Urteil des FG Münster vom 13.08.2009
FG Münster (wiedereinsetzung in den vorigen stand, eugh, höhere gewalt, gegen die guten sitten, gemeinschaftsrecht, treu und glauben, grundsatz der zusammenarbeit, einspruch, wiedereinsetzung, absolute frist)
Finanzgericht Münster, 5 K 3521/07 U
Datum:
13.08.2009
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 3521/07 U
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Streitig ist die Änderung bestandskräftiger USt-Festsetzungen aufgrund der EuGH-
Entscheidung zur Steuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen.
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Die Klägerin betrieb in den Streitjahren 2000 und 2001 eine Spielhalle und erzielte
dabei u.a. Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit.
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Der Beklagte erließ für die Streitjahre folgende USt-Bescheide (bei Erlass von mehreren
Bescheiden für ein Streitjahr ist jeweils nur der zuletzt ergangene Bescheid aufgeführt),
in denen die Einnahmen aus Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit der Umsatzsteuer
unterworfen wurden:
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Jahr Abgabe der Bescheid festgesetzte USt
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USt-Erklärung
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2000 27.11.2002 16.12.2004, V.d.N. aufgehoben xxx €
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2001 27.11.2002 08.04.2003 ohne V.d.N. xxx €
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Die Festsetzungen wurden bestandskräftig.
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Nach Ergehen des EuGH-Urteils vom 17. Februar 2005 (Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02
– Linneweber und Akritidis –, BFH/NV Beilage 2005, 94) legte die Klägerin mit
Schreiben vom 17. März 2005 Einspruch gegen sämtliche seit dem 29. Juli 1999
ergangenen USt-Bescheide ein und beantragte, die Festsetzungen dahingehend zu
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ergangenen USt-Bescheide ein und beantragte, die Festsetzungen dahingehend zu
ändern, dass Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielgeräten umsatzsteuerfrei zu
belassen seien.
Zur Begründung führte sie aus, dass der Einspruch - unter Hinweis auf das Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 25. Juli 1991 Rs. C-208/90
– Emmott – (Slg. 1991, I-4269, HFR 1993, 137, UR 1993, 315) – zulässig sei, denn die
Rechtsbehelfsfrist sei gehemmt, da Art. 13 Teil B Buchtst. f der 6. EG-RL nicht
ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden sei.
11
Bezüglich der Jahre 1999 bis 2001 verwarf der Beklagte mit Einspruchsentscheidung
vom 18. Juli 2007 den Einspruch unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 23. November
2006 (V R 51/05, BStBl II 2007, 433 und V R 67/05, BStBl II 2007, 436) als unzulässig.
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Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Festsetzung der USt für die
Streitjahre 2000 und 2001 unter Beachtung der USt-Freiheit für Einnahmen aus
Glücksspielen. Zur Begründung führt sie aus, dass ihr Einspruch als schlichter
Änderungsantrag anzusehen sei und fügt entsprechend berichtigte USt-Erklärungen für
die Streitjahre nebst Anlagen bei. Sie vertritt die Auffassung, dass die zu Unrecht
erhobene Umsatzsteuer zurückzuerstatten sei.
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Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
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unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2001 die
angefochtenen USt-Festsetzungen 2000 und 2001 dahingehend zu ändern, dass
die Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit steuerfrei belassen
und damit im Zusammenhang stehende Vorsteuern nicht berücksichtigt werden
und entsprechend die USt 2000 auf xxx DM und die USt 2001 auf xxx DM
festzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise,
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die Revision zuzulassen.
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Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung
und trägt ergänzend vor, dass auch den im Klageverfahren gestellten
Änderungsanträgen nicht entsprochen werden könne. Für das Kalenderjahr 2000 sei
der Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 aufgehoben
worden. Für das Kalenderjahr 2001 sei die Veranlagung mit Bescheid vom 8. April 2003
endgültig durchgeführt worden.
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In der Sache ist am 13. August 2009 mündlich verhandelt worden. Auf die
Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
22
Die Klage ist unbegründet.
23
I. Die angefochtenen Bescheide sind nicht nichtig i.S.d. § 125 Abs. 1 AO.
24
Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig, soweit er an einem besonders
schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht
kommenden Umstände offenkundig ist. Nach § 125 Abs. 2 AO ist ein Verwaltungsakt
z.B. nichtig, der die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen lässt, den aus
tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann, der die Begehung einer rechtswidrigen
Tat verlangt oder der gegen die guten Sitten verstößt.
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Von den in § 125 Abs. 2 AO genannten Fallgruppen ist im Streitfall keine einschlägig.
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Ein Verstoß gegen materielles Steuerrecht begründet in der Regel keine Nichtigkeit
(BFH-Beschluss vom 01.10.1981 IV B 13/81, BStBl II 1982, 133; Urteil vom 13.05.1987
II R 140/84, BStBl II 1987, 592; Urteil vom 11.08.1993 III R 83/89, BFH/NV 1994, 263).
Auch eine Häufung von materiellen Rechtsfehlern macht den Bescheid nicht nichtig
(BFH-Urteil vom 15.03.1995 I R 61/94, BFH/NV 1995, 1036). Gleiches gilt, wenn für den
Verwaltungsakt keine gesetzliche Grundlage oder Begründung gefunden werden kann
(Klein/Brockmeyer, AO, § 125 Rz. 7).
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Auf den Streitfall bezogen ist festzuhalten, dass die nicht ordnungsgemäße Umsetzung
des Art. 13 Teil B Buchst. f. der 6. EG-Richtlinie allenfalls zur (Gemeinschafts)-
Rechtswidrigkeit der Umsatzsteuerfestsetzungen, nicht aber zu deren Nichtigkeit führt
(so auch FG Niedersachsen, Urteil vom 30. Juni 2005 5 K 128/04, EFG 2006, 149). Es
mangelt auch an der Offenkundigkeit des Rechtsverstoßes. Nach der im Zeitpunkt der
Steuerfestsetzung herrschenden Auffassung in Rechtsprechung, Verwaltung und
Schrifttum bestanden keine Zweifel an der Vereinbarkeit des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG
mit dem Gemeinschaftsrecht. Die mögliche Steuerfreiheit von
Geldspielautomatenumsätzen ist erst im Anschluss an die Rechtssache Fischer zum
unerlaubten Roulettespiel (EuGH-Urteil vom 11. Juni 1998 RS. C-283/95, UR 1998,
384) diskutiert und mit Vor- abentscheidungsersuchen vom 06.11.2002 (V R 7/02 –
Linneweber –, UR 2003, 81) höchstrichterlich problematisiert worden. Vor diesem
Hintergrund kann nicht von einem offenkundigen Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht gesprochen werden.
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II. Soweit die Klägerin eine Änderung der bestandskräftigen USt-Festsetzungen für die
Streitjahre begehrt, ist die Klage unbegründet.
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Der Beklagte hat den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen.
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Nach § 355 Abs. 1 S. 1 AO ist der Einspruch (§ 347 Abs. 1 S. 1 AO) innerhalb eines
Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Ein Einspruch gegen eine
Steueranmeldung ist gemäß § 355 Abs. 1 S. 2 AO innerhalb eines Monats nach
Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde, in den Fällen des § 168 S. 2 AO
innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden der Zustimmung, einzulegen.
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Die Klägerin hat (erst) mit Schreiben vom 17. März 2005 Einspruch gegen die
Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre 2000 und 2001 eingelegt. Zu diesem
Zeitpunkt war die einmonatige Frist für die Einlegung eines Einspruchs bereits
abgelaufen.
32
Aus dem in Art. 10 EG verankerten Effektivitätsgebot ergibt sich keine Anlaufhemmung
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der Einspruchsfrist.
a) Gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
(nachfolgend: EGV) treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner
oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder
aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die
Erfüllung ihrer Aufgabe (Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EGV). Die Mitgliedstaaten haben zudem
alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrages
gefährden können (Art. 10 Abs. 2 EGV). Nach der Rechtsprechung des EuGH
verpflichtet der in Art. 10 EGV verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit eine
Verwaltungsbehörde auf entsprechenden Antrag hin, eine bestandskräftige
Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom EuGH
vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung Rechnung zu tragen, wenn
u.a. die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung
zurückzunehmen (vgl. EuGH-Urteil vom 13. Januar 2004 Rs. C-453/00 - Kühne und
Heitz -, Slg. 2004, I-837, HFR 2004, 488, DVBl 2004, 373, NVwZ 2004, 459). In dieser
Entscheidung hat der EuGH u.a. ausgeführt, die Rechtssicherheit gehöre zu den im
Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Die Bestandskraft
einer Verwaltungsentscheidung, die nach Ablauf angemessener Klagefristen oder
Erschöpfung des Rechtswegs eingetreten sei, trage zur Rechtssicherheit bei. Daher
verlange das Gemeinschaftsrecht nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich
verpflichtet sei, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen
(RandNr. 24 des Urteils; ebenso EuGH-Urteil vom 19. September 2006 Rs. C-392/04
und C-422/04 - i 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG -, DVBl 2006, 1441
RandNr. 51). Hierzu hat der EuGH klargestellt, dass das EuGH-Urteil Kühne und Heitz
(a.a.O.) die Verpflichtung der betreffenden Behörde aus Art. 10 EGV, eine unter Verstoß
gegen Gemeinschaftsrecht erlassene bestandskräftige Entscheidung zu überprüfen, u.a.
von einer Befugnis dieser Behörde nach nationalem Recht zur Rücknahme der
Entscheidung abhängig macht (vgl. EuGH-Urteile vom 16. März 2006 Rs. C-234/04 -
Kapferer -, Slg. 2006, 2585, NJW 2006, 1577; und vom 19. September 2006 in der
Sache i 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG, a.a.O., RandNr. 52). Daraus folgt -
entgegen der Ansicht der Klägerin - im Umkehrschluss, dass die Aufhebung eines
rechtswidrigen, belastenden, bestandskräftigen Verwaltungsakts nach der EuGH-
Rechtsprechung in Fällen der vorliegenden Art nur dann in Betracht kommt, wenn sie
durch eine nationale Regelung ermöglicht wird. Ein bestandskräftiger Steuerbescheid
ist deshalb - auch unter Berücksichtigung von Art. 10 EGV - nicht änderbar, wenn das
nationale Recht hierfür - wie §§ 172 ff. AO - keine Rechtsgrundlage vorsieht (vgl. Frenz,
DVBl 2004, 375; Birk/Jahndorf, UR 2005, 198, 199 f.).
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Überdies unterscheidet sich der Sachverhalt, der dem EuGH-Urteil Kühne und Heitz
(a.a.O.) zugrunde lag, maßgeblich vom vorliegenden Streitfall. Denn die Kühne & Heitz
NV hatte sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe ausgeschöpft, während
die Klägerin von ihrem Recht, gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre
2000 und 2001 rechtzeitig Einspruch einzulegen, keinen Gebrauch gemacht hat. Auch
deshalb kann sich die Klägerin nicht auf das EuGH-Urteil Kühne und Heitz berufen (vgl.
BFH-Urteil vom 23. November 2006 V R 67/05, BStBl II 2007, 436; vgl. auch EuGH-
Urteil i 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG in DVBl 2006, 1441 RandNr. 53 f.).
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Nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 16. Dezember 1976 Rs. 33/76 -
Rewe - (Slg. 1976, 1989, NJW 1977, 495) verbietet das Gemeinschaftsrecht es bei
seinem gegenwärtigen Stand nicht, einem Bürger, der vor einem innerstaatlichen
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Gericht die Entscheidung einer innerstaatlichen Stelle wegen Verstoßes gegen das
Gemeinschaftsrecht anficht, den Ablauf der im innerstaatlichen Recht vorgesehenen
Fristen für die Rechtsverfolgung entgegenzuhalten, wobei jedoch das Verfahren für die
Klage nicht ungünstiger ausgestaltet sein darf als für gleichartige Klagen, die das
innerstaatliche Recht betreffen.
Überdies hat der EuGH in seinem Urteil i 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG
(a.a.O.) entschieden, dass das aus Art. 10 EGV folgende Effektivitätsprinzip nicht
verletzt ist, wenn ein Unternehmen gegen einen Gebührenbescheid innerhalb einer
angemessenen Frist ab seiner Bekanntgabe einen Rechtsbehelf einlegen und seine
aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte geltend machen kann (vgl.
RandNr. 59). Er hat in dieser Entscheidung die für die Einlegung eines Einspruchs
vorgesehene Einmonatsfrist nicht als unangemessen beanstandet (RandNr. 60).
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Daraus folgt, dass die Monatsfrist für die Einlegung eines Einspruchs gemäß § 355 Abs.
1 AO gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
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b) Auch aus der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des EuGH ergibt sich
nichts anderes.
39
Die Versäumung der einmonatigen Einspruchsfrist durch der Klägerin ist auch nicht
ausnahmsweise unerheblich. Auf das EuGH-Urteil Emmott in Slg. 1991, I-4269, HFR
1993, 137, UR 1993, 315 kann sich die Klägerin im Streitfall nicht mit Erfolg berufen. Der
EuGH hat in diesem Urteil zwar entschieden, dass sich ein säumiger Mitgliedstaat bis
zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie nicht auf die
Verspätung einer Klage berufen könne, die ein Einzelner zum Schutz der ihm durch die
Bestimmungen einer Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben habe, und dass
eine Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem Zeitpunkt beginnen könne. Wie der
EuGH mittlerweile jedoch wiederholt klargestellt hat, war diese Entscheidung durch die
besonderen Umstände des Falles gerechtfertigt, in dem der Klägerin durch den Ablauf
der Klagefrist jede Möglichkeit genommen war, ihren auf eine Gemeinschaftsrichtlinie
gestützten Anspruch auf Gleichbehandlung geltend zu machen (vgl. z.B. EuGH-Urteil
Fantask in Slg. 1997, I-6783, HFR 1998, 234, NVwZ 1998, 833 Rz. 51, m.w.N.). Daraus
folgt, dass der EuGH den im Verfahren Emmott entwickelten Rechtsgrundsatz auf
Fallkonstellationen der dort gegebenen Art beschränkt wissen will (vgl. BFH-Urteil vom
21. März 1996 XI R 36/95, BFHE 197, 563, BStBl II 1996, 399, unter II. 3. a; BFH-
Beschluss in BFH/NV 2005, 229, unter II.1.). In der Rechtssache Emmott hatten sich die
irischen Behörden - unter Verstoß gegen Treu und Glauben - auf die Nichteinhaltung
der Klagefrist berufen.
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Im Streitfall hat der Beklagte die Klägerin nicht an der rechtzeitigen Einlegung des
Einspruchs gehindert und ihr deshalb nicht treuwidrig die Versäumung der - von Amts
wegen zu beachtenden - Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 AO entgegengehalten (vgl.
BFH-Urteil vom 23. November 2006 V R 51/05, BStBl II 2007, 433).
41
Die Klägerin hatte es vorliegend in der Hand, die Umsatzsteuerfestsetzung für die
Streitjahre durch rechtzeitigen Einspruch auf ihre Vereinbarkeit mit dem
Gemeinschaftsrecht hin überprüfen zu lassen. Sie hat dies jedoch nicht gemacht.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin kann ein Einzelner sich auch schon vor Ergehen
eines Urteils, in dem ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht festgestellt wird, gegen
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nationale Maßnahmen wehren. Dem Einzelnen wird zugemutet, einen möglichen
Schaden mit Hilfe aller ihm zu Gebote stehenden Mittel abzuwehren. Zu diesen Mitteln
gehört insbesondere die Ausschöpfung des Rechtswegs. Es obliegt den einzelnen
Mitgliedsstaaten, das Verfahren – einschließlich der Verjährungsregeln – für die Klagen
auszugestalten, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht
erwachsenen Rechte gewährleisten sollen. Dabei müssen die Grundsätze der
Gleichwertigkeit und Effektivität gewahrt werden (EuGH- Urteil vom 24. März 2009 Rs.
C-445/06 – Danske Slagterier –, a.a.O.).
III. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist
kommt nicht in Betracht.
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Nach § 110 Abs. 1 AO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine
gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu
stellen (§ 110 Abs. 2 S. 1 AO). Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist
kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht
mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer
Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO).
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Im Streitfall war im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung die Jahresfrist bereits lange
abgelaufen. Die Klägerin war auch nicht infolge höherer Gewalt daran gehindert,
innerhalb der Jahresfrist die Wiedereinsetzung zu beantragen und die versäumte
Handlung nachzuholen.
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Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen
Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu
erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (ständige
Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2001, 506, unter II. 1. b) der Gründe, m.w.N.).
Der Begriff der höheren Gewalt ist danach enger als der Begriff "ohne Verschulden" in §
56 Abs. 1 FGO. Er entspricht inhaltlich den Naturereignissen oder anderen
unabwendbaren Zufällen (BFH-Urteil in BStBl II 2001, 506; BFH-Beschluss vom 30.
Oktober 1997 III B 108/95, BFH/NV 1998, 497)
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Demgemäß kann höhere Gewalt auch vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch
ein Verhalten der Behörde von einer fristgerechten Verfahrenshandlung abgehalten wird
(BFH-Urteil vom 16. August 1979 I R 95/76, BStBl II 1980, 47). Ferner darf die
Fristversäumnis dem Betroffenen dann nicht angelastet werden, wenn er durch
arglistiges Verhalten seines Gegners an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsbehelfs
gehindert worden ist (BVerwG-Urteil vom 25. November 1977 V C 12.77, BVerwGE 55,
62) oder wenn die Fristversäumnis auf das rechts- oder treuwidrige Verhalten der
Behörde zurückgeführt werden kann (vgl. BVerwG- Urteil in BVerwGE 58, 100; BFH-
Urteil in BStBl II 2001, 506).
48
Jedoch entschuldigt mangelnde Rechtskenntnis des Beteiligten eine Fristversäumnis
grundsätzlich nicht (BFH-Urteil in BStBl II 2001, 506). Das Vertrauen der Klägerin, auf
die richtige Umsetzung der 6. EG-RL in nationales Recht – hier: die Umsetzung der
Befreiungsvorschrift des Art. 13 Teil B Buchst. der 6. EG-RL – und der darauf beruhende
Verzicht auf die Einlegung eines Einspruchs rechtfertigt die Annahme eines Falles
höherer Gewalt nicht (BFH-Beschluss vom 18. April 2005 IV B 90/03, BFH/NV 2005,
1817).
49
Auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Billigkeitswege kommt nicht in
Betracht.
50
Die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist keine Ermessensentscheidung. Liegen
– wie im Streitfall – die Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand nicht vor, kommt – gerade auch bei Ablauf der Jahresfrist – eine
Wiedereinsetzung aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht. Sachliche Unbilligkeit in
Bezug auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass die
Wiedereinsetzung in eine Frist im Einzelfall, vor allem mit Rücksicht auf den
gesetzlichen Zweck der Regelung gerechtfertigt ist und die Nichtgewährung den
Wertungen des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde. Bei einer solchen Billigkeitsprüfung
müssen grundsätzlich solche Erwägungen unberücksichtigt bleiben, die der gesetzliche
Tatbestand üblicherweise mit sich bringt.
51
Es würde aber eindeutig dem Zweck des § 110 Abs. 3 AO widersprechen, bei
Versäumung der (absoluten) Jahresfrist dennoch aus Billigkeitsgründen die
Wiedereinsetzung zu gewähren. Der Gesetzgeber hat gerade aus Gründen des
Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit diese absolute Frist gewählt.
52
IV. Ist eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen
Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch
auf Erstattung des gezahlten Betrages (§ 37 Abs. 2 S. 1 AO).
53
Vorliegend ist die Umsatzsteuer von der Klägerin nicht ohne Rechtsgrund gezahlt
worden; vielmehr war Rechtsgrund die jeweils bestandskräftige USt-Festsetzung.
54
Die Klägerin hat auch keinen gemeinschaftsrechtlichen Erstattungsanspruch.
55
Nach der Rechtsprechung des EuGH kann ein Steuerpflichtiger mit Rückwirkung auf
den Tag des Inkrafttretens der im Widerspruch zur Richtlinie 77/388/EWG stehenden
nationalen Rechtsvorschriften die Erstattung der ohne Rechtsgrund gezahlten
Mehrwertsteuer nach den in der innerstaatlichen Rechtsordnung des betreffenden
Mitgliedstaats festgelegten Verfahrensmodalitäten verlangen, sofern diese Modalitäten
nicht ungünstiger sind als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht
betreffen, und nicht so ausgestaltet sind, dass sie die Ausübung der Rechte, die die
Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen (vgl. z.B. EuGH-
Urteil vom 6. Juli 1995 Rs. C-62/93 – Soupergaz –, Slg. 1995, I-1883, HFR 1995, 606,
IStR 1995, 385, Leitsatz 4).
56
Auch diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor (vgl. hierzu BFH-Urteil vom
23. November 2006 V R 67/05, DStR 2007, 344). Die Klägerin hat die Umsatzsteuer mit
Rechtsgrund, nämlich aufgrund der bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen für
die Streitjahre, gezahlt.
57
V. Der mit Schreiben vom 17. März 2005 eingelegte Einspruch kann auch nicht in einen
Änderungsantrag umgedeutet werden. Ein Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO
kann nur dann angenommen werden, wenn der Wortlaut des Einspruchsschreibens
diese Auslegung erlaubt. Bei einem eindeutigen nur den Rechtsbehelf des Einspruchs
umfassenden Einspruchsschreiben ist dies nicht der Fall. So liegt der Fall hier. Der
Wortlaut des Schreibens vom 17. März 2005 ist nicht in dem von der Klägerin
58
gewünschten Sinn auslegungsfähig. Unabhängig davon wäre ein Änderungsantrag
nach § 164 Abs. 2 AO bezüglich des Streitjahres 2000 verspätet gewesen, da der
Vorbehalt der Nachprüfung bereits mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 aufgehoben
worden ist. Die Festsetzung für das Streitjahr 2001 ist nicht unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung ergangen.
VI. Der Senat hält eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG nicht für
erforderlich. Der Senat ist zum einen nach dieser Regelung hierzu nicht verpflichtet.
Zum anderen ist er der Auffassung, dass die entscheidungserheblichen Fragen durch
die Rechtsprechung des EuGH hinreichend geklärt sind.
59
Zwar hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 4. September 2008 (2 BvR 1321/07, UR
2008, 884) ausgeführt, dass der Europäische Gerichtshof die Fragen zur Durchbrechung
der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger belastender Verwaltungsakte der
Mitgliedstaaten noch nicht erschöpfend beantwortet habe. Insbesondere sei bislang
unklar, welche Bedeutung der von dem Europäischen Gerichtshof in der Kühne und
Heitz-Entscheidung aufgestellten Voraussetzung zukomme, dass die Behörde nach
nationalem Recht befugt sein müsse, die Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen
(Urteil vom 13. Januar 2004, a.a.O., Rn. 28). Zugleich weist das BVerfG aber zu Recht
auf die Entscheidung des EuGH in der Sache Kempter (Rs. C-2/06 EuZW 2008, 148)
hin, in der der EuGH entschieden hat, dass die Festsetzung angemessener
Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem
Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Solche Fristen seien nämlich nicht geeignet, die
Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte praktisch
unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Aufgrund dessen können die
Mitgliedstaaten im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der
Effektivität und der Äquivalenz angemessene Rechtsbehelfsfristen festlegen.
60
Nach Ergehen der Entscheidung des BVerfG hat der EuGH zudem in der Sache Danske
Slagterier (C-445/06) entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer
nationalen Regelung nicht entgegen steht, nach der ein Einzelner keinen Ersatz für
einen Schaden verlangen kann, bei dem er es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen
hat, ihn durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, vorausgesetzt, dass der
Gebrauch dieses Rechtsmittels dem Geschädigten zumutbar ist. Es sei insoweit Sache
des (nationalen) Gerichts, dies anhand der aller Umstände zu prüfen. Die
Wahrscheinlichkeit, dass das nationale Gericht nach Art. 234 EG ein
Vorabentscheidungsersuchen stellt, oder eine beim Gerichtshof anhängige
Vertragsverletzungsklage lassen für sich genommen nicht den Schluss zu, dass der
Gebrauch eines Rechtsmittels unzumutbar ist.
61
Vorliegend war es der Klägerin nach den Gesamtumständen aber zumutbar, sich gegen
die rechtswidrigen USt-Festsetzungen durch rechtzeitige Einlegung eines
Rechtsbehelfs zu wehren und diesen überprüfen zu lassen.
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Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 115 Abs. 2 FGO
zugelassen.
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