Urteil des EuGH vom 09.11.2000
EuGH: gerichtliche zuständigkeit, gerichtsstandsklausel, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, konnossement, verfrachter, gerichtsstandsvereinbarung, auswärtige angelegenheiten, regierung
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
9. November 2000
„Brüsseler Übereinkommen - Artikel 17 - Gerichtsstandsklausel - Formerfordernisse - Wirkung“
In der Rechtssache C-387/98
wegen eines dem Gerichtshof gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des
Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof vom Hoge Raad der
Nederlanden (Niederlande) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Coreck Maritime GmbH
gegen
Handelsveem BV u. a.
vorgelegten Ersuchens um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 17 Absatz 1 des genannten
Übereinkommens vom 27. September 1968 (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens
vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs
Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderter Text - S. 77), des Übereinkommens vom 25.
Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1) und des Übereinkommens vom
26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters D. A. O. Edward in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften
Kammer sowie der Richter P. Jann (Berichterstatter) und L. Sevón,
Generalanwalt: S. Alber
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Coreck Maritime GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte R. S. Meijer, Den Haag, und G. J. W.
Smallegange, Rotterdam,
- der Handelsveem BV u. a., vertreten durch Rechtsanwalt J. K. Franx, Den Haag,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra, Leiter der Abteilung Europarecht im
Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso
diplomatico des Außenministeriums, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato O. Fiumara,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Magrill, Treasury Solicitor's Department,
als Bevollmächtigte im Beistand von L. Persey, QC,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater J. L. Iglesias Buhigues
und durch P. van Nuffel, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Coreck Maritime GmbH, der Handelsveem BV u. a., der
Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission in der Sitzung vom 10. Februar 2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. März 2000,
folgendes
Urteil
1.
Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 23. Oktober 1998, beim Gerichtshof
eingegangen am 29. Oktober 1998, gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung
des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (im
Folgenden: Protokoll) vier Fragen nach der Auslegung des Artikels 17 Absatz 1 des genannten
Übereinkommens vom 27. September 1968 (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des
Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des
Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderter Text - S. 77),
des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388,
S. 1) und des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der
Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) (im Folgenden: Übereinkommen) zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit über die Gültigkeit einer
Gerichtsstandsvereinbarung in Konnossementen, den die Coreck Maritime GmbH, eine Gesellschaft
deutschen Rechts mit Sitz in Hamburg (Deutschland), die die Konnossemente ausgestellt hat (im
Folgenden: Coreck), gegen die Handelsveem BV - die recht- und ordnungsmäßige Inhaberin der
Konnossemente -, die V. Berg and Sons Ltd und die Man Producten Rotterdam BV - die
Eigentümerinnen der mit den Konnossementen beförderten Waren - sowie die The Peoples Insurance
Company of China, den Versicherer der Waren (im Folgenden gemeinsam: Handelsveem u. a.), führt.
Das Übereinkommen
3.
Artikel 17 Absätze 1 und 2 des Übereinkommens bestimmt:
„Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines
Vertragsstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine
bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten
Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die
Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muss
geschlossen werden
a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,
b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden
sind, oder
c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien
kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden
Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.
Wenn eine solche Vereinbarung von Parteien geschlossen wurde, die beide ihren Wohnsitz nicht im
Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, so können die Gerichte der anderen Vertragsstaaten
nicht entscheiden, es sei denn, das vereinbarte Gericht oder die vereinbarten Gerichte haben sich
rechtskräftig für unzuständig erklärt.“
Ausgangsverfahren
4.
Im Jahr 1991 wurden mehrere Partien Erdnusskerne mit einem der Sevryba, einer Gesellschaft
russischen Rechts mit Sitz in Murmansk (Russland), gehörenden Schiff von Qingdao (China) nach
Rotterdam (Niederlande) befördert. Dies geschah aufgrund eines Frachtvertrags, den die Coreck als
Zeitcharterer des Schiffes mit dem Absender geschlossen hatte.
5.
Für diese Beförderung stellte die Coreck mehrere Konnossemente aus, die u. a. folgende Klauseln
enthielten:
„3. Gerichtsstand
Rechtsstreitigkeiten, die aus diesem Konnossement entstehen, sind in dem Land zu entscheiden, in
dem der Verfrachter seinen Hauptsitz hat, und das Recht dieses Landes findet Anwendung, sofern in
diesen Bedingungen nichts anderes bestimmt ist.
17. Identität des Verfrachters
Der in diesem Konnossement verkörperte Vertrag ist zwischen dem Händler und dem Eigentümer des
in diesem Papier benannten Schiffes (oder dessen Vertreter) geschlossen, und daher wird vereinbart,
dass nur der genannte Schiffseigentümer für Schäden oder Verluste aufgrund einer Verletzung oder
Nichterfüllung einer Verpflichtung aus dem Frachtvertrag haftet, unabhängig davon, ob diese im
Zusammenhang mit der Seetüchtigkeit des Schiffes steht. Wird ungeachtet des Vorstehenden
gerichtlich entschieden, dass ein anderer Verfrachter und/oder Verwahrer der aufgrund dieser
Bedingungen verschifften Ware ist, so gelten alle Haftungsbeschränkungen und -befreiungen nach
dem Gesetz oder nach diesem Konnossement für diesen anderen.
Ferner wird kraft Vereinbarung davon ausgegangen, dass die Reederei, Gesellschaft oder Agentur,
die dieses Konnossement im Namen des Auftraggebers ausgeführt hat, da sie nicht Hauptbeteiligte
des Geschäftes ist, keiner Haftung aus dem Frachtvertrag unterliegt, und zwar weder als Frachtführer
noch als Verwahrer der Güter.“
6.
Die Vorderseite der Konnossemente enthielt den Aufdruck:
„.Coreck' Maritime G.m.b.H.
Hamburg“
7.
Mit Klageschrift vom 5. März 1993 erhoben die Handelsveem u. a. gemäß Artikel 5 Nummer 1 des
Übereinkommens bei der Rechtbank Rotterdam als dem Gericht des in den Konnossementen
angegebenen Entladehafens Klage gegen die Sevryba und die Coreck auf Zahlung von
Schadensersatz und Zinsen wegen der Schäden, die während der Beförderung an den Waren
entstanden sein sollen.
8.
Coreck machte unter Berufung auf die Gerichtsstandsklausel in den Konnossementen geltend,
dass das angerufene Gericht unzuständig sei. Mit Urteil vom 24. Februar 1995 lehnte die Rechtbank
Rotterdam die Anwendung der Klausel ab und bejahte ihre Zuständigkeit, da eine solche Klausel nur
dann gültig sei, wenn das zuständige Gericht auf einfache Weise bestimmt werden könne, was hier
nicht der Fall sei. Auf die Berufung der Coreck bestätigte der Gerechtshof Den Haag mit Urteil vom 22.
April 1997 die erstinstanzliche Entscheidung.
9.
Der Hoge Raad der Nederlanden, bei dem die Coreck Rechtsmittel eingelegt hatte, hat das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ergibt sich aus Artikel 17 Satz 1 EuGVÜ (insbesondere aus der Formulierung „haben ...
vereinbart“) in Verbindung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach dieser Artikel
„gewährleisten soll, dass die Einigung zwischen den Parteien, die durch eine
Gerichtsstandsvereinbarung von denallgemeinen Zuständigkeitsvorschriften der Artikel 2, 5 und 6 des
Übereinkommens abweichen, ... zum Ausdruck kommt“,
a) dass für die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne dieser Bestimmung zwischen
den Parteien in jedem Fall erforderlich ist, dass die Vereinbarung so formuliert wurde, dass (auch) für
andere als die Parteien - und insbesondere auch für das Gericht - bereits aus dem Wortlaut ohne
weiteres deutlich wird oder zumindest auf einfache Weise festgestellt werden kann, welches Gericht
für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zuständig ist, die sich aus der Rechtsbeziehung
ergeben, in deren Rahmen die Vereinbarung getroffen wurde, oder
b) dass - seit jeher oder nunmehr als Folge der oder im Zusammenhang mit den nach und nach
an Artikel 17 EuGVÜ vorgenommenen Lockerungen und der Rechtsprechung des Gerichtshofes in
Bezug auf die Frage, in welchen Fällen eine solche Vereinbarung als gültig zu betrachten ist - es für
die Gültigkeit ausreicht, dass es für die Parteien selbst (u. a.) aufgrund der (weiteren) Umstände des
Falles klar ist, welches Gericht für die Entscheidung dieser Rechtsstreitigkeiten zuständig ist?
2. Regelt Artikel 17 EuGVÜ auch in Ansehung von Drittinhabern von Konnossementen die Gültigkeit
einer Vereinbarung, die als zuständiges Gericht für Rechtsstreitigkeiten „aus diesem Konnossement“
(under this bill of lading) das Gericht des Ortes bezeichnet, an dem der Verfrachter seinen „Hauptsitz“
(principal place of business) hat, und die in ein Konnossement aufgenommen wurde, das auch eine
sogenannte Identity-of-Carrier-Klausel (Klausel über die Identität des Verfrachters) enthält und das für
Beförderungen ausgestellt wurde, bei denen
a) der Absender und einer der möglichen Frachtführer nicht in einem der Vertragsstaaten
niedergelassen sind, während
b) der zweite mögliche Verfrachter zwar eine Niederlassung in einem der Vertragsstaaten hat, es
jedoch nicht feststeht, ob sich sein „Hauptsitz“ in diesem Staat oder in einem anderen, nicht zu den
Vertragsstaaten gehörenden Staat befindet?
3. Falls die zweite Frage bejaht wird:
a) Führt der Umstand, dass die Gerichtsstandsklausel im Konnossement zwischen Verfrachter und
Absender als gültig zu betrachten ist, dazu, dass die Klausel auch in Ansehung jedes Drittinhabers
des Konnossements gültig ist, oder ist das nur bei einem Drittinhaber des Konnossements der Fall,
der bei Erhalt des Konnossements nach demanwendbaren nationalen Recht Rechtsnachfolger des
Absenders geworden ist?
b) Können dann - unterstellt, dass die in das Konnossement aufgenommene
Gerichtsstandsvereinbarung zwischen dem Verfrachter und dem Absender als gültig zu betrachten ist
-, für die Beantwortung der Frage, ob die Vereinbarung gegenüber einem Drittinhaber eines
Konnossements gültig ist, neben dem Inhalt des Konnossements auch besondere Umstände des
Falles wie die besondere Kenntnis des betroffenen Drittinhabers eines Konnossements oder dessen
langandauernde Beziehung zum Verfrachter eine Rolle spielen, und wenn ja, kann dann von dem
Drittinhaber eines Konnossements verlangt werden, dass er sich, wenn der Inhalt des Konnossements
ihm nur unzureichende Klarheit über die Gültigkeit der Vereinbarung verschafft, über die besonderen
Umstände des Falles informiert?
4. Falls die Frage 3a im letztgenannten Sinn zu beantworten ist, nach welchem Recht ist dann zu
entscheiden, ob der Drittinhaber eines Konnossements bei dessen Erhalt Rechtsnachfolger des
Absenders geworden ist, und was muss gelten, wenn im betreffenden nationalen Recht weder
gesetzlich noch in der Rechtsprechung die Frage beantwortet wird, ob der Drittinhaber des
Konnossements bei dessen Erhalt Rechtsnachfolger des Absenders wird?
Zur ersten Frage
10.
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff „haben ... vereinbart“
in Artikel 17 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass die
Gerichtsstandsklausel so formuliert sein muss, dass sich das zuständige Gericht schon aufgrund ihres
Wortlauts bestimmen lässt.
11.
Nach Auffassung der Handelsveem u. a. ist diese Frage zu bejahen, da bei der Wahl eines
Gerichtsstands ein besonderes Bedürfnis nach Rechtssicherheit bestehe. Die niederländische und die
italienische Regierung unterstreichen die Bedeutung einer klaren und deutlichen Bezeichnung des
von den Parteien gewählten Gerichts, die es dem angerufenen Gericht ermöglichen müsse,
festzustellen, ob es zuständig sei.
12.
Dagegen genügt es nach Auffassung der Coreck, der Regierung des Vereinigten Königreichs und
der Kommission, wenn das zuständige Gericht aufgrund des Wortlauts der Klausel unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles bestimmt werden könne.
13.
Der Gerichtshof hat festgestellt, dass Artikel 17 des Übereinkommens für die Wirksamkeit einer
Gerichtsstandsklausel eine „Vereinbarung“ zwischen den Parteien verlangt und das erkennende
Gericht deshalb in erster Linie prüfen muss, ob die seine Zuständigkeit begründende Klausel
tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigungzwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum
Ausdruck gekommen ist; die Formerfordernisse des Artikels 17 sollen gewährleisten, dass die
Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht (vgl. insbesondere Urteile vom 14. Dezember
1976 in der Rechtssache 24/76, Estasis Salotti, Slg. 1976, 1831, Randnr. 7, und vom 20. Februar 1997
in der Rechtssache C-106/95, MSG, Slg. 1997, I-911, Randnr. 15).
14.
Wenn Artikel 17 des Übereinkommens den Willen der Beteiligten schützen soll, ist er aber so
auszulegen, dass dieser Wille respektiert wird, wenn er einmal feststeht. Artikel 17 beruht nämlich auf
der Anerkennung der Parteiautonomie im Bereich von Vereinbarungen über die gerichtliche
Zuständigkeit für Entscheidungen von Rechtsstreitigkeiten, die in den Geltungsbereich des
Übereinkommens fallen und die nicht gemäß Artikel 17 Absatz 4 ausdrücklich von solchen
Vereinbarungen ausgenommen sind (Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1978 in der
Rechtssache 23/78, Meeth, Slg. 1978, 2133, Randnr. 5).
15.
Der Begriff „haben ... vereinbart“ in Artikel 17 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens kann somit
nicht dahin ausgelegt werden, dass eine Gerichtsstandsklausel so formuliert sein muss, dass sich das
zuständige Gericht schon aufgrund ihres Wortlauts bestimmen lässt. Es genügt, wenn die Klausel die
objektiven Kriterien nennt, über die sich die Parteien bei der Bestimmung des Gerichts oder der
Gerichte, die über ihre bereits entstandenen oder künftigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden sollen,
geeinigt haben. Diese Kriterien, die so genau sein müssen, dass das angerufene Gericht feststellen
kann, ob es zuständig ist, können gegebenenfalls durch die besonderen Umstände des jeweiligen
Falles konkretisiert werden.
Zur zweiten Frage
16.
Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts gilt den Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 17
Absatz 1 des Übereinkommens. Das Gericht möchte wissen, ob diese Vorschrift anwendbar ist, wenn
die Gerichtsstandsklausel als zuständiges Gericht das Gericht des Ortes bezeichnet, an dem eine der
Parteien des ursprünglichen Vertrages ihren Hauptsitz hat, jedoch nicht feststeht, ob sich dieser Sitz
im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats befindet.
17.
Bereits nach dem Wortlaut des Artikels 17 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens findet diese
Vorschrift nur unter den beiden Voraussetzungen Anwendung, dass mindestens eine der
Vertragsparteien ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat und die
Gerichtsstandsvereinbarung als zuständiges Gericht ein Gericht oder die Gerichte eines
Vertragsstaats bezeichnet. Diese Regel, die dadurch gerechtfertigt ist, dass das Übereinkommen die
gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen erleichtern soll, enthält
somit ein Genauigkeitserfordernis, dem die Gerichtsstandsklausel genügen muss.
18.
Zur ersten Voraussetzung ist festzustellen, dass nach Artikel 53 Absatz 1 des Übereinkommens der
Sitz von Gesellschaften für die Anwendung des Übereinkommens dem Wohnsitz gleichsteht. Nach
derselben Vorschrift hat das Gericht bei derEntscheidung darüber, wo der Sitz sich befindet, die
Vorschriften seines internationalen Privatrechts anzuwenden. Folglich sind die Kriterien, anhand deren
sich bestimmen lässt, wo sich der Sitz einer juristischen Person befindet und welche Rolle dabei der
Hauptsitz spielt, dem nationalen Recht zu entnehmen, das nach den Kollisionsnormen gilt, die das
angerufene Gericht anzuwenden hat.
19.
Zur zweiten Voraussetzung ist festzustellen, dass Artikel 17 des Übereinkommens nicht auf eine
Klausel anwendbar ist, die als zuständiges Gericht ein Gericht eines Drittstaats bezeichnet. Wird ein
Gericht im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats einer solchen Vereinbarung zum Trotz angerufen, so
muss es die Wirkung der Abrede nach dem Recht - einschließlich dem Kollisionsrecht - beurteilen, das
an seinem Sitz gilt (Bericht von Professor Dr. Schlosser zu dem Übereinkommen vom 9. Oktober 1978
über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien
und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die
Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof, ABl. 1979, C 59, S. 71, Nr. 176).
20.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung im Hinblick
auf Artikel 17 des Übereinkommens im Verhältnis zwischen den Parteien des ursprünglichen Vertrages
zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Juni 1984 in der Rechtssache 71/83, Tilly Russ, Slg.
1984, 2417, Randnr. 24, und vom 16. März 1999 in der Rechtssache C-159/97, Castelletti, Slg. 1999, I-
1597, Randnrn. 41 und 42). Daher müssen die Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 17 des
Übereinkommens im Hinblick auf diese Parteien geprüft werden; wer diese Parteien sind, hat das
nationale Gericht zu bestimmen. Die Voraussetzungen, unter denen eine Gerichtsstandsvereinbarung
einem am ursprünglichen Vertrag nicht beteiligten Dritten gegenüber wirksam ist, sind Gegenstand
der weiter unten geprüften dritten Frage.
21.
Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 17 Absatz 1 des Übereinkommens nur
dann Anwendung findet, wenn mindestens eine der Parteien des ursprünglichen Vertrages ihren
Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat und die Parteien vereinbart haben, ihre
Rechtsstreitigkeiten vor einem Gericht oder den Gerichten eines Vertragsstaats auszutragen.
Zur dritten Frage
22.
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Gerichtsstandsklausel, die
zwischen einem Verfrachter und einem Befrachter (Absender) vereinbart und in ein Konnossement
eingefügt wurde, gegenüber jedem Drittinhaber des Konnossements wirksam ist oder nur gegenüber
demjenigen Drittinhaber, der mit Erwerb des Konnossements nach dem anwendbaren nationalen
Recht in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist.
23.
Insoweit genügt der Hinweis darauf, dass der Gerichtshof festgestellt hat, dass die in einem
Konnossement enthaltene Gerichtsstandsklausel, soweit sie im Verhältnis zwischen dem Befrachter
und dem Verfrachter im Sinne von Artikel 17 des Übereinkommens gültig ist, dem Drittinhaber des
Konnossements entgegengehalten werden kann, soweit der Inhaber des Konnossements nach dem
anwendbaren nationalen Recht in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist (Urteile
Tilly Russ, Randnr. 24, und Castelletti, Randnr. 41).
24.
Somit ist nach dem anwendbaren nationalen Recht zu bestimmen, ob der am ursprünglichen
Vertrag nicht beteiligte Dritte, dem eine Gerichtsstandsklausel entgegengehalten wird, in die Rechte
und Pflichten einer der ursprünglichen Parteien eingetreten ist.
25.
Ist das der Fall, braucht nicht geprüft zu werden, ob der Dritte der in den ursprünglichen Vertrag
eingefügten Gerichtsstandsklausel zugestimmt hat. In diesem Fall kann nämlich der Erwerb des
Konnossements dem Drittinhaber nicht mehr Rechte verleihen, als der Befrachter hatte. Auf den
Drittinhaber gehen auf diese Weise alle Rechte und Pflichten aus dem Konnossement, einschließlich
derjenigen aus der Gerichtsstandsvereinbarung, über (Urteil Tilly Russ, Randnr. 25).
26.
Ist dagegen nach dem anwendbaren nationalen Recht der am ursprünglichen Vertrag nicht
beteiligte Dritte nicht in die Rechte und Pflichten einer der ursprünglichen Parteien eingetreten, hat
das angerufene Gericht im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 17 Absatz 1 des
Übereinkommens zu prüfen, ob er der ihm entgegengehaltenen Gerichtsstandsklausel zugestimmt
hat.
27.
Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, dass eine Gerichtsstandsklausel, die zwischen einem
Verfrachter und einem Befrachter vereinbart und in ein Konnossement eingefügt wurde, gegenüber
dem Drittinhaber des Konnossements wirksam ist, wenn dieser mit Erwerb des Konnossements nach
dem anwendbaren nationalen Recht in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist. Ist
das nicht der Fall, so ist im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 17 Absatz 1 des
Übereinkommens zu prüfen, ob er der Klausel zugestimmt hat.
Zur vierten Frage
28.
Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, nach welchem nationalen Recht die
Rechte und Pflichten des Drittinhabers eines Konnossements zu bestimmen sind und, wenn sich diese
Rechte und Pflichten nach dem anwendbaren nationalen Recht nicht bestimmen lassen, welche
Vorschriften angewandt werden müssen.
29.
Nach Artikel 1 des Protokolls entscheidet der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften über
die Auslegung des Übereinkommens.
30.
Die Frage, nach welchem nationalen Recht die Rechte und Pflichten des Drittinhabers eines
Konnossements zu bestimmen sind, steht in keinem Zusammenhang mit der Auslegung des
Übereinkommens und fällt in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts, das die Vorschriften seines
internationalen Privatrechts anzuwenden hat.
31.
Auch die Frage, wie eine etwaige Lücke im anwendbaren nationalen Recht zu schließen wäre, steht
abgesehen davon, dass sie hypothetisch ist, in keinem Zusammenhang mit der Auslegung des
Übereinkommens.
32.
Demnach ist die vierte Frage unzulässig.
Kosten
33.
Die Auslagen der niederländischen und der italienischen Regierung, der Regierung des Vereinigten
Königreichs und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in
dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache
dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 23. Oktober 1998 vorgelegten Fragen für
Recht erkannt:
Artikel 17 Absatz 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt
des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und
Nordirland, des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik
Griechenland und des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs
Spanien und der Portugiesischen Republik ist folgendermaßen auszulegen:
1. Er verlangt nicht, dass eine Gerichtsstandsklausel so formuliert ist, dass sich das
zuständige Gericht schon aufgrund ihres Wortlauts bestimmen lässt. Es genügt, wenn die
Klausel die objektiven Kriterien nennt, über die sich die Parteien bei der Bestimmung des
Gerichts oder der Gerichte, die über ihre bereits entstandenen oder künftigen
Rechtsstreitigkeitenentscheiden sollen, geeinigt haben. Diese Kriterien, die so genau
sein müssen, dass das angerufene Gericht feststellen kann, ob es zuständig ist, können
gegebenenfalls durch die besonderen Umstände des jeweiligen Falles konkretisiert
werden.
2. Er findet nur dann Anwendung, wenn mindestens eine der Parteien des
ursprünglichen Vertrages ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat und
die Parteien vereinbart haben, ihre Rechtsstreitigkeiten vor einem Gericht oder den
Gerichten eines Vertragsstaats auszutragen.
3. Eine Gerichtsstandsklausel, die zwischen einem Verfrachter und einem Befrachter
vereinbart und in ein Konnossement eingefügt wurde, ist gegenüber dem Drittinhaber des
Konnossements wirksam, wenn dieser mit Erwerb des Konnossements nach dem
anwendbaren nationalen Recht in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten
ist. Ist das nicht der Fall, so ist im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 17 Absatz 1
des geänderten Übereinkommens zu prüfen, ob er der Klausel zugestimmt hat.
Edward
Jann
Sévon
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. November 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
A. La Pergola
Verfahrenssprache: Niederländisch.