziffer 3 c, d verwendete Differenzierungskriterium korrespondiert daher bei
abstrakter Betrachtung nicht vollständig mit dem Differenzierungszweck. Das
europarechtliche Gebot der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
verlangt jedoch, dass bei altersbedingten Ausnahmeregelungen die Erfordernisse
des Gleichbehandlungsgrundsatzes soweit wie möglich mit denen des
angestrebten Ziels in Einklang gebracht werden müssen. Nur dann kann eine
Differenzierung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sein
. Bei abstrakter Betrachtung ist daher der Gebrauch des
Differenzierungskriteriums "Vollendung des 60. Lebensjahres" in Ziffer 3 c, d SP
ebenso unverhältnismäßig wie das vom Europäischen Gerichtshof
beanstandete Differenzierungskriterium "Vollendung des 52.
Lebensjahres" in § 14 Abs. 3 TzBfG a. F.
.
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Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Regelung von Ziffer 3 c, d SP gemäß §§
77 Abs. 4 Satz 1, 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG zwar die Rechtsnatur einer
Rechtsnorm hat, gleichwohl aber nicht wie typischerweise Gesetze für eine
unbestimmte Anzahl von Fällen getroffen wurde, sondern für eine bei Abschluss
des SP feststehende Zahl individualisierbarer Personen, nämlich für lediglich zwei
Arbeitnehmer einschließlich des Klägers. Die Betriebsparteien konnten daher
konkret prüfen, ob die mit dem Kriterium "Vollendung des 60. Lebensjahres bei
Beendigung des Arbeitsverhältnisses" erfassten Arbeitnehmer entsprechend des
Differenzierungszwecks tatsächlich durch Rentenansprüche wirtschaftlich
abgesichert waren. Dies war auch der Fall. Der Kläger hat die Darstellung der
Beklagten nicht bestritten, dass Frau E ebenso wie er selbst nach dem Bezug von
Arbeitslosengeld übergangslos Altersrente in Anspruch nehmen konnte.
Das Ziel, eine wirtschaftliche Absicherung rentennaher Jahrgänge bei der
Abfindungsbemessung anspruchsbeschränkend zugunsten weniger gut
abgesicherter jüngerer Arbeitnehmer zu berücksichtigen, ist legitim im Sinne von
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG. Dies entspricht den gesetzlichen Vorgaben
für die Gestaltung von Sozialplänen in § 112 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 BetrVG sowie
der zwischenzeitlich in § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG zum Ausdruck gekommenen
Wertung des Gesetzgebers und der ganz überwiegenden Ansicht
.
Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass Sozialplanabfindungen vom
europarechtlichen Entgeltbegriff erfasst würden und dass aus diesem Grund das
arbeitsvertragliche Austauschverhältnis mit der Konsequenz zu berücksichtigen
sei, dass die Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses zwingend ein Kriterium
für die Berechnung des Sozialplananspruchs zu sein habe. Ersteres kann
unterstellt werden. Auch wenn Sozialplanabfindungen im Sinne des
Gemeinschaftsrechts als Entgelt zu behandeln sein sollten, gebietet der
europarechtliche Diskriminierungsschutz nicht die vom Kläger geforderte
Zwecksetzung der Belohnung von Betriebstreue. Entgelt muss nicht
notwendigerweise die Funktion der Belohnung geleisteter Arbeit und bewiesener
Betriebstreue haben. Zur Rechtfertigung von Differenzierungen bei der
Entgeltleistung erforderlich ist lediglich irgendein legitimes Ziel der Sozialpolitik des
Mitgliedsstaates
. Um welches Ziel es sich jeweils handelt, ergibt sich aus dem
jeweiligen nationalen Recht.
Der Zweck von Sozialplanleistungen ist im deutschen Betriebsverfassungsrecht
klar definiert. Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dienen sie dem Ausgleich oder
der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den betroffenen Arbeitnehmern
infolge einer Betriebsänderung entstehen. Der Umfang dieser Nachteile steht in
keinem zwingenden Zusammenhang mit der Dauer des Bestehens des
Arbeitsverhältnisses. Sozialplanleistungen haben eine künftige wirtschaftliche
Nachteile betreffende Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion und dienen nicht
der Entschädigung für den Verlust eines sozialen Besitzstandes oder einer
nachträglichen Vergütung für in der Vergangenheit geleistete Arbeit und gezeigte
Betriebstreue. Die Berücksichtigung der Unternehmenszugehörigkeit bei der
Berechnung von Sozialplanabfindungen ist typisierend nur insoweit gerechtfertigt,
wie mit einer ansteigenden Beschäftigungsdauer eine Verengung oder
Qualifikation und eine Minderung der Chancen der betroffenen Arbeitnehmer auf
dem Arbeitsmarkt verbunden ist
. Damit steht die Dauer der Beschäftigung
mit dem Umfang der wirtschaftlichen Nachteile aufgrund einer Betriebsänderung
nicht generell in Zusammenhang.
Dementsprechend dient es einer sinnvollen Sozialplangestaltung, eine mit dem
aufsteigenden Alter verbundene bessere wirtschaftliche Absicherung
anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Verfügen bestimmte Arbeitnehmer über
eine derartige Absicherung, benötigen sie Ausgleichsleistungen lediglich in
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eine derartige Absicherung, benötigen sie Ausgleichsleistungen lediglich in
geringerem Umfang als andere Arbeitnehmer. Diesen unterschiedlichen
Bedürfnissen differenzierend Rechnung zu tragen, ist ein legitimes Ziel, da
dadurch die regelmäßig begrenzten Sozialplanmittel nach der jeweiligen
Erforderlichkeit des Ausgleichs wirtschaftlicher Nachteile zweckgerecht verteilt
werden können.
Schließlich braucht nicht entschieden zu werden, ob die mit Art. 6 Abs. 1 der
Richtlinie 2000/78/EG den Mitgliedsstaaten eingeräumte Ausnahmeregelung vom
Verbot der Altersdiskriminierung gemäß der Ansicht des Klägers eine
Entscheidung des nationalen Gesetzgebers verlangt oder ob auch autonome
Regelungen der betrieblichen Sozialpartner als Rechtsgrundlage ausreichen
können . Für die
Sozialplangestaltung enthält das deutsche Recht mit den Regelungen von § 112
BetrVG, insbesondere mit § 112 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 BetrVG, hinreichende
Vorgaben des Gesetzgebers. Die konkrete Ausgestaltung dieser Vorgaben im
Einzelfall durch die Betriebspartner verbietet EG-Recht nicht
.
dd) Die Klausel von Ziffer 3 c, d SP ist im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie
2000/78/EG zur Erreichung ihres Zwecks angemessen und erforderlich. Dies gilt
insbesondere für das Differenzierungskriterium der Vollendung des 60.
Lebensjahres. Stichtagsregelungen und die mit ihnen verbundenen
Pauschalisierungen sind in Sozialplänen unvermeidlich und zulässig, soweit die
Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiert ist
. Frau E und der Kläger waren als einzige von der Klausel betroffene
Arbeitnehmer bereits aufgrund ihrer sozialrechtlichen Ansprüche relativ gut
abgesichert. Jüngeren Arbeitnehmern drohte dagegen im Fall längerer
Arbeitslosigkeit die Inanspruchnahme von Sozialhilfe und daher eine wesentlich
beträchtlichere wirtschaftliche Einbuße. Dies rechtfertigte eine
Abfindungsberechnungsformel, durch die die typischerweise von
Dauerarbeitslosigkeit besonders bedrohte Altersgruppe der Arbeitnehmer ab 50
tendenziell die höchsten Abfindungsbeträge erhielt. Dieses Ziel wurde mit der
gefundenen Regelung auch erreicht. Von den 16 Arbeitnehmern, denen höhere
Leistungen als dem Kläger und Frau E zustanden, gehörten nur fünf nicht zu dieser
Gruppe, nämlich Herr N, Herr O, Herr P, Herr Q und Herr J. Diese erhielten
abgesehen von Herrn N jeweils nur bis zu € 4.000 höhere Beträge als der Kläger.
Diese Differenzierungen beruhten mit Ausnahme von Herrn O auf deutlich
längeren Beschäftigungszeiten und Unterhaltspflichten gegenüber einem oder
zwei bzw. im Fall von Herrn N sogar gegenüber drei Kindern. Die Regelung von
Ziffer 3 SP war daher geeignet, die unterschiedlichen wirtschaftlichen Risiken der
einzelnen Arbeitnehmergruppen auf angemessene Weise zu mildern.
In diesem Zusammenhang sind die konkreten Arbeitsmarktchancen der einzelnen
Arbeitnehmer und deren vom Kläger im Schriftsatz vom 11. September 2007
angeführte weitere Beschäftigungskarriere nicht von Bedeutung. Die
Betriebspartner können und müssen dem Sozialplan eine notwendigerweise
pauschalierende Prognose zugrunde legen. Diese ist vorliegend nicht zu
beanstanden.
Zutreffend ist allerdings, dass die Regelung von Ziffer 3 c SP die Gefahr einer
besonderen Bevorzugung der Jahrgänge knapp vor der Vollendung des 60.
Lebensjahres auslöste, da diese durch das Kriterium des Alters in der Formel von
Ziffer 3 c SP unmittelbar und durch die Kriterien "Betriebszugehörigkeit" und –
unter Umständen – "Bruttomonatsentgelt" mittelbar begünstigt wurden.
Gleichwohl ist die Regelung bei Berücksichtigung der notwendigen Pauschalisierung
verhältnismäßig. Dabei ist entscheidend, dass die nächstältesten Arbeitnehmer
mit höherem Abfindungsanspruch als der Kläger, nämlich der am 22. November
1946 geborene Herr R (€ 47.818,98 Abfindung), der am 23. Oktober 1948
geborene Herr G (€ 47.278,19 Abfindung), der am 31. Juli 1949 geborene Herr H (€
43.995,04 Abfindung), der am 07. September 1949 geborene Herr S (€ 42.654,07
Abfindung) und der am 05. Dezember 1949 geborene Herr F (€ 49.928,70
Abfindung) nicht übergangslos oder allenfalls unter erheblich größeren
Renteneinbußen in vorgezogene Altersrente wechseln konnten.
Zudem waren alle fünf Arbeitnehmer mindestens zehn Jahre länger beschäftigt als
der Kläger. Ihnen drohten angesichts des längeren zu überbrückenden Zeitraums
deutlich größere wirtschaftliche Nachteile durch die Beendigung ihrer
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deutlich größere wirtschaftliche Nachteile durch die Beendigung ihrer
Arbeitsverhältnisse als dem Kläger, dessen Nachteile in erheblichem Umfang
bereits durch die gewährten Sozialplanleistungen ausgeglichen werden. Die
Gesamtleistung von € 28.400 deckte den Nettoeinkommensverlust des Klägers
während seiner Arbeitslosigkeit von Dezember 2005 bis Dezember 2007 in Höhe
von € 28.000 (25 Monate x € 1.120) vollständig ab. Zudem macht die Beklagte zu
Recht geltend, dass die ersparten Fahrtkosten von ca. € 165 pro Monat (25 km x
22 Arbeitstage x € 0,30 pro Kilometer) von dem Einkommensverlust abzusetzen
sind. Dem steht der Einwand des Klägers, er habe diese Kosten durch einen
Umzug einsparen können, nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger
tatsächlich im Fall des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses einen Umzug
durchgeführt hätte. Zudem hätte auch ein Umzug nicht unerhebliche Kosten
ausgelöst. Ist daher von durch die Arbeitslosigkeit ersparten Aufwendungen von
gut € 4.000 auszugehen, konnte der Kläger mit der Sozialplanabfindung auch die
Rentenkürzung von € 90 pro Monat für einen Zeitraum von gut vier Jahren
kompensieren. Hinzu kommt der Zinsvorteil durch die Auszahlung des
Gesamtbetrages im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung. Dafür, dass diese
Milderung der wirtschaftlichen Nachteile des Klägers diesen unverhältnismäßig
gegenüber den Arbeitnehmern benachteiligen, die eine höhere Abfindung
erhielten, ist nichts ersichtlich. Jedenfalls bestand für die Betriebsparteien kein
Anlass für eine derartige Prognose.
ee) Die Rüge des Klägers, dass die Regelung von Ziffer 3 d SP eine systemwidrige
Abweichung von der mit Ziffer 3 c SP nach Auffassung des Klägers angestrebten
"Belohnung" von Betriebstreue und Alter enthalte, trifft nicht zu. Diese Ziele waren
erkennbar gerade nicht Zweck der Regelung. In § 2 IA und in Ziffer 1 SP wurde
vielmehr klargestellt, dass die Sozialplanleistungen dem gesetzlichen Zweck von §
112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dienen sollten, also der Milderung der wirtschaftlichen
Nachteile durch die Betriebsänderung. Die Kriterien "Alter" und
"Beschäftigungsdauer" dienten daher nur der Bestimmung des mit ihnen in
Zusammenhang stehenden Ausgleichsbedarfs. Dies wird nicht zuletzt gerade
durch den Ausnahmetatbestand von Ziffer 3 d SP belegt, der – wie dargelegt –
gerade der relativ guten Absicherung des Klägers und von Frau E Rechnung trägt.
ff) Weiter ist die Zulässigkeit einer eine anderweitige wirtschaftliche Absicherung
berücksichtigenden Klausel wie der von Ziffer 3 d SP entgegen der Ansicht des
Klägers nicht von der Festlegung eines Abfindungsvolumens im Sozialplan
abhängig. Ob ein solches Volumen im Sozialplan ausdrücklich bezeichnet oder von
den Betriebspartnern den Sozialplanverhandlungen nur ausdrücklich oder
gedanklich zugrunde gelegt wird, ändert an dem Umstand nichts, dass durch
Anspruchskürzungen gegenüber besser abgesicherten Arbeitnehmern Mittel frei
werden, die dadurch für bedürftigere Arbeitnehmer vorgesehen werden können.
Eine derartige Kalkulation der zu erwartenden Sozialplankosten durch beide
Betriebsparteien liegt Sozialplänen regelmäßig zugrunde, auch wenn für diese
nicht ausdrücklich ein bestimmtes Budget festgelegt wurde.
Die von der Beklagten später im Rahmen von Vergleichen über den Sozialplan
hinaus erbrachten Abfindungsleistungen konnten schließlich von den
Betriebsparteien bei der Sozialplangestaltung nicht berücksichtigt werden und
spielen für die Sozialplanansprüche keine Rolle.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG zugelassen, da die
Auswirkungen des EG-rechtlich gebotenen Verbots der Altersdiskriminierung und
die der einschlägigen Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs auf die
Zulässigkeit von leistungsbeschränkenden Differenzierungen wegen des Alters in
Sozialplanklauseln wie der von Ziffer 3 c, d SP große Bedeutung für die Praxis
haben und höchstrichterlich bisher nicht geklärt sind.
Zu der von der Kammer angeregten einvernehmlichen Aussetzung des
vorliegenden Rechtsstreits bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens –
–, in dem es um einen vergleichbaren Sachverhalt geht, war die Beklagte
nicht bereit.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.