Urteil des EuGH vom 12.06.2003
EuGH: kommission, ablauf der frist, luxemburg, lizenz, verbot der diskriminierung, betreiber, inhaber, regierung, behörde, zugang
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
12. Juni 200
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Telekommunikation - Wegerechte - Unterbliebene effektive
Umsetzung der Richtlinie 90/388/EWG“
In der Rechtssache C-97/01
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Großherzogtum Luxemburg,
Beklagter,
wegen Feststellung, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen verstoßen
hat, dass es die effektive Umsetzung von Artikel 4d der Richtlinie 90/388/EWG der Kommission vom 28. Juni
1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste (ABl. L 192, S. 10) in der durch die
Richtlinie 96/19/EG der Kommission vom 13. März 1996 (ABl. L 74, S. 13) geänderten Fassung in
luxemburgisches Recht in der Praxis nicht sichergestellt hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, der Richter C. Gulmann und V. Skouris sowie der
Richterinnen F. Macken und N. Colneric (Berichterstatterin),
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Juli 2002
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 27. Februar 2001
bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben auf
Feststellung, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen verstoßen
hat, dass es die effektive Umsetzung von Artikel 4d der Richtlinie 90/388/EWG der Kommission vom 28.
Juni 1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste (ABl. L 192, S. 10) in
der durch die Richtlinie 96/19/EG der Kommission vom 13. März 1996 (ABl. L 74, S. 13) geänderten
Fassung (im Folgenden: Richtlinie) in luxemburgisches Recht in der Praxis nicht sichergestellt hat.
Rechtlicher Rahmen
2.
Artikel 2 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten ziehen alle Vorschriften zurück, die Folgendes gewähren:
a) ausschließliche Rechte für die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen,
einschließlich der Errichtung und der Bereitstellung von Telekommunikationsnetzen für die Erbringung
solcher Dienste, oder
b) besondere Rechte, die die Anzahl der Unternehmen, die zur Erbringung solcher
Telekommunikationsdienste oder zur Errichtung oder Bereitstellung solcher Netze berechtigt sind, auf
zwei oder mehr beschränken, ohne dabei objektive, verhältnismäßige und nichtdiskriminierende
Kriterien einzuhalten, oder
c) besondere Rechte, die nach anderen als objektiven, verhältnismäßigen und
nichtdiskriminierenden Kriterien mehrere konkurrierende Unternehmen dazu ausersehen, solche
Telekommunikationsdienste bereitzustellen oder solche Netze zu errichten oder bereitzustellen.
(2) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass jedes
Unternehmen berechtigt ist, die in Absatz 1 genannten Telekommunikationsdienste bereitzustellen
und die dort genannten Telekommunikationsnetze zu errichten und bereitzustellen.
Unbeschadet Artikel 3c und Artikel 4 dritter Absatz können die Mitgliedstaaten für Sprachtelefondienst
und für die Errichtung und Bereitstellung öffentlicher Telekommunikationsnetze besondere und
ausschließliche Rechte bis zum 1. Januar 1998 aufrechterhalten.
Die Mitgliedstaaten sorgen jedoch dafür, dass alle Beschränkungen bei der Erbringung von
Telekommunikationsdiensten - mit Ausnahme des Sprachtelefondienstes - auf Netzen, die durch den
Anbieter des Telekommunikationsdienstes geschaffen wurden, über Infrastrukturen, die durch Dritte
bereitgestellt werden, und hinsichtlich der gemeinsamen Benutzung von Netzen, anderen
Einrichtungen und Standorten bis zum 1. Juli 1996 aufgehoben und die entsprechenden Maßnahmen
der Kommission zum gleichen Zeitpunkt notifiziert werden.
Hinsichtlich der oben im zweiten und dritten Unterabsatz sowie in Artikel 3 und Artikel 4a Absatz 2
genannten Daten kann Mitgliedstaaten mit weniger entwickelten Netzen auf Antrag eine zusätzliche
Umsetzungsfrist von bis zu fünf Jahren und Mitgliedstaaten mit sehr kleinen Netzen auf Antrag eine
zusätzliche Umsetzungsfrist von bis zu zwei Jahren gewährt werden, soweit dies erforderlich ist, um die
notwendigen strukturellen Anpassungen zu erreichen. ...
(3) Mitgliedstaaten, die die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen oder die Errichtung
und Bereitstellung von Telekommunikationsnetzen von einem Lizenzierungs-, einem
Allgemeingenehmigungs- oder einem Anmeldeverfahren abhängig machen, stellen sicher, dass die
relevanten Bedingungen objektiv, nichtdiskriminierend, verhältnismäßig und transparent sind, dass
jede Ablehnung begründet wird und dass gegen jede Ablehnung Rechtsmittel eingelegt werden
können.
Das Erbringen von Telekommunikationsdiensten - mit Ausnahme von Sprachtelefondienst, der
Errichtung und Bereitstellung von öffentlichen Telekommunikationsnetzen sowie von anderen
Telekommunikationsnetzen, die die Nutzung von Funkfrequenzen erfordern - darf nur einer
Allgemeingenehmigung oder einem Anmeldeverfahren unterworfen werden.
...“
3.
Auf einen vom Großherzogtum Luxemburg am 28. Juni 1996 gemäß Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 4
der Richtlinie gestellten Antrag gewährte die Kommission diesem Staat mit der Entscheidung
97/568/EG vom 14. Mai 1997 (ABl. L 234, S. 7) Zusatzfristen für die Umsetzung der Richtlinie in Bezug
auf den vollständigen Wettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten, mit denen für
Sprachtelefondienst die Aufhebung der ausschließlichen Rechte bis zum 1. Juli 1998 (Artikel 1 dieser
Entscheidung) und die Aufhebung weiterer, die Erbringung bereits liberalisierter
Telekommunikationsdienste berührender Beschränkungen bis zum 1. Juli 1997 (Artikel 2 dieser
Entscheidung) verschoben wurden.
4.
Artikel 4d der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten dürfen Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze bei der Erteilung von
Wegerechten für die Bereitstellung solcher Netze nicht diskriminieren.
Soweit die Einräumung zusätzlicher Wegerechte an Unternehmen, die öffentliche
Telekommunikationsnetze bereitstellen wollen, aufgrund einschlägiger grundlegender Anforderungen
nicht möglich ist, müssen die Mitgliedstaaten den Zugang zu bestehenden Einrichtungen, für die
Wegerechte erteilt wurden und neben denen zusätzliche Einrichtungen nicht errichtet werden können,
zu angemessenen Bedingungen sicherstellen.“
5.
Artikel 2 Absatz 6 der Richtlinie 90/387/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 zur Verwirklichung des
Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs (Open
Network Provision - ONP) (ABl. L 192, S. 1) in der durch die Richtlinie 97/51/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 (ABl. L 295, S. 23) geänderten Fassung definiert
„grundlegende Anforderungen“ für die Zwecke der Richtlinie 90/387 als
„die im allgemeinen Interesse liegenden Gründe nichtwirtschaftlicher Art, die einen Mitgliedstaat
veranlassen können, die Errichtung und/oder den Betrieb von Telekommunikationsnetzen oder die
Bereitstellung von Telekommunikationsdiensten Bedingungen zu unterwerfen. Diese Gründe sind die
Sicherheit des Netzbetriebs, die Aufrechterhaltung der Netzintegrität sowie in begründeten Fällen die
Interoperabilität der Dienste, der Datenschutz, der Umweltschutz und Bauplanungs- und
Raumordnungsziele sowie eine effiziente Nutzung des Frequenzspektrums und die Verhinderung von
Störungen zwischen funkgestützten Telekommunikationssystemen und anderen, raumgestützten oder
terrestrischen, technischen Systemen. ...“
6.
Mit Artikel 7 des luxemburgischen Telekommunikationsgesetzes vom 21. März 1997 ( A
1997, S. 761) wurde eine Lizenzierungsregelung für die Bereitstellung von Telekommunikationsnetzen,
Telefondiensten, Mobiltelefondiensten und Funkrufdiensten eingeführt.
7.
Artikel 34 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Telekommunikationsgesetzes bestimmt:
„... Der Inhaber einer Lizenz für den Betrieb eines Telekommunikationsnetzes ... kann öffentlichen
Grundbesitz des Staates und der Gemeinden zur Installation von Kabeln, oberirdischen Leitungen und
damit verbundenen Einrichtungen und zu allen damit zusammenhängenden Arbeiten unter Beachtung
von deren Zweckbestimmung und der Rechtsvorschriften nutzen, die für die Benutzung dieser Flächen
gelten.“
8.
Artikel 35 des Telekommunikationsgesetzes lautet:
„(1) Der Inhaber einer Lizenz für den Betrieb eines Telekommunikationsnetzes muss vor der
Installation von Kabeln, oberirdischen Leitungen und damit verbundenen Einrichtungen auf
öffentlichem Grundbesitz des Staates und der Gemeinden ... der Behörde, der der öffentliche
Grundbesitz des Staates und der Gemeinden zuzurechnen ist, einen Plan über Standort und Art der
Einrichtung zur Genehmigung vorlegen.
(2) Die Behörden dürfen vom Inhaber einer Lizenz für den Betrieb eines Telekommunikationsnetzes
für das Recht zur Benutzung des öffentlichen Grundbesitzes des Staates und der Gemeinden ... keine
Steuer, Abgabe, Straßenbenutzungsgebühr, Gebühr oder Vergütung gleich welcher Art verlangen.
Der Inhaber einer Lizenz für den Betrieb eines Telekommunikationsnetzes ... verfügt darüber hinaus
über das Recht, Kabel, oberirdische Leitungen und damit verbundene Einrichtungen kostenfrei im
Rahmen der im öffentlichen Grundbesitz des Staates und der Gemeinden belegenen physischen
Infrastruktur zu installieren.“
9.
Gemäß Artikel 35 Absatz 3 des Telekommunikationsgesetzes trägt der Inhaber einer Lizenz für den
Betrieb eines Telekommunikationsnetzes die sich aus der Veränderung der Kabel, oberirdischen
Leitungen und damit verbundenen Einrichtungen ergebenden Kosten.
Vorprozessuales Verfahren
10.
Mit Schreiben vom 22. Juli 1999 erinnerte die Kommission Luxemburg an seine Verpflichtungen aus
Artikel 4d der Richtlinie.
11.
Da weder die Ergebnisse einer bilateralen Besprechung vom 10. September 1999 noch die Antwort
Luxemburgs mit Schreiben vom 16. September 1999 die Kommission zufrieden stellten, richtete sie am
17. Januar 2000 ein Mahnschreiben an das Großherzogtum Luxemburg und forderte es auf, zur
Umsetzung von Artikel 4d der Richtlinie Stellung zu nehmen.
12.
Da dieses Schreiben unbeantwortet blieb, gab die Kommission am 3. August 2000 eine mit Gründen
versehene Stellungnahme ab und forderte Luxemburg auf, die erforderlichen Maßnahmen zu
ergreifen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen.
13.
Da sie von Luxemburg keine Antwort erhielt, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
Zur Klage
14.
Nach Ansicht der Kommission fehlt es an einer nichtdiskriminierenden Erteilung von Wegerechten
an die Telekommunikationsunternehmen zum einen, weil die Bestimmungen des
Telekommunikationsgesetzes nicht ordnungsgemäß angewandt werden, und zum anderen, weil in der
luxemburgischen Rechtsordnung ergänzende Maßnahmen erlassen werden müssten, um die effektive
Umsetzung von Artikel 4d der Richtlinie sicherzustellen.
15.
Zum Nachweis dafür, dass das Großherzogtum Luxemburg nicht alle erforderlichen Maßnahmen
ergriffen hat, um die effektive und nichtdiskriminierende Erteilung von Wegerechten an die Inhaber
einer Lizenz sicherzustellen, stützt sich die Kommission auf drei Punkte:
- die Unbestimmtheit des luxemburgischen Rechts;
- die fehlende Berufung auf einschlägige grundlegende Anforderungen, um die Ablehnung einer
Erteilung von Wegerechten zu begründen, und
- das mögliche Vorliegen von Diskriminierungen.
16.
Die Kommission stellt, erstens, in Bezug auf die Unbestimmtheit des luxemburgischen Rechts fest,
dass die Wegerechte auf öffentlichem luxemburgischem Grundbesitz, die die Artikel 34 und 35 des
Telekommunikationsgesetzes den Inhabern einer Lizenz für den Betrieb eines
Telekommunikationsnetzes theoretisch einräumten, in der Praxis nicht in einem Verfahren gewährt
würden, das eine Diskriminierung mit Sicherheit ausschließe. Die Zuständigkeitsverteilung sei alles
andere als klar. Die luxemburgische Regierung selbst habe angegeben, dass für die Erteilung von
Genehmigungen auf dem Gebiet der Wegerechte mehrere Behörden zuständig seien, nämlich die für
den staatlichen Grundbesitz (mit Ausnahme des nationalen Straßennetzes) zuständige Register- und
Domänenverwaltung, die Straßenbauverwaltung für das nationale Straßennetz sowie der Schöffenrat
für den Grundbesitz der jeweiligen Gemeinde.
17.
Was den öffentlichen Grundbesitz der Eisenbahn betreffe, der von der Société nationale des
chemins de fer luxembourgois (CFL) verwaltet werde, so weist die Kommission darauf hin, dass dem
Institut des télécommunications luxembourgeois (Regulierungsbehörde) (öffentliche Einrichtung, die
die Einhaltung der Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes überwacht) zufolge der Staat und
nicht die CFL für die Bearbeitung von Anträgen für die Verlegung von Kabeln entlang des
Schienennetzes zuständig sei, während nach Auskunft des luxemburgischen Verkehrsministers ein
solcher Antrag von der CFL zu bearbeiten sei. Aus einem Urteil des Tribunal administratif Luxemburg
vom 13. Dezember 2000 gehe jedoch hervor, dass die CFL nicht über die Befugnis verfüge,
wegerechtliche Erlaubnisse zu erteilen oder zu verweigern.
18.
Hinsichtlich der Gemeinden sei unklar, welche Vorschriften über die Erteilung von Wegerechten
bestünden oder - zumindest - welche gemeinsame Grundlage das eventuell auf verschiedene
Gemeinden verteilte Genehmigungsverfahren habe.
19.
Außerdem bestimme Artikel 35 Absatz 1 des Telekommunikationsgesetzes, dass das Nutzungsrecht
von der vorherigen Genehmigung des technischen Plans über Standort und Art der Einrichtung durch
die Behörde abhänge, der der betreffende öffentliche Grundbesitz zuzurechnen sei. Somit sei es zum
einen Aufgabe dieser Behörde, in der Praxis die Bedingungen für den Zugang zum Grundbesitz des
Staates und der Gemeinden festzulegen. Zum anderen aber benötige ein
Telekommunikationsunternehmen eine spezifische wegerechtliche Erlaubnis. Nach Ansicht der
Kommission ist die Frage, ob das wegerechtliche Erlaubnisverfahren mit dem Antrag auf Genehmigung
des Plans über Standort und Art der Einrichtung im Sinne von Artikel 35 Absatz 1 des genannten
Gesetzes verschmilzt oder diesen Antrag überlagert, nicht eindeutig geklärt.
20.
Diese Feststellung lasse sich mit einem konkreten Beispiel untermauern. Die Compagnie générale
pour la diffusion de la télévision (Coditel), die über eine Lizenz zur Installation und zum Betrieb eines
festen Telekommunikationsnetzes nach dem Telekommunikationsgesetz verfüge, habe seit März 1999
Anträge auf Genehmigung zur Verlegung von Kabeln bei den verschiedenen betroffenen
luxemburgischen Einrichtungen und Verwaltungen eingereicht.
21.
Die CFL habe der Coditel mitgeteilt, dass dem Antrag auf Genehmigung zur Verlegung von Kabeln
nicht stattgegeben werden könne; diese Ablehnung habe sie nur mit Erwägungen begründet, die ihre
eigene Strategie betroffen hätten. Die Behandlung des von der Coditel bei der Straßenbauverwaltung
gestellten Antrags auf wegerechtliche Erlaubnis habe sich verzögert; die Verwaltung habe sich in ihrer
Antwort vom 23. September 1999 auf die technischen Schwierigkeiten berufen, die mit der
Koordination von Anträgen verschiedener Telekommunikationsunternehmen zusammenhingen. Das
Schreiben, das Coditel an die Register- und Domänenverwaltung gerichtet habe, sowie mehrere
Schreiben an den luxemburgischen Minister für Öffentliche Arbeiten seien unbeantwortet geblieben.
22.
Die Kommission hebt, zweitens, hervor, dass die Richtlinie es erlaube, Wegerechte bei Vorliegen
einschlägiger grundlegender Anforderungen zu verweigern. Die Bescheide der verschiedenen
Einrichtungen oder Verwaltungen, mit denen die Anträge der Coditel auf Erteilung von Wegerechten
abgelehnt worden seien, insbesondere die der Straßenbauverwaltung und der CFL, nähmen jedoch
überhaupt nicht auf die in Artikel 4d der Richtlinie genannten einschlägigen grundlegenden
Anforderungen Bezug.
23.
Die Kommission weist, drittens, darauf hin, dass es nach Artikel 4d Absatz 1 der Richtlinie verboten
sei, „Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze bei der Erteilung von Wegerechten für die
Bereitstellung solcher Netze [zu] diskriminieren“. Nach Kenntnis der Kommission sei allerdings noch
keinem Antrag stattgegeben worden, mit dem ein neuer Betreiber die Erteilung von Wegerechten auf
öffentlichem Grundbesitz beantragt habe, um den Anschluss der örtlichen Netze an Netze im Ausland
zu ermöglichen und damit Telekommunikationsdienstleistungen im Wettbewerb mit der Entreprise des
Postes et Télécommuncations (EPT) anbieten zu können. Die EPT habe bei der Ausschreibung der
Arbeiten für die Verlegung von Kabeln entlang bestimmter Autobahnen den Zuschlag erhalten,
während anderen Inhabern einer Lizenz zum Betrieb eines Telekommunikationsnetzes die Wegerechte
bisher verweigert worden seien.
24.
Die luxemburgische Regierung beruft sich zu ihrer Rechtfertigung darauf, dass das in Artikel 4d der
Richtlinie aufgestellte Verbot der Diskriminierung von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze
in luxemburgisches Recht umgesetzt sei, was die Kommission nicht bestreite. Die Ausübung von
Wegerechten unterliege klaren Regelungen, die die jeweils zuständigen Behörden festgelegt und
bekannt gemacht hätten. Diese Regelungen gälten in gleicher Weise für jeden, der ein Wegerecht in
Anspruch nehmen wolle, und nicht spezifisch für den Telekommunikationssektor, der keine speziellen
Rechte genieße.
25.
Zur Zuständigkeitsverteilung trägt die luxemburgische Regierung vor, dass die Register- und
Domänenverwaltung für den öffentlichen Grundbesitz des Staates zuständig sei, während für das
Wegenetz auf diesem Grundbesitz die Straßenbauverwaltung verantwortlich sei. Die Voraussetzungen
der Erteilung wegerechtlicher Erlaubnisse würden auf Anfrage mitgeteilt und könnten auf der
Homepage dieser Verwaltung im Internet eingesehen werden. Auch die Vorschriften über die Erteilung
von Wegerechten auf dem öffentlichen Grundbesitz der Gemeinden, für den der Schöffenrat der
betroffenen Gemeinde zuständig sei, würden den Interessenten auf Anfrage mitgeteilt und könnten
zudem bei einigen Gemeinden auf deren Homepage im Internet eingesehen werden.
26.
Zu dem von der Kommission angesprochenen konkreten Fall verweist die luxemburgische Regierung
auf ein Urteil der Cour d'appel (Luxemburg) vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache Nr. 24369, Coditel/CFL.
In diesem Urteil werde ausgeführt, dass die Genehmigung des Plans über Standort und Art der
Einrichtung Voraussetzung der Ausübung des Wegerechts sei, das dem Inhaber einer Lizenz für den
Betrieb eines Telekommunikationsnetzes nach den Artikeln 34 und 35 des
Telekommunikationsgesetzes zustehe. Diese Voraussetzung gelte für jeden Betreiber, der ein
Wegerecht nach diesem Gesetz geltend mache, und stelle den Bestand dieses Rechts nicht in Frage.
27.
Die luxemburgische Regierung erläutert, dass der Coditel der Zugang zum staatlichen Grundbesitz
der Eisenbahn aus zwei Gründen verweigert worden sei. Zum einen habe der Betreiber seinen Antrag
auf Zugang ursprünglich an die CFL in ihrer Eigenschaft als Betreiberin des Schienennetzes des
Staates gerichtet. In seinem Urteil vom 13. Dezember 2000 habe das Tribunal administratif aber
ausgeführt, dass der Verkehrsminister für die Genehmigung des Standortplans, soweit er den
Grundbesitz der Eisenbahn betreffe, zuständig sei, da der Betreiber des Schienennetzes nicht befugt
sei, Zugang zu staatlichem Eigentum zu gewähren. Dass der Antrag der Coditel abgelehnt worden sei,
sei zum anderen nicht darauf zurückzuführen, dass die Verwaltung den Zugang zum Grundbesitz des
Staates in diskriminierender Weise verweigert habe, sondern darauf, dass dieser Betreiber keinen
Plan über Standort und Art der Einrichtung seines künftigen Netzes vorgelegt gehabt habe.
28.
Zum Vorbringen der Kommission, dieses Erfordernis eines Standortplans mache die effektive
Ausübung des Wegerechts unmöglich, weil für die Erstellung eines solchen Plans technische Angaben
benötigt würden, die unzugänglich seien, da sie nur der Betreiber des betreffenden öffentlichen
Netzes liefern könne, erwidert die luxemburgische Regierung, dass es sich bei den für die Erstellung
des Standortplans erforderlichen Angaben um eine schlichte topografische Karte handele, die
öffentlich und bei der Kataster- und Vermessungsverwaltung verfügbar sei.
29.
Schließlich weist die luxemburgische Regierung darauf hin, dass das im vorliegenden Rechtsstreit in
Rede stehende Verfahren durch das Règlement grand-ducal du 8 juin 2001 déterminant les
conditions d'utilisation du domaine routier et ferroviaire de l'État par les opérateurs de
télécommunications, les gestionnaires de réseaux de transport d'électricité et les entreprises de
transport de gaz naturel ( A 2001, S. 1394) (Großherzogliche Verordnung vom 8. Juni 2001
über die Bedingungen der Nutzung des dem Straßen- und Eisenbahnverkehr gewidmeten
Grundbesitzes des Staates durch Telekommunikationsbetreiber, Betreiber von Stromleitungsnetzen
und Unternehmen zum Transport von Erdgas) inzwischen geändert worden sei.
30.
Nach ständiger Rechtsprechung ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu
beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen
Stellungnahme gesetzt wurde; später eingetretene Veränderungen können vom Gerichtshof nicht
berücksichtigt werden (vgl. insbesondere Urteile vom 30. Januar 2002 in der Rechtssache C-103/00,
Kommission/Griechenland, Slg. 2002, I-1147, Randnr. 23, und vom 30. Mai 2002 in der Rechtssache C-
323/01, Kommission/Italien, Slg. 2002, I-4711, Randnr. 8).
31.
Daher kann der Gerichtshof die Änderungen des luxemburgischen Rechts durch die
Großherzogliche Verordnung vom 8. Juni 2001 im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der
vorliegenden Vertragsverletzungsklage nicht berücksichtigen.
32.
Weiter muss das Recht eines Mitgliedstaats, mit dem eine Richtlinie umgesetzt wird, nach ständiger
Rechtsprechung tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie gewährleisten, die Rechtslage
hinreichend klar bestimmen und die Begünstigten in die Lage versetzen, von allen ihren Rechten
Kenntnis zu erlangen (vgl. insbesondere Urteile vom 23. März 1995 in der Rechtssache C-365/93,
Kommission/Griechenland, Slg. 1995, I-499, Randnr. 9, und vom 10. Mai 2001 in der Rechtssache C-
144/99, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541, Randnr. 17).
33.
Unter diesem Gesichtspunkt ist zu prüfen, ob das luxemburgische Recht, wie es bei Ablauf der Frist
galt, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, den Anforderungen des
Artikels 4d der Richtlinie genügte.
34.
Nach Artikel 4d Absatz 1 der Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten Betreiber öffentlicher
Telekommunikationsnetze bei der Erteilung von Wegerechten für die Bereitstellung solcher Netze nicht
diskriminieren.
35.
Gemäß Artikel 34 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Telekommunikationsgesetzes ist ein Nutzungsrecht,
bei dem die Rechtsvorschriften über die Nutzung des öffentlichen Grundbesitzes des Staates und der
Gemeinden zu beachten sind, Bestandteil der für den Betrieb eines Telekommunikationsnetzes
erteilten Lizenz.
36.
Damit ist jedoch den Anforderungen des Artikels 4d der Richtlinie nicht genügt. Diese soll nämlich
die effektive Ausübung der Wegerechte gewährleisten, um die Bereitstellung von
Telekommunikationsinfrastrukturen zu liberalisieren. Eine effektive Umsetzung dieser Bestimmung
setzt voraus, dass die für die Erteilung solcher Rechte zuständige Behörde klar benannt ist und dass
für die Inanspruchnahme dieser Rechte transparente Verwaltungsverfahren eingerichtet werden. Das
ist hier aber nicht der Fall.
37.
Was die Benennung der zuständigen Behörde angeht, so steht es zwar jedem Mitgliedstaat frei, die
Zuständigkeiten innerstaatlich so zu verteilen, wie er es für zweckmäßig hält, und eine Richtlinie
mittels Maßnahmen durchzuführen, die von verschiedenen Behörden getroffen werden (vgl. Urteil vom
14. Januar 1988 in den Rechtssachen 227/85 bis 230/85, Kommission/Belgien, Slg. 1988, 1, Randnr.
9). Gleichwohl müssen die Bürger in der Lage sein, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen.
38.
Der luxemburgischen Regelung über die Erteilung von Wegerechten auf öffentlichem Grundbesitz
fehlt jedoch die Transparenz. Hinsichtlich des öffentlichen Grundbesitzes der Eisenbahn geht aus den
Akten hervor, dass selbst bei den luxemburgischen Behörden keine Einigkeit darüber bestand, ob für
die Bearbeitung eines Antrags für die Verlegung von Kabeln entlang des Schienennetzes die CFL - so
der luxemburgische Verkehrsminister - oder der Staat - so die luxemburgische Regulierungsbehörde -
zuständig ist.
39.
Was die Verfahren zur Erteilung von Wegerechten betrifft, so setzt die Nutzung des öffentlichen
Grundbesitzes des Staates und der Gemeinden nach Artikel 35 Absatz 1 des
Telekommunikationsgesetzes die vorherige Genehmigung des Plans über Standort und Art der
Einrichtung durch die Behörde voraus, der der betreffende öffentliche Grundbesitz zuzurechnen ist.
Außerdem müssen die Inhaber einer Lizenz für den Betrieb eines Telekommunikationsnetzes, die die
mit dieser Lizenz verbundenen Wegerechte nutzen wollen, wegerechtliche Erlaubnisse bei den
staatlichen Stellen und bei allen nach Maßgabe der Belegenheit der Netze zuständigen örtlichen
Stellen erwirken. Die luxemburgische Regierung hat nicht vorgetragen, dass sie entsprechende
Durchführungsbestimmungen erlassen und bekannt gemacht habe. Auch wenn die von den
verschiedenen zuständigen Stellen angewandten Verfahren auf Anfrage der Interessenten oder in
einigen Fällen über das Internet in Erfahrung gebracht werden können, sind gleichwohl die
Verwaltungsverfahren als Ganzes durchaus nicht transparent; daher kann diese Situation
Interessenten davon abhalten, Anträge auf Erteilung von Wegerechten zu stellen.
40.
Nach alledem ist festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine
Verpflichtungen verstoßen hat, dass es die effektive Umsetzung von Artikel 4d der Richtlinie nicht
sichergestellt hat.
Kosten
41.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, das Großherzogtum Luxemburg in die Kosten
zu verurteilen, und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Großherzogtum Luxemburg hat dadurch gegen seine Verpflichtungen verstoßen,
dass es die effektive Umsetzung von Artikel 4d der Richtlinie 90/388/EWG der Kommission
vom 28. Juni 1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste in
der durch die Richtlinie 96/19/EG der Kommission vom 13. März 1996 geänderten Fassung
nicht sichergestellt hat.
2. Das Großherzogtum Luxemburg trägt die Kosten des Verfahrens.
Puissochet
Gulmann
Skouris
Macken
Colneric
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Juni 2003.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
J.-P. Puissochet
Verfahrenssprache: Französisch.