Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 01.02.2011
LArbG Baden-Württemberg: diskriminierung, beweiserleichterung, behinderung, beweislast, stellenausschreibung, arbeitsrecht, ingenieur, eugh, rasse, vorstellungsgespräch
LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 1.2.2011, 22 Sa 67/10
Entschädigung - Benachteiligung wegen Behinderung - Beweislast für Vorliegen einer Benachteiligung
Leitsätze
Die Beweiserleichterung des § 22 AGG erstreckt sich zumindest dann auch auf die Benachteiligung selbst, wenn die Benachteiligung im Vergleich
zu einer hypothetischen Vergleichsperson in Frage steht. Dass daneben aktuelle Vergleichspersonen genauso behandelt wurden wie der
behinderte Bewerber, steht dem nicht generell entgegen.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 14.07.2010 (4 Ca 89/10) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch wegen behaupteter Diskriminierung in einem Stellenbesetzungsverfahren.
2
Der ... Kläger ist Diplom-Ingenieur (FH) Fachrichtung Elektrotechnik. Nach Abschluss seines Studiums im September ... arbeitete er von ... bis ... in
vier Unternehmen als Entwicklungs- bzw. Testingenieur (vgl. Lebenslauf AS I/22 f). Seit ... ist der Kläger arbeitslos. Es ist eine Behinderung des
Klägers mit einem Grad von 80 anerkannt.
3
Die Beklagte ist ein mittelständisches Messtechnikunternehmen mit knapp 150 Mitarbeitern. Sie beschäftigte im Jahr 2009 fünf schwerbehinderte
Arbeitnehmer. Es bestanden weder ein Betriebsrat noch eine Schwerbehindertenvertretung.
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Im August 2009 war auf der Homepage der Beklagten die Stelle eines Diplomingenieurs (FH/BA) oder Technikers (w/m) in der
Entwicklungsabteilung, Schwerpunkt Messtechnik ausgeschrieben (AS I/15). Die Stellenausschreibung konnte - zumindest - auch vom 30.10. bis
14.11.2009 auf der Homepage der Beklagten abgerufen werden (AS I/27-29). Entgegen § 81 Abs. 1 SGB IX nahm die Beklagte keine Verbindung
mit der Agentur für Arbeit auf, um zu prüfen, ob die Ingenieur-/Technikerstelle mit einem arbeitslosen oder arbeitssuchenden schwerbehinderten
Menschen besetzt werden kann. Auf die Stelle meldeten sich - außer dem Kläger - sechs Bewerber, von denen vier die Anforderungen der
Beklagten nicht erfüllten. Diese sechs Bewerber waren nicht schwerbehindert.
5
Am 09.05.2009 hatte die Beklagte die Stelle eines Teamleiters (m/w) Forschung und Entwicklung inseriert (AS II/51). Unter dem 14.11.2009
suchte die Beklagte per Zeitungsannonce einen Diplomingenieur (FH/BA) oder Techniker (w/m) in der Entwicklungsabteilung, Schwerpunkt
Messtechnik (AS I/30). Der in Aussicht gestellte Aufgabenbereich und das gewünschte Profil der Ingenieur-/Technikerstellen war im Vergleich zur
Ausschreibung auf der Homepage von August 2009 im Wesentlichen unverändert.
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Bis Sommer 2009 hatte sich der Kläger vier Mal auf Arbeitsplätze der Beklagten beworben; im Jahr 2005 hatte er an einem Vorstellungsgespräch
bei der Beklagten teilgenommen. Ende August 2009 bewarb sich der Kläger auf die Stellenausschreibung „Dipl. Ing (FH/BA) oder Techniker“ auf
der Homepage der Beklagten (Anschreiben vom 24.08.2009 AS I/24, E-Mail vom 28.08.2009, AS I/25 f). Der Kläger wies in der Bewerbung auf
seine Schwerbehinderung hin. Er erfüllte die in der Stellenausschreibung genannten Anforderungen.
7
Mit E-Mail vom 28.08.2009 bat die Personalleiterin der Beklagten Frau W. den Kläger um Geduld, da die Beurteilung der Unterlagen einige Zeit
dauern könne (AS I/25). Am 08.10.2009 sagte sie dem Kläger ab mit der Begründung: „Aufgrund der wirtschaftlichen Situation haben wir
kurzfristig beschlossen, keine weiteren Mitarbeiter einzustellen.“ (AS I/26).
8
Am 07.12.2009 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche geltend wegen seiner Vermutung,
dass seine Schwerbehinderung der Grund für die Nichteinstellung gewesen sei. Der Kläger bat um Mitteilung, weshalb seine Bewerbung nicht
berücksichtigt wurde (AS I/31 f). Die Beklagte teilte darauf unter dem 11.12.2009 mit, sie habe die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle vom
09.05.2009 aufgrund der wirtschaftlichen Situation zurückgezogen. Sie habe keinen Bewerber berücksichtigt und weder zu
Vorstellungsgesprächen eingeladen noch die Stelle besetzt. Die neue Stellenausschreibung vom 14.11.2009 habe nichts mit dem früheren
Stellenangebot zu tun (AS I/33). Auf Nachfrage des Klägers erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 01.02.2010 (AS I/36), dass die
Stellenausschreibung für die Teamleitung Forschung und Entwicklung des Geschäftsbereichs ... in KW 40 zurückgezogen und in KW 46 eine
neue Stelle für eine/n Mitarbeiter/in der Entwicklungsabteilung mit anderem Anforderungsprofil und anderer Aufgabenbeschreibung
ausgeschrieben worden sei. Ende August 2009 sei lediglich die Stelle des Teamleiters für ... offen gewesen und weitere Stellenangebote weder
vorhanden noch veröffentlicht (Schreiben vom 25.02.2010, AS I/38).
9
Die Beklagte legte im vorliegenden Verfahren einen Bewerber-Beurteilungsbogen vor, der das Datum „28.08.2010“ und den Namen des Klägers
trägt. (AS I/72). Dort ist vermerkt: „lt. GL Bewerberstopp, alle Bewerber absagen.“
10 Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, die Beklagte habe von August bis Dezember 2009 durchgehend einen Diplom-Ingenieur (FH/BA) oder
Techniker gesucht. Dies ergebe sich aus dem Stellenangebot auf der Homepage und der Stellenannonce vom 14.11.2009. Die Begründung der
Absage vom 08.10.2009 sei deshalb unzutreffend. Selbst wenn den übrigen Bewerbern ebenfalls abgesagt worden sein sollte, mag dies auf
anderen Gründen beruht haben.
11 Der Kläger hat darauf hingewiesen, dass der Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens Entschädigungsansprüche nicht ausschließe.
Relevant sei der Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren, den die Beklagte verletzt habe. Der Kläger hat gemeint, dass die
Beklagte ihn wegen seiner Schwerbehinderung nicht eingeladen und damit aus dem weiteren Bewerbungsverfahren ausgeschlossen habe.
Aufgrund des Verstoßes gegen § 81 Abs. 1 SGB IX sei eine Diskriminierung zu vermuten. Die Beklagte habe den Beweis, dass die Absage nicht
einmal unter anderem durch die Behinderung des Klägers motiviert gewesen sei, nicht erbracht.
12 Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:
13
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung zu zahlen in Höhe von mindestens 8.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus
seit dem 08.10.2009 in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz.
14 Die Beklagte hat beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16 Die Beklagte hat behauptet, sie habe die Bewerbung des Klägers vom 24.08.2009 nicht berücksichtigen können, da sie im Hinblick auf die sehr
schlechte wirtschaftliche Situation zum Bewerbungszeitpunkt, einen Umsatzeinbruch von circa 50 % und die Befürchtung, dass
Liquiditätsengpässe durch Zahlungsschwierigkeiten von Großkunden eintreten würden, nach Schaltung der Stellenanzeige einen
Bewerberstopp beschlossen habe. Sie habe die geschaltete Stellenanzeige versehentlich nicht von der Homepage gelöscht. Im gesamten Jahr
2009 seien Bewerber für die Entwicklungsabteilung weder zu Vorstellungsgesprächen eingeladen noch eingestellt worden; es sei auch sonst
kein Ingenieur eingestellt worden. Die ausgeschriebene Stelle sei nach wie vor nicht besetzt; den übrigen - nicht schwerbehinderten - Bewerbern
sei ebenfalls abgesagt worden. Nachdem sich die Befürchtung von Liquiditätsengpässen Ende Oktober/ Anfang November 2009 aufgelöst
hatten, habe sie die Stellenanzeige vom 14.11.2009 geschaltet. Die Absage gegenüber dem Kläger beruhe ausschließlich auf wirtschaftlichen
Gründen.
17 Die Beklagte hat gemeint, es liege schon gar keine Benachteiligung vor. Sie habe den Kläger genauso behandelt wie die übrigen sechs
Bewerber auf die Stelle: Sie habe allen Bewerbern abgesagt, ohne sie zuvor zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben. Damit fehle es
bereits an Indizien für eine Benachteiligung.
18 Die vorliegende Klage wurde der Beklagten am Montag, den 08.03.2010 zugestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des
erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 14.07.2010 (AS I/103 ff) Bezug genommen.
19 Das Arbeitsgericht hat die Klage mit diesem Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei auch ohne konkrete Bezifferung
zulässig, weil der Betrag durch gerichtliche Schätzung bestimmt werde und der Kläger eine Größenordnung vorgegeben habe. Der Kläger habe
die Forderung rechtzeitig schriftlich und gerichtlich geltend gemacht. Obwohl § 15 Abs. 2 AGG auch für Diskriminierungen im
Bewerbungsverfahren gelte, stehe dem Kläger kein Entschädigungsanspruch zu. Es liege nämlich gar keine Benachteiligung vor. Die Beklagte
habe den Kläger nicht ungünstiger behandelt als die Mitbewerber. Dem Kläger komme die Beweiserleichterung des § 22 AGG nicht zugute, da
diese nicht das Vorliegen einer Benachteiligung betreffe, sondern nur deren Motiv. Der Kläger habe den ihm obliegenden Vollbeweis, dass er
benachteiligt wurde, nicht erbracht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen wird.
20 Das Urteil wurde dem Kläger am 28.07.2010 zugestellt. Er legte hiergegen am 27.08.2010 Berufung ein. Der Kläger begründete die Berufung am
27.10.2010, nachdem die Begründungsfrist am 28.09.2010 bis zum 27.10.2010 verlängert worden war.
21 Der Kläger meint in der Berufung, der Verstoß der Beklagten gegen § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX begründe die Vermutung einer Benachteiligung
wegen der Schwerbehinderung. Die Beklagte habe diese Vermutung nicht widerlegt. Sie habe nicht nachgewiesen, dass die Absage
ausschließlich auf einem auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführenden Bewerberstopp beruht habe. Der Kläger habe die Behauptung der
Beklagten, sie habe keinen Bewerber zum Gespräch geladen bzw. eingestellt, mit Nichtwissen bestreiten können. Eine Diskriminierung könne
auch dann vorliegen, wenn auch die anderen Bewerber weder eingeladen noch eingestellt wurden. Eine Benachteiligung könne nämlich nicht
nur im Vergleich zu einem tatsächlichen Bewerber festgestellt werden. Dass die Stelle auf der Homepage weiterhin ausgeschrieben gewesen
sei, sei ein weiteres Indiz dafür, dass es keinen Bewerberstopp gab, sondern der Kläger wegen seiner Behinderung diskriminiert wurde.
22 Der Kläger beantragt nunmehr:
23
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 14.07.2010 - 4 Ca 89/10 - wird abgeändert.
24
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung zu zahlen in Höhe von mindestens 8.000,00 EUR nebst Zinsen
hieraus seit dem 08.10.2009 in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz.
25 Die Beklagte beantragt,
26
die Berufung zurückzuweisen.
27 Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und meint, es liege unstreitig gar keine Benachteiligung vor. Der Kläger habe den ihm obliegenden
Beweis einer Benachteiligung nicht erbracht. Da der Kläger beweispflichtig sei, genüge ein Bestreiten mit Nichtwissen nicht. Mangels
Benachteiligung helfe dem Kläger die Indizwirkung des Verstoßes gegen § 81 Abs. 1 S. 1 AGG nicht weiter. Ohne Benachteiligung könne auch
keine Benachteiligung wegen einer Behinderung vorliegen.
28 Das Landesarbeitsgericht erhob Beweis durch die Vernehmung der Personalleiterin der Beklagten Frau W. als Zeugin. Wegen des Ergebnisses
der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 01.02.2011 verwiesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren
Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 01.02.2011 Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).
Entscheidungsgründe
A.
29 Die Berufung des Klägers ist statthaft, da der Wert seiner Beschwer 600,- EUR übersteigt, § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG. Die Berufung ist auch zulässig.
Sie wurde frist- und formgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO. Insbesondere setzt
sich die Berufung hinreichend mit den Gründen auseinander, aufgrund derer das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat.
B.
30 Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
31 Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, steht es der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen, dass der Kläger seinen Klageantrag nicht
beziffert hat. Die Klage auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG kann unbeziffert erhoben werden. Es genügt, dass der Kläger
die Tatsachen, die das Gericht für die Schätzung heranziehen soll, benannt und die Größenordnung seiner Forderung angegeben hat (vgl. BAG
22.10.2009 - 8 AZR 642/08 unter B I; 12.09.2006 - 9 AZR 807/05 unter A I).
II.
32 Der Kläger kann von der Beklagten keine Entschädigungszahlung gemäß § 15 Abs. 2 AGG verlangen.
33 Der Kläger hat seine Forderung binnen zwei Monaten nach Erhalt der Absage schriftlich geltend gemacht (§ 15 Abs. 4 AGG). Er hat auch die
Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt: Die Dreimonatsfrist begann mit der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs am 07.12.2009. Sie
lief gemäß § 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB erst am 08.03.2010 ab, da der 07.03.2010 ein Sonntag war. An diesem Tag
wurde die Klage der Beklagten zugestellt und erhoben (§ 253 Abs. 1 ZPO).
34 Damit ist materiell zu prüfen, ob dem Kläger ein Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG zusteht. Dies ist im Ergebnis zu verneinen.
Die Beklagte hat nicht gegen das Benachteiligungsverbot der §§ 7 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 1, 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG verstoßen.
35 Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet, da der Kläger sich bei der Beklagten für ein Beschäftigungsverhältnis beworben hat (§
6 Abs. 1 S. 2 AGG). Zwar liegen Indizien vor, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung des Klägers vermuten lassen (dazu 1.). Es
war daher eine Beweisaufnahme darüber durchzuführen, ob die Beklagte gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung verstoßen
hat. Die Beklagte konnte den Beweis erbringen, dass kein Verstoß vorlag (dazu 2.).
36 1. Die Beklagte war gemäß § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere
mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Sie hätte dazu
frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen müssen, § 81 Abs. 1 S. 2 SGB IX. Im Stellenbesetzungsverfahren um die Stelle, auf
die der Kläger sich Ende August 2009 bewarb, verstieß die Beklagte gegen diese Verpflichtung. Dieser Umstand ist geeignet, die Vermutung
einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung i.S. von § 81 Abs. 2 SGB IX, § 22 AGG zu begründen (vgl. BAG 12.09.2006 - 9 AZR 807/05
unter A II 2 b aa zum früheren § 81 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX). Denn der objektiv gesetzeswidrig handelnde Arbeitgeber erweckt den Anschein,
nicht nur an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein, sondern auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und
Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen. Auf ein Verschulden kommt es für den
anspruchsbegründenden Tatbestand nicht an.
37 Die Nichteinschaltung der Agentur für Arbeit ist ein Indiz, das die Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung vermuten lässt.
Gemäß § 22 AGG trägt die Beklagte deshalb die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung
vorgelegen hat.
38 Die Frage nach dem Umfang der Beweislastregelung des § 22 AGG ist in der Literatur streitig und in der Rechtsprechung noch nicht geklärt.
Nach Auffassung der Kammer erstreckt sich die Beweiserleichterung zumindest in Fällen wie dem vorliegenden sowohl auf die Benachteiligung
an sich als auch auf das Motiv der Benachteiligung:
39
a) Der Gesetzeswortlaut ist nicht eindeutig. § 22 AGG lautet: „Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine
Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein
Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.“ Dieser Wortlaut lässt zum einen die Auslegung zu,
dass die Beweiserleichterung sowohl für die Benachteiligung selbst als auch für den Benachteiligungsgrund gilt. Zum anderen ist die
Auslegung möglich, dass die Beweiserleichterung allein den Benachteiligungsgrund erfasst, während der Gläubiger den Vollbeweis für
die Benachteiligung an sich erbringen muss (vgl. Bertzbach in Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., § 22 Rn. 16; Peick , Darlegungs- und
Beweislast nach § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 127). Auch die Gesetzessystematik bringt keine Klärung.
40
Die überwiegende Ansicht in der Literatur geht davon aus, dass der Kläger nach den allgemeinen Grundsätzen zunächst den Beweis
führen muss, dass er gegenüber einer anderen Person ungünstig behandelt worden ist (vgl. nur Diller/Krieger/Arnold , NZA 2006, 887,
891; Grobys , NZA 2006, 898, 899 f; Annuß , BB 2006, 1629, 1635; Schlachter in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Aufl., § 22
AGG Rn. 3; Thüsing in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., § 22 AGG Rn. 6; Stein in Wendeling-Schröder/Stein, AGG, § 22 AGG
Rn. 13; Kremer in Hey, Kommentar zum AGG, § 22 Rn. 11 ff). Diese Auffassung kann sich auf die Begründung des Gesetzentwurfs
stützen (BT-Drucks. 15/4538, S. 45, der sich allerdings noch auf eine frühere Textfassung bezog; BT-Drucks. 16/2022, S. 13). Gegen
diese Auffassung sprechen jedoch sowohl europarechtliche Gründe (b) als auch Sinn und Zweck der Regelung (c).
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b) § 22 AGG setzt gemeinschaftsrechtliche Vorgaben um. Lässt der Wortlaut der Norm mehrere Auslegungen zu, von denen nur eine
den europarechtlichen Anforderungen genügt, ist dieser der Vorzug zu geben (EuGH 05.10.2004 - C-397/01 unter 111 ff, „Pfeiffer“).
42
Nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die
Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass immer dann, wenn
Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt halten und bei einem Gericht Tatsachen
glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt
zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Nach der Begründungserwägung Nr. 31 ist
eine Änderung der Regeln für die Beweislast geboten, wenn ein glaubhafter Anschein einer Diskriminierung besteht. Dabei definiert Art.
2 Abs. 2 lit. a der Richtlinie es als unmittelbare Diskriminierung, wenn eine Person wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer
Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als
eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Vergleichbare Regelungen enthalten Art. 2 Abs. 1 lit. a, 8 der Richtlinie
2000/43/EG des Rates vom 29.06.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der
ethnischen Herkunft sowie Art. 4 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15.12.1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund
des Geschlechts.
43
Indem die Richtlinien den Begriff „Diskriminierung“ benutzen, fassen sie die Benachteiligung und den Benachteiligungsgrund
zusammen. Sie verweisen bezüglich der Beweiserleichterung auf den gesamten Diskriminierungstatbestand, ohne zwischen dessen
einzelnen Elementen zu unterscheiden ( Windel , RdA 2007, 1, 2 f; Linck in Schaub, Arbeitsrecht-Handbuch, 13. Aufl., § 33 Rn. 132;
Bertzbach in Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., § 22 Rn. 18; Deinert in Deinert/Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter
Menschen, 2. Aufl., § 17 Rn. 103).
44
Dem entspricht es, dass der EuGH im Urteil vom 10.07.2008 (C-54/07 unter 28, „Feryn“) angenommen hat, dass die öffentliche
Äußerung eines Arbeitgebers, er werde keine Arbeitnehmer einer bestimmten ethnischen Herkunft oder Rasse einstellen, eine
unmittelbare Diskriminierung bei der Einstellung i.S. des Art. 2 Abs. 2 lit. a der (vergleichbaren) Richtlinie 2000/43/EG begründet; solche
Äußerungen könnten bestimmte Bewerber ernsthaft davon abhalten, ihre Bewerbungen einzureichen, und damit ihren Zugang zum
Arbeitsmarkt behindern. Der EuGH hat damit - wenn auch in einem Verfahren unter Beteiligung einer Stelle zur Förderung der
Gleichbehandlung - eine Diskriminierung bejaht, ohne dass die konkrete Benachteiligung einer Person festgestellt wurde.
45
Bereits im Urteil vom 10.03.2005 (C-196/02, „Nikoloudi“, Nr. 74 f) hatte der EuGH entschieden, dass das mit der Beweislastrichtlinie
97/80/EG angestrebte Ergebnis u.a. darin bestehe, dafür zu sorgen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz wirksamer angewandt wird,
da bei einer anscheinenden Diskriminierung dem Arbeitgeber der Beweis dafür obliegt, dass keine Verletzung dieses Grundsatzes
vorgelegen hat. Wenn ein Arbeitnehmer geltend macht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz zu seinen Lasten verletzt worden sei,
und er Tatsachen darlegt, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, sei das
Gemeinschaftsrecht dahin auszulegen ist, dass der Arbeitgeber zu beweisen hat, dass keine Verletzung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.
46
Geht man daher davon aus, dass die Richtlinie die Beweiserleichterung hinsichtlich aller Merkmale der Diskriminierung fordert, ist § 22
AGG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der Kläger nicht den Vollbeweis für das Vorliegen einer Benachteiligung erbringen
muss. Vielmehr genügt es, dass Indizien für eine Diskriminierung vorliegen (ebenso ( Windel , RdA 2007, 1, 2 f; Linck in Schaub,
Arbeitsrecht-Handbuch, 13. Aufl., § 33 Rn. 132; Bertzbach in Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., § 22 Rn. 18; Deinert in Deinert/Neumann,
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, 2. Aufl., § 17 Rn. 103; Peick , Darlegungs- und Beweislast nach § 22 Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz, § 10). Diese Voraussetzung ist durch den Verstoß gegen § 81 Abs. 1 SGB IX erfüllt.
47
c) Für diese Auslegung des § 22 AGG spricht auch der Sinn und Zweck der Beweiserleichterung:
48
Die Regelung des § 22 AGG trägt dem Umstand Rechnung, dass das diskriminierende Element in einer bestimmten Handlung,
Vereinbarung oder Maßnahme für einen Arbeitnehmer häufig nur schwer nachweisbar ist. Dies gilt insbesondere für
Auswahlentscheidungen bei Bewerbungen, da ein abgelehnter Bewerber als Außenstehender naturgemäß keinen Einblick in interne
Entscheidungsprozesse und deren Begründung im Einzelnen hat ( Grobys , NZA 2006, 898, 899; ähnlich Krimphove , Europäisches
Arbeitsrecht, 2. Aufl., Rn. 406).
49
Zwar mag das Vorliegen einer Benachteiligung in vielen Fällen leicht objektiv feststellbar sein, wenn beispielsweise ein Bewerber im
Gegensatz zu anderen zum Vorstellungsgespräch geladen oder gar eingestellt wurde. Jedoch setzt eine Benachteiligung gemäß § 3
Abs. 1 AGG nicht stets einen Vergleich mit einer aktuellen Vergleichsperson voraus. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vielmehr
auch dann vor, wenn eine Person wegen eines Benachteiligungsmerkmals des § 1 AGG eine weniger günstige Behandlung erfährt, als
eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfahren würde. Wie eine hypothetische Vergleichsperson behandelt würde, ist für
den Bewerber aber häufig ebenso schwer einsehbar wie die Frage nach dem Benachteiligungsgrund.
50
Dies gilt zunächst in der Situation, dass es gar keine aktuelle Vergleichsperson gibt: Bewirbt sich beispielsweise lediglich ein
schwerbehinderter Mensch auf einen Arbeitsplatz, kann aus einer Absage weder auf eine Diskriminierung noch auf das Fehlen einer
Diskriminierung geschlossen werden. Nur der Arbeitgeber kann offenlegen, aus welchem Grund die Absage erfolgte. Beruhte sie auf
einem gemäß § 1 AGG verpönten Motiv, liegt zweifellos eine entschädigungspflichtige Diskriminierung vor. Dass in diesen Fällen allein
die Absage die Beweiserleichterung rechtfertigt, auch wenn kein anderer Bewerber eingestellt wurde, zeigt die Konstellation, die der
oben genannten Entscheidung des EuGH vom 10.07.2008 (C-54/07, „Feryn“) zugrunde liegt: Erklärt ein Arbeitgeber öffentlich, er werde
keine Arbeitnehmer einer bestimmten Rasse einstellen, und sagt er dem einzigen Bewerber, der just dieser Rasse angehört, ab, so liegt
genau die Situation vor, für die die Beweiserleichterung gedacht ist. Es ist Sache des Arbeitgebers nachzuweisen, dass trotz der
Indiztatsachen keine Diskriminierung vorliegt. In Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Pflichtverletzung des Arbeitgebers ein
geringeres Gewicht hat, mag dies weniger einleuchten. Die Struktur der Fälle ist jedoch gleich: Eine Pflichtverletzung indiziert eine
Diskriminierung, die der Arbeitgeber widerlegen muss.
51
Dass es weitere aktuelle Bewerber gibt, die in gleicher Weise behandelt werden wie der Anspruchsteller, ändert an der Bewertung
jedenfalls dann nichts, wenn diese nicht geeignet sind: Bewerben sich z.B. eine ausreichend qualifizierte Frau und ein nicht qualifizierter
Mann auf eine Stelle, für die ein Mann gesucht wird, so mag im Ergebnis keiner der beiden Bewerber eine Zusage erhalten. In diesem
Fall liegt gleichwohl eine unmittelbare Benachteiligung vor, da die Bewerberin, wenn sie über das männliche Geschlecht verfügt hätte,
die Stelle erhalten hätte. Hier ist die Benachteiligung bereits eingetreten, wenn die Bewerberin keine Zusage erhalten hat ( Euler/v.
Steinau-Steinrück/Schneider in Hümmerich/Boecken/Düwell, Anwaltkommentar Arbeitsrecht, § 3 AGG Rn. 5; a. A. Schlachter in Erfurter
Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Aufl., § 3 AGG Rn. 4, wonach - wenn eine aktuelle Vergleichsperson vorhanden ist - eine ungünstigere
Behandlung nur im Verhältnis zu dieser Person festgestellt werden kann).
52
Schließlich kann aber auch dann nichts anderes gelten, wenn es weitere geeignete Bewerber gibt. Selbst wenn niemand zum
Vorstellungsgespräch eingeladen oder eingestellt wird, ist für den Bewerber nicht ersichtlich, warum dies geschieht. So ist es denkbar,
dass allen Bewerber aus sachwidrigen Gründen abgesagt wird, z.B. dem einen wegen des Geschlechts, dem nächsten wegen einer
Behinderung und einem dritten wegen seiner Rasse. In dieser Situation wäre ein Entschädigungsanspruch begründet. Lassen in
diesem Fall Indizien eine Diskriminierung vermuten, ist auch das Eingreifen der Beweiserleichterung gerechtfertigt. Nur der Arbeitgeber
kennt die Gründe der Absage und kann klären, ob ausschließlich andere als die verpönten Gründe für die Entscheidung maßgeblich
waren. Aber selbst wenn einem Teil der Bewerber aus sachlichen Gründen abgesagt wurde, lässt sich daraus nicht schließen, dass dies
auch für den Anspruchsteller gilt: Um den vom Kläger gebildeten Beispielsfall aufzugreifen, kann dem einem Bewerber abgesagt
werden, weil seine Gehaltsvorstellung zu hoch war, während der andere wegen einer Behinderung nicht eingestellt wird. Da der
Anspruchssteller insofern keinen Einblick hat, liegt die Situation vor, auf die die Beweiserleichterung abzielt.
53
Sowohl den europarechtlichen Richtlinien als auch § 22 AGG geht es um die Beseitigung von Beweisschwierigkeiten für
geschäftsinterne Vorgänge, zu denen ein Arbeitnehmer in der Regel keinen Zugang hat. Da eine derartige Beweisnot auch für die Frage
nach dem Vorliegen einer Benachteiligung bestehen kann, ist die Beweiserleichterung auch insofern gerechtfertigt und geboten.
54 2. Wegen des Verstoßes gegen § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX und der daraus folgenden Vermutung einer Benachteiligung wegen der
Behinderung trägt die Beklagte nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass eine solche Benachteiligung nicht vorlag. Die Beklagte muss das
Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung nicht - auch - auf der Schwerbehinderung beruht. Damit muss sie Tatsachen vortragen und
ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen
Behandlung führten , und in ihrem Motivbündel weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium
enthalten war (vgl. BAG 17.08.2010 - 9 AZR 839/08 unter C III 2 b bb (3) (e) (cc) (1)). Diesen Beweis hat die Beklagte erbracht. Die Kammer ist
aufgrund der Beweisaufnahme und des Inhalts der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass die Beklagte nicht gegen die Bestimmungen
zum Schutz vor Benachteiligung verstoßen hat.
55 Die Personalleiterin der Beklagten Frau W. erklärte in der Beweisaufnahme, sie habe in einer Besprechung mit den Bereichsleitern und dem
Geschäftsführer darauf hingewiesen, dass eine Bewerbung vorliege; die Person des Klägers sei nicht angesprochen worden. Man habe zum
damaligen Zeitpunkt entschieden, keine Einstellung vorzunehmen. Entsprechend dem Ergebnis der Besprechung sei dem Kläger die Absage
erteilt worden.
56 Nach dem Inhalt der Erklärung der Frau W. ist auszuschließen, dass die Behinderung des Klägers auf die Behandlung seiner Bewerbung
irgendeinen Einfluss hatte. Nach der Erklärung traf die Beklagte keine Auswahlentscheidung, in der die Behinderung eine Rolle hätte spielen
können. Die Person des Klägers wurde gar nicht konkret angesprochen. Vielmehr entschied die Beklagte unabhängig von der Person des
Klägers, gar keine Stelle zu besetzen. Die Absage erfolgte aus betrieblichen bzw. wirtschaftlichen Gründen.
57 Die Kammer hält die Aussage der Frau W. für glaubhaft. Frau W. war an dem Vorgang selbst beteiligt und schilderte ihre Wahrnehmungen aus
eigener Erfahrung. Sie machte zum maßgeblichen Sachverhalt klare Angaben und war in der Lage, Umstände zu erfassen und zu schildern. Der
Inhalt ihrer Aussage wird gestützt durch die Vorlage der Personallisten, die dokumentieren, dass zwischen Juni 2009 und Januar 2011 keine
Einstellung in der Entwicklungsabteilung vorgenommen wurde. Gleiches gilt für die Liste Umsatz/Auftragseingang Stand 30.11.2009, die den
Einbruch gegenüber dem Vorjahr verdeutlicht und damit plausibel macht, dass die Beklagte sich aus wirtschaftlichen Gründen gegen eine
Einstellung entschied.
58 Zwar gibt es einige Unstimmigkeiten im Tatsächlichen, die auch durch die Beweisaufnahme nicht geklärt werden konnten. Diese sprechen
allerdings nicht gegen den Inhalt ihrer Aussage. Vielmehr sprechen sie dagegen, von einer bewusst falschen Aussage auszugehen, da nicht
angenommen werden kann, dass die Zeugin absichtlich wahrheitswidrig derartige Komplikationen vorspielte.
59 Dies gilt zunächst für das Besetzungsverfahren der Teamleiterstelle: Der Beklagtenvertreter legte die Annonce vom 09.05.2009 erst auf
ausdrückliche Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vor. Wie die Schreiben der Beklagten vom 11.12.2009 und 01.02.2010
zeigen, hatte Frau W. zumindest zu jener Zeit wohl irrtümlich angenommen, der Kläger habe sich auf die Teamleiterstelle beworben. Auch in der
Beweisaufnahme schilderte Frau W. zunächst die Suche eines neuen Teamleiters. Ob und warum hier ggf. ein Missverständnis vorlag, ändert
jedoch nichts daran, dass kein Bewerber eingestellt wurde und die Absage gegenüber dem Kläger ohne Ansehen seiner Person erfolgte.
60 Die Bedeutung des Bewerber-Beurteilungsbogens bleibt hinsichtlich des Datums und der Unterschrift unklar. Allerdings spricht er nicht für oder
gegen die Berücksichtigung der Behinderung des Klägers bei der Behandlung seiner Bewerbung. Gleiches gilt für den Umstand, dass im
Sommer 2009 auf der Homepage der Beklagten die Ingenieur-/Technikerstelle - und nicht die Teamleiterstelle - geschaltet war.
61 Die Umstände der Stellenausschreibung vom 14.11.2009, die erst die Beklagte zum Gegenstand des Verfahrens machte, erläuterte Frau W.
hingegen schlüssig: Angesichts des Ausscheidens des Herrn B. sei die Beklagte einerseits um die Personalkostenreduzierung froh gewesen,
habe andererseits aber Mitarbeiter in der Entwicklungsabteilung gebraucht. So habe man zunächst versucht, die Stelle unbesetzt zu lassen, sie
dann doch ausgeschrieben, um sie letztlich nicht zu besetzen. Frau W. konnte dieses „Hin und Her“ anschaulich und überzeugend schildern.
C.
62 Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen, da das Rechtsmittel keinen Erfolg hat, § 97 Abs. 1 ZPO.
63 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt. Die Frage nach dem Umfang der
Beweiserleichterung des § 22 AGG hat zwar grundsätzliche Bedeutung. Sie ist jedoch nicht entscheidungserheblich, da die Berufung auch nach
der anderen als der hier vertretenen Meinung abzuweisen wäre: Ohne Beweiserleichterung wäre schon gar keine Benachteiligung des Klägers
anzunehmen. Der Kläger konnte weder konkret vortragen noch beweisen, dass er anders behandelt wurde als nicht behinderte Bewerber. Ohne
die Beweiserleichterung wäre er insofern aber darlegungs- und beweispflichtig. Das Urteil weicht auch nicht von anderen Urteilen i. S. d. § 72
Abs. 2 Nr. 2 ArbGG ab.