Urteil des FG Hessen vom 03.03.2005
FG Frankfurt: grobe fahrlässigkeit, vollziehung, erlass, aussetzung, gesellschaftsvertrag, ohg, ermessensfehler, aufrechnung, vollmacht, form
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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 V 2883/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 191 Abs 1 AO 1977, § 128
HGB, § 5 AO 1977, § 427 BGB,
§ 421 BGB
(Haftungsinanspruchnahme eines GbR-Gesellschafters für
Steuerschulden der Gesellschaft)
Tatbestand
(Überlassen von Datev)
Der Antragsteller ist Mitgesellschafter der A und B GbR. Nachdem die GbR
Umsatzsteuerschulden aus dem Vorauszahlungsbescheid für April 2002 in Höhe
von 86.342,33 Euro sowie Säumniszuschläge nicht entrichtet hatte, nahm der
Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) zunächst den Mitgesellschafter B mit
Bescheid vom 1.9.2003 in Höhe von 111.243,43 Euro (86.342,33 Euro USt 4/02,
24.320,50 Euro Säumniszuschläge und 580,60 Euro Vollstreckungskosten) in
Haftung.
Nachdem im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des Mitgesellschafters
B Zweifel aufgekommen waren, ob nicht ein Ermessensfehler darin zu sehen sei,
dass das FA lediglich den Gesellschafter B und nicht auch den zweiten
Gesellschafter in Haftung genommen hatte, erließ das FA am 30.4.2004 einen
weiteren Haftungsbescheid gegenüber dem Antragsteller. Zur Begründung führte
das FA aus, die GbR habe Steuerforderungen aus der USt-Voranmeldung 4/02
nicht getilgt. Die Inanspruchnahme des Antragstellers sei ermessensgerecht, weil
Vollstreckungsversuche bei der GbR erfolglos geblieben waren und eine
Aufrechnung mit Gegenansprüchen der GbR nicht erfolgen könne, weil deren
Bestehen streitig sei. Der weitere Gesellschafter B sei zwar mit den steuerlichen
Angelegenheiten der GbR befasst gewesen, jedoch fehle es insoweit an einer
vorweg getroffenen schriftlichen Aufgabenverteilung unter den Gesellschaftern.
Zur Höhe der Haftung heißt es im Haftungsbescheid: "Sie haften für die im
Nachfolgenden aufgeführten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis von
insgesamt 111.243,43 Euro (zum Betrag siehe Hinweise) persönlich und
unbeschränkt". Unter "Hinweise" wird dann ausgeführt, dass wegen der
Verrechnung eines vor Erlass des Haftungsbescheides unstreitig gewordenen
Guthabens der GbR nur noch ein Betrag von 46.275,15 Euro offen sei.
Hiergegen hat der Antragsteller Einspruch eingelegt und Aussetzung der
Vollziehung beantragt. Es fehlten zwar schriftliche Vereinbarungen über die
Aufgabenverteilung innerhalb der Gesellschaft, jedoch bestehe eine tatsächliche
Aufgabenverteilung, wonach allein der Gesellschafter B für alle kaufmännischen
und steuerrelevanten Tätigkeiten verantwortlich sei. Der Antragsteller überwache
lediglich das Mietkonto des Objektes D und übermittle B monatlich die
Mieteingänge zur Anfertigung der Voranmeldungen, die dieser unterzeichne.
Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA ab, weil es nach dem
eigenen Vortrag des früheren Bevollmächtigten des Antragstellers keine derartige
Aufgabenverteilung gebe. Der Bevollmächtigte habe ausgeführt: "Es gibt keine
gesellschaftsinterne Aufgabenverteilung, die vorsieht, dass nur der Gesellschafter
B für die Abwicklung der Auseinandersetzung mit dem FA zuständig wäre.
Vielmehr hat der Gesellschafter A einen identischen Aufgabenbereich zu
erfüllen....Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die im Gesellschaftsvertrag
vorgesehene Gesamtverantwortlichkeit auch nicht durch einen zusätzlichen
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vorgesehene Gesamtverantwortlichkeit auch nicht durch einen zusätzlichen
Gesellschafterbeschluss abgeändert wurde. Da es weder mündlich noch schriftlich
eine abweichende Regelung gibt, verbleibt es bei der Gesamtverantwortlichkeit der
Gesellschafter."
Am 23.8.2004 hat der Antragsteller gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung gestellt und zur Begründung ausgeführt: Der Erlass des
Haftungsbescheides gegenüber dem Antragsteller sei ermessensfehlerhaft, da der
Gesellschafter B für die steuerrechtlichen und kaufmännischen Belange der GbR
alleinverantwortlich gewesen sei. Dies ergebe sich draus, dass nahezu der
gesamte Schriftverkehr mit dem FA von B geführt worden sei. Eine nachträglich
dokumentierte Vereinbarung in Form von "diversen Gesellschafterbeschlüssen"
lasse das FA zu Unrecht nicht gelten. Auch sei eine vor dem Haftungszeitpunkt
erteilte notarielle Vollmacht des anderen Gesellschafters zu berücksichtigen. Diese
dokumentiere die mündliche Verteilung der Verantwortungsbereiche. Das FA
fordere zu Unrecht eine im vorhinein getroffene schriftliche Vereinbarung. Auch ein
mündliche Vereinbarung müsse ausreichen, wenn diese "durch die faktische
Handlungsweise der Gesellschafter dokumentiert und bestätigt" werde. Das Fehlen
einer schriftlichen Aufgabenverteilung könne dann nicht entscheidend sein, wenn
die tatsächliche Handhabung nachgewiesen sei. Außerdem sei der
Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft ergangen, weil die GbR
Steuererstattungen aus den Veranlagungszeiträumen USt 1993-1996 und
Gewerbesteuer 1993 bis 1996 erwarte, weshalb Klageverfahren anhängig seien.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 30.4.2004 auszusetzen.
Das FA beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Der Haftungsbescheid sei nicht ermessensfehlerhaft ergangen. Es verbleibe bei
der Mitverantwortlichkeit des Antragstellers, weil es an einer vorherigen
schriftlichen Aufgabenverteilung im Gesellschaftsvertrag oder durch
Gesellschafterbeschluss fehle. Die notarielle Vertretungsvollmacht vom 31.7.1989,
wonach dem Mitgesellschafter B Vertretungsmacht erteilt wurde, enthalte keine
Aufgabenverteilung. Vielmehr liege ein Protokoll der Gesellschafterversammlung
vom 5.11.2001 vor, in dem es heiße:
"Entscheidung über die Aufgabenverteilung innerhalb der Gesellschafter:
...Grundsätzliche Zuständigkeit des einzelnen Gesellschafters wird bestätigt. Es
bleibt bei allen Grundsatzfragen bei der Verpflichtung des Einzelnen, sich mit dem
Anderen abzustimmen."
Hieraus ergebe sich, dass es eine ausdrückliche Aufgabenverteilung nicht gegeben
habe.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist nicht begründet, weil keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bestehen (§ 69 Abs.3 FGO).
1. Das FA hat den Antragsteller zu Recht als Mitgesellschafter einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR) für Schulden der GbR in Haftung genommen. Nach §
191 Abs. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer
kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Diese Vorschrift umfasst auch die
Haftungsansprüche nach zivilem Recht. Bei einer GbR ergibt sich nach neuer
Rechtsprechung die persönliche gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter
ähnlich der Haftung der Gesellschafter einer OHG aus dem Rechtsgedanken des §
128 HGB (Urteil des FG Rheinland- Pfalz vom 25.10.2001 6 K 2871/98 EFG 2002,
64 im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH durch Urteil vom 19.1.2001 II ZR
331/00, NJW 2001, 1056). Zu den Verbindlichkeiten, für die die Gesellschafter einer
GbR gesamtschuldnerisch haften, gehört auch die Umsatzsteuer (BFH Urteil vom
27. März 1990 VII R 26/89, BStBl.II 1990, 939). Das Finanzamt hat den
Antragsteller daher zu Recht für die rückständigen Steuern und Säumniszuschläge
in Anspruch genommen.
2. Die Inanspruchnahme ist auch ermessensgerecht.
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a) Insbesondere hat das Finanzamt von seinem Auswahlermessen pflichtgemäß
Gebrauch gemacht. Da die Vollstreckung gegen die GbR erfolglos verlaufen war,
war das Finanzamt grundsätzlich gehalten, die Gesellschafter zur Haftung
heranzuziehen. Als Gesamtschuldner haften beide Gesellschafter der GbR jeweils
für die gesamte Schuld (44 Abs. 1 Satz 2 AO).
b) Für die Prüfung, ob ein Ermessensfehler vorliegt, kommt es im Übrigen nicht auf
die zwischen den Beteiligten streitige Frage an, ob die Übertragung der
kaufmännischen Geschäftsführung einschließlich der steuerlichen Angelegenheiten
auf einer vorweg getroffenen, eindeutigen und schriftlichen Aufgabenverteilung
beruhen muss und im Streitfall beruht (vgl. u.a. BFH Beschluss vom 4. Mai 1998 I
B 116/96, BFH/NV 1998, 1460). Denn zwischen den Haftungstatbeständen der §§
69 ff. AO und den Haftungsvorschriften des Privatrechts besteht einfache
Gesetzeskonkurrenz mit der Folge, dass die Haftungsvorschriften nebeneinander
anwendbar sind (vgl. Tipke / Kruse, AO-Kommentar, vor § 69 AO Rz. 22). Sofern
das FA - wie im Streitfall - die Inanspruchnahme des antragstellenden
Gesellschafters auf die verschuldensunabhängige bürgerlich-rechtliche Haftung
nach §§ 427, 421 BGB gründet, was im Ergebnis einer analogen Anwendung des §
128 OHG gleichsteht, sind Verschuldensgesichtspunkte im Gegensatz zur
verschuldensabhängigen Geschäftsführerhaftung gemäß § 69 AO bei der
Ermessensentscheidung nicht zu berücksichtigen (Hessisches Finanzgericht, Urteil
vom 24. Oktober 1995, 6 K 5103/89, EFG 1996, 162, Finanzgericht des Landes
Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. Januar 2004, 4 V 819/03, EFG 2004, 669). Da
somit die Haftung eines GbR-Gesellschafters allein auf seiner
Gesellschafterstellung beruht, kommt es weder auf die Beteiligungsquote an der
Gesellschaft noch auf den Umfang der Mitwirkung an den unternehmerischen
Entscheidungen an. Die zwischen den Beteiligten streitige Frage der schriftlichen
Aufgabenverteilung stellt sich lediglich bei der Frage der Haftung eines GmbH-
Geschäftsführers für Steuerschulden der GmbH oder eines Vereinsvertreters, die
nach den §§ 34, 69 AO grobe Fahrlässigkeit des Vertreters der Gesellschaft
voraussetzt, nicht aber im Streitfall der verschuldensunabhängigen GbR-Haftung.
3. Der Haftungsbescheid ist nicht deshalb rechtswidrig, weil das FA Tilgungen auf
die Primärschuld, die vor Erlass des Haftungsbescheides erfolgt sind, nicht von der
Haftungssumme abgezogen hatte. Zwar heißt es im Haftungsbescheid zunächst
irreführend, dass der Antragsteller wegen der ursprünglichen Haftungssumme von
111.243,43 Euro in Anspruch genommen würde, obschon bereits vor Erlass des
Haftungsbescheides eine Guthaben aus der Veranlagung zur USt 2000 unstreitig
geworden und verrechnet worden war. Im Text des Haftungsbescheides wird
jedoch durch die Einschränkung "zum Betrag siehe Hinweise" noch hinreichend
zum Ausdruck gebracht, dass der Antragsteller nicht mehr für den ursprünglichen
Betrag, sondern nur noch in Höhe des geminderten Betrages von 46.275,15 Euro
in Anspruch genommen wird. Das reicht aus.
4. Schließlich ist die Inanspruchnahme des Antragstellers nicht deshalb
ermessensfehlerhaft, weil sich für die GbR möglicherweise noch Guthaben aus
anderen Veranlagungszeiträumen ergeben könnten, für die Klageverfahren
anhängig sind. Denn wenn die Gesellschaft selber gegen Forderungen des
Finanzamtes nur dann mit Steuerguthaben aufrechnen kann, wenn diese
unbestritten oder rechtskräftig festgestellt worden sind (§ 226 Abs.3 AO), folgt
hieraus nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, dass dem
Steuerschuldner zugemutet wird, eine unstreitige Steuerschuld auch dann zu
tilgen, wenn möglicherweise noch Guthaben aus anderen Veranlagungszeiträumen
bestehen und dies zunächst einer gerichtlichen Klärung bedarf. Ist aber der
Gesellschaft als Primärschuldnerin nach der gesetzlichen Regelung des § 226
Abs.3 AO eine Aufrechnung mit streitigen Steueransprüchen verwehrt, ist es nicht
ermessensfehlerhaft, wegen der unstreitigen Steuerschuld bei streitigen
Gegenforderungen die Gesellschafter in Haftung zu nehmen (Beschluss des
Hessischen FG vom 29.7.2004 6 V 361/04, n.v.).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.