Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017
KG Berlin: bekannte adresse, freiwillige gerichtsbarkeit, anhörung, nachlassgericht, erbrecht, testament, anschrift, halbbruder, zuwendung, erbschein
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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 159/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2304 BGB, § 2354 BGB, § 2355
BGB, § 2356 BGB, § 12 FGG
Erbrecht: Pflichten eines Erben im Zusammenhang mit der
Ermittlung weiterer Erben
Leitsatz
Ein Antragsteller im Erbscheinsverfahren hat die nach den §§ 2354 bis 2356 BGB
erforderlichen Angaben zu machen und Urkunden vorzulegen. Eine darüber hinaus gehende
Ermittlungspflicht trifft ihn nicht. Er hat aber an den weiteren Ermittlungen des
Nachlassgerichts durch vollständige und wahrheitsgemäße Angaben mitzuwirken.
Tenor
Auf die weitere Beschwerde werden die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 10.
Februar 2005 und des Amtsgerichts Neukölln vom 24. September 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung nach Maßgabe der
folgenden Gründe an das Amtsgericht Neukölln zurückverwiesen.
Gründe
A.
Die Beteiligte, die die Tochter des am 19. April 1972 verstorbenen Erblassers ist, hat
aufgrund eine notariellen Erbscheinsverhandlung vom 21. Juli 2004 die Erteilung eines sie
als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins beantragt. Grundlage des Antrags ist ein
notarielles Testament des Erblassers vom 6. März 1972, in dem sie zur Alleinerbin
eingesetzt und ihrem Halbbruder E. S... der Pflichtteil zugewandt wurde. Diesen Antrag
hat das Amtsgericht Neukölln als zuständiges Nachlassgericht mit einem Beschluss vom
24. September 2004 zurückgewiesen, nachdem die Antragstellerin der Aufforderung auf
Einreichung einer Sterbeurkunde und der Angabe des Namens und der Anschrift von
dessen Tochter nicht nachgekommen war. Die Antragstellerin hatte insoweit mitgeteilt,
dass ihr Halbbruder vor ca. 4 Jahren verstorben sein soll, dieser aber eine Tochter haben
soll, deren Name und Anschrift ihr aber nicht bekannt seien. Gegen diesen Beschluss
hat der damalige Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 25.
Oktober 2004 Beschwerde eingelegt. Diese Beschwerde hat das Landgericht mit einem
Beschluss vom 15. Februar 2005 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die weitere
Beschwerde vom 25. April 2005.
B.
Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Nachlassgericht.
1. Das Landgericht hat ausgeführt: Zur Gewährung rechtlichen Gehörs habe das
Nachlassgericht vor der Erteilung eines Erbscheins denjenigen zu hören, der im Falle der
Ungültigkeit einer letztwilligen Verfügung Erbe wäre. Zu hören wäre demnach, wenn der
Sohn des Erblassers, E. S., verstorben wäre, dessen Tochter als dessen gesetzliche
Erbin. Um die Anhörung durchzuführen, bedürfte es aus diesem Grund der Beibringung
einer Sterbeurkunde des Sohnes und der Mitteilung der Anschrift der Tochter. Die
Erbringung dieser Angaben sei im Rahmen des Zumutbaren zunächst Aufgabe der
Beteiligten als Antragstellerin. Insoweit entfalle eine Ermittlungspflicht des
Nachlassgerichts. Die Weigerung der Beteiligten zur Beibringung dieser Angaben und
Unterlagen rechtfertige die Zurückweisung des Erbscheinsantrags, nachdem sich aus
dem Testament Anhaltspunkte für Nachforschungen ergeben.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Es kann offen bleiben, ob der zwischen der Beteiligten und dem zunächst tätig
gewordenen Erbenermittler geschlossene Vertrag wegen eines Verstoßes gegen das
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gewordenen Erbenermittler geschlossene Vertrag wegen eines Verstoßes gegen das
Rechtsberatungsgesetz unwirksam ist (vgl. dazu BGH NJW 2003, 3046; BVerfG NJW 2002,
3531), wie das Landgericht erwogen, aber letztendlich offen gelassen hat. Die Nichtigkeit
dieses Vertrages würde zwar auch zu einer Unwirksamkeit der erteilten Vollmacht
führen, auf deren Grundlage der Erbenermittler die Beschwerde gegen den Beschluss
des Nachlassgerichts eingelegt hat (vgl. BGH NJW 2003, 2088; NJW 2004, 840;
Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 134 Rn. 21 m.w.N.). Ein etwaiges vollmachtloses
Handeln wäre aber durch die Einlegung der weiteren Beschwerde durch den von der
Beteiligten nunmehr beauftragten Rechtsanwalt geheilt worden.
b) Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass in einem
Erbscheinsverfahren über den Wortlaut des § 2360 BGB hinaus, dessen
Voraussetzungen hier nicht vorliegen, weil nach den bisher getroffenen Feststellung kein
Rechtsstreit über das Erbrecht anhängig ist und das geltend gemachte Erbrecht auf
einer dem Nachlassgericht vorliegenden öffentlichen Urkunde beruht, eine Anhörung der
gesetzlichen Erben erforderlich ist. Dies beruht auf Art. 103 Absatz 1 GG, der als
unmittelbar geltendes Verfassungsrecht auch im Erbscheinsverfahren zu
berücksichtigen ist (vgl. BVerfG FamRZ 1987, 786; Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., §
2360 Rn. 1). Ob die gesetzlichen Erben im Rahmen der Anhörung überhaupt Tatsachen
vortragen, die einer Erteilung des Erbscheins entgegenstehen, ist dabei - entgegen der
Auffassung der Beteiligten - unerheblich. Dies gilt schon deshalb, weil ohne Anhörung
nicht feststehen kann, welche Gesichtspunkte einer Erteilung entgegenstehen könnten.
So können sich aus einer derartigen Anhörung Anhaltspunkte auf das Vorliegen weiterer
Testamente ergeben und für die Auslegung eines Testaments sowie Tatsachen, die der
Wirksamkeit eines Testaments entgegenstehen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn
eine Anhörung nicht stattfinden kann, weil nach Durchführung der insoweit in Betracht
kommenden und notwendigen Ermittlungen gesetzliche Erben nicht festgestellt können
oder deren Aufenthalt nicht ermittelt werden kann. Denn dann ist einem Anspruch des
nach Lage des Falles als Erben anzusehenden Beteiligten auf Erteilung eines sein
Erbrecht ausweisenden Erbscheins der Vorrang einzuräumen, weil letztlich nie mit
absoluter Gewissheit ausgeschlossen werden kann, dass Einwendungen gegen das
geltend gemachte Erbrecht bestehen können.
Aus der grundsätzlichen Pflicht zur Anhörung folgt aber nicht die uneingeschränkte
Verpflichtung des Antragstellers im Erbscheinsverfahren eine derartige Anhörung durch
die Vorlage von Urkunden und Ermittlungen hinsichtlich des Vorhandenseins von
gesetzlichen Erben zu ermöglichen. Welche Unterlagen vorzulegen und welche Angaben
der einen Erbschein beantragende Beteiligte zu machen hat, ergibt sich aus den §§ 2354
bis 2356 BGB. Weitergehende Ermittlungspflichten treffen auch einen Antragsteller im
Erbscheinsverfahren grundsätzlich nicht (vgl. Keidel/Schmidt, Freiwillige Gerichtsbarkeit,
15. Aufl., § 12 Rn. 56). Nichts anderes folgt aus den vom Landgericht herangezogenen
Fundstellen. Die nach den genannten Vorschriften notwendigen Unterlagen hat die
Beteiligte beigebracht, die Angaben hat sie gemacht. Die Vorlage einer Sterbeurkunde
des Halbbruders und Ermittlung der möglicherweise vorhandenen Tochter kann von der
Beteiligten nicht verlangt werden. Das Verlangen kann insbesondere nicht auf § 2354
Absatz 2 BGB gestützt werden. Denn auch die Vorinstanzen gehen davon aus, dass die
Zuwendung des Pflichtteils an den Sohn in dem öffentlichen Testament vom 6. März
1972 entsprechend der Auslegungsregel des § 2304 BGB nicht als Erbeinsetzung
anzusehen ist.
3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen erweisen sich auch nicht aus anderen Gründen
als richtig.
Allerdings treffen einen Beteiligten im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und
damit auch einen Antragsteller im Erbscheinsverfahren weitere Mitwirkungspflichten, die
über die Verpflichtungen nach den §§ 2354 bis 2356 BGB hinausgehen, wie das
Landgericht auch angenommen hat. So besteht allgemein die Pflicht vollständige und
wahrheitsgemäße Angaben zu machen, vgl. § 138 Absatz 1 ZPO. Dieser Pflicht ist die
Beteiligte bisher nicht ausreichend nachgekommen. Die Beteiligte hat zwar erklärt, dass
ihr Halbbruder vor ca. 4 Jahren verstorben ist und nach ihrer Kenntnis eine Tochter
haben soll, ohne dass sie sich konkret dazu geäußert hätte, aufgrund welcher Tatsachen
sie zu diesen Behauptungen gelangt ist. Ob ein Verstoß gegen diese Pflichten die
Zurückweisung eines Erbscheinsantrages rechtfertigen kann, kann insoweit allerdings
dahinstehen. Auf diesen Verstoß gegen ihre Pflicht zur vollständigen Angabe der ihr
bekannten Tatsachen, kann die Zurückweisung des Erbscheinsantrages hier nicht
gestützt werden, weil die Beteiligte von den Vorinstanzen nicht aufgefordert worden ist,
ihre Angaben zu vervollständigen.
4. Nach alledem ist die Sache an das Nachlassgericht zur Durchführung weiterer
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4. Nach alledem ist die Sache an das Nachlassgericht zur Durchführung weiterer
Ermittlungen wegen des Vorhandenseins gesetzlicher Erben zurückzuverweisen. Dabei
wird das Nachlassgericht zunächst die Beteiligte zur vollständigen Angabe ihres Wissens
um das Versterben ihres Bruders und das Vorhandenseins einer Tochter aufzufordern
haben. Darüber hinaus wird das Nachlassgericht über die letzte bekannte Adresse des
Erblassers, die in dem Testament genannt ist, Ermittlungen über den Verbleib des
Halbbruders anzustellen haben. Unabhängig davon steht es der Beteiligten frei, zur
Beschleunigung des Verfahrens selbst Ermittlungen anzustellen.
5. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen.
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