Urteil des FG Münster vom 30.08.2010

FG Münster (gkg, gerichtskosten, masseverbindlichkeit, anzeige, verfahrenskosten, kläger, aufnahme, forderung, teil, entstehung)

Finanzgericht Münster, 11 K 4689/08 GK
Datum:
30.08.2010
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 K 4689/08 GK
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Kostenrechnung vom 25.11.2008 wird dahingehend geändert, dass
gegen den Erinnerungsführer nur die Gebühren nach Nr. 9005 und 9006
KV-GKG festgesetzt sind. Die Kostenfestsetzung für die Gebühren nach
Nr. 9000, 3110 und 3115 KV-GKG wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Die Kosten des Erinnerungsverfahrens trägt der Erinnerungsgegner.
Gründe:
1
I.
2
Mit Beschluss des Amtsgerichts H vom 26.09.2006 wurde über das Vermögen des
Herrn I das Insolvenzverfahren eröffnet. Als Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt M
(Kläger) bestellt.
3
In Unkenntnis der Insolvenzeröffnung entschied der 11. Senat des FG Münster mit Urteil
vom 10.11.2006 über eine unter dem Aktenzeichen 11 K 3207/03 F anhängige Klage
des Herrn I und erlegte die Kosten des Verfahrens dem Kläger zu 71 % und dem
Beklagten zu 29 % auf.
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Der Insolvenzverwalter (Erinnerungsführer) legte gegen das Urteil
Nichtzulassungsbeschwerde ein und machte einen Verstoß gegen § 240 ZPO, die
Verletzung rechtlichen Gehörs sowie Sachaufklärungsmängel geltend. Der BFH hob
daraufhin mit Beschluss vom 31.05.2007 - IV B 127/06 - das erstinstanzliche Urteil unter
Hinweis auf die eingetretene Verfahrensunterbrechung auf, verwies die Sache an das
Finanzgericht Münster zurück (dort erfasst unter 11 K 3283/07 F) und übertrug diesem
die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Beklagte nahm den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 31.08.2007 auf. Mit Beschluss
vom 29.10.2007 wurde das Rubrum des Verfahrens dahingehend berichtigt, dass als
Kläger nicht mehr Herr I, sondern stattdessen Herr Rechtswalt M als Insolvenzverwalter
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des Vermögens des Herrn I geführt wird.
In der mündlichen Verhandlung vom 13.06.2008 erklärten die Beteiligten den
Rechtsstreit 11 K 3283/07 F übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Die Kosten
des Verfahrens einschließlich des Beschwerdeverfahrens wurden dem Kläger und dem
Beklagten zu je 50 % auferlegt.
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Mit Kostenrechnung vom 25.11.2008 wurden dem Insolvenzverwalter ausgehend von
einem Streitwert von 3.834.273,40 EUR folgende Kosten in Rechnung gestellt:
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Verfahren im Allgemeinen, Nr. 3110 KV-GKG 50 % 6.503,00 EUR
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Endurteil ohne Gerichtsbescheid, Nr. 3115 KV-GKG 50 % 16.257,50 EUR
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Zeugenentschädigung Nr. 9005 KV-GKG 50 % 34,00 EUR
11
Dokumentenpauschale Nr. 9000 KV-GKG 100 % 10,00 EUR
12
Reisekosten Nr. 9006 KV-GKG 50 % 23,23 EUR
13
22.827,73 EUR
14
Hiergegen hat der Insolvenzverwalter am 09.12.2008 Erinnerung eingelegt.
15
Er trägt vor, dass nicht er der Kostenschuldner sei, da er sich am Verfahren - abgesehen
von der gewonnenen Nichtzulassungsbeschwerde - nicht aktiv beteiligt habe.
Insbesondere habe er es stets abgelehnt, das Verfahren aufzunehmen. Die
Verfahrensaufnahme sei vielmehr vom Beklagten erklärt worden und die Wirksamkeit
dieser Aufnahmeerklärung sei zudem zweifelhaft, da es sich bei dem vorliegenden
Prozess nicht um einen Aktivprozess gehandelt habe.
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Außerdem seien die festgesetzten Kosten keine Masseverbindlichkeiten, sondern
Insolvenzforderungen. Zu den Insolvenzforderungen gehörten gem. § 38 InsO die
Ansprüche aller Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
(hier: 26.09.2006) begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hätten.
Begründet i.S.d. § 38 InsO heiße lediglich, dass der Rechtsgrund für die Entstehung des
Vermögensanspruchs bestehen müsse; die Forderung müsse dagegen noch nicht
abschließend bezifferbar sein.
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Verfahrenskosten würden als Kostenforderung das Schicksal der in der Insolvenztabelle
festgestellten Hauptforderung teilen und seien somit als Insolvenzforderung anzusehen,
auch wenn sie zeitlich erst nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entstanden seien
(Verweis auf Beschluss des Amtsgericht B vom 26.10.2007 - 248 M /07). Im Streitfall
gehe es um die Feststellungen der Jahre 1995 bis 1997 und damit um Zeiträume, die
weit vor der Insolvenzeröffnung liegen würden. Da die aus den Feststellungen
resultierenden Einkommensteuern von 1995 bis 1997 Insolvenzforderungen seien, teile
die Kostenforderung ihr Schicksal und sei ebenfalls Insolvenzforderung.
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Hilfsweise werde geltend gemacht, dass er - der Insolvenzverwalter - allenfalls die
Kosten schulde, die auf das von ihm initiierte Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
entfielen.
19
Soweit das Gericht die Kostenforderung als Masseverbindlichkeit einstufe, werde
zudem der Einwand der Masseunzulänglichkeit erhoben. Der BGH habe mit Beschluss
vom 09.10.2008 - IX ZB 129/07 (veröffentlicht u. a. in ZInsO 2008, 1204) - entschieden,
dass gegen einen Insolvenzverwalter ein Kostenfestsetzungsbeschluss nicht ergehen
dürfe, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit glaubhaft
gemacht habe, dass eine als Masseverbindlichkeit einzustufende
Kostenerstattungsforderung aus der Masse nicht befriedigt werden könne.
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Im Übrigen handele es sich im Streitfall nicht um eine sogenannte
Neumasseverbindlichkeit, sondern um eine Altmasseverbindlichkeit. Nach der eben
genannten Entscheidung des BGH habe eine obsiegende Partei als Altmassegläubiger
wegen des in § 210 InsO angeordneten Vollstreckungsverbotes kein
Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass eines Kostenfestsetzungsbeschlusses gegen den
im Rechtsstreit unterlegenen Insolvenzverwalter. Altmassegläubiger sei danach eine
Partei, deren Erstattungsanspruch durch Klageerhebung vor Anzeige der
Masseunzulänglichkeit begründet worden sei. Dieser Sachverhalt sei vorliegend in
vergleichbarer Form verwirklicht.
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Der Erinnerungsführer beantragt,
22
die Kostenrechnung vom 25.11.2008 ersatzlos aufzuheben,
23
hilfsweise,
24
den in der Kostenrechnung ausgewiesenen Betrag als Insolvenzforderung zu
kennzeichnen.
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Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
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Hinsichtlich der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ergibt sich aus der Gerichtsakte 11
K 3283/07 F Folgendes: Ein an die Oberjustizkasse Hamm gerichteter Schriftsatz vom
14.10.2008 (Bl. 115) enthält zwar in der Bezugszeile den Text "Hier: Anzeige der
Masseunzulänglichkeit", jedoch wird dieser Inhalt nachfolgend nicht aufgegriffen; es
folgen lediglich Ausführungen dazu, warum es sich bei den Gerichtskosten nicht um
Masseverbindlichkeiten handele. Erst mit Schreiben vom 26.02.2009 (Bl. 156, 157) wird
dem Finanzgericht - diesmal ausdrücklich - mitgeteilt, dass der Insolvenzverwalter dem
Insolvenzgericht am 10.04.2008 die Masseunzulänglichkeit angezeigt habe.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die
Gerichtsakten der Verfahren 11 K 3207/03 F, IV B 127/06 und 11 K 3283/07 F Bezug
genommen.
28
II.
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Die Erinnerung, über die auf der Grundlage der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung
des Gerichtskostengesetzes (GKG a. F.) zu entscheiden war, da das
Hauptsacheverfahren 11 K 3207/03 F vor dem 01.07.2004 anhängig geworden ist (§ 72
Nr. 1 GKG in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts
vom 05.05.2004, Bundesgesetzblatt I, 718), ist zulässig und überwiegend begründet.
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1. In welchem Verfahrensabschnitt die Entscheidung, inwieweit eine
Gerichtskostenforderung eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO oder
eine Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO darstellt, zu treffen ist, ist in Rechtsprechung
und Literatur umstritten.
31
Zum Teil wird vertreten, dass diese Entscheidung Teil der Kostengrundentscheidung
sei. Habe das Gericht dem Insolvenzverwalter in der Kostengrundentscheidung einen
Anteil an den Verfahrenskosten auferlegt, ohne weitere Differenzierungen -
insbesondere ohne eine Aufteilung nach Zeitabschnitten - vorzunehmen, dann bedeute
dies, dass es sich bei den Gerichtskosten insgesamt um Masseverbindlichkeiten
handele. Ob diese Kostengrundentscheidung letztlich zutreffend sei, könne weder im
Kostenfestsetzungs¬verfahren noch im Erinnerungsverfahren überprüft werden. Denn
die Kostenbeamten hätten eine Kostenentscheidung nicht auszulegen oder zu
interpretieren, sondern zu vollziehen, indem sie betragsmäßig umsetzen, was der
Richter in der bindenden Kostengrundentscheidung festgelegt habe. Dies gelte auch
hinsichtlich der gegen den Insolvenzverwalter gerichteten Kostenerstattungsforderung
nach Aufnahme des wegen Insolvenzeröffnung unterbrochenen Prozesses (vgl. OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 23.01.2001 - 10 W 1/01, OLGR Düsseldorf 2001, 229; OLG
Stuttgart, Beschluss vom 01.09.2006 - 8 W 352/05, ZInsO 2007, 43 m.w.N.; BAG,
Beschluss vom 19.09.2007 - 3 AZB 35/05, DB 2008, 303; OLG Koblenz, Beschluss vom
12.06.2008, 14 W 371/08, ZIP 2009, 783; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.02.2009 -8
W 39/09, OLGR Stuttgart 2009, 493) .
32
Nach anderer Auffassung, welche insbesondere vom Bundesfinanzhof vertreten wird
(vgl. BFH, Urteil vom 10.07.2002 - I R 69/00, BFH/NV 2002, 1545 m.w.N und Beschluss
vom 30.04.2003 - VII E 8/03, BFH/NV 2003, 1201; so auch Hessisches
Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 27.04.2005 - 17/13 Ta 573/04, juris), ist erst im
Kostenerhebungsverfahren darüber zu entscheiden, inwieweit die gegenüber dem
Kläger festzusetzenden Kosten Insolvenzforderungen oder aber Masseschulden
darstellen. Denn diese Fragen würden nicht die eigentliche Kostentragungspflicht
betreffen, sondern vielmehr gehe es darum, in welcher Weise und gegen wen diese
Pflicht im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu verwirklichen sei. Die Aufteilung in
Insolvenzforderungen und Masseschulden sei Sache der Kostenerhebung durch den
Kostenbeamten im Kostenfestsetzungs- und Kostenansatzverfahren und hänge nicht
davon ab, ob die Kosten in der Grundentscheidung dem Insolvenzverwalter als
unterliegendem Beteiligten insgesamt auferlegt worden seien.
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Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an, da diese Auslegung den
umfassenderen Rechtschutz gewährleistet. Hierbei ist zu beachten, dass nach § 145
FGO die Entscheidung über die Kosten nur zusammen mit der Entscheidung in der
Hauptsache anfechtbar ist und Kostenentscheidungen, die nach Erledigung der
Hauptsache oder Klagerücknahme ergehen, unanfechtbar sind. Bei einem Großteil aller
finanzgerichtlichen Verfahren haben die Beteiligten mithin keine Gelegenheit, eine vom
Gericht getroffene Einordnung in Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen zur
Überprüfung zu stellen. Dieses Fehlen einer Rechtschutzmöglichkeit wiegt umso
schwerer, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass - jedenfalls in finanzgerichtlichen
Verfahren - sich die Beteiligten im Rahmen des Hauptsacheverfahrens typischerweise
nicht darüber austauschen, ob etwaige Gerichtskosten Masseverbindlichkeiten oder
Insolvenzforderungen sind. Wenn die abschließende Entscheidung über die rechtliche
Einordnung der Gerichtskosten zwingend schon aus der Kostengrundentscheidung
herauszulesen wäre, würden die Beteiligten mithin in vielen Fällen vor vollendete
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Tatsachen gestellt, ohne rechtlich gehört worden zu sein. Hinzu kommt, dass bei einer
derartigen Ausgangslage - d.h. ohne entsprechende Thematisierung im Klageverfahren
und mithin ohne entsprechendem Problembewusstsein - nicht einfach unterstellt werden
kann, dass das Gericht mit der Kostengrundentscheidung nicht nur über die prozentuale
Verteilung der Verfahrenskosten auf die Beteiligten, sondern zugleich auch über die
rechtliche Einordnung der Verfahrenskosten in Insolvenzforderungen und
Masseverbindlichkeiten entscheiden wollte. Der Senat wollte dies bei seiner am
13.06.2008 in dem Verfahren 11 K 3283/07 F getroffenen Kostengrundentscheidung
jedenfalls nicht, so dass - wenn man der zuerst genannten Auffassung folgen und die
Verfahrenskosten mangels Differenzierung als Masseverbindlichkeiten ansehen würde -
sowohl die Beteiligten als auch das Gericht an einer Entscheidung festgehalten würden,
die gar nicht getroffen werden sollte und nach hiesigem Verständnis auch nicht getroffen
worden ist. Dies ist mit dem Gebot eines effektiven Rechtschutzes nicht vereinbar.
Sofern die Kostengrundentscheidung bzw. die Entscheidungsgründe - wie hier - keine
ausdrücklichen Ausführungen zu der Einordnung der Kostenforderung als
Insolvenzforderung bzw. Masseverbindlichkeiten enthalten, ist deshalb davon
auszugehen, dass eine diesbezügliche Entscheidung noch nicht getroffen wurde und
diese Entscheidung mithin nachträglich im Kostenerhebungsverfahren zu treffen ist und
auch getroffen werden kann.
2. Der Erinnerungsführer wurde in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter zu Unrecht
in voller Höhe als Kostenschuldner in Anspruch genommen.
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Nach der Grundregel des § 49 Satz 1 GKG a. F. ist in den Verfahren vor den Gerichten
der Finanzgerichtsbarkeit Schuldner der Kosten derjenige, der das Verfahren der
Instanz beantragt hat. Das war im Verfahren 11 K 3207/03 F der frühere Kläger Herr I
und nicht der Erinnerungsführer. Da über das Vermögen des früheren Klägers das
Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, müsste ein entsprechender Anspruch der
Staatskasse prinzipiell im Insolvenzverfahren angemeldet werden. Die Verpflichtung zur
Zahlung von Kosten wird jedoch nach Maßgabe des § 60 GKG a.F. (§ 33 GKG n.F.) auf
weitere Personen erweitert. Soweit nach den in § 60 GKG a.F. aufgeführten
Bestimmungen eine Zahlungspflicht begründet wird, erwirbt die Staatskasse einen
weiteren Kostenschuldner, der neben den sonstigen im Gerichtskostengesetz
genannten Kostenschuldnern zur Tragung von Gebühren und Auslagen herangezogen
werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28.10.2004 - III ZR 297/03, BB 2004, 2659).
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Die Kostentragungspflicht eines Insolvenzverwalters erstreckt sich nach § 60 GKG a.F.
i.V.m. § 55 InsO insbesondere auf die Masseverbindlichkeiten. Masseverbindlichkeiten
sind gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO u.a. die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des
Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und
Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des
Insolvenzverfahrens zu gehören. Zu den Handlungen, die zur Entstehung von
Masseverbindlichkeiten führen, gehört insbesondere die Aufnahme eines durch die
Insolvenz unterbrochenen Verfahrens durch den Insolvenzverwalter. Aber auch bei
einer Aufnahme des Verfahrens durch die Gegenpartei können Masseverbindlichkeiten
entstehen, nämlich dann, wenn der Insolvenzverwalter den Anspruch nicht unverzüglich
anerkennt (vgl. § 86 Abs. 2 InsO), sondern sich auf den Rechtsstreit einlässt. Auch in
diesem Fall erbringt der Insolvenzverwalter (Prozess)Handlungen, wie hier z.B. die
Hauptsacheerledigungserklärung in dem Verfahren 11 K 3283/07 F.
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Streitig ist in diesem Zusammenhang allerdings, ob sich die Haftung des
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Insolvenzverwalters auch auf bereits vor der Insolvenzeröffnung entstandene
Verbindlichkeiten erstreckt oder ob als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO
nur eine Verbindlichkeit in Betracht kommt, die - erstmals - nach diesem Zeitpunkt
entstanden ist.
Unter der Geltung der Konkursordnung ist zu § 59 KO in Rechtsprechung und Schrifttum
nahezu einhellig vertreten worden, eine Differenzierung hinsichtlich der vor und nach
der Unterbrechung des Rechtsstreits entstandenen Kosten finde nicht statt (so z.B. OLG
Hamm KTS 1974, 178, 179; OLG Köln JurBüro 1986, 1244 f; OLG Hamm JurBüro 1990,
1482, 1483). Für § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, der sprachlich etwas anders als § 59 Abs. 1 Nr.
1 KO gefasst ist ("Verbindlichkeiten, die ... begründet werden", anstatt "Ansprüche,
welche ... entstehen") wird weitgehend die selbe Auffassung vertreten (vgl. die
umfangreichen Fundstellen in BGH, Beschluss vom 28.10.2004 - III ZR 297/03, BB
2004, 2659; Hefermehl in Münchener - Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. Rn. 47
zu § 55 InsO mit zahlreichen weiteren Nachweisen unter Fußnote 93). Zur Begründung
wird angeführt, dass die Kosten eines Rechtsstreits (in allen Instanzen) ein einheitliches
Ganzes bilden würden und sich daher eine Differenzierung hinsichtlich der vor und nach
der Unterbrechung des Rechtsstreits entstandenen Kosten verbiete. Diese Auffassung
läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass ein zunächst als Konkurs-/Insolvenzforderung
begründeter Anspruch infolge der Aufnahme des Prozesses zu einer
Masseschuld/Masseverbindlichkeit "erstarkt" und damit eine Besserstellung jener
Gläubiger gegenüber den anderen Konkurs-/Insolvenzgläubigern bewirkt wird.
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Demgegenüber wird in jüngerer Zeit zunehmend vertreten, der Grundsatz der
Einheitlichkeit der Kostenentscheidung könne die insolvenzrechtliche Einordnung der
Forderung als Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung nicht beeinflussen.
Vielmehr könne - auch um eine ungerechtfertigte Privilegierung der hier in Rede
stehenden Gläubiger zu vermeiden - zur Trennung von Insolvenzforderungen und
Masseverbindlichkeiten der in § 105 InsO enthaltene Gedanke herangezogen werden
(z.B. OLG Rostock, Urteil vom 05.11.2001 - 3 U 168/99, ZIP 2001, 2145; OLG München,
Beschluss vom 11.10.1999 - 11 W 2206/99, MDR 1999, 1524; Sinz in Uhlenbruck,
Insolvenzordnung, 13. Aufl., § 55 Rn. 18; eingehend auch Uhlenbruck in ZIP 2001, 1988
f.). Verfahrenskosten für Instanzen, die vor Eintritt des Insolvenzverwalters in den
Rechtsstreit abgeschlossen worden seien und in denen die Kostenentscheidung gegen
den Gemeinschuldner ergangen seien, würden deshalb Insolvenzforderungen bleiben,
auch wenn der Insolvenzverwalter den Rechtsstreit in späteren Instanzen aufnehme.
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Nach einer vereinzelten Ansicht (Amtsgericht Bremen vom 26.10.2007 - 248 M
480854/07, NZI 2008, 55) wird auch vertreten, dass die Kostenforderung das Schicksal
der in der Insolvenztabelle festgestellten Hauptforderung teile, d.h. Gerichtskosten für
Klagen, die Insolvenzforderungen betreffen, unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Entstehung
ebenfalls als Insolvenzforderung anzusehen seien. Diese Auffassung ist auf den
Streitfall jedoch schon deshalb nicht anwendbar, weil es in dem Verfahren 11 K 3283/07
F nicht um die Höhe von zur Insolvenztabelle angemeldeten Steuerforderungen bzw.
um die Rechtmäßigkeit entsprechender Steuerfestsetzungs-bescheide ging, sondern
sich die Klage gegen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von
Einkünften richtete. Die Feststellungsbescheide mögen zwar mittelbar zu einer höheren
Steuerfestsetzung geführt haben, begründen selbst jedoch keine Insolvenzforderungen.
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Der Bundesfinanzhof hat die Frage, ob eine zeitliche Differenzierung vorzunehmen ist,
bislang offen gelassen (vgl. BFH, Urteil vom 10.07.2002 - I R 69/00, BFH/NV 2002,
42
1545).
Nach Auffassung des Senats verbietet es der Grundsatz der Einheit der
Kostenentscheidung, die Kosten einer Instanz in solche vor oder nach Eintritt des
Insolvenzverwalters in das Verfahren aufzusplitten. Will ein Insolvenzverwalter
verhindern, dass die bereits vor der Insolvenzeröffnung entstandenen Gerichtskosten
(wie z.B. die Verfahrensgebühr) der Masse zur Last fällt, bleibt ihm die Möglichkeit, das
Verfahren nicht aufzunehmen bzw. - bei Aufnahme des Verfahrens durch den
Prozessgegner - dessen Forderung anzuerkennen (§ 86 Abs. 2 InsO). Lässt er sich
dagegen auf den Rechtsstreit ein, ist das Verfahren durch seine Handlungen zumindest
mitverursacht, so dass es gerechtfertigt erscheint, alle Verfahrenskosten dieser Instanz -
d.h. auch die vor dem Verfahrenseintritt entstandenen - als Masseverbindlichkeiten
anzusehen.
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Anders verhält es sich dagegen mit den Kosten für bereits abgeschlossene Instanzen,
an denen der Insolvenzverwalter nicht mitgewirkt hat und in denen sich die
Kostengrundentscheidung noch an den Gemeinschuldner richtete. Da
Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur die Verbindlichkeiten sind, die
"durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die
Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden", es
hinsichtlich der vor Verfahrensaufnahme bereits abgeschlossenen Instanzen jedoch an
jeglicher Mitwirkung des Insolvenzverwalters fehlt, kann es sich bei den Kosten dieser
Verfahren nicht um Masseverbindlichkeiten handeln.
44
Bezogen auf den Streitfall ergibt sich Folgendes: An dem ersten Rechtszug war der
Erinnerungsführer noch nicht beteiligt und die Kostenentscheidung im Urteil vom
10.11.2006 - 11 K 3207/03 F richtete sich an Herrn I als damaligen Kläger. Somit waren
die Kosten, die bereits mit Abschluss des ersten Rechtszugs entstanden waren,
Insolvenzforderungen und diese Kosten sind durch die spätere Aufnahme des
Verfahrens im zweiten Rechtszug auch nicht zur Masseverbindlichkeit erstarkt. Es
handelt sich hierbei um die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen (Nr. 3110 KV-
GKG), die Urteilsgebühr (Nr. 3115 KV-GKG) sowie die Dokumentenpauschale. Diese
konnten nicht gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzt werden, sondern waren
zur Insolvenztabelle anzumelden.
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Die Zeugenentschädigung (50% = 34 EUR) sowie die Reisekosten (50% = 3,23 EUR)
beziehen sich dagegen auf den zweiten Rechtszug (11 K 3283/07 F) und sind folglich
Masseverbindlichkeiten. Diese wurden dem Erinnerungsführer in der angefochtenen
Kostenrechnung zu Recht in Rechnung gestellt.
46
3. Dass der Insolvenzverwalter am 10.04.2008 gegenüber dem Insolvenzgericht
Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, steht dem Erlass der Kostenrechnung nicht
entgegen.
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Zwar dürfen Altmassegläubiger i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO nach der Anzeige der
Masseunzulänglichkeit gem. § 210 InsO keine Einzelvollstreckung mehr betreiben. Die
Kosten eines Klageverfahrens gehören zu den Altmasseverbindlichkeiten, wenn die
Klage vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit erhoben bzw. wiederaufgenommen
wurde. Wird die Klage dagegen erst nach Masseunzulänglichkeit erhoben oder wieder
aufgenommen, liegt eine sog. Neumasseverbindlichkeit vor, die nach § 209 Abs. 1 Nr. 2
InsO vor den Altmasseverbindlichkeiten zu befriedigen ist und für die das
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Vollstreckungsverbot des § 210 InsO - jedenfalls seinem Wortlaut nach - nicht gilt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen handelt es sich bei den streitigen Gerichtskosten
um Altmasseverbindlichkeiten, denn die mit Schriftsatz vom 31.08.2007 erklärte
Wiederaufnahme der Klage 11 K 3283/07 F - und erst recht deren Erhebung - erfolgte
vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit i.S.d. § 208 Abs. 1 InsO vom 10.04.2008.
Auch wenn die Gerichtskasse die Gerichtskosten folglich wegen § 210 InsO nicht mehr
im Wege der Einzelvollstreckung beitreiben darf, ist sie weiterhin berechtigt, die Kosten
festzusetzen. Denn bei dem Kostenfestsetzungsverfahren und dem Voll-
streckungsverfahren handelt es sich um unterschiedliche Verfahren und die Frage, ob
und inwieweit eine Forderung vollstreckbar ist, berührt lediglich das zuletzt genannte
Verfahren.
49
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von dem Erinnerungsführer zitierten
Beschluss des BGH vom 09.10.2008 - IX ZB 129/07, ZInsO 2008, 1204. Denn diese
Entscheidung bezieht sich auf den Fall, dass der Prozessgegner die Festsetzung der
ihm vom Erinnerungsführer zu erstattenden Kosten begehrt. Zu dieser Fallgestaltung
führt der BGH in der obigen Entscheidung aus, dass einem derartigen Antrag im
Hinblick auf das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO das Rechtschutzbedürfnis fehle.
Ob sich der Senat dem anschließen würde, bedarf keiner Entscheidung. Denn im
Streitfall geht es nicht um die dem Prozessgegner zu erstattenden Kosten, welche
lediglich auf Antrag des obsiegenden Prozessgegners festzusetzen sind, sondern um
die nach dem GKG kraft Gesetzes entstandenen Gerichtskosten, deren Festsetzung von
Amts wegen zu erfolgen hat. Anders als in dem vom BFH entschiedenen Fall gibt es im
Streitfall mithin keinen Antrag, für den das Rechtschutzbedürfnis entfallen sein könnte.
50
4 Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Der Erinnerungsführer
ist nur zu einem ganz geringen Teil unterlegen.
51