Urteil des LAG Düsseldorf vom 13.09.2001

LArbG Düsseldorf: krankengeld, arbeitsgericht, familie, arbeitsunfähigkeit, gratifikation, arbeitsrecht, tva, geschlecht, rechtsmittelbelehrung, zustellung

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 15 Sa 432/01
Datum:
13.09.2001
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 Sa 432/01
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Essen, 3 Ca 3703/00
Schlagworte:
Tarifliche Sonderzahlung Beschränkkung des Anspruchs auf volle
Monate mit Lohnbezug
Normen:
§§ 8,13 MTV für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft, § 45 SGB
V, § 616 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine tarifliche Sonderzahlung, die nur für volle Monate mit Bezügen zu
je 1/12 gewährt wird, ist rechtens, selbst wenn an einem vollen Monat
nur ein Arbeitstag fehlt, an dem der Arbeitgeber keine Bezüge zahlen
musste, und zwar auch dann, wenn es sich um einen Fall der
Inanspruchnahme von Krankengeld nach § 45 SGB V handelt.
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen
vom 25.01.2001 - 3 Ca 3703/00 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Höhe der für das Jahr 2000 an die Klägerin zu leistenden
tariflichen Sonderzahlung.
2
Die verheiratete Klägerin, Mutter eines (seinerzeit) dreijährigen Kindes, ist bei der
Beklagten seit ca. 14 Jahren beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet
der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft vom 03.06.1997
Anwendung.
3
Nach § 8 Ziff. 6 dieses Manteltarifvertrages haben Ausscheidende oder neu eingestellte
Beschäftigte sowie Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis ruht (Erziehungsurlaub,
Wehrdienst) sowie bei unbezahltem Sonderurlaub und Krankengeldbezug im
Kalenderjahr für jeden vollen Monat, in dem sie gearbeitet haben, Anspruch auf 1/12 der
Sonderzahlungen.
4
Am 07.02.2000 erkrankte das Kind der Klägerin. In Absprache mit der Beklagten nahm
5
sie für diesen Tag frei, um das Kind zuhause zu pflegen. Für diesen Tag erhielt die
Klägerin Krankengeld gem. § 45 SGB V. Aufgrund dieses Sachverhaltes kürzte die
Beklagte das der Klägerin nach § 8 Ziff. 5 des Manteltarifvertrages zustehende
Urlaubsgeld um 1/12 (= 280,50 DM brutto). Ebenso wurde das Weihnachtsgeld im
November 2000 um einen Betrag in Höhe von 354,-- DM brutto gekürzt.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass die Kürzung zu Unrecht erfolgt sei. Insoweit
hat sie sich auf einen Verstoß gegen die Grundsätze des Art. 6 GG sowie gegen den
Gleichheitssatz berufen.
6
Die Klägerin hat beantragt,
7
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 280,50 DM brutto zu zahlen nebst 9,26 %
Zinsen seit dem 02.10.2000,
8
2. festzustellen, dass im Falle der Betreuung eines erkrankten Kindes die
Beklagte nicht berechtigt ist, von der Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) einen
Abzug von 1/12 vorzunehmen.
9
Die Beklagte hat beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass § 8 MTV Sonderzahlungen vorsehe, die
Entgelt im eigentlichen Sinne darstellten. Ein Anspruch auf Vergütung für den
07.02.2000 habe die Klägerin gem. § 13 Abs. 1 S. 3 MTV nicht gehabt, sondern nur
einen solchen auf Krankengeld nach § 45 SGB V. Die Kürzung der Sonderzuwendung
für die Zeiten des Bezuges von Pflegekrankengeld sei daher konsequent und verstoße
auch nicht gegen Art. 6 GG. Auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes sei nicht
gegeben. Ein Arbeitnehmer, der Krankengeld beziehe, verliere den Anspruch auf 1/12
der Sonderzahlung, selbst wenn der Bezug von Krankengeld nur für einen Tag erfolge.
12
Mit Urteil vom 25.01.2001, auf das im Übrigen Bezug genommen wird, hat das
Arbeitsgericht Essen die Klage abgewiesen und dies unter anderem damit begründet,
dass bei Sonderzahlungen, die fest an die erbrachte Arbeitsleistung des Mitarbeiters im
Kalenderjahre anknüpfen, angemessene Kürzungen für den Fall von
Betriebsabwesenheit grundsätzlich zulässig seien, wobei der Kürzungsbetrag hier auch
nicht unangemessen hoch sei. Der besondere Schutz von Ehe und Familie werde hier
noch nicht eingeschränkt, da der soziale Mindestschutz durch die sozialrechtliche
Regelung in § 45 SGB V gewährleistet sei. Den Feststellungsantrag hat das Gericht
wegen fehlenden Feststellungsinteresses als unzulässig angesehen.
13
Das Urteil ist der Klägerin am 02.03.2001 zugestellt worden. Mit der am 02.04.2001
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen und am 26.04.2001 begründeten
Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass es sich bei den in § 8 Ziff. 6
MTV angesprochenen Abwesenheitstatbeständen in der Regel um längerfristige
Tatbestände handele, was auch im Falle des Krankengeldbezuges der Fall sei, welcher
erst dann eintrete, wenn der Lohnfortzahlungszeitraum abgelaufen sei. Die kurzfristige
Erkrankung eines Kindes und die damit verbundene Arbeitsverhinderung der Klägerin
sei ein Fall des § 616 BGB, der die Lohnfortzahlung bzw. Entgeltfortzahlung der
Beklagten auslösen würde, wäre diese Regelung nicht durch § 13 MTV ausgeschlossen
14
worden. Ohnehin wäre eine Kürzung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz § 4 a S. 2 bei
einer Vereinbarung über die Kürzung von Leistungen, die der Arbeitge- ber zusätzlich
zum laufenden Arbeitsentgelt erbringe, nur in Höhe eines Viertels des Arbeitsentgeltes,
das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, zulässig. Wegen der weiteren
Einzelheiten der klägerischen Argumente wird auf deren Schriftsatz vom 26.04.2001 (Bl.
36-41 d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
15
das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 25.01.2001 - 3 Ca 2703/00 - abzuändern
und
16
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 280,50 DM brutto nebst 9,26 %
Zinsen seit dem 02.10.2000 zu zahlen,
17
2. festzustellen, dass im Falle der Betreuung eines erkrankten Kindes die
Beklagte nicht berechtigt ist, von der Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) einen
Abzug von 1/12 vorzunehmen, hilfsweise,
18
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 354,-- DM brutto nebst 9,26 %
Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
19
Die Beklagte beantragt,
20
1. die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom
25.01.2001 - 3 Ca 3703/00 - zurückzuweisen,
21
2. der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
22
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist darauf, dass für eine
weitere Auslegung des § 8 Abs. 6 MTV über den reinen Wortlaut hinaus, welcher hier
eindeutig sei, keine Notwendigkeit bestehe. Soweit die Klägerin mit in der Regel
gegebenen längerfristigen Tatbeständen argumentiere, sei dies unzutreffend. Bereits
bei Wehrübungen ab vier Tagen sei der Arbeitgeber zur Kürzung der Sonderzahlung
berechtigt. In den Fällen unbezahlten Sonderurlaubs sei eine Kürzung der
Sonderzahlung gem. § 8 Abs. 6 MTV bereits dann zulässig, wenn nur für einen Tag
unbezahlter Sonderurlaub gewährt werde. Letzteres gelte auch, wenn die Zahlung von
Krankengeld nur für einen Tag erfolge.
23
Wegen der weiteren Ausführungen der Beklagten wird auf den Schriftsatz vom
22.05.2001 (Bl. 47-52 d.A.) Bezug genommen.
24
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
25
Die Berufung ist statthaft und zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat mit
zutreffenden Erwägungen, denen sich die Kammer anschließt, einen Anspruch der
Klägerin auf ungekürzte Zahlung der tariflichen Sonderleistung für das Jahr 2000
verneint und auch zu Recht den Feststellungsantrag zurückgewiesen. Von einer
nochmaligen Darlegung der Rechtslage wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
26
Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
27
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. so z.B. Urteil v. 12.07.1995 -
10 AZR 511/94 - AP Nr. 182 zu § 611 BGB Gratifikation m.w.N.) können die
Tarifvertragsparteien, die Betriebspartner oder auch der Arbeitgeber bestimmen,
inwieweit Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder
anspruchsausschließend auf Sonderzahlungen auswirken können. Von diesem
Bestimmungsrecht haben die Tarifvertragsparteien im vorliegenden Fall in § 8 Ziff. 6
MTV Gebrauch gemacht. Soweit dort von "Krankengeldbezug" die Rede ist, ist damit
von seinem eindeutigen Wortlaut her auch der Krankengeldbezug im Sinne von § 45
SGB V angesprochen. Dabei kann hier auch nicht angenommen werden, dass die
Tarifvertragsparteien ausschließlich einen Krankengeldbezug wegen Arbeitsunfähigkeit
des Arbeitnehmers gemeint haben können, weil der Fall des § 45 SGB V gänzlich
außerhalb ihrer Betrachtung gelegen hätte. Das Gegenteil ergibt sich aus § 13 Ziff. 1 2.
Abs. MTV, in dem dieser Fall ausdrücklich und zulässigerweise (vgl. dazu Dörner,
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 616 BGB Rnr. 19 m.w.N.) dahingehend geregelt
worden ist, dass für die Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder § 45 SGB V mit der
Maßgabe gilt, dass § 616 BGB dabei nicht zur Anwendung kommt. Im Übrigen handelt
es sich bei der Bestimmung des § 8 Ziff. 6 MTV um eine solche, die ganz generell an
das Fehlen eines Anspruchs auf Bezüge im bestehenden Arbeitsverhältnis als
Voraussetzung für eine "Kürzung" der Sonderzahlungen anknüpft, mag sie in ihrer
Formulierung auch etwas missglückt sein. Wenn aber, wie hier anzunehmen, das
Fehlen von Ansprüchen auf Bezüge (Lohn- oder Lohnersatzleistungen) gegenüber dem
Arbeitgeber maßgeblich sein soll, ist nicht einzusehen, wieso dies für den
Krankengeldbezug nach § 45 SGB V und den zulässigerweise abbedungenen § 616
BGB nicht gelten sollte.
28
Da der Tatbestand des Fehlens von Bezügen im bestehenden Arbeitsverhältnis Männer
ebenso erfüllen können wie Frauen, z.B. während der Einberufung zum Wehr- und
Ersatzdienst oder während eines unbezahlten Sonderurlaubes oder aber auch bei
Inanspruchnahme von Krankengeld nach § 45 SGB V durch den Mann und insofern
schon nicht feststellbar ist, welches Geschlecht von der Regelung überwiegend
nachteilig betroffen ist, kann im Hinblick auf die Bestimmung des § 8 Ziff. 6 MTV auch
nicht von einer mittelbaren Frauendiskriminierung, wie sie erstmals im Termin vom
13.09.2001 angesprochen wurde, nicht die Rede sein (vgl. auch BAG, Urteil v.
14.12.1995 - 6 AZR 297/95 - AP Nr. 1 zu § 11 TVA Arb Bundespost). Auch sonst
verstößt diese Bestimmung, wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend dargelegt hat, nicht
gegen höherrangiges Recht (vgl. insoweit z.B. BVerfG, Beschluss v. 01.04.1998 - 2 BvR
1478/97 - AP Nr. 27 zu Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie).
29
Soweit die Klägerin über ihre Benachteiligung als Frau und Mutter hinausgehend
bemängelt hat, dass für einen einzigen Fehltag zur Betreuung eines erkrankten Kindes
jeweils 1/12 von den Sonderzahlungen in Abzug gebracht wird, ist auch dieser Nachteil
kein solcher, der andere Arbeitnehmer nicht genauso treffen könnte. Von den durch die
Beklagte bereits aufgezählten Fällen abgesehen, ist jeder Arbeitnehmer, dem es nur an
einem einzigen Tag (ohne Bezüge) bei ansonsten voll bezahltem Monat fehlt, durch das
pauschale Abstellen auf volle Monate ohne weitergehende Differenzierung nach
kleineren Zeitabschnitten "benachteiligt". Diese Pauschalierung trifft so z.B. auch
denjenigen, der einen Krankengeldbezug von 31 Kalendertagen aufzuweisen hat, so
dass ihm im Monat seiner Wiedergenesung insofern ein Tag an einem "vollen Monat"
fehlt. Entsprechendes gilt, wenn die Beschäftigungszeit eines neu eintretenden oder
ausscheidenden Arbeitnehmers zeitlich so unglücklich bemessen ist, dass es bei der
30
Gesamtaddition für einen weiteren vollen Monat gerade noch an einem einzigen Tag
fehlt. Letzteres mag für den Betroffenen zwar misslich sein. Gleichwohl lässt sich
entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 8 Ziff. 6 MTV diese Bestimmung nicht
dahingehend auslegen, dass grundsätzlich oder zumindest in den Fällen des § 45 SGB
V das Nichterreichen eines vollen Monats ausnahmsweise unschädlich sei (vgl. zur
Auslegung eindeutiger Stichtagsregelungen: BAG, Urteil vom 04.03.1999 - 10 AZR
417/98 - AP Nr. 214 zu § 611 BGB Gratifikation).
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 4 a EntgeltfortzahlungsG berufen, da
es sich bei dem hier in Rede stehenden Anspruchsausschluss wegen
Krankengeldbezuges nach § 45 SGB V und dem damit einhergehenden Fehlen von
Bezügen nicht um den in § 4 a EFG geregelten Fall einer Kürzung von Leistungen für
Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit handelt, von der Frage der
Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlungen
einmal ganz abgesehen (vgl. dazu BAG, Urteil vom 21.03.2001 - 10 AZR 28/00 - NZA
2001 S. 785 f.).
31
Nach alledem konnte der Berufung ( einschließlich des zu Ziffer. 3 gestellten
Hilfsantrages ) kein Erfolg beschieden sein.
32
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
33
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
34
Rechtsmittelbelehrung:
35
Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin
36
REVISION
37
eingelegt werden.
38
Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
39
Die Revision muss
40
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
41
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
42
Bundesarbeitsgericht,
43
Hugo-Preuß-Platz 1,
44
99113 Erfurt
45
eingelegt werden.
46
Die Revision ist gleichzeitig oder
47
innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
48
schriftlich zu begründen.
49
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
50
gez.: Dr. Stoltenberg gez.: Jochem gez.: Eckwert
51