Urteil des EuGH vom 14.10.2010

Verordnung, Hauptsache, Sachleistung, Spanien

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
14. Oktober 2010
)
„Vorabentscheidungsersuchen – Erledigung“
In der Rechtssache C‑336/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Juni
2008, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juli 2008, in dem Verfahren
Christel Reinke
gegen
AOK Berlin
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta
sowie der Richter G. Arestis, J. Malenovský (Berichterstatter) und T. von Danwitz,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Calot Escobar,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 31 der Verordnung
(EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der
sozialen
Sicherheit
auf
Arbeitnehmer
und
Selbständige
sowie
deren
Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und von Art. 34
der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung
der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1), in ihren durch die Verordnung (EG) Nr.
118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und
aktualisierten Fassungen (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71 und Verordnung Nr.
574/72) sowie der Art. 18 EG, 49 EG und 50 EG.
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Reinke und der
AOK Berlin, einer Krankenversicherung, in dem es um die Erstattung der Kosten geht,
die Frau Reinke aufgrund einer Behandlung in der Intensivstation eines
Privatkrankenhauses in Spanien entstanden sind.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
3
Im August 2003 hielt sich Frau Reinke in Spanien auf, wobei sie den
Krankenversicherungsschein E 111 mitführte.
4
Am. 2. August 2003 erkrankte sie mit Übelkeit, Erbrechen und Verschwommensehen.
Am folgenden Tag wurde sie im Krankenwagen zur Notfallstation in das öffentliche
Costa-del-Sol-Krankenhaus in Marbella (Spanien) gefahren. Dort schickte man sie nach
zehn Stunden Wartezeit wegen des in diesem Krankenhaus herrschenden
Bettenmangels wieder nach Hause.
5
Am 6. August 2003 vermutete ein Notarzt, der in die Wohnung von Frau Reinke gerufen
worden war, einen Schlaganfall bei ihr und wies sie deshalb erneut in das Costa-del-Sol-
Krankenhaus ein. Die Notfallaufnahme des Krankenhauses wies sie ab, weil kein Bett
frei sei, und leitete sie an das private USP-Hospital-de-Marbella weiter, wo sie aufgrund
der Schwere ihrer Erkrankung auf der Intensivstation aufgenommen wurde.
6
Erst am 19. August 2003 konnte Frau Reinke schließlich in das Costa-del-Sol-
Krankenhaus verlegt werden.
7
Am 19. August 2003 stellte das USP-Hospital Frau Reinke 21 954,18 Euro
Behandlungskosten in Rechnung. Von diesem Betrag erstattete die AOK Berlin Frau
Reinke nach und nach insgesamt 12 883,84 Euro im Rahmen des
Verwaltungsverfahrens, wobei sie den durchschnittlichen im August 2003 geltenden
Pflegesatz der Intensivstationen der Krankenhäuser in Berlin (Deutschland) zugrunde
legte.
8
Angesichts der nur teilweisen Erstattung ihrer Behandlungskosten durch die AOK Berlin
erhob Frau Reinke vor dem Sozialgericht Berlin Klage auf Übernahme der gesamten
Kosten.
9
Nach Abweisung ihrer Klage durch das Sozialgericht Berlin legte Frau Reinke Berufung
beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ein. Sie machte vor diesem Gericht
geltend, dass sie aus Art. 31 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 einen
Anspruch auf Sachleistungen nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften
habe. Daher habe sie einen Anspruch auf Erstattung der gesamten Kosten ihrer
Notfallbehandlung.
10
Unter diesen Umständen hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
1. Umfasst der Anspruch auf Kostenerstattung nach Art. 34 Abs. 4 und 5 der
Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auch Kosten, die durch eine Notfallbehandlung einer
zur Inanspruchnahme der Leistungen nach Art. 31 der Verordnung (EWG) Nr.
1408/71 berechtigten Rentnerin in einer Privatklinik des Aufenthaltsortes veranlasst
wurden, wenn das zuständige Krankenhaus die Behandlung als Sachleistung
wegen Überlastung abgelehnt hat?
2. Kann eine Beschränkung der Kostenerstattung auf Erstattungssätze nach Art. 34
Abs. 4 der Verordnung Nr. 574/72 erfolgen, wenn die Bezahlung der Sachleistung
der Krankenhäuser durch den zuständigen Träger nicht abstrakt-generell nach
Sätzen erfolgt, sondern individuell einzeln vertraglich geregelt ist und zudem nach
nationalem Recht auch keine Beschränkung der Sachleistung auf Behandlung in
bestimmten Krankenhäusern besteht?
3. Ist eine nationale Vorschrift, nach der eine Erstattung der Kosten einer Behandlung
in einem Privatkrankenhaus im EU-Ausland auch im Falle einer Notfallbehandlung
ausgeschlossen ist, mit Art. 49 EG und 50 EG sowie Art. 18 EG vereinbar?
Verfahren vor dem Gerichtshof
11
Mit Schreiben vom 4. Dezember 2008 hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof
mitgeteilt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe, da die AOK Berlin
den Anspruch auf Erstattung der Kosten, die Frau Reinke entstanden sind, anerkannt
habe.
12
Dieses Gericht führt jedoch aus, dass es das Vorabentscheidungsersuchen
aufrechterhalten wolle, um über die Kosten des Verfahrens entscheiden zu können, da
das Anerkenntnis der AOK Berlin bezüglich der Ansprüche von Frau Reinke die Kosten
von Frau Reinke nicht mit umfasse. Falls die Parteien aber keine außergerichtliche
Einigung erzielen sollten, habe das vorlegende Gericht darüber zu entscheiden, ob die
Kosten der Beklagten oder der Klägerin aufzuerlegen seien, wobei das für eine solche
Entscheidung maßgebliche Kriterium regelmäßig der voraussichtliche Erfolg der Klage
sei.
Zum Vorabentscheidungsersuchen
13
Nach ständiger Rechtsprechung ist das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren ein
Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen
Gerichten, mittels dessen der Gerichtshof den Gerichten Hinweise zur Auslegung des
Gemeinschaftsrechts gibt, die sie zur Entscheidung der bei ihnen anhängigen
Rechtsstreitigkeiten benötigen (vgl. u. a. Urteile vom 8. November 1990, Gmurzynska-
Bscher, C–231/89, Slg. 1990, I‑4003, Randnr. 18, vom 12. März 1998, Djabali, C–314/96,
Slg. 1998, I–1149, Randnr. 17, und vom 21. Januar 2003, Bacardi-Martini und Cellier des
Dauphins, C–318/00, Slg. 2003, I–905, Randnr. 41).
14
In der vorliegenden Rechtssache hat die deutsche Regierung den Gerichtshof darauf
hingewiesen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe, da die AOK
Berlin anerkannt habe, dass Frau Reinke Anspruch auf Erstattung der ihr entstanden
Kosten habe.
Kosten habe.
15
Auf Anfrage des Gerichtshofs hat das vorlegende Gericht in seinem Schreiben vom 4.
Dezember 2008 bestätigt, dass sich der Rechtsstreit aus diesem Grund in der
Hauptsache erledigt habe; es hat jedoch dargelegt, dass es das
Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wolle, um über die Kosten des
Verfahrens zu entscheiden. Insoweit hat es erläutert, dass das für eine Entscheidung
über die Kosten maßgebliche Kriterium regelmäßig der voraussichtliche Erfolg der Klage
sei.
16
In Anbetracht dieser Besonderheiten des vorliegenden Falles ist festzustellen, dass die
Entscheidung über die Kosten vom Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache
abhängt, in dessen Rahmen die Vorlagefragen gestellt worden sind. Da dieser
Rechtsstreit jedoch erledigt ist, brauchen die Vorlagefragen nicht mehr beantwortet zu
werden.
Kosten
17
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Das mit Entscheidung vom 27. Juni 2008 vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen
des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Deutschland) ist erledigt.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.