Urteil des LAG Hessen vom 25.05.2010
LAG Frankfurt: maler, verjährungsfrist, gemeinsame einrichtung, arbeitsgericht, einzug, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, quelle, werkstatt, effektivklausel
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Gericht:
Hessisches
Landesarbeitsgericht
12. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 Sa 1315/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 204 Abs 1 Nr 1 BGB, § 202
Abs 2 BGB, § 1 TVG
(Verjährung von Beitragsansprüchen der Maler- und
Lackierer Sozialkasse)
Orientierungssatz
§ 50 Nr. 8 RTV Maler- und Lackiererhandwerk ist auch nach der Schuldrechtreform zum
01.01.2002 weiterhin so auszulegen, dass die Beitragsansprüche der Sozialkasse nach
4 Jahren verjähren.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom
08.04.2009 – 6 Ca 1267/08 – teilweise abgeändert:
Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 25. Juli 2008 wird in
Höhe weiterer 6.324,45 € aufrecht erhalten.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um Beitragsverpflichtungen des
Beklagten zum Sozialkassenverfahren im Maler- und Lackiererhandwerk für den
Zeitraum Januar bis November 2003.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien und nach
dem allgemeinverbindlichen Verfahrenstarifvertrag im Maler- und
Lackiererhandwerk (VTV-Maler) vom 23.11.1992 in seiner jeweils gültigen Fassung
zum Einzug der Beiträge zu der Sozialkasse im Maler- und Lackiererhandwerk
verpflichtet. Der Kläger hat den Beklagten mit seiner am 8.05.2007 beim
Arbeitsgericht eingereichten und am 24.05.2007 zugestellten Klage auf Zahlung
von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte für die Jahre 2003 bis
2006 in Anspruch genommen.
Zur Verjährung von Beitragsansprüchen regelte § 50 Nr. 8 RTV-Maler: „Ansprüche
der Urlaubskasse gegen den Arbeitgeber verjähren gemäß § 197 BGB vier Jahre
nach Ablauf des Jahres, in dem sie fällig geworden sind.“
Das Arbeitsgericht hat den Beklagten am 25.07.2009 im Wege des
Versäumnisurteils zur Zahlung der zunächst eingeklagten Beiträge in Höhe von €
20.750,58 verurteilt. Der Beklagte hat dagegen rechtzeitig Einspruch eingelegt.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 27.02.2009 seine Klage in Höhe von € 159,48
teilweise zurückgenommen.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Betrieb des Beklagten habe während des
Klagezeitraums dem Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen
Verfahrenstarifvertrags unterlegen. Der Kläger hat behauptet, die im Betrieb des
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Verfahrenstarifvertrags unterlegen. Der Kläger hat behauptet, die im Betrieb des
Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer hätten in den Kalenderjahren 2003 bis
2006 arbeitszeitlich gesehen zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit, die
zusammengerechnet auch mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit
ausmache, typische Maler- und Lackiererarbeiten sowie Betonsanierungsarbeiten
durchgeführt. Auch die weiter ausgeführten Bodenbelags- und
Bodenbeschichtungsarbeiten unterfielen dem Geltungsbereich des Tarifvertrags.
Der Kläger hat beantragt,
das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 25.07.2009 in Höhe von
€ 20.591,10 aufrecht zu erhalten.
Der Beklagte hat beantragt,
das Versäumnisurteil vom 25.07.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Betrieb sei in den Jahren 2003 bis
2006 nicht dem Geltungsbereich des Maler- und Lackierertarifverträge unterworfen
gewesen. Er hat dazu behauptet, im Betrieb seien Tätigkeiten in den von ihm so
bezeichneten Bereichen Industrieboden, Malerarbeiten/Betonsanierung und
Werkstatt mit wechselnden arbeitszeitlichen Anteilen erbracht worden. Für die
entsprechenden Stundenaufstellungen wird auf seine Schriftsätze vom 29.01.2009
und vom 23.03.2009 Bezug genommen (Bl. 97 – 99, 115 – 117 d. A.). Gegenüber
den Beitragsansprüchen für das Jahr 2003 hat er die Einrede der Verjährung
erhoben.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 8.04.2009 das Versäumnisurteil
in Höhe von € 14.266,65 aufrecht erhalten, es in Höhe von € 6.324,45 aufgehoben
und die Klage insoweit abgewiesen. Bei dem abgewiesenen Teil handelt es sich um
die für den Zeitraum Januar bis November 2003 eingeklagten Beiträge. Das
Arbeitsgericht hat diese Forderung des Klägers als verjährt angesehen. Für die
Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen
Urteils Bezug genommen (Bl. 130 - 133 d.A.).
Der Kläger hat gegen das ihm am 3.07.2009 zugestellte arbeitsgerichtliche Urteil
am 27.07.2009 Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt und diese am
27.08.2009 begründet.
Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil, soweit es die Tarifunterworfen-
heit des Betriebs des Beklagten bejaht. Er wendet sich gegen das Urteil, soweit es
die Beitragsansprüche für Januar bis November 2003 als verjährt ansieht. Dazu
vertritt er die Auffassung, dass die vierjährige Verjährungsfrist des § 50 Nr. 8 RTV-
Maler auch nach der Schuldrechtsmodernisierung zum 1.1.2002 weiterhin Bestand
habe und nicht durch die neue regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren in § 195
BGB ersetzt worden sei. Dafür spreche, dass die Tarifvertragsparteien nicht
einfach nur generell auf die gesetzliche Regelung Bezug genommen haben,
sondern die Dauer der Verjährungsfrist ausdrücklich aufgeführt und für
verschiedene Ansprüche unterschiedliche Fristen, z. B. in § 50 Zif. 6 RTV-Maler
geregelt haben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 8.04.2009 – 6 Ca 1267/08 –
abzuändern und das Versäumnisurteil vom 25.07.2008 in Höhe von insgesamt
20.591,10 EUR aufrecht zu erhalten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt hinsichtlich der streitigen Frage der Verjährung der
Ansprüche für den Zeitraum Januar bis November 2003 das arbeitsgerichtliche
Urteil.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf
den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist
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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist
gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß
begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 1 u. 3 ZPO).
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Beklagte ist zur Zahlung der
eingeklagten Beiträge gemäß § 5 Nr. 1 des allgemeinverbindlichen
Verfahrenstarifvertrags für das Maler- und Lackiererhandwerk (VTV-Maler) für den
Zeitraum Januar bis November 2003 in Höhe von € 6.324,45 verpflichtet. Das
Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden war in Höhe dieses weiteren
Betrags aufrecht zu erhalten. Der VTV-Maler und der Rahmentarifvertrag Maler-
und Lackiererhandwerk (RTV-Maler) fanden kraft ihrer Allgemeinverbindlichkeit
während des Klagezeitraums auf den Betrieb des Beklagten Anwendung. Die
Ansprüche des Klägers für den genannten Zeitraum waren nicht bereits nach drei
Jahren verjährt.
Der Beklagte hat gemäß §§ 1 Nr. 2 VTV-Maler, 1 Nr. 2 Abs. 1 S. 1 RTV-Maler im
Jahre 2003 einen Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks geführt, in dem zum
überwiegenden Teil der Arbeitszeit aller gewerblichen Arbeitnehmer typische
Maler- und Lackiererarbeiten, Betonsanierungsarbeiten und Bodenbelags- und
Bodenbeschichtungsarbeiten ausgeführt wurden. Sämtliche Tätigkeiten gehören
zum Berufsbild des Malers und Lackierers. Der Beklagte hat die
Tarifunterworfenheit seines Betriebes in der Berufungsinstanz nicht mehr in Frage
gestellt.
Die Höhe der eingeklagten Beiträge für den streitigen Zeitraum ist zwischen den
Parteien unstreitig.
Die Beitragsansprüche für 2003 sind nicht verjährt. Es gilt auch nach der
Schuldrechtsreform zum 1.01.2002 weiter die in § 50 Zif. 8 RTV-Maler geregelte –
und seit 1.1.2009 in § 10 Nr. 2 VTV-Maler wortgleich weitergeführte – vierjährige
Verjährungsfrist. Die Ansprüche wären danach vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in
dem sie fällig geworden sind, mithin erst am 31.12.2007 verjährt. Die dem
Beklagten bereits am 24.05.2007 zugestellte Klage hat den Eintritt der Verjährung
gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfolgreich gehemmt. Das ergibt eine Auslegung
der Tarifvorschrift des § 50 Nr. 8 RTV-Maler.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den Regeln der Gesetzesauslegung.
Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der
Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften (BAG 16.06.2004 AP
TVG § 4 Effektivklausel Nr. 24). Die Auslegung ergibt, dass die
Tarifvertragsparteien nicht lediglich auf die (jeweilige) gesetzliche Regelung
verweisen, sondern eine Verjährungsfrist mit einer bestimmten Dauer regeln
wollten. Das ist an folgenden Umständen festzumachen:
1. Die Tarifvertragsparteien haben die Anzahl der Jahre (vier) in den Wortlaut der
Regelung mit aufgenommen, statt nur auf die gesetzliche Vorschrift des § 197
BGB a.F. zu verweisen.
2. Die Vorschrift geht über den Regelungsgehalt des § 197 BGB a. F. hinaus. Sie
regelt neben der Dauer der Verjährungsfrist ausdrücklich noch den Beginn der
Verjährungsfrist. Dazu enthielt § 197 a.F. BGB keine Regelung.
3. § 50 RTV-Maler enthält in seiner Nr. 6 eine weitere ausdrückliche Regelung zur
Verjährung von Ansprüchen, ohne eine gesetzliche Bestimmung überhaupt zu
erwähnen. Das spricht ebenfalls für einen insgesamt eigenständigen
Regelungswillen der Tarifvertragsparteien.
4. Die Tarifvertragsparteien haben bei späteren Änderungen des Tarifvertrages
nach dem 1.01.2002 (so geschehen am 20.05.2003, 6.02.2004, 6.02.2004, 6.04.
2005 und 9.09.2007) den Wortlaut der Bestimmung nicht verändert und den
geänderten gesetzlichen Bestimmungen angepasst. Sie haben vielmehr die
bisherige Regelung mit einer vierjährigen Verjährungsfrist fortgeschrieben. Das ist
das erste Mal am 20.05.2003 geschehen, zu einem Zeitpunkt also, in dem die
Ansprüche für das Jahr 2003 erst zu einem kleineren Teil fällig waren. Dass die
Tarifvertragsparteien erst mit der Transferierung der Verjährungsregelung in den
VTV-Maler (dort § 10 Nr. 2 VTV-Maler) die Änderung des Regelungsgehalts des §
197 BGB zur Kenntnis genommen haben, führt auch zu keinem anderen, dem
Beklagten günstigeren Ergebnis; denn dort ist seit 2002 eine dreißigjährige
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Beklagten günstigeren Ergebnis; denn dort ist seit 2002 eine dreißigjährige
Verjährungsfrist geregelt.
Diese Anhaltspunkte belegen zur Genüge, dass es den Tarifvertragsparteien
immer auf die in ihrem Wortlaut aufgenommene Regelung einer vierjährigen
Verjährungsfrist angekommen ist und sie nicht lediglich der jeweiligen gesetzlichen
Verjährungsfrist zur Anwendung verhelfen wollten.
Die tarifliche Verlängerung der Verjährungsfrist gegenüber der seit dem 1.01.2002
nach § 195 BGB geltenden dreijährigen Verjährungsfrist ist gemäß § 202 BGB
zulässig (BAG 28.05.2008 – 10 AZR 358/07 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr.
301; BAG 25.11.2009 – 10 AZR 737/08, juris)
Der Beklagte hat gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits
zu tragen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.