Urteil des LAG Hessen vom 27.11.2006

LAG Frankfurt: verschlechterung des gesundheitszustandes, leistungsfähigkeit, minderung, unmöglichkeit, durchschnitt, rechtfertigung, manager, empfehlung, orthopädie, arbeitsbedingungen

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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
18. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
18/16 Sa 340/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 2 S 1 KSchG, § 618
Abs 1 BGB, § 615 S 1 BGB, §
293 BGB, § 296 BGB
(Keine personenbedingte Kündigung bei tatsächlicher
Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung trotz ärztlich
vorausgesagter Gefährdung des Gesundheitszustandes)
Leitsatz
Keine Unmöglichkeit der Leistungserbringung bei Vorliegen lediglich der Gefahr der
Verschlechterung des Gesundheitszustandes bei tatsächlicher Erbringung der
geschuldeten Arbeitsleistung.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am
Main vom 01. Dezember 2005 – Az.: 11/15 Ca 3717/05 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen um eine ordentliche personenbedingte
Kündigung sowie um Arbeitsvergütung.
Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Paketunternehmen. Sie beschäftigt in
deren Niederlassung in A ca. 1000 Arbeitnehmer.
Der Kläger wurde mit dem Fahren, Schieben, Be- und Entladen von mit Paketen
beladenen Wagen beschäftigt. Die dort zu bewegenden Pakete sind in vielen Fällen
schwerer als 5 – 10 kg. Der Kläger legte der Beklagten eine ärztliche
Bescheinigung vom 03. September 2004 vor, wegen deren Inhalt auf Bl. 61 d.A.
verwiesen wird.
Mit Schreiben vom 18. November 2004 (Bl. 75 d.A.) beschwerte sich der Kläger bei
dem Manager B und dem Betriebsrat darüber, dass der Partime-Supervisor C ihm
wiederholt gesagt habe, dass der er Pakete mit einem Gewicht von 40 kg tragen
solle. In der Zeit vom 03. bis 21. Januar 2005 war der Kläger wegen eines grippalen
Infekts arbeitsunfähig erkrankt. In der Zeit vom 08. bis 11. Februar 2005 war der
Kläger wegen einer bei der Arbeit erfolgten Quetschung des rechten Mittelfingers
arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger erschien am 22. Februar 2005, 16:30 Uhr, im
Betrieb der Beklagten zur Arbeit. Kurz nach seinem Erscheinen im Betrieb wurde
er 20:30 Uhr von einem Mitarbeiter der Beklagten nach Hause geschickt. Ebenso
erging es dem Kläger am 23. Februar 2005. Am 24./25. Februar 2005 wurde der
Kläger wegen der Operation an seinem Mittelfinger krankgeschrieben. Vom 01. bis
zum 04. und vom 14. bis 18. März 2005 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die
Beklagte lehnte die Arbeitsleistung des Klägers in der Zeit vom 07. bis 11. und
vom 29. bis 31. März 2005 ab. Nach Unterrichtung des Betriebsrats gemäß
Schreiben vom 23. März 2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem
Kläger mit Schreiben vom 05. April 2005 (Bl. 17 d.A.) zum 30. April 2005, hilfsweise
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Kläger mit Schreiben vom 05. April 2005 (Bl. 17 d.A.) zum 30. April 2005, hilfsweise
zum nächstmöglichen Termin. Die Kündigung ging dem Kläger am 07. April 2005
zu. Hiergegen erhob der Kläger am 27. April 2005 Kündigungsschutzklage, die der
Beklagten am 13. Mai 2005 zugestellt wurde.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, da
hierfür kein personenbedingter Grund bestehe. Die Beklagte schulde ihm die
Arbeitsvergütung für den 22. und 23. Februar 2005, restliche Vergütung für den
März 2005 sowie die Vergütung für April 2005, weil sie seine Arbeitsleistung zu
Unrecht abgelehnt habe. Die Beklagte habe ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen,
damit er sich bei anderen Arbeitgebern bewerben könne.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei aus krankheitsbedingten
Gründen gerechtfertigt. Sie hat behauptet, aus den erteilten ärztlichen
Bescheinigungen sei ersichtlich, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, die
geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Es liege eine dauerhafte Minderung der
Leistungsfähigkeit vor, da ein Ende nach ärztlicher Begutachtung nicht absehbar
sei. Sie – die Beklagte - habe versucht, den Kläger auch in der Unload-Abteilung
einzusetzen. Die Leistung des Klägers in der Unload-Abteilung für die Dauer von
täglich 1,5 Stunden habe auf 3,5 Stunden umgerechnet 400 Pakete pro Schicht
betragen. Der Durchschnitt liege bei 700 -1000 Paketen. Der Kläger habe sich
während der Arbeit ständig beschwert. Er habe dort seine Tätigkeit nur schlecht
erledigt und er sei häufig früher nach Hause geschickt worden. Es sei nicht
möglich, den Kläger auf einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen.
Wegen des Weiteren unstreitigen Sachverhalts und der Behauptungen der
Parteien im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird gemäß § 69
Abs. 2 ArbGG im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug
genommen.
Das Arbeitsgericht hat mit seinem am 01.12.2005 verkündeten, der Beklagten am
02. Februar 2006 zugestellten Urteil (Az.: 11/15 Ca 3717/05) der Klage im
Wesentlichen stattgegeben. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 184 – 191 d.A.) Bezug
genommen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die
Berufungsverhandlung am 27. November 2006 festgestellten und dort
ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.
Sie vertritt weiterhin die Ansicht, das erstinstanzliche Urteil sei fehlerhaft vom
Fehlen eines Kündigungsgrundes ausgegangen. Sie wiederholt und vertieft ihr
erstinstanzliches Vorbringen und behauptet ergänzend, dass der Kläger auch in
der Smallsort-Abteilung auf Grund der dort erforderlichen wiederholten
Bückbewegungen und Überkopfarbeiten (bei ca. 20 Paketen) nicht eingesetzt
werden könne. Zudem seien auch dort Gewichte von über 10 kg zu bewegen.
Wegen des übrigen Vorbringens der Beklagten hinsichtlich der fehlenden
Einsatzmöglichkeit des Klägers in weiteren Bereichen des Betriebs wird auf deren
Schriftsatz vom 02. Mai 2006 (Bl. 237 – 253 d.A.) verwiesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 01. Dezember 2005 –
Az.: 11/15 Ca 3717/05 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er wiederholt und vertieft sein
erstinstanzliches Vorbringen. Auf dessen Schriftsatz vom 09. Juni 2006 (Bl. 277 –
281 d.A.) wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 Abs. 1 ZPO statthafte und nach § 64 Abs. 2
Ziffer 2 c) ArbGG im Hinblick auf die Kündigungsschutzklage ohne Rücksicht auf
den Wert des Beschwerdegegenstandes und im Übrigen gemäß § 64 Abs. 2 Ziffer
2 b) ArbGG zulässige Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt
sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG,
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sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG,
519, 520 Abs. 3 ZPO).
Die Berufung ist unbegründet.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten
mit Schreiben vom 05. April 2005 nicht aufgelöst worden.Die Kündigung ist
rechtsunwirksam, weil sie nicht durch Gründe bedingt ist, die in der Person des
Klägers liegen (§ 1 Abs. 2 KSchG).
Der Kläger genießt auf Grund der Dauer seiner Zugehörigkeit zum Betrieb der
Beklagten und der Zahl der bei dieser beschäftigten Arbeitnehmer
Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz
2 KSchG). Er hat die nach diesem Gesetz vorgeschriebene Feststellungsklage
nach § 4 Satz 1 KSchG form- und fristgerecht erhoben.
Die Beklagte beruft sich zur Rechtfertigung ihrer Kündigung darauf, dass der Kläger
auf Grund einer Krankheit auf Dauer nicht mehr in der Lage sei, seine
arbeitsvertraglichen Leistungspflichten zu erfüllen; es liege eine dauerhafte
Minderung der Leistungsfähigkeit des Klägers vor.
Aus dem Beklagtenvorbringen sind deshalb zwei Fallgruppen für eine
personenbedingte Kündigung ersichtlich. Einerseits eine behauptete dauernde
Leistungsunfähigkeit und andererseits eine behauptete dauerhafte
Leistungsminderung.
Eine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit liegt nicht vor.
Zutreffend ist, dass eine Kündigung sozial gerechtfertigt sein kann, wenn der
Arbeitnehmer die geschuldete Leistung auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr
erbringen kann (vgl. BAG Urteile vom 29.04.1999 – 2 AZR 431/98, vom 29.10.1998
– 2 AZR 666/97 und vom 29.01.1997 - 2 AZR 9/96).
Wie das Arbeitsgericht richtig festgestellt hat, muss zwar davon ausgegangen
werden, dass der auf Grund mehrerer ärztlicher Befunde festgestellten
Wirbelsäulenerkrankung des Klägers eine negative Prognose anhaftet. Das ergibt
sich schlüssig sowohl aus der ärztlichen Bescheinigung des Arztes für Orthopädie
D vom 03. September 2004 als auch aus den Feststellungen der
arbeitsmedizinischen Untersuchung vom 14. März 2005. Beide Untersuchungen
kommen zu dem Ergebnis, dass auf Grund der Wirbelsäulenerkrankung das
Arbeiten mit Lasten bestimmter Gewichte und auch das Arbeiten unter
Zwangshaltungen vermieden werden sollte. Der Arzt für Orthopädie D kommt
weiterhin zu der Schlussfolgerung, dass die Einhaltung der ärztlich empfohlenen
Verhaltensregeln dazu dienen soll, eine Verbesserung der
Beschwerdesymptomatik zu erreichen und eine Verschlechterung des
Krankheitsbildes zu vermeiden.
Da der Kläger im Betrieb der Beklagten bisher mit schwereren Paketgewichten
gearbeitet und die Beklagte auch behauptet hat, dass der Kläger die Arbeiten
unter Zwangshaltungen erbringen muss, kann zugunsten der Beklagten davon
ausgegangen werden, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers unter
Beibehaltung der bisherigen Arbeitsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit
verschlechtern wird.
Diese negative Gesundheitsprognose führt jedoch nicht zu der Annahme, dass der
Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht mehr in der Lage war, auf
Dauer seine arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungspflichten zu erfüllen.
Aus der ärztlichen Bescheinigung des Arztes für Orthopädie D vom 03. September
2004 folgt nicht, dass der Kläger die bisherigen Arbeiten mit schwereren Gewichten
und unter Zwangshaltungen nicht mehr ausführen kann. Der Arzt bescheinigt dem
Kläger lediglich, dass diese Arbeiten zeitlich begrenzt vermieden werden sollten,
um eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu vermeiden. Die
arbeitsmedizinische Untersuchung vom 14. März 2005 kommt ebenfalls nur zu
dem Ergebnis, dass keine gesundheitlichen Bedenken für den Fall bestehen, dass
das Heben, Tragen und Absetzen von Lasten „von häufiger 5-10kg/selten bis 15
kg“ nicht überschritten werden sollte und keine andauernden Arbeiten in
Zwangshaltung vorliegen.
Die Wortwahl der ärztlichen Bescheinigung sowie der arbeitsmedizinischen
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Die Wortwahl der ärztlichen Bescheinigung sowie der arbeitsmedizinischen
Stellungnahme ergibt, dass der Kläger den darin enthaltenen ärztlichen Rat zwar
befolgen sollte, er jedoch unverändert weiter arbeiten kann. Aus der ärztlichen
Empfehlung, die Arbeitsbedingungen zu ändern, kann weder auf eine
Unmöglichkeit der Weiterarbeit zu den bisherigen Bedingungen noch darauf
geschlossen werden, dass sich der Gesundheitszustand in absehbarer Zeit ganz
erheblich oder wesentlich verschlechtern wird.
Es liegt auf Grund des nur empfehlenden Charakters der ärztlichen
Bescheinigungen und Stellungnahmen im Verantwortungsbereich des Klägers, für
die Erhaltung seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit Vorsorge zu treffen oder
eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes in Kauf zu nehmen (vgl.
grundsätzlich zum Verantwortungsbereich: BAG Urteil vom 17.02.1998 - 9 AZR
130/97). Eine entsprechende ärztliche Empfehlung kann zwar den Arbeitgeber
verpflichten, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers zu
prüfen und ihn auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen oder zu
versetzen (vgl. BAG Urteil vom 29. 01. 1997 – a.a.O.). Ist ihm das aber nicht
möglich, hat es damit sein Bewenden, wenn sich der Arbeitnehmer für die Arbeit
auf dem belasteten Arbeitsplatz entscheidet (vgl. BAG Urteil vom 17.02.1998 –
a.a.O.).
Es kann für den Kündigungsrechtsstreit dahinstehen, ob die Beklagte im Rahmen
der in ihrem Betrieb bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten verpflichtet ist,
dem Kläger andere, leidensgerechte Arbeiten zuzuweisen oder ob – wie die
Beklagte behauptet - solche Möglichkeiten nicht bestehen; denn der Kläger hat die
Leistung der ihm bisher zugewiesenen Arbeiten nicht verweigert. Er hat sich mit
seinem Schreiben vom 18. November 2004 (Bl. 75 d.A.) lediglich bei dem B-
Manager und dem Betriebsrat darüber beschwert, dass der Partime-Supervisor
ihm wiederholt gesagt habe, der Kläger müsse Pakete mit einem Gewicht von 36
kg alleine tragen. Auch hat der Kläger in seinem Schreiben vom 13. März 2005 (Bl.
18 d.A.) den B-Manager lediglich gebeten, ihm wegen der gesundheitlichen
Probleme körperlich leichtere Tätigkeiten zuzuweisen und seine Hoffnung zum
Ausdruck gebracht, dass es im gegenseitigen Einvernehmen zu einer guten
Lösung kommen werde. Soweit die Beklagte behauptet, der Kläger habe sich im
Übrigen auch während der Arbeitszeit in der Unload-Abteilung über zu schwere
Pakete beschwert, ist auch hierin keine Verweigerung der Arbeit zu sehen.
Eine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit ergibt sich auch nicht aus
dem Vortrag der Beklagten im Zusammenhang mit dem vorübergehenden
Einsatz des Klägers in der Unload-Abteilung. Die Beklagte behauptet, während der
in dieser Zeit auszuübenden Tätigkeit des Klägers von 1,5 Stunden am Tag habe
dieser häufig früher nach Hause geschickt werden müssen, so dass sich sein
Einsatz in der Midnight-Schicht als nahezu unmöglich herausgestellt habe. Zwar
stellt die Beklagte dies in ihrem Schriftsatz vom 31. Oktober 2005 im
Zusammenhang mit einem ständigen Beschweren durch den Kläger und einer
schlechten Aufgabenerledigung dar.
Das Beklagtenvorbringen enthält jedoch einerseits keine Aussagen darüber, wie
oft und wie lange der Kläger vor dem Arbeitsende „nach Hause geschickt“ wurde,
so dass die Berufungskammer keine Beurteilung des Grades der Auswirkungen auf
den Betriebsablauf treffen kann; andererseits stellt der beschriebene
vorübergehende Einsatz in der Unload-Abteilung nur einen geringen Teil der
Arbeitszeit des Klägers dar, der bei der vertraglich vereinbarten 38-Stunden-
Woche als Vollzeitmitarbeiter seine Arbeitsleistungen zu erbringen hat.
Die von der Beklagten behaupteten Auswirkungen der Erkrankung des Klägers
betreffen nicht die arbeitsvertraglichen Leistungspflichten im Ganzen oder im
Wesentlichen, so dass eine Unmöglichkeit der Leistungserbringung hiermit nicht
begründet werden kann.
Zwar beruft sich die Beklagte zur Rechtfertigung der Kündigung auch auf eine
krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit des Klägers. Auch kann die
krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit einen in der Person des
Arbeitnehmers liegenden Grund zur sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen
Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG abgeben, wenn sie zu einer
erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führt (BAG Urteil vom
26.09.1991 – 2 AZR 132/91). Bei der krankheitsbedingten Minderleistung liegt die
Leistungsstörung bereits darin, dass der Arbeitnehmer keine dem Vertragsinhalt
qualitativ und quantitativ entsprechende Arbeitsleistung erbringt.
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Danach ist zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen
Gesundheitszustands erforderlich. Weiterhin müssen die bisherigen und nach der
Prognose zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des
Arbeitnehmers zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
führen. In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung, ist zu prüfen, ob die
erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr
hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen.
Die ärztlich festgestellte Wirbelsäulenerkrankung hat zwar dazu geführt, dass eine
Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist, wenn der Kläger im
Rahmen seiner üblichen Arbeitsleitung häufig schwerere Gewichte über 5 bis 10 kg,
selten über 15 kg bewegt und unter Zwangshaltungen Tätigkeiten erledigen muss.
Auf Grund der bisherigen Tätigkeit des Klägers ist auch zukünftig zu erwarten, dass
er entsprechende Tätigkeiten ausüben muss. Es fehlt jedoch bereits an
erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen.
Da sich der Kläger bisher nicht geweigert hat, diese Tätigkeiten auszuführen, ist es
alleine auf Grund der ärztlichen Empfehlungen zu keinen betrieblichen
Beeinträchtigungen gekommen.
Dem steht das Beklagtenvorbringen im Zusammenhang mit der Tätigkeit des
Klägers in der Unload-Abteilung nicht entgegen. Da die Beeinträchtigung der
betrieblichen Interessen erheblich sein muss, genügt hierfür nicht jede
geringfügige Minderleistung (BAG Urteil vom 26.09.1991, a.a.O.).Um feststellen zu
können, ob die von einem Arbeitnehmer erbrachte Durchschnittsleistung eine
nicht mehr nur geringfügige Minderleistung darstellt, muss die arbeitsvertraglich
geschuldete Normalleistung bemessen werden. Das BAG hat in dem bereits
aufgeführten Urteil vom 26.09.1991 die Bewertung einer Minderleistung von einem
Drittel als eine erhebliche Beeinträchtigung des Leistungsgleichgewichts nicht
beanstandet.
Hinsichtlich des vorübergehenden Einsatzes in der Unload-Abteilung behauptet die
Beklagte, die Leistung des Klägers habe hier auf 3,5 Stunden umgerechnet
lediglich 400 Pakete betragen, während der Durchschnitt bei 700 bis 1000 Paketen
liege. Die aufgeführte Darstellung des Leistungsvermögens reicht zur Feststellung
eines Leistungsungleichgewichts nicht aus.Die Bemessung des
Leistungsungleichgewichts muss sich auf die gesamte Tätigkeit des Klägers
beziehen, weil die geschuldete Normalleistung ebenfalls auf die insgesamt
geschuldete Arbeitsleitung bezogen ist. Bezogen auf die Gesamtarbeitsleistung
von 38 Stunden in der Woche beträgt die von der Beklagten behauptete
Minderleistung in der Unload-Abteilung bei einem Einsatz von 1,5 Stunden täglich
ca. 11,4 % der Gesamtleistung (bei einem angenommenen unteren Durchschnitt
von 700 Paketen). Diese Minderleistung stellt bereits keine erhebliche
Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen der Beklagten
dar.
Wie die Beklagte vorträgt, wurde der Kläger nur versuchsweise in der Unload-
Abteilung eingesetzt. Er war ansonsten in anderen Bereichen eingesetzt und dort
mit dem Fahren, Schieben, Be- und Entladen von mit Paketen beladenen Wagen
beschäftigt. Über das Leistungsvermögen des Klägers in diesen Bereichen, die
sein bisheriges arbeitsvertragliches Leistungsverhalten mit 6 Stunden Arbeitszeit
täglich überwiegend betroffen haben, hat die Beklagte keine Tatsachen
vorgetragen, die Feststellungen über ein erhebliches Leistungsungleichgewicht
ermöglichen könnten.
Sonstige Umstände, die ein erhebliches Leistungsungleichgewicht begründen
könnten, liegen nicht vor. Krankheitsbedingte Fehlzeiten des Klägers lassen sich
auf die Wirbelsäulenerkrankung mit 10 Arbeitstagen im Oktober und November
2004 und mit 9 Arbeitstagen im März 2005 beziehen und sind nicht bedeutsam.
Die weiteren Fehlzeiten beruhen auf einem grippalen Infekt und einer Quetschung
des rechten Mittelfingers.
Wegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts über den Weiterbeschäftigungsantrag
und die Erteilung des Zwischenzeugnisses wird auf die zutreffenden Ausführungen
in dem erstinstanzlichen Urteil verwiesen.
Wegen des Vergütungsanspruchs für den 22. Februar 2005 hat die Beklagte auch
im Berufungsverfahren keine erhebliche Begründung für eine Erfüllung des
Zahlungsanspruchs dargelegt. Alleine aus der Eintragung einer „1“ in das
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Zahlungsanspruchs dargelegt. Alleine aus der Eintragung einer „1“ in das
Zeitkonto ergibt sich zwar die Feststellung, dass der Kläger an dem Tag gearbeitet
hat, jedoch nicht die Erfüllung des Anspruchs durch Auszahlung eines
Geldbetrages.
Wegen der vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche für den 23.
Februar, für 11 Arbeitstage im März 2005 sowie für den gesamten April 2005 steht
dem Kläger der geltend gemachte – zwischen den Parteien der Höhe nach
unstreitige - Vergütungsanspruch auf Grund Annahmeverzugs der Beklagten zu (§
615 Satz 1 BGB).Die Beklagte hat für die angegebenen Zeiträume die
Arbeitsleistung des Klägers abgelehnt. Sie ist damit in Annahmeverzug geraten,
ohne dass noch ein wörtliches Angebot des Klägers erforderlich war, da es Sache
des Arbeitgebers ist, durch Zuweisung von Arbeit die Wiederaufnahme der
geschuldeten Arbeitsleistung zu ermöglichen (vgl. BAG Urteil vom 24.11.1994 – 2
AZR 179/94).Zwar kommt nach § 297 BGB der Arbeitgeber als Gläubiger der
Arbeitsleistung nicht in Verzug, wenn der Arbeitnehmer als Schuldner zur Zeit des
Angebots oder im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers
bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Unmöglichkeit der
Leistung durch den Arbeitnehmer und Annahmeverzug schließen sich gegenseitig
aus (vgl. BAG Urteil vom 11.03.1999 – 2 AZR 538/98).Der Kläger war jedoch
objektiv nicht außerstande die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
Er war auch leistungswillig ohne Änderung der Einsatzbedingungen zu arbeiten.
Insoweit wird auf die oben aufgeführten Feststellungen in den
Entscheidungsgründen verwiesen.
Die Beklagte war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung des arbeitswilligen und
arbeitsfähigen Klägers abzulehnen und die Zahlung des Arbeitsentgelts
einzustellen, nur weil dieser eine ärztliche Empfehlung für einen schonenderen
Arbeitseinsatz vorgelegt hat.
Nach der in § 618 Abs. 1 BGB konkretisierten Fürsorgepflicht hat der Arbeitgeber
zwar die vorzunehmenden Dienstleistungen so zu regeln, dass der Arbeitnehmer
gegen arbeitsbedingte Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist,
als es die Dienstleistungen gestatten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass er
unter Arbeitsbedingungen beschäftigt wird, die ihn gesundheitlich nicht gefährden.
Unterlässt der Arbeitgeber gebotene Schutzmaßnahmen, ergibt sich hieraus ggf.
ein Recht des Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung nach § 273 BGB
zurückzuhalten (vgl. BAG Urteil vom 8. Mai 1996 - 5 AZR 315/95). Dieses Recht
wahrzunehmen, ist dem Arbeitnehmer, nicht aber dem Arbeitgeber, überlassen.
Jedenfalls berechtigt die ihm obliegende Fürsorgepflicht den Arbeitgeber nicht,
entgegen dem erklärten Willen des Arbeitnehmers dessen Beschäftigung auf
einem Arbeitsplatz zu verweigern, wenn der Arbeitgeber dies als für den
Arbeitnehmer gesundheitlich gefährdend ansieht (BAG Urteil vom 17.02.1998 - 9
AZR 130/97).Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Arbeitgeber erkennen
muss, dass der Arbeitnehmer mit der Beschäftigung geradezu eine erhebliche
Gefährdung seines körperlichen Zustandes herbeiführt. Ein solcher Sachverhalt
liegt aber nicht vor. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Der Zinsanspruch ist in dem erstinstanzlichen Urteil zutreffend zuerkannt worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlicher Grund (§ 72 Abs. 2
ArbGG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.