Urteil des FG Münster vom 07.06.2010
FG Münster (gerichtliches verfahren, abgrenzung zu, 1995, württemberg, baden, gkg, gleichstellung, bremen, stand, gerichtskosten)
Finanzgericht Münster, 9 Ko 647/10 KFB
Datum:
07.06.2010
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 Ko 647/10 KFB
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Erinnerungsverfahrens tragen die Erinnerungsführer.
Gerichtskosten werden nicht erhoben
Gründe
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I.
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Im Klageverfahren 9 K 3390/07 haben die Beteiligten nach der Zusage einer Teilabhilfe
durch das Finanzamt (FA) noch während des vorbereitenden Verfahrens den
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Daraufhin hat der Berichterstatter mit
Beschluss vom 3. November 2009 die Kosten des Verfahrens zu 69% dem FA und zu
31% den Klägern und Erinnerungsführern (Erinnerungsführer) auferlegt.
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In ihrem Kostenfestsetzungsantrag haben die Erinnerungsführer die Erledigungsgebühr
nach Nr. 1004 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
(VV-RVG) nach einem Satz von 1,3 bemessen. Der Urkundsbeamte hat mit dem
angefochtenen Beschluss vom 27. Januar 2010 nur einen Satz von 1,0 (Nr. 1002 VV-
RVG) zugrunde gelegt, die zu erstattenden Kosten auf 4.230,06 EUR festgesetzt und
den darüber hinaus gehenden Kostenfestsetzungsantrag abgelehnt.
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Mit ihrer fristgerecht eingegangenen Erinnerung begehren die Erinnerungsführer
weiterhin, die Erledigungsgebühr nach einem Satz von 1,3 zu bemessen. Sie sind der
Auffassung, das finanzgerichtliche Verfahren sei als Berufungsverfahren im Sinne
dieses Gebührentatbestands anzusehen. Ferner sind sie der Auffassung, dass nicht der
Berichterstatter, sondern der Senat über die Erinnerung zu entscheiden hat.
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Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
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II.
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Für die Entscheidung über die Erinnerung ist gemäß § 79a Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 4
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FGO nicht der Senat, sondern der Berichterstatter zuständig.
Zwar enthält § 149 FGO für Erinnerungen gegen die Festsetzung des
Kostenerstattungsanspruchs - anders als § 66 des Gerichtskostengesetzes (GKG) für
Erinnerungen gegen den Ansatz der Gerichtskosten - keine ausdrückliche Zuweisung
an den Einzelrichter.
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Die gesetzliche Zuständigkeit des Berichterstatters für die Entscheidung über Kosten (§
79a Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 4 FGO) erstreckt sich jedoch auch auf die Entscheidung
über Erinnerungen, sofern die Kostenentscheidung im vorbereitenden Verfahren durch
den Berichterstatter getroffen worden ist. Dies war hier der Fall.
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Zur Begründung verweist das Gericht auf die ausführlich begründeten Beschlüsse des
FG des Saarlandes vom 29. Juli 1994 2 S 69/94 (EFG 1995, 379) und des FG
Düsseldorf vom 7. Februar 2001 14 Ko 583/01 (DStRE 2001, 1131). Dabei ist
insbesondere hervorzuheben, dass nach der Gegenauffassung für die
Zuständigkeitsvorschrift des § 79a Abs. 1 Nr. 5 FGO (Entscheidung "über Kosten") kein
eigener Anwendungsbereich verbliebe, da die Kostengrundentscheidung in Fällen der
Klagerücknahme bzw. Hauptsacheerledigung bereits unter § 79a Abs. 1 Nr. 2 oder 3
FGO fiele. Dies entspricht auch der ganz herrschenden Meinung in
Finanzgerichtsbarkeit und Literatur (vgl. nur die Beschlüsse des FG Baden-Württemberg
vom 1. Juni 1993 6 Ko 3/92, EFG 1994, 52; vom 7. Januar 1994 6 Ko 6/92, EFG 1994,
669, und vom 27. August 2007 8 Ko 1/07, EFG 2007, 1972, unter V.; FG Münster,
Beschluss vom 21. April 1994 6 Ko 6774/93, EFG 1994, 671; Seer in Tipke/Kruse, § 79a
FGO Tz. 11, Stand Februar 2009; Brandis in Tipke/Kruse, § 149 FGO Tz. 21, Stand
Januar 2010; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 79a FGO Rz. 82, Stand Juni
2009).
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Dieser instanzgerichtlichen Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit hat sich - zur
Parallelvorschrift des § 87a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auch das
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) angeschlossen (BVerwG-Beschluss vom 13. März
1995 4 A 1/92, NJW 1995, 2179, unter II.1.).
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Zum Parallelproblem der Zuständigkeit für Erinnerungen gegen
Gerichtskostenfestsetzungen (vor Schaffung der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung
des § 66 GKG) wurde von der überwiegenden Meinung zudem dieselbe Auffassung
vertreten (vgl. FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Dezember 1993 6 Ko 12/93,
EFG 1994, 668; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. Januar 1996 6 Ko 5/94, EFG
1996, 560; Niedersächsisches FG, Beschluss vom 9. Februar 2001 2 Ko 16/99, EFG
2001, 654).
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Der Senat ist nur dann zuständig, wenn die Kostenentscheidung nicht im
vorbereitenden Verfahren ergeht, d.h. insbesondere dann, wenn bereits die
Kostengrundentscheidung in einem Senatsbeschluss enthalten war (vgl. hierzu FG
Münster, Beschluss vom 7. November 2002 15 Ko 4204/02, EFG 2003, 345).
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Soweit in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung teilweise die Gegenauffassung
vertreten wird (FG Bremen, Beschluss vom 15. Dezember 1994 2 94.238 E2, EFG 1995,
381; FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. Mai 2006 4 Ko 269/06, EFG 2006, 1344;
Gräber/Koch, FGO, 6. Auflage 2006, § 79a Rn. 15; Just, DStR 2008, Beihefter zu Heft
40, 77), vermag das Gericht dem aus den genannten Gründen nicht zu folgen. Weitere in
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diesem Zusammenhang genannte Entscheidungen, in denen scheinbar die
Gegenauffassung vertreten wird, sind im Streitfall schon deshalb nicht einschlägig, weil
in den dortigen Fällen entweder bereits die Kostengrundentscheidung durch den Senat
getroffen worden war (FG Bremen, Beschluss vom 3. November 1993 2 93.079 E2, EFG
1994, 162; FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. September 1995 II 1/95 Ko, EFG
1996, 149), oder weil die Entscheidungen Erinnerungen nach dem GKG vor Inkrafttreten
des § 66 GKG betrafen (FG Bremen, Beschluss vom 8. Dezember 1993 2 93.322 E2,
EFG 1994, 305).
III.
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Die Erinnerung ist unbegründet. Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss ist
rechtmäßig.
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1. Nach Nr. 1004 VV-RVG beläuft sich der Satz der Erledigungsgebühr auf 1,3, wenn
über den Gegenstand ein Berufungs- oder Revisionsverfahren anhängig ist. Ist
hingegen "ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges
Beweisverfahren" anhängig, beträgt der Gebührensatz 1,0 (Nr. 1003 VV-RVG).
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Das erstinstanzliche finanzgerichtliche Verfahren ist weder ein Berufungs- noch ein
Revisionsverfahren. Vielmehr werden beim FG "Klagen" angebracht (vgl. §§ 40, 41, 45,
46 FGO). Die Voraussetzungen der Nr. 1004 VV-RVG sind daher nach dem klaren
Wortlaut dieser Norm nicht erfüllt.
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2. Nichts anderes folgt aus der Systematik der vergütungsrechtlichen Vorschriften.
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Nach Abs. 1 Nr. 1 der Vorbemerkung 3.2.1 VV-RVG ist der - grundsätzlich nur für
Berufungen geltende - Unterabschnitt 1 des Abschnitts 2 des Teils 3 des VV-RVG auch
in Verfahren vor dem FG anzuwenden. Diese Vorbemerkung zeigt, dass der
Gesetzgeber für die vergütungsrechtliche Gleichstellung des Klageverfahrens vor dem
FG mit einem Berufungsverfahren eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für
erforderlich gehalten hat.
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Dass der Gesetzgeber für die im Unterabschnitt 3.2.1 genannten Gebühren eine solche
ausdrückliche Regelung getroffen hat, in Teil 1 des VV-RVG hingegen nicht, zeigt, dass
er für den Teil 1 des VV-RVG keine Gleichstellung des finanzgerichtlichen Verfahrens
mit einem Berufungsverfahren wollte.
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Zwar ist den Erinnerungsführern zuzugeben, dass nach der hier vertretenen Auffassung
für unstreitige Erledigungen andere Grundsätze gelten als für die Verfahrens- und
Terminsgebühren. Indes wäre eine Erweiterung der Nr. 1004 VV-RVG angesichts des
klaren Wortlauts der vergütungsrechtlichen Regelungen nach Auffassung des Gerichts
Sache des Gesetzgebers.
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Soweit die Erinnerungsführer darauf verweisen, dass Richter am Finanzgericht nach
denselben Grundsätzen besoldet werden wie Richter an Berufungsgerichten, kann dies
der Erinnerung ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Die Besoldungsregelungen für das
richterliche Justizpersonal einerseits und die Vergütungsregelungen für
Beteiligtenvertreter andererseits sind zu unterschiedlich ausgestaltet, um aus Normen,
die für den einen Regelungsbereich gelten, Rückschlüsse für die Auslegung von
Normen des anderen Regelungsbereichs ziehen zu können. So ist wesentliches
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Element der Bemessung der Gebühren der Beteiligtenvertreter der Gegenstandswert
der Sache. Dieser ist für die Höhe der Richterbesoldung hingegen ohne jede
Bedeutung. Dafür ist die Richterbesoldung entscheidend von persönlichen Merkmalen
wie Alter, Familienstand oder der Anzahl der Kinder abhängig. Derartige Merkmale sind
wiederum für die Höhe der Vergütung eines Prozessbevollmächtigten ohne Belang.
3. Der von den Erinnerungsführern zitierte Beschluss des FG Rheinland-Pfalz vom 26.
November 2007 6 Ko 2195/07, EFG 2008, 409 (ebenso FG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 14. Dezember 2006 8 Ko 11/06, Jur Büro 2007, 198) begründet seine
abweichende Auffassung allein mit einem Verweis auf die Gesetzesmaterialien
(fraktionsübergreifender Gesetzentwurf vom 11. November 2003, Bundestags-
Drucksache 15/1971, 213).
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Diese Ausführungen in den Gesetzesmaterialien beziehen sich aber ausschließlich auf
die - unter 2. bereits angesprochene - Vorbemerkung 3.2.1 VV-RVG, nicht jedoch auf die
hier allein interessierende Frage der Auslegung der Nr. 1004 VV-RVG. Die Begründung
des Gesetzentwurfs zu Nr. 1004 VV-RVG (Bundestags-Drucksache 15/1971, 204 f.)
lässt hingegen nicht den Schluss zu, dass der Gesetzgeber auch hier die Gleichstellung
des finanzgerichtlichen Verfahrens mit einem Berufungsverfahren wollte. Im Gegenteil
nimmt die Entwurfsbegründung dort ausdrücklich eine Abgrenzung zu Verfahren "in der
ersten Instanz" vor.
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4. Dass der Kostenfestsetzungsbeschluss aus sonstigen Gründen unrichtig sein könnte,
wird weder von den Erinnerungsführern vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gerichtskosten sind in
Ermangelung eines gesetzlichen Gebührentatbestands nicht zu erheben.
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