Urteil des EuGH vom 16.06.1998

EuGH: verordnung, abkommen, clausula rebus sic stantibus, sicherheitsrat der vereinten nationen, charta der vereinten nationen, republik, treu und glauben, pacta sunt servanda, aussetzung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
16. Juni 1998
„Kooperationsabkommen EWG/Jugoslawien — Aussetzung der Handelszugeständnisse — Wiener
Übereinkommen über das Recht der Verträge — Clausula rebus sic stantibus“
In der Rechtssache C-162/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Bundesfinanzhof in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
A. Racke GmbH & Co.
gegen
Hauptzollamt Mainz
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit der Verordnung (EWG) Nr. 3300/91 des
Rates vom 11. November 1991 zur Aussetzung der Handelszugeständnisse nach dem
Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen
Föderativen Republik Jugoslawien (ABl. L 315, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann, H.
Ragnemalm und M. Wathelet sowie der Richter J. C. Moitinho de Almeida, P. J. G. Kapteyn (Berichterstatter), J.
L. Murray, D. A. O. Edward, G. Hirsch, P. Jann und L. Sevón,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— der A. Racke GmbH & Co., vertreten durch Rechtsanwalt Dietrich Ehle, Köln,
— des Rates der Europäischen Union, vertreten durch die Rechtsberater Jürgen Huber und Micail
Vitsentzatos sowie durch Antonio Tanca, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Jörn Sack und durch
Barbara Brandtner, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der A. Racke GmbH & Co., des Rates und der Kommission in
der Sitzung vom 15. Juli 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Dezember 1997,
folgendes
Urteil
1.
Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 7. März 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai
1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Gültigkeit der Verordnung (EWG) Nr.
3300/91 des Rates vom 11. November 1991 zur Aussetzung der Handelszugeständnisse nach dem
Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen
Föderativen Republik Jugoslawien (ABl. L 315, S. 1; im folgenden: streitige Verordnung) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der A. Racke GmbH & Co. (im folgenden:
Klägerin) und dem Hauptzollamt Mainz wegen einer Zollschuld,
die bei der Einfuhr bestimmter Weinmengen mit Ursprung in der Sozialistischen Föderativen Republik
Jugoslawien nach Deutschland entstand.
Rechtlicher Rahmen
3.
Das Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der
Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (im folgenden: Kooperationsabkommen) wurde am 2.
April 1980 in Belgrad von den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der
Gemeinschaft einerseits und von der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (im folgenden:
Jugoslawien) andererseits unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 314/83 des Rates vom
24. Januar 1983 (ABl. L 41, S. 1) im Namen der Gemeinschaft genehmigt.
4.
In Artikel 22 des Kooperationsabkommens in der Fassung von Artikel 4 des Zusatzprotokolls zu
diesem Abkommen zur Festlegung einer neuen Handelsregelung (im folgenden: Zusatzprotokoll), das
durch den Beschluß 87/605/EWG des Rates vom 21. Dezember 1987 (ABl. L 389, S. 72) im Namen der
Gemeinschaft genehmigt wurde, heißt es:
„(1) Für Weine aus frischen Weintrauben der Tarifstellen 22.05 ex C I und ex C II des Gemeinsamen
Zolltarifs, in Behältnissen mit einem Inhalt von 2 l oder weniger, mit Ursprung in Jugoslawien werden
die Zölle bei der Einfuhr in die Gemeinschaft im Rahmen eines jährlichen
Gemeinschaftszollkontingents von 12 000 hl um 30 % gesenkt. Auf die über dieses Kontingent hinaus
eingeführten Mengen wendet die Gemeinschaft die sich aus Absatz 4 ergebenden Zollsätze an.
...
(3) Die Absätze 1 und 2 bleiben so lange in Kraft, bis die Zölle für die in Absatz 1 genannten Weine
im Rahmen des Zollabbaus nach Absatz 4 um 30 % gesenkt worden sind, wie in Absatz 1 vorgesehen.
(4) Für Weine aus frischen Weintrauben der Tarifstellen 22.05 C I und C II des Gemeinsamen
Zolltarifs mit Ursprung in Jugoslawien werden die Zölle bei der Einfuhr in die Gemeinschaft nach den
Modalitäten in Artikel 2 Absätze 1 und 2 des Zusatzprotokolls zur Festlegung einer neuen
Handelsregelung abgebaut. Dies gilt bis zur Höhe eines jährlichen Gemeinschaftszollkontingents von
545 000 hl. Auf die über dieses Kontingent hinaus eingeführten Mengen wendet die Gemeinschaft den
Zollsatz des Gemeinsamen Zolltarifs an.
...“
5.
Gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Zusatzprotokolls werden die aufgrund des Kooperationsabkommens
bei der Einfuhr in die Gemeinschaft anwendbaren Zölle
schrittweise innerhalb derselben Zeiträume und nach derselben Zeitfolge abgebaut, wie sie in der
Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik
und die Anpassungen der Verträge (ABl. 1985, L 302, S. 23) für die gleichen Waren bei der Einfuhr aus
diesen Staaten in die Gemeinschaft in ihrer Zusammensetzung vom 31. Dezember 1985 vorgesehen
sind. Gelten für Waren Spaniens einerseits und Portugals andererseits bei der Einfuhr in die
Gemeinschaft in ihrer Zusammensetzung vom 31. Dezember 1985 unterschiedlich hohe Zollsätze, so
wird auf Waren mit Ursprung in Jugoslawien der jeweils höhere Zollsatz angewandt. Gelten für
Jugoslawien niedrigere Zollsätze als für Spanien und/oder Portugal, so beginnt gemäß Artikel 2 Absatz
2 der Zollabbau, sobald die auf die gleichen Waren Spaniens und Portugals anwendbaren Zollsätze
niedriger sind als die Zollsätze auf die Waren mit Ursprung in Jugoslawien.
6.
Gemäß Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3413/90 des Rates vom 19. November 1990 zur
Eröffnung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für bestimmte Waren mit Ursprung in
Jugoslawien (1991) (ABl. L 335, S. 26) wurden die bei der Einfuhr von Wein aus frischen Weintrauben
der KN-Codes ex 2204 21 und 2204 29 mit Ursprung in Jugoslawien in die Gemeinschaft geltenden
Zollsätze von 3,6, 4,4, 4,8 oder 5,6 ECU/hl vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1991 im Rahmen eines
Kontingents von 545 000 hl ausgesetzt. Ferner wurden in den Artikeln 2 bis 4 der Verordnung Nr.
3413/90 die Modalitäten für den Zugang der Importeure der betreffenden Waren zum Kontingent
festgelegt.
7.
Das Kooperationsabkommen wurde gemäß Artikel 60 auf unbegrenzte Zeit geschlossen. Jede
Vertragspartei kann das Abkommen jedoch durch Notifizierung an die andere Vertragspartei
kündigen. In diesem Fall tritt es sechs Monate nach dem Zeitpunkt der Notifizierung außer Kraft.
8.
Durch den Beschluß 91/586/EGKS, EWG vom 11. November 1991 zur Aussetzung der Anwendung der
Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft, ihren Mitgliedstaaten und der Sozialistischen
Föderativen Republik Jugoslawien (ABl. L 315, S. 47) setzten der Rat und die im Rat vereinigten
Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten die Anwendung des Kooperationsabkommens aus
folgenden, in der zweiten, der dritten, der vierten und der fünften Begründungserwägung des
Beschlusses genannten Gründen mit unmittelbarer Wirkung aus:
„In ihren Erklärungen vom 5. und 28. Oktober 1991 haben die Europäische Gemeinschaft und die im
Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit vereinigten Mitgliedstaaten die Krise in
Jugoslawien festgestellt; der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in seiner Entschließung 713
(1991) die Besorgnis zum Ausdruck gebracht, daß der Fortbestand dieser Lage eine Bedrohung des
internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit darstellen könnte.
Die Fortsetzung der Feindseligkeiten und ihre Auswirkungen auf die wirtschaftlichen und
handelspolitischen Beziehungen sowohl der einzelnen Republiken Jugoslawiens untereinander als
auch mit der Gemeinschaft stellen eine
grundlegende Veränderung der Umstände dar, unter denen das Kooperationsabkommen zwischen
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
und seine Protokolle sowie das Abkommen betreffend die EGKS geschlossen wurden; sie stellen die
Anwendung der Abkommen in Frage.
Dem Appell der Europäischen Gemeinschaft und der im Rahmen der Europäischen Politischen
Zusammenarbeit vereinigten Mitgliedstaaten von Haarzuilens vom 6. Oktober 1991 zur Einhaltung der
Vereinbarung über den Waffenstillstand von Den Haag vom 4. Oktober 1991 wurde nicht gefolgt.
In der Erklärung vom 6. Oktober 1991 haben die Europäische Gemeinschaft und ihre im Rahmen der
Europäischen Politischen Zusammenarbeit vereinigten Mitgliedstaaten ihren Entschluß
bekanntgegeben, die Abkommen zwischen der Gemeinschaft und Jugoslawien zu beenden, falls die
Vereinbarung, die am 4. Oktober 1991 in Den Haag zwischen den am Konflikt beteiligten Parteien in
Gegenwart des Präsidenten des Rates der Europäischen Gemeinschaften und des Präsidenten der
Jugoslawien-Konferenz zustande gekommen war, nicht eingehalten würde.“
9.
Die streitige Verordnung bestimmt in Artikel 1, daß die mit dem Kooperationsabkommen oder
aufgrund dieses Abkommens gewährten Handelszugeständnisse ausgesetzt werden. Gemäß Artikel 3
trat diese Verordnung am Tag ihrer Veröffentlichung im ,
d. h. am 15. November 1991, in Kraft.
10.
In der ersten, der zweiten, der dritten und der vierten Begründungserwägung dieser Verordnung
werden die in der Präambel des Beschlusses 91/586 genannten und oben wiedergegebenen Gründe
wiederholt.
11.
Gemäß Artikel 60 des Kooperationsabkommens erließ der Rat den Beschluß 91/602/EWG vom 25.
November 1991 zur Kündigung des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (ABl. L 325, S. 23).
Nach seinem Artikel 2 wurde dieser Beschluß, mit dem das Abkommen sowie alle dazugehörigen
Protokolle und Rechtsakte gekündigt wurden, am Tag seiner Veröffentlichung, d. h. am 27. November
1991, wirksam.
12.
Für bestimmte Waren, zu denen Wein jedoch nicht gehörte, gewährte der Rat durch die Verordnung
(EWG) Nr. 3567/91 vom 2. Dezember 1991 über die Einfuhrregelung für Waren aus den Republiken
Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien und Slowenien (ABl. L 342, S. 1) diesen Republiken die
Anwendung handelspolitischer Bestimmungen, die im wesentlichen denen des von der Gemeinschaft
ausgesetzten Kooperationsabkommens entsprachen.
13.
Durch die Verordnung (EWG) Nr. 545/92 des Rates vom 3. Februar 1992 über die Einfuhrregelung
für Waren mit Ursprung in den Republiken Kroatien und Slowenien und den Jugoslawischen Republiken
Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro (ABl. L 63, S. 1) wurden diese Maßnahmen im Jahr
1992 beibehalten und auf bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse ausgedehnt, u. a. auf Weine aus
frischen Weintrauben der KN-Codes ex 2204 21 und 2204 29 mit Ursprung in diesen Republiken. So
wurden gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 545/92 die Einfuhrzölle für diese Weine bis zu einem
jährlichen Kontingent von 545 000 hl auf 3,2 ECU/hl oder 3,7 ECU/hl gesenkt.
14.
Gemäß Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 547/92 des Rates vom 3. Februar 1992 zur Eröffnung
und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für bestimmte Waren mit Ursprung in den
Republiken Kroatien und Slowenien und den Jugoslawischen Republiken Bosnien-Herzegowina,
Mazedonien und Montenegro (ABl. L 63, S. 41) wurden die bei der Einfuhr von Wein aus frischen
Weintrauben der KN-Codes ex 2204 21 und 2204 29 mit Ursprung in diesen Republiken in die
Gemeinschaft geltenden Zollsätze von 2,4, 2,9, 3,2 oder 3,7 ECU/hl vom 1. Januar bis zum 31.
Dezember 1992 im Rahmen eines Kontingents von 545 000 hl ausgesetzt. In den Artikeln 2 bis 4
dieser Verordnung wurden die Modalitäten für den Zugang der Importeure der betreffenden Waren
zum Kontingent festgelegt.
Der Ausgangsrechtsstreit
15.
Zwischen dem 6. November 1990 und dem 27. April 1992 ließ die Klägerin in Deutschland aus dem
Anbaugebiet Amselfeld/Kosovo eingeführte Weine zur Lagerung in ihrem privaten Zollager abfertigen.
Am 7. Mai 1992 meldete sie die in den freien Verkehr entnommenen Partien unter Berechnung des
Zolles zu dem im Kooperationsabkommen vorgesehenen Präferenzzollsatz an.
16.
Mit Bescheid vom 27. Mai 1992 erhob das Hauptzollamt Mainz jedoch die Differenz zwischen dem
Drittlands- und dem Präferenzzollsatz nach, weil die Weine aus Serbien eingeführt worden seien.
17.
Die Klägerin reichte gegen diesen Bescheid beim Finanzgericht Klage ein, die hinsichtlich der vor
dem 15. November 1991 eingeführten Weine Erfolg hatte, aber im übrigen mit der Begründung
abgewiesen wurde, daß die durch die streitige Verordnung erfolgte Aussetzung der
Handelszugeständnisse wegen eines grundlegenden Wandels der Umstände — des Krieges in
Jugoslawien — gerechtfertigt gewesen sei.
18.
Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung beim Bundesfinanzhof Revision ein; dieser wirft
zunächst die Frage auf, ob die einseitige Aussetzung des Kooperationsabkommens den in Artikel 62
Absatz 1 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (im folgenden:
Wiener Übereinkommen) genannten Voraussetzungen entspreche.
19.
In Artikel 62 des Wiener Übereinkommens heißt es:
„(1) Eine grundlegende Änderung der beim Vertragsabschluß gegebenen Umstände, die von den
Vertragsparteien nicht vorausgesehen wurde, kann nicht als Grund für die Beendigung des Vertrags
oder den Rücktritt von ihm geltend gemacht werden, es sei denn
a) das Vorhandensein jener Umstände bildete eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der
Vertragsparteien, durch den Vertrag gebunden zu sein, und
b) die Änderung der Umstände würde das Ausmaß der auf Grund des Vertrags noch zu erfüllenden
Verpflichtungen tiefgreifend umgestalten.
...
(3) Kann eine Vertragspartei nach Absatz 1 oder 2 eine grundlegende Änderung der Umstände als
Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm geltend machen, so kann sie die
Änderung auch als Grund für die Suspendierung des Vertrags geltend machen.“
20.
Das vorlegende Gericht führt aus, die Dismembration Jugoslawiens in mehrere neue Staaten und
die Feindseligkeiten innerhalb Jugoslawiens, die einem politischen Wandel gleichkämen, hätten zu
einer grundlegenden Änderung der maßgebenden Umstände geführt, auf denen die Zustimmung der
Vertragsparteien des Kooperationsabkommens beruht habe. Die eingetretene Veränderung scheine
dagegen das Ausmaß der Verpflichtungen aufgrund des im wesentlichen als Wirtschaftsvertrag
anzusehenden Kooperationsabkommens nicht tiefgreifend umzugestalten.
21.
Der Bundesfinanzhof wirft sodann die Frage auf, ob es im Hinblick auf Artikel 65 des Wiener
Übereinkommens zulässig gewesen sei, das Kooperationsabkommen ohne vorherige Notifikation
fristlos auszusetzen, ob besondere Dringlichkeit vorgelegen habe und ob etwaige Verfahrensmängel
durch Zeitablauf vor dem maßgebenden Verzollungszeitpunkt hätten geheilt werden können.
22.
Gemäß Artikel 65 Absatz 1 des Wiener Übereinkommens hat eine Vertragspartei, die aufgrund
dieses Übereinkommens einen Grund zur Beendigung eines Vertrages, zum Rücktritt von ihm oder zu
seiner Suspendierung geltend macht, den anderen Vertragsparteien des Übereinkommens ihren
Anspruch zu notifizieren. In der Notifikation sind die in bezug auf den Vertrag beabsichtigte Maßnahme
und die Gründe dafür anzugeben. Ferner heißt es in Artikel 65 Absatz 2 des Wiener Übereinkommens,
daß die notifizierende Vertragspartei in der in Artikel 67 vorgesehenen Form die angekündigte
Maßnahme durchführen kann, wenn innerhalb einer Frist, die — außer in besonders dringenden Fällen
— nicht weniger
als drei Monate nach Empfang der Notifikation beträgt, keine Vertragspartei Einspruch erhebt. Für
den Fall, daß eine andere Vertragspartei Einspruch erhoben hat, bestimmt Artikel 65 Absatz 3 des
Wiener Übereinkommens, daß sich die Vertragsparteien um eine Lösung durch die in Artikel 33 der
Charta der Vereinten Nationen genannten Mittel bemühen.
23.
Angesichts dieser Zweifelsfragen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem
Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Verordnung (EWG) Nr. 3300/91 des Rates vom 11. November 1991 zur Aussetzung der
Handelszugeständnisse nach dem Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien gültig?
2. Im Falle der Verneinung von Frage 1:
Welche Folgen sind aus einer Ungültigkeit für eine Anfang Mai 1992 erfolgte Verzollung von Weinen
serbischen Ursprungs zu ziehen, die in der Zeit von Mitte November 1991 bis April 1992 eingeführt
und zur Zollagerung abgefertigt worden waren?
Sind insoweit die 1992 gewährten kontingentgebundenen Zollbegünstigungen für Weine aus dem
Gebiet des früheren Jugoslawien mit Ausnahme von Serbien anwendbar?
Zur ersten Frage
24.
Auch wenn das Wiener Übereinkommen weder die Gemeinschaft noch alle Mitgliedstaaten bindet,
gibt eine Reihe seiner Bestimmungen, zu denen auch Artikel 62 gehört, die Regeln des
Völkergewohnheitsrechts wieder, nach denen unter bestimmten Voraussetzungen der Grundsatz gilt,
daß eine Änderung der Umstände zur Hinfälligkeit oder zur Suspendierung eines Vertrages führen
kann. Wie der Internationale Gerichtshof entschieden hat, sind dieser Grundsatz und seine — nur
ausnahmsweise vorliegenden — Voraussetzungen in Artikel 62 des Wiener Übereinkommens
niedergelegt, das in vieler Hinsicht als Kodifizierung bestehenden Gewohnheitsrechts zur Frage der
Beendigung vertraglicher Beziehungen wegen einer Änderung der Umstände angesehen werden
könne (Urteil vom 2. Februar 1973 im Fischereistreit Vereinigtes Königreich/Island, Reports of
Judgments, Advisory Opinions and Orders 1973, S. 3, Randnr. 36).
25.
Die Kommission hat Zweifel an der Zuständigkeit des Gerichtshofes für die Entscheidung über die
erste Frage geäußert, da diese sich auf die Gültigkeit der streitigen Verordnung im Hinblick auf Regeln
des Völkergewohnheitsrechts
beziehe. Die Verordnung sei zwar eine Handlung der Gemeinschaft im Sinne von Artikel 177 Absatz 1
Buchstabe b des Vertrages, doch sei fraglich, ob sich das Vorabentscheidungsverfahren für eine nur
auf das Völkerrecht und insbesondere auf die Grundsätze über die Beendigung und die
Suspendierung von Verträgen gestützte Argumentation öffnen lasse.
26.
Wie der Gerichtshof bereits im Urteil vom 12. Dezember 1972 in den Rechtssachen 21/72 bis 24/72
(International Fruit Company u. a., Slg. 1972, 1219, Randnr. 5) entschieden hat, ist seine
Zuständigkeit, gemäß Artikel 177 des Vertrages über die Gültigkeit von Handlungen der
Gemeinschaftsorgane zu entscheiden, hinsichtlich möglicher Ungültigkeitsgründe nicht eingeschränkt.
27.
Da sich diese Zuständigkeit auf sämtliche Gründe erstreckt, aus denen solche Handlungen
ungültig sein können, muß der Gerichtshof prüfen, ob deren Gültigkeit dadurch beeinträchtigt sein
kann, daß sie einer Regel des Völkerrechts widersprechen (Urteil International Fruit Company u. a.,
Randnr. 6).
28.
Folglich ist der Gerichtshof für die Entscheidung über die erste Vorlagefrage zuständig.
29.
Die Frage der Gültigkeit der streitigen Verordnung im Hinblick auf das Völkergewohnheitsrecht stellt
sich als Vorfrage in einem Rechtsstreit, in dem die Klägerin die Anwendung der Regelung über den
Präferenzzollsatz in Artikel 22 des Kooperationsabkommens verlangt.
30.
Somit ist zunächst zu prüfen, ob Artikel 22 Absatz 4, der nach dem Gegenstand der im
Vorlagebeschluß erwähnten Verordnungen über die Kontingente auf den vorliegenden Fall anwendbar
ist, Betroffenen unmittelbare Ansprüche auf eine Zollbegünstigung verschaffen kann.
31.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist eine Bestimmung eines von der
Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens als unmittelbar anwendbar anzusehen,
wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und nach Gegenstand und Art des Abkommens eine
klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß
eines weiteren Aktes abhängen (vgl. u. a. Urteil vom 30. September 1987 in der Rechtssache 12/86,
Demirel, Slg. 1987, 3719, Randnr. 14).
32.
Ob Artikel 22 Absatz 4 des Kooperationsabkommens diese Kriterien erfüllt, ist zunächst anhand
seines Wortlauts zu prüfen.
33.
Danach muß diese Bestimmung durch Handlungen der Gemeinschaft durchgeführt werden, damit
das genannte jährliche Gemeinschaftszollkontingent nach den
Modalitäten in Artikel 2 Absätze 1 und 2 des Zusatzprotokolls eröffnet wird; beim Erlaß dieser
Maßnahmen verfügt die Gemeinschaft über kein Ermessen. Die Gemeinschaft ist nämlich verpflichtet,
die genaue Berechnung der Zölle entsprechend diesen Bestimmungen rechtzeitig vorzunehmen.
34.
Folglich kann Artikel 22 Absatz 4 des Kooperationsabkommens angesichts der darin vorgesehenen
Zollbegünstigung zur Entstehung von Ansprüchen führen, auf die sich Betroffene vor den nationalen
Gerichten berufen können.
35.
Auch die Prüfung von Gegenstand und Art des Abkommens, zu dem Artikel 22 Absatz 4 gehört,
spricht nicht gegen diese Feststellung.
36.
Das Kooperationsabkommen soll nämlich die Entwicklung des Handelsverkehrs zwischen den
Vertragsparteien fördern und die Hemmnisse für den wesentlichen Teil ihres Warenverkehrs
schrittweise beseitigen. Nach dem Ende der ersten Etappe dieser Liberalisierung am 30. Juni 1985
wurde durch das Zusatzprotokoll die spätere Handelsregelung eingeführt. In diesem Zusammenhang
wurde durch Artikel 22 Absatz 4 in der Fassung von Artikel 4 des Zusatzprotokolls für bestimmte Weine
ein Gemeinschaftszollkontingent geschaffen, in dessen Höhe die Zölle bei der Einfuhr in die
Gemeinschaft abgebaut wurden.
37.
Sodann ist zu prüfen, ob ein Betroffener, der sich vor Gericht auf die ihm durch Artikel 22 Absatz 4
des Kooperationsabkommens eingeräumte Zollbegünstigung beruft, die Gültigkeit der streitigen
Verordnung, mit der ab 15. November 1991 die durch dieses Abkommen gewährten
Handelszugeständnisse ausgesetzt wurden, unter Bezugnahme auf Regeln des
Völkergewohnheitsrechts in Frage stellen kann.
38.
Hierzu trägt der Rat vor, dem Erlaß der streitigen Verordnung sei logisch und rechtlich gesehen der
Erlaß des Beschlusses 91/586 zur Aussetzung der Anwendung des Kooperationsabkommens auf
völkerrechtlicher Ebene vorausgegangen. Der Erlaß der streitigen Verordnung sei geboten gewesen,
weil die im Abkommen vorgesehenen Handelszugeständnisse zuvor durch eine interne
Gemeinschaftsregelung umgesetzt worden seien.
39.
Da im Völkerrecht jedoch die Art der Wiedergutmachung bei einem Verstoß gegen seine Regeln
nicht verbindlich festgelegt sei, würde ein etwaiger Verstoß des Beschlusses 91/586 gegen diese
Regeln nicht zwangsläufig zur Wiederanwendung des Kooperationsabkommens und folglich auf
Gemeinschaftsebene zur Ungültigkeit der streitigen Verordnung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem
wieder in Kraft befindlichen Kooperationsabkommen führen. So könnte bei einem Verstoß gegen das
Völkerrecht auch Schadensersatz geleistet werden, so daß das Kooperationsabkommen ausgesetzt
bliebe. Zur Beurteilung der Gültigkeit der streitigen Verordnung brauche der Gerichtshof somit nicht
zu prüfen, ob mit der Aussetzung des Kooperationsabkommens durch den Beschluß 91/586 gegen
Regeln des Völkerrechts verstoßen worden sei.
40.
Zunächst ist festzustellen, daß die Frage des vorlegenden Gerichts nur die Gültigkeit der streitigen
Verordnung im Hinblick auf die Regeln des Völkergewohnheitsrechts betrifft.
41.
Ferner ist darauf hinzuweisen, daß ein vom Rat gemäß den Bestimmungen des EG-Vertrags
geschlossenes Abkommen mit einem Drittland für die Gemeinschaft eine Handlung eines
Gemeinschaftsorgans darstellt und daß die Bestimmungen eines solchen Abkommens ein
wesentlicher Bestandteil des Gemeinschaftsrechts sind (Urteil Demirel, Randnr. 7).
42.
Würde die streitige Verordnung für ungültig erklärt, so blieben die durch die Bestimmungen des
Kooperationsabkommens gewährten Handelszugeständnisse aber in der Rechtsordnung der
Gemeinschaft bis zu dem Zeitpunkt in Kraft, zu dem die Gemeinschaft dieses Abkommen im Einklang
mit den einschlägigen Regeln des Völkerrechts beenden würde.
43.
Folglich könnten sich die Betroffenen, wenn die streitige Verordnung wegen ihrer Unvereinbarkeit
mit Regeln des Völkergewohnheitsrechts für ungültig erklärt würde, unmittelbar auf die ihnen durch
das Kooperationsabkommen gewährten Ansprüche auf Zollbegünstigung berufen.
44.
Die Kommission bezweifelt, daß die Regeln des Völkerrechts, auf die im Vorlagebeschluß Bezug
genommen werde, ohne ausdrückliche Klausel im EG-Vertrag als Teil der Rechtsordnung der
Gemeinschaft angesehen werden könnten. Ein Betroffener könne die Gültigkeit einer Verordnung aus
Gründen in Frage stellen, die sich auf das Verhältnis zwischen ihm und der Gemeinschaft bezögen, er
könne sich aber nicht auf Argumente berufen, die aus der — dem Völkerrecht unterliegenden —
Rechtsbeziehung zwischen der Gemeinschaft und einem Drittstaat abgeleitet würden.
45.
Die Gemeinschaft muß ihre Befugnisse nach dem Urteil vom 24. November 1992in der Rechtssache
C-286/90 (Poulsen und Diva Navigation, Slg. 1992, I-6019, Randnr. 9) unter Beachtung des
Völkerrechts ausüben. Sie muß daher die Regeln des Völkergewohnheitsrechts beachten, wenn sie
eine Verordnung erläßt, mit der Handelszugeständnisse ausgesetzt werden, die durch ein von ihr mit
einem Drittland geschlossenes Abkommen oder aufgrund eines solchen gewährt wurden.
46.
Folglich binden die Regeln des Völkergewohnheitsrechts über die Beendigung und die
Suspendierung vertraglicher Beziehungen wegen einer grundlegenden Änderung der Umstände die
Gemeinschaftsorgane und sind Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft.
47.
Im vorliegenden Fall stellt die Betroffene die Gültigkeit einer Gemeinschaftsverordnung im Hinblick
auf diese Regeln inzident in Frage, um sich auf Ansprüche zu berufen, die sie unmittelbar aus einem
Abkommen zwischen der
Gemeinschaft und einem Drittland ableitet. Die vorliegende Rechtssache betrifft somit nicht die
unmittelbare Wirkung dieser Regeln.
48.
Die Betroffene beruft sich gegenüber der in Anwendung dieser Regeln erlassenen streitigen
Verordnung, durch die ihr Ansprüche auf Zollbegünstigung genommen werden, die ihr nach dem
Kooperationsabkommen zustehen, auf Regeln des Völkergewohnheitsrechts von grundlegendem
Charakter (vgl. zu einer ähnlichen Situation in bezug auf Grundregeln vertraglicher Art Urteil vom 7. Mai
1991 in der Rechtssache C-69/89, Nakajima/Rat, Slg. 1991, I-2069, Randnr. 31).
49.
Die von der Betroffenen geltend gemachten Regeln sind eine Ausnahme vom Grundsatz „pacta sunt
servanda“, der einen tragenden Grundsatz jeder Rechtsordnung und insbesondere der
Völkerrechtsordnung darstellt. Im Völkerrecht besagt er, daß jeder Vertrag die Vertragsparteien
bindet und von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen ist (vgl. Artikel 26 des Wiener
Übereinkommens).
50.
Auch der Internationale Gerichtshof hat auf die Bedeutung dieses Grundsatzes hingewiesen und
ausgeführt, die Stabilität von Vertragsbeziehungen verlange, daß die Berufung auf eine grundlegende
Änderung der Umstände nur in Ausnahmefällen zugelassen werde (Urteil vom 25. September 1997
zum Gabcíkovo-Nagymaros-Projekt, Ungarn/Slowakei, noch nicht in den Reports of Judgments, Advisory
Opinions and Orders veröffentlicht, Randnr. 104).
51.
Unter diesen Umständen kann es einem Betroffenen, der sich vor Gericht auf Ansprüche beruft, die
er unmittelbar aus einem Abkommen mit einem Drittland ableitet, nicht verwehrt werden, die Gültigkeit
einer Verordnung in Frage zu stellen, die ihn durch die Aussetzung der mit diesem Abkommen
gewährten Handelszugeständnisse an deren Inanspruchnahme hindert, und sich dafür auf
Verpflichtungen zu berufen, die sich aus den Regeln des Völkergewohnheitsrechts über die
Beendigung und die Suspendierung vertraglicher Beziehungen ergeben.
52.
Aufgrund der Komplexität der fraglichen Regeln und der Ungenauigkeit einiger Begriffe, auf die sie
Bezug nehmen, muß sich die gerichtliche Kontrolle — insbesondere im Rahmen eines
Vorabentscheidungsverfahrens zur Prüfung der Gültigkeit — jedoch zwangsläufig darauf beschränken,
ob der Rat, als er die Aussetzungsverordnung erließ, offensichtliche Fehler bei der Beurteilung der
Voraussetzungen für die Anwendung dieser Regeln begangen hat.
53.
Die Beendigung oder die Suspendierung eines Abkommens wegen einer grundlegenden Änderung
der Umstände kommt nach dem in Artikel 62 Absatz 1 des Wiener Übereinkommens kodifizierten
Völkergewohnheitsrecht unter zwei Voraussetzungen in Betracht. Erstens muß das Vorhandensein
dieser Umstände eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Vertragsparteien gebildet
haben, durch das Abkommen gebunden zu sein, und zweitens muß die Änderung
der Umstände das Ausmaß der aufgrund des Abkommens noch zu erfüllenden Verpflichtungen
tiefgreifend umgestalten.
54.
Zur ersten Voraussetzung ist festzustellen, daß die Vertragsparteien nach der Präambel des
Kooperationsabkommens ihren festen Willen bekundeten, „die Entwicklung und Diversifizierung der
wirtschaftlichen, finanziellen und handelspolitischen Zusammenarbeit zu fördern, um zu einem
besseren Gleichgewicht wie auch zur Verbesserung der Struktur und zur Steigerung des Volumens des
Handelsverkehrs und damit zu einer Erhöhung des Wohlstands der Bevölkerungen beizutragen“, und
in dem Bewußtsein handelten, „daß zur Schaffung harmonischerer Wirtschafts- und
Handelsbeziehungen zwischen der Gemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik
Jugoslawien der durch die Erweiterung der Gemeinschaft geschaffenen neuen Lage Rechnung
getragen werden muß und die bestehenden gutnachbarlichen Beziehungen gefestigt werden
müssen“. Entsprechend diesen Erwägungen bezeichnet es Artikel 1 des Abkommens als dessen Ziel,
„eine globale Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien zu fördern, um zur wirtschaftlichen und
sozialen Entwicklung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien beizutragen und die
Vertiefung ihrer Beziehungen zu erleichtern“.
55.
Angesichts eines derart umfassenden Zieles stellten der Fortbestand einer friedlichen Lage in
Jugoslawien, die für gutnachbarliche Beziehungen unabdingbar ist, und die Existenz von Einrichtungen,
die die Umsetzung der mit dem Abkommen angestrebten Kooperation in ganz Jugoslawien
sicherstellen können, eine wesentliche Bedingung für die Aufnahme und Fortsetzung der im
Abkommen vorgesehenen Kooperation dar.
56.
Was die zweite Voraussetzung anbelangt, so läßt die Feststellung des Rates in der zweiten
Begründungserwägung der streitigen Verordnung, daß die „Fortsetzung der Feindseligkeiten und ihre
Auswirkungen auf die wirtschaftlichen und handelspolitischen Beziehungen sowohl der einzelnen
Republiken Jugoslawiens untereinander als auch mit der Gemeinschaft ... eine grundlegende
Veränderung der Umstände dar[stellen], unter denen das Kooperationsabkommen zwischen der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien und
seine Protokolle geschlossen wurden“, und daß sie „die Anwendung des Abkommens und der
Protokolle in Frage [stellen]“, keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler erkennen.
57.
Die Klägerin weist zwar darauf hin, daß ein gewisser Handel mit Jugoslawien fortbestanden habe
und daß die Gemeinschaft weiterhin Zollbegünstigungen hätte gewähren können; wie jedoch der
Generalanwalt in Nummer 93 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, hängt die Anwendung der
fraglichen Regeln des Völkergewohnheitsrechts nicht davon ab, daß die Vertragserfüllung unmöglich
ist, und waren weitere Begünstigungen zur Förderung des Handels sinnlos geworden, da sich
Jugoslawien in Auflösung befand.
58.
Zu der im Vorlagebeschluß aufgeworfenen Frage, ob es im Hinblick auf Artikel 65 des Wiener
Übereinkommens zulässig war, das Kooperationsabkommen ohne vorherige Notifikation fristlos
auszusetzen, ist festzustellen, daß die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten in den gemeinsamen
Erklärungen vom 5., 6. und 28. Oktober 1991 angekündigt hatten, daß sie gegen die Parteien, die
sich nicht an das von ihnen im Beisein des Ratspräsidenten und des Vorsitzenden der Konferenz über
Jugoslawien unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen vom 4. Oktober 1991 hielten, Sanktionen
erlassen würden; außerdem hatte die Gemeinschaft beim Abschluß dieses Abkommens mitgeteilt, daß
sie im Fall der Nichteinhaltung des Waffenstillstands das Kooperationsabkommen beenden werde
( 10-1991, Abschnitte 1.4.6, 1.4.7 und 1.4.16.).
59.
Auch wenn derartige Erklärungen nicht den in dieser Bestimmung aufgestellten formalen
Anforderungen entsprechen mögen, so sind die darin enthaltenen speziellen Verfahrensvorschriften
jedenfalls nicht Teil des Völkergewohnheitsrechts.
60.
Daher ist festzustellen, daß die Prüfung der ersten Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der
Aussetzungsverordnung beeinträchtigen könnte.
61.
In Anbetracht der Antwort auf die erste Vorlagefrage braucht über die zweite Frage nicht
entschieden zu werden.
Kosten
62.
Die Auslagen des Rates und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben
haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung
ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 7. März 1996 vorgelegten Fragen für Recht
erkannt:
Die Prüfung der vorgelegten Fragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der
Verordnung (EWG) Nr. 3300/91 des Rates vom 11. November 1991 zur Aussetzung der
Handelszugeständnisse nach dem Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
beeinträchtigen könnte.
Rodríguez Iglesias Gulmann Ragnemalm
Wathelet
Moitinho de Almeida Kapteyn Murray
Edward
Hirsch
Jann
Sevón
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Juni 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Deutsch.